Europapolitik

Europa braucht uns – Wir brauchen Europa

Die DBJR-Vollversammlung hat am 26./27. Oktober 2018 die Position „Europa braucht uns – Wir brauchen Europa“ beschlossen:

Europa ist für uns junge Menschen kein Projekt mehr, sondern eine Lebensrealität. Wir haben eine gemeinsame Währung, können frei reisen und arbeiten, begegnen uns und schließen Freundschaften. Dafür brauchen wir auch weiterhin ein starkes, demokratisches und solidarisches Europa. Wir haben der europäischen Integration viel zu verdanken, haben hohe Erwartungen an eine gemeinsame Zukunft und stehen deshalb zusammen für Europa ein.

Es ist höchste Zeit, sich laut und pro-europäisch zu positionieren für:

  • ein demokratisches Europa
  • ein jugendgerechtes Europa
  • ein investierendes Europa
  • ein soziales und gerechtes Europa
  • ein nachhaltig entwickeltes Europa
  • ein offenes und mobiles Europa
  • ein weltoffenes und solidarisches Europa
  • ein in Vielfalt geeintes Europa

Die Europäische Union wird derzeit vor eine Zerreißprobe gestellt: Die sich seit 60 Jahren stetig vertiefende europäische Integration wird in Frage gestellt. Abschottung und Nationalstaatlichkeit werden mit verschärftem Ton gefordert. Das Vereinigte Königreich hat mit dem Brexit-Referendum den Prozess eingeleitet, aus der Union auszutreten. In einigen anderen Ländern wie Polen, Ungarn, Italien und Österreich sind nationalistische, fremdenfeindliche und rassistische Parteien an Regierungen beteiligt und äußern ihre Positionen zunehmend offen in der Mitte der Gesellschaft. Sie tragen dazu bei, dass demokratiefeindliche Einstellungen in Europa normalisiert werden.

Die europäische Zusammenarbeit war und ist die friedliche Antwort auf zwei Weltkriege: Einige Staaten entschieden sich dazu, nie mehr Kriege entstehen zu lassen. Was aus einer wirtschaftsbezogenen Kooperation in den Bereichen Kohle, Stahl und Atomenergie erwachsen ist sollte zu einem gesamtgesellschaftlichen, solidarischen Projekt werden. Während die EU-Kompetenzen seither besonders in der Wirtschafts- und Währungspolitik gestiegen sind, machte die politische Union langsamer Fortschritte. Gleichzeitig sind neue Herausforderungen entstanden: Klimawandel und Globalisierung sind gute Beispiele, die nicht mit „Kleinstaaterei“ gelöst werden können. Europa muss auch für diese Herausforderungen die Antwort sein.

Das Fundament der EU wankt; die Integration ist in Schieflage geraten. Supranationale Politik ist aber gerade in der aktuell schwierigen Situation sinnvoll und notwendig. Es gibt bereits Reisefreiheit mit offenen Grenzen, eine europäische Währung, einen gemeinsamen Markt und einen europäischen Arbeitsmarkt. Was zu einem funktionierenden Europa fehlt, ist die Weiterentwicklung der Integration in den Bereichen, die nicht allein für junge Menschen und Jugendverbände wichtig sind: Demokratie, Solidarität, Gerechtigkeit, Freiheit, Vielfalt und Nachhaltigkeit. Insgesamt muss das soziale Europa gestärkt werden.

Die Herausforderungen auf dem europäischen Kontinent und in der Europäischen Union werden zukünftig wachsen. Sowohl nationale als auch EU-Politiker*innen und -Institutionen müssen wieder anfangen, über individuelle Interessen hinaus Verantwortung für ihr Verhalten zu tragen und lösungsorientiert sowie über Parteigrenzen hinweg zu handeln, damit die EU weiter besteht. Europa muss aus den Krisen gestärkt hervorgehen.

Für eine Weiterentwicklung der EU und für europapolitische Fortschritte gibt es gute Voraussetzungen. Eine klare Mehrheit junger EU-Bürger*innen identifiziert sich mit Europa und begreift sich in erster Linie als Europäer*in.[1] Mehr als zwei Drittel der EU-Bürger*innen und drei Viertel der Deutschen sind der Ansicht, dass ihr Land von der EU-Mitgliedschaft profitiert.[2] Für junge Menschen ist Europa Lebensrealität, in der sie sich tagtäglich frei bewegen, zusammen kommen und arbeiten wollen.

Ein demokratisches Europa

Die EU muss ein Garant für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Europa sein. Sie muss eine Vorreiterrolle in der Sicherung und Weiterentwicklung der demokratischen Grundwerte spielen. Einige nationale Regierungen, zum Beispiel in Ungarn und Polen, sind in letzter Zeit davon abgerückt und bedrohen die Rechtsstaatlichkeit von innen. Die im Lissabon-Vertrag verankerten europäischen Grundwerte müssen wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken: „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nicht-Diskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet."[3] Um dies wieder in den Mitgliedstaaten umzusetzen, hat die EU ein Prüf-Verfahren eingeleitet, ob Polen die EU-Werte schwerwiegend verletzt hat.[4] Das Europäische Parlament hat zudem ein Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Ungarn gefordert.[5] Es braucht eine breite Allianz für die Grundwerte in Europa. Zusätzlich muss die EU ein Anreizsystem für Rechtsstaatlichkeit innerhalb der Förderprogramme schaffen. Dieses Anreizsystem muss Staaten, die besondere Fortschritte machen, zusätzlich fördern. Sanktionen bei Nicht-Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien sind verkürzt. Die Kürzung der Fördergelder würde vor allem zivilgesellschaftliche Strukturen treffen, die in dieser Situation besonders gebraucht werden.

Gemeinsame Entscheidungen bedeuten gemeinsame Verantwortung. Es ist zu oft passiert, dass nationale Politiker*innen in europäischen Gremien Entscheidungen treffen und – sobald sie in ihrer jeweiligen Hauptstadt zurück sind – „Brüssel“ für die Folgen verantwortlich machen. Weder Brüssel als Synonym noch die EU als Institution darf der Sündenbock für demokratische Entscheidungen sein. Es ist schlicht falsch, die EU dafür verantwortlich zu machen, wenn Entscheidungsträger*innen weder nachhaltige noch inhaltlich gute Politik betreiben.

Um das zukünftig zu verhindern, setzen wir uns dafür ein, dass der Gesetzgebungsprozess in allen Phasen transparent und nachvollziehbar gemacht wird. Aktuell werden viele EU-Gesetze früher als institutionell vorgesehen in sogenannten Trilogen mit allen EU-Institutionen verhandelt. Dadurch werden die Gesetzgebungsverfahren zwar beschleunigt, dies fällt aber zu Lasten der Transparenz und vermischt Exekutiv- und Legislativkompetenzen. Wir fordern deshalb, das Trilog-Verfahren nur bei besonders dringender EU-Gesetzgebung anzuwenden und insgesamt transparenter zu gestalten.

Dazu gehört auch, dass Expert*innen aus der Zivilgesellschaft, aus Verbänden und der Wirtschaft transparent und chancengleich ihr Wissen in die Politik einbringen können. Allerdings gibt es hier erhebliche Ungleichheiten: große Unternehmen bestimmen die politische Entwicklung in der EU stärker mit. So finden sich unter den 15 Unternehmen und Verbänden mit den häufigsten Lobby-Gesprächen nur vier zivilgesellschaftliche Verbände.[6] Deshalb muss es klar ersichtlich sein, wer wie oft wen trifft und welche Auswirkungen das auf die europäische Gesetzgebung hat. Bei den aktuellen Regelungen erhält zwar jemand ohne Eintrag in das Transparenzregister keinen Zugang zum Europäischen Parlament, aber Interessenvertretung geschieht nicht nur im Parlamentsgebäude.[7] Als DBJR setzen wir uns deshalb für ein verbindliches Lobby-Register für alle EU-Institutionen ein. Nachdem sich das Europäische Parlament für eine Einführung eines verpflichtenden Registers ausgesprochen hat, ist es nun an der Europäischen Kommission, einen entsprechenden Gesetzesvorschlag vorzuschlagen.

Dem Europäischen Parlament blieb es im Gegensatz zu anderen Parlamenten bislang verwehrt, EU-Gesetzgebung zu initiieren. Das darf nur die EU-Kommission und gibt ihr institutionell einen klaren Machtvorteil gegenüber dem Parlament. Als direkt gewählte Vertretung der EU-Bürger*innen muss das Europäische Parlament diese Kompetenz erhalten. Zudem braucht es wie jedes andere Parlament alle Legislativkompetenzen, nicht nur in Haushaltsfragen.

Es ist zeitnah ein europäischer Konvent anzustreben, um diese und andere institutionell-demokratischen Herausforderungen der EU zu klären. Dafür braucht es eine breite gesellschaftliche Diskussion zur Zukunft Europas, die von der Zivilgesellschaft mitgestaltet werden kann.

Als DBJR setzen wir uns aktiv für die Stärkung der Demokratie in Europa ein. Die europäischen Werte sind unabdingbar für ein funktionierendes Miteinander in Europa. Als Jugendverbände und -ringe stehen wir in unserer täglichen Arbeit für politische und demokratische Bildung, bei der alle in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Wir sind Werkstätten der Demokratie und engagieren uns mit Kindern und Jugendlichen sowie im Interesse junger Menschen für eine starke Demokratie. Dies wird bisher nicht ausreichend berücksichtigt: Politische Bildung in Europa muss besonders im außerschulischen Bereich gestärkt und gefördert werden. Sie gilt als Fundament für mehr Teilhabe und steht für eine soziale, gerechte und demokratische Gesellschaft. Politische Bildung befähigt junge Menschen, ihre Rechte wahrzunehmen und auf europäischer Ebene den gesellschaftlichen Diskurs entsprechend der europäischen Werte zu denken und zu leben. In der Erasmus-Programmstruktur muss eine Förderung von politischer Bildung im außerschulischen Bereich ausgebaut werden.

In Entscheidungsprozesse eingebunden zu sein, setzt voraus, dass junge Menschen bereits früh an Wahlen als zentralem Beteiligungsprozess unserer demokratischen Gesellschaft einbezogen werden. Wir fordern, dass Jugendliche in Europa bereits ab 14 Jahren wählen sollen. In Europa wählen zu dürfen, soll dabei nicht vom Erwerb einer europäischen Staatsbürgerschaft abhängen, sondern muss sich einzig am Lebensmittelpunkt der in Europa lebenden Menschen orientieren.

Um die Wahlbeteiligung zu erhöhen, müssen die Wahlen zum Europäischen Parlament politisiert und europäisiert werden. Aktuell dominieren nationale Themen und nationale Listen den Wahlkampf. Um europäische Politik und ihre konkreten Folgen besser aufzuzeigen, müssen Parteien in Zukunft europäischen Kampagnen im Wettbewerb um die besten europäischen Inhalte vorlegen. Dafür braucht es die Einführung transnationaler Listen, bei denen Wahlkreise über nationale Grenzen hinweg gehen, und die Weiterführung des Spitzenkandidat*innen-Systems, bei denen die Parteienfamilien sich europäisch auf jeweils eine*n Kandidat*in für das Amt der*des Präsidenten*in einigen. Für eine bessere Geschlechter-Parität rufen wir an dieser Stelle gemeinsam mit der Europäischen Bewegung Deutschlands die Parteien dazu auf, eine Frau als Spitzenkandidatin für die Europäische Kommission zu nominieren.

Ein jugendgerechtes Europa

Nicht zuletzt in der manipulativen Kampagne nationalistischer Parteien zum Brexit-Referendum wurde deutlich, wie sich auch die Jugend zusehends von Parteienpolitik entfremdet. Parteien sind weder inhaltlich noch strukturell jugendfreundlich und erlauben kaum die Partizipation junger Menschen. Insbesondere für junge Frauen ist es schwierig, innerhalb der Parteien aufzusteigen. Es sind nur 0,5 Prozent der Europa-Abgeordneten unter 30 Jahre alt. Zusätzlich fordern die wenigsten Parteien Verbesserungen in der Jugendpolitik. Beides muss sich ändern. Parteien sind Fundamente der Demokratie. Dazu braucht es aber eine generationengerechte innerparteiliche Demokratie: Jugendpolitik muss strukturell und ressortübergreifend mitgedacht und proaktiv organisiert werden.

Besonders junge Menschen wollen die Zukunft Europas mitgestalten. Wir erwarten von der europäischen Politik und den europäischen Parteien, dass sie ihrer Verantwortung hierfür gerecht werden und entsprechende Beteiligungsmöglichkeiten schaffen. Junge Menschen sind Expert*innen ihres eigenen Lebens und sind deshalb für die Zukunft Europas entscheidend. Menschen unter 30 Jahren gehören zur ersten Generation, die mit der EU aufgewachsen sind. Das hat Konsequenzen auf die Perspektive, mit der junge Menschen im Gegensatz zu älteren Generationen auf die EU schauen. Europäische Politik ist Zukunftspolitik, sie betrifft deshalb junge Menschen besonders stark.

Als strategischer Rahmen muss die EU-Jugendstrategie die Jugendpolitik strukturell und ressortübergreifend stärken.[8] Ziel muss es sein, in Verbindung mit den Förderprogrammen die Lebenssituation junger Menschen zu verbessern. Partizipation, Verbindlichkeit und gutes Monitoring sind wichtige Faktoren für ein Gelingen der Jugendstrategie. Als ein Instrument zur Umsetzung der EU-Jugendstrategie muss der EU-Jugenddialog (Fortführung des Strukturierten Dialogs) Wirkung entfalten: Die EU-Jugendziele (EU Youth Goals) sind eine einmalige Gelegenheit, die Arbeit von und den Dialog mit jungen Menschen in die EU-Politik einfließen zu lassen. Es braucht einen konstanten und starken Dialog zwischen jungen Menschen und Entscheidungsträger*innen, kein allgemeines Abfragen von Meinungen.

Europa kann nur gelingen, wenn möglichst viele daran mitwirken und sich an der Europa-Debatte beteiligen. Zivilgesellschaftliche Akteure wie Jugendverbände und -ringe bringen sich ein. Die Bundesregierung muss ernsthafte Angebote zur Mitgestaltung der Zukunft Europas machen. Die von der Europäischen Kommission und der Bundesregierung initiierten Bürger*innen-Dialoge und der Strukturierte Dialog innerhalb der EU-Jugendstrategie sind erste gute Schritte. Es muss aber für die Menschen, insbesondere für junge Menschen, transparent sein, was sich durch ihren Input ändert. Aus der Erfahrung mit dem Strukturierten Dialog haben wir an den Anforderungskriterien für die Bürger*innen-Dialoge der Europäischen Bewegung Deutschlands mitgearbeitet[9]: Besonders wichtig sind dabei regionale Ausgewogenheit, eine klare Zielsetzung und die Rückkoppelung der Ergebnisse.

Jugendverbände bringen junge Menschen zusammen und sind Orte gelebter Demokratie. Deshalb sind sie prädestiniert dafür, die Gesellschaft und Europa mitzugestalten. Es braucht gemeinsame Entscheidungsstrukturen auf europäischer und nationaler Ebene unter anderem in der europäischen Jugendpolitik und Förderung: Die Möglichkeiten des Co-Managements beim Erarbeiten und Beurteilen der jugendpolitischen Zusammenarbeit auf EU-Ebene sowie bei der Vergabe von Fördermitteln sollte auf europäischer Ebene zeitnah getestet werden. Zudem braucht es weitere Maßnahmen, um europäische Politik jugendgerechter zu gestalten: Wir setzen uns für einen Jugend-Check auf europäischer Ebene ein, welcher verbindlich verankert und ressortübergreifend angewendet wird.[10]

Ein investierendes Europa

Europa braucht finanziell eine Neuausrichtung: Als Antwort auf die Finanz- und Wirtschaftskrise hatte die Sparpolitik gerade in den südlichen Ländern und besonders bei jungen Menschen katastrophale Konsequenzen. Sie haben für die Fehler der Banken und der Politik bezahlt. Unser Europa – wie wir es hier beschreiben – garantiert allen Menschen ein Leben in Würde ohne Armut und sozialer Exklusion, es respektiert Menschenrechte und Rechtstaatlichkeit. Dafür braucht es EU-Investitionen und keine Kürzung der so wichtigen Ausgaben in Bildung, Kultur, Soziales und Jugendpolitik. Deshalb setzen wir uns für einen demokratisch und rechtsstaatlich kontrollierten EU-Investitionsfonds beispielsweise für Bildung und Forschung ein.

Die Europawahlen und die aktuellen Verhandlungen zum neuen Mehrjährigen Finanzrahmen sind vielleicht die letzte Chance für eine Neuausrichtung. Der Mehrjährige Finanzrahmen deckelt die Ausgaben der EU auf sieben Jahre. Mitgliedstaaten zahlen jährlich und anlassbezogen in den EU-Haushalt ein und erwarten eine schnelle Rückzahlung, wenn Geld nicht verwendet wird. Unter anderem wegen dieser Struktur konnten Länder wie Griechenland die Jugendarbeitslosigkeit bis heute nicht wirksam bekämpfen. Gerade Jugendverbände und -ringe wissen, wie wichtig eine strukturelle und langfristige Förderpolitik ohne Vor- und Ko-Finanzierung ist. Deshalb setzen wir uns für von den Mitgliedstaaten unabhängige europäische Ressourcen ein, um den Haushalt an die stetig wachsenden EU-Kompetenzen und Ambitionen anzupassen.[11] Es braucht einen transparenten und nachhaltigen EU-Haushalt, der an die politischen Prioritäten der EU angepasst wird. Die Struktur der nationalen Rabatte, mit der sich einzelne Länder finanzielle Vorteile verhandelt haben, muss abgeschafft werden.

Die Vorschläge wie beispielsweise die Ernennung eine*r EU-Finanzminister*in sind zu befürworten. Für die gemeinsame Wirtschaftspolitik sollte über gemeinsame Untergrenzen für Unternehmenssteuern nachgedacht werden. Eine Harmonisierung der Steuern auf europäischer Ebene ist anzustreben, um gegen Steuerhinterziehung vorzugehen und den Steuerwettbewerb der Mitgliedstaaten einzudämmen.

Ein soziales und gerechtes Europa

Ein gemeinsamer Markt und eine gemeinsame Währung haben soziale Konsequenzen. Bereits vor der Wirtschafts- und Finanzkrise ist Europa in Schieflage zwischen wirtschaftlicher und sozialer Integration geraten. Die (Jugend-)Arbeitslosigkeit und die Anzahl prekär beschäftigter junger Menschen stieg rasant an. Selbst heute sind die sozialen Konsequenzen der Krise nicht ausgestanden: Fast jede*r Vierte in Europa war 2016 noch von Armut betroffen oder bedroht.[12] Besonders die südlichen Länder, die für Geldanleihen zu sogenannten „Strukturreformen“ gezwungen wurden, haben sozial und wirtschaftlich gelitten. Aktuell gibt es einen Wettbewerb um das billigste Sozialsystem, während sich Arbeitnehmer*innen frei in einem europäischen Arbeitsmarkt bewegen. Alle EU Bürger*innen können in ein anderes Land ziehen und arbeiten – es gibt innerhalb der EU keine Ausländer*innen mehr.

In der Europäischen Union sind staatliche Sozialleistungen traditionell unterschiedlich geregelt und es gibt keine einheitlichen Standards für Kranken-, Renten- oder Arbeitslosenversicherungen. Für ein wirksames Zeichen der Einheit in der Vielfalt sollte aus der Fülle der nationalen Regelungen ein europaweiter Gesamtstandard entwickelt werden, der einen gesicherten Lebensstandard in allen Altersphasen ermöglicht. Dazu muss der Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten gestoppt werden. Der europäische Arbeitsmarkt braucht gemeinsame Regeln für grenzüberschreitende gute soziale Systeme.

Steigende soziale Ungerechtigkeit sowie Kürzungen in Bildung und Renten haben politische und wirtschaftliche Folgen auf individueller und gesellschaftlicher Ebene. Wir setzen uns für eine zukunftsorientierte Struktur- und Investitionspolitik in Europa ein. Die EU kann nur erfolgreich sein, wenn neben der wirtschaftlichen Integration auch gemeinsame sozialpolitische Mindeststandards gesetzt werden. Nur so können der soziale Zusammenhalt und die Chancengerechtigkeit in Europa gestärkt werden. Solidarität zwischen Menschen und Mitgliedstaaten muss eine europäische Priorität sein. Nicht zuletzt für die Legitimation der EU ist es entscheidend, dass die EU und die Mitgliedstaaten gemeinsam in der Lage sind, für soziale Sicherheit und wirtschaftlichen Fortschritt zu sorgen.

Im November 2017 haben die EU-Staats- und –Regierungschef*innen einen ersten Schritt in die richtige Richtung gemacht und die Europäische Säule sozialer Rechte proklamiert. Die Säule beinhaltet zwanzig Grundsätze und Rechte, die in drei Kategorien eingeteilt sind: Chancengleichheit und Arbeitsmarktzugang, faire Arbeitsbedingungen und Sozialschutz und soziale Inklusion. Die Säule spiegelt die bestehende europäische sozialpolitische Gesetzgebung wider und beschreibt, wie Europa sozialer werden kann. Es ist eine gemeinsame Verpflichtung der EU und der Mitgliedstaaten, diese Grundsätze und Rechte nun konkret umzusetzen. Dafür braucht es adäquate finanzielle Mittel, klar abgegrenzte Kompetenzregelungen sowie einen ehrgeizigen Plan für die Mitgliedstaaten.

Als DBJR setzen wir uns dafür ein, dass die EU-Mitgliedstaaten als nächsten Schritt gemeinsame und verbindliche Maßnahmen in der Sozial- und Beschäftigungspolitik mit Zielvorgaben, wie etwa gemeinsame Standards für Arbeitsbedingungen wie Lohn und Mindestlohn, Arbeitslosenversicherung und Mindesteinkommen verabschieden. Die Maßnahmen sollen dabei explizit als Mindeststandards organisiert sein, um die nationalen Standards nicht zu unterwandern. Sie sollen einen Anreiz setzen, damit die Mitgliedstaaten gemeinsame und bessere Sozialpolitik machen.

Chancen und Zugänge zu guter formaler und non-formaler Bildung müssen gleichberechtigt für alle gelten. Die Europäische Säule sozialer Rechte erwähnt das Recht auf Bildung. Bei den aktuellen Bestrebungen, einen Europäischen Bildungsraum bis 2025 der EU zu schaffen, ist die non-formale Bildung zu berücksichtigen. Der Fokus auf formale Bildung limitiert die Wirkung von Bildung als elementare Voraussetzung für Teilhabe und eine gerechte Gesellschaft. Dafür braucht es höhere Investitionen in Bildung, besonders in politische Bildung, um Vorurteile abzubauen und um gegen den grassierenden Rassismus und Fremdenhass anzukämpfen.

Die EU muss zudem weiter eine Vorreiterrolle in der Antidiskriminierungs- und Gleichstellungspolitik sowie im Minderheitenschutz spielen. Die jüngsten Vorschläge der EU-Kommission gehen nicht über die Themen Lohngleichheit und Vereinbarkeit hinaus: Es braucht das Wiederaufgreifen einer umfassenden EU-Gleichstellungsstrategie. Zudem muss die bereits bestehende EU-Gesetzgebung von allen Mitgliedstaaten in die Realität umgesetzt werden. Besonders der Schutz vor Diskriminierung muss innerhalb Europas ausgeweitet werden.

Ein nachhaltig entwickeltes Europa

Globale Herausforderungen wie etwa der Klimawandel, das Artensterben, globale Flucht- und Wanderungsbewegungen, soziale Ungleichheit, ungerechte Verteilung von Ressourcen und die Sicherung von Frieden machen keinen Halt vor nationalstaatlichen Grenzen. Längst müssen diese Themen im supranationalen Kontext behandelt werden. Mit der Vereinbarung des Pariser Klima-Abkommens und der Agenda 2030 mit den nachhaltigen Entwicklungszielen (Sustainable Development Goals, SDGs) wurden internationale Leitlinien für eine nachhaltige Politik geschaffen.

Als DBJR setzen wir uns dafür ein, dass die genannten Leitlinien die Grundlage einer europäischen Politik bilden und konsequent – zusammen mit der jungen Generation – umgesetzt werden. Die EU muss in den kommenden Jahren einen ökologischen, sozialen und ökonomischen Wandel im Sinne einer generationengerechten Nachhaltigkeit einleiten und voranbringen, welcher eine sozial gerechte Lebenswelt mit dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen verknüpft. Im Kern gelingt dies vor allem dann, wenn alle EU-Institutionen die SDGs in all ihre Entscheidungsprozesse strukturell einbeziehen, eine Umsetzungsstrategie mit Zeitplan, Zielen und konkreten Maßnahmen zur Einhaltung der Agenda 2030 in allen Politikbereichen schaffen und somit einheitliche Standards für alle Mitgliedsstaaten vorgeben.

Darüber hinaus benötigt die EU eine langfristige Klimaschutzstrategie, die die Klimaneutralität bis 2050 zum Ziel haben muss. Nur so wird das Ziel des Pariser Abkommens von deutlich unter zwei Grad Erderwärmung erreicht. Dazu müssen die Treibhausgasemissionen bis 2030 in der EU um mehr als die Hälfte reduziert werden, die Minderung von Energieverbrauch sowie die Steigerung von Energieeffizienz und der Ausbau erneuerbarer Energien unterstützt werden. Die Abhängigkeit der Wirtschaft von fossilen Energieträgern in Europa muss struktur- und sozialverträglich bis zu einer unabhängigen, klimaneutralen Wirtschaft abgebaut werden. Die vermeintliche Lösung für eine klimaverträgliche Energieversorgung darf dabei nicht in der Atomenergie gesucht werden. Der EURATOM-Vertrag, der diese Technologie weiterhin fördert, muss abgeschafft werden.

Umweltverträgliche Mobilität muss strukturell gefördert werden. Die europäischen CO2-Grenzwerte sollten für PKWs und leichte Nutzfahrzeuge verschärft werden. Zudem muss der Öffentliche Nahverkehr besonders im ländlichen Raum aus- und umgebaut werden. Nicht zuletzt muss auch der Gütertransport von der Straße auf die Schiene und die Wasserwege verlagert werden.

Eine umwelt- und tiergerechtere Landwirtschaft mit möglichst regionalen Wertschöpfungsketten und strukturreichen Agrarlandschaften sollte das grundlegende Ziel einer europäische Landwirtschaftspolitik sein. Dazu gehören auch hohe Tierschutz- und Umweltstandards, die auf EU-Ebene einheitlich festgelegt und ohne nationale Alleingänge umgesetzt werden müssen sowie die Gültigkeit von Luftreinhaltungs- und Klimagesetzgebung und ein zielgerichteter Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Diese ökologischen Maßnahmen der Landwirt*innen sind durch die gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union zu fördern.

Hinsichtlich des Naturschutzes braucht die EU eine Strategie zur Erhaltung der biologischen Vielfalt.

Unendliches Wachstum, das auf Ressourcenverbrauch basiert, gibt es auf Dauer nicht. Die EU muss dies in ihrer Nachhaltigkeitspolitik umsetzen: Alternative Wachstumskonzepte, die über reines Wirtschaftswachstum hinausgehen und beispielsweise soziale Gerechtigkeit, Bildung oder Gesundheit als Maßstab von Entwicklung einbeziehen, sollten daher für die europäische Ebene zum Einsatz kommen. Technologische Ansätze und Forschungen zur Energie-, Verkehrs- und Agrarwende müssen gefördert sowie Ideen und Maßnahmen zur Wiederverwertung unterstützt werden.

Diese Bemühungen reichen allerdings nicht aus. Vielmehr müssen Gesellschaft und insbesondere Wirtschaft ihren Verbrauch von Rohstoffen, wie etwa Kunststoff, in Europa und weltweit massiv eingrenzen. Die EU muss hierfür Anreize, wie etwa eine Steuer auf Rohstoffen sowie auf umweltschädliche Wirtschafts- und Konsumbereiche, schaffen. Eine faire Handelspolitik mit außereuropäischen Ländern, besonders im globalen Süden, muss auch dort eine nachhaltige Entwicklung ermöglichen. Ein weiterer Schritt muss die Abschaffung von umwelt- und klimaschädlichen Subventionen sein.

Ein offenes und mobiles Europa

Die Lebensrealität junger Menschen ist ein demokratisches Europa, in dem sie frei reisen und arbeiten können. Die heutige Generation – besonders in Westeuropa – ist mit offenen Grenzen und Arbeitnehmer*innenfreizügigkeit aufgewachsen. Diese Freiheit ist zentral für die persönliche und berufliche Entwicklung junger Menschen und deren europäische Identität. Seit einiger Zeit werden wieder Grenzkontrollen vorgenommen. Das darf nicht passieren. Im Gegenteil, Europa muss offener werden und jungen Menschen mehr Möglichkeiten geben, sich zu begegnen und sich auszutauschen. Das Schengen-Abkommen muss dementsprechend auf alle EU-Länder ausgeweitet werden, damit alle Menschen in Europa davon profitieren können. Für junge Menschen ohne EU-Pass müssen Visa-Regulierungen überarbeitet und weitere bestehende Mobilitätshemmnisse abgebaut werden.

Darüber hinaus muss die EU den Integrationsprozess besonders im Westbalkan mit Nachdruck weiterführen. Neben der Beteiligung der Zivilgesellschaft am Beitrittsprozess braucht es eine Stärkung der demokratischen Kräfte und eine strukturelle Förderung der Zivilgesellschaft, insbesondere der Jugendringstrukturen. Als Friedensgarant muss die EU zudem dafür eintreten, dass die jeweiligen Regierungen im Westbalkan einen effektiven Minderheitenschutz gewährleisten. Jungen Menschen muss eine Bleibeperspektive in der Region geschaffen werden und dem brain drain muss mit einer wirksamen Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit entgegengewirkt werden. Der Jugendaustausch mit und in der Region ist generell zu stärken und dafür sind gezielt Fördermittel bereitzustellen.

Offene Grenzen reichen nicht aus. Die Bewegungsfreiheit junger Menschen muss konsequent, gezielt und sozial gerecht unterstützt werden. Für einen besseren Austausch zwischen jungen Menschen müssen das Bildungs- und Jugendförderprogramm Erasmus+ und der Europäische Solidaritätskorps (früher europäischer Freiwilligendienst) bedarfsgerecht ausgestattet sein und strukturell ausgebaut werden. Ein starkes und sichtbares Jugendprogramm ist für junge Menschen zentral. Strukturell gewachsene Jugendverbände sind finanziell zu fördern; sie spielen eine wichtige Rolle in der pädagogischen Begleitung der Jugendbegegnungen. Aktuell werden im Jugendkapitel des Erasmus-Programms bis zur Hälfte aller Anträge abgelehnt. Aufgrund der hohen Nachfrage treten Jugendverbände verstärkt in Wettbewerb mit privaten und kommerziellen Trägern. Um das zukünftig zu verhindern, müssen die Zugänge zu den Programmen vereinfacht und diversifiziert werden, sodass nicht nur junge Akademiker*innen von einem Jugendaustausch profitieren können. Initiativen wie „Discover EU“ müssen hierbei besonders kritisch begleitet werden.

Ein demokratisches, offenes Europa wird zudem maßgeblich durch demokratisch verfasste Jugendverbände und Jugendringe als tragende Säulen der europaweiten Jugendarbeit, Jugendbildung und -partizipation gestaltet. Diese Strukturen sind die Säulen der praktisch-demokratischen Bildung und sorgen für ein hohes Maß an europäischer Teilhabe. Bei der Fördermittelvergabe aus öffentlichen Haushalten sollte es deshalb einen Bonus für demokratisch verfasste Organisationen der jungen Zivilgesellschaft geben.

Zur Umsetzung von Erasmus+ wurden im Auftrag der Bundesregierung Nationalagenturen als Beratungsstellen eingesetzt. Sie sind staatliche und keine zivilgesellschaftlichen Akteure. Insbesondere im Jugendbereich arbeitet die Nationalagentur, die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eingesetzt wurde, vermehrt auch als politischer Akteur. Sie tritt in Konkurrenz zu den freien Trägern auf und zieht die öffentliche Wahrnehmung auf sich. Deshalb braucht es nationale und europäische Verpflichtungen für Strukturen der Mitwirkung von Jugendverbänden sowie verbindliche Kontrollgremien für die Zivilgesellschaft.

Für ein vielfältiges und demokratisches Europa ist relevant, dass die Medienpolitik gute Regeln für unabhängige Medien und unabhängigen Journalismus schafft. Wir fordern von der EU die Förderung der öffentlich-rechtlichen Medien. Sie muss zugleich den Rahmen für Innovationen im Bereich der Medien schaffen und vor allem junge Medienschaffende unterstützen. Das ist auch im Sinne einer kulturellen Vielfalt, für die Europa steht.

Auch wenn bei den Bestrebungen zu einem digitalen Binnenmarkt die wirtschaftliche Entwicklung zu sehr im Fokus steht, setzt Europa wichtige Standards in der Digitalpolitik, zum Beispiel beim Schutz personenbezogener Daten. Mit der Datenschutzgrundverordnung ist der EU ein internationaler Standard gelungen, der die Rechte der Nutzer*innen stärkt und verbindliche Regeln schafft. Auch in anderen Bereichen der Medien- und Digitalpolitik sollte die EU dies anstreben.

Ein vielversprechender Ansatz ist die Einigung auf eine Stärkung „Digitaler Jugendarbeit“ (Smart Youth Work). Die Bundesregierung und die EU müssen das Potenzial Digitaler Jugendarbeit fördern. Dadurch wird digitale Medienkompetenz aufgebaut, Fachkräfte werden qualifiziert. Zusätzlich müssen für und mit jungen Menschen digitale Werkzeuge für die Jugendarbeit entwickelt werden. Wir sehen digitale Jugendarbeit als Erweiterung und nicht als Ersatz für (internationale) Jugendarbeit. Wir haben entsprechende Schritte begonnen und fordern Unterstützung durch die EU und die Bundesregierung ein. Dafür gilt es, allen jungen Menschen Teilhabe zu ermöglichen. Hierbei müssen die unterschiedlichen Dimensionen technischer und materieller, sozialer, rechtlicher und politischer Zugangsvoraussetzungen bedacht werden.

Ein weltoffenes und solidarisches Europa

Nicht nur nach innen muss sich Europa radikal ändern: Was an den europäischen Außengrenzen passiert, ist schwer in Worte zu fassen. Täglich sterben flüchtende Menschen im Mittelmeer. Geflüchteten auf einfachen Rettungsbooten wird die Anlegeerlaubnis an europäischen Häfen verwehrt. Lager werden in Europa errichtet und um das europäische Recht auf Asyl zu externalisieren, werden Vereinbarungen zu Asylverfahren mit Drittstaaten getroffen. Europa macht die Grenzen dicht und schottet sich ab. Die Ausweitung der europäischen Grenzpolitik auf den afrikanischen Kontinent zerstört nicht nur das Leben vieler Menschen, sondern gefährdet zudem die regional wichtige Binnenmigration und regionale Integration. Diese fehlgeleitete europäische und nationale Politik entfernt sich immer weiter von Menschenrechten, Menschenwürde und gemeinsamen europäischen Werten.

Weil gerade die südlichen Länder seit Jahren mit den Asylanträgen alleine gelassen werden[13], hat sich das Europäische Parlament bereits 2017 auf eine Reform geeinigt, bei der die Mitgliedstaaten ihrer Verantwortung gemeinsam gerecht werden. Um die Verhandlungen zur Dublin-Reform zu beginnen, wartet das Parlament auf eine Einigung im EU-Innenministerrat. 180 nationale Parteien sind in den sechs Fraktionen des Europäischen Parlaments, die diese Lösung mittragen, organisiert – und 27 EU-Innenminister*innen können sich nicht einigen. Gleichzeitig hilft diese Blockade im Rat antidemokratischen Politiker*innen, die Debatte national zu instrumentalisieren und auf die vermeintlich handlungsunfähige EU zu zeigen. Dabei liegt es teilweise an den gleichen Minister*innen, eine europäische Lösung zu verhandeln.

Abschottung ist keine politische Option. Wir bekräftigen unsere Forderung nach einer offenen und menschenwürdigen europäischen Flüchtlings-, Asyl- und Migrationspolitik. Wir verurteilen das Geschehen an den europäischen Außengrenzen und die unmenschliche Flüchtlingspolitik in den Mittelmeerregionen. Es braucht eine gemeinsame Lösung und einen Neustart der europäischen Asylpolitik auf Basis der Menschenrechte. Wir stehen für sichere Wege in und nach Europa für alle Menschen, die in Europa leben möchten. Als junge Menschen wollen wir ein offenes und tolerantes Europa mit einem europäischen, humanitären Aufnahmeprogramm und keine menschenfeindliche Abschottungspolitik. Wir fordern legale Fluchtwege und setzen auf Lebensrettung an den europäischen Außengrenzen. Seenotrettung ist eine humanitäre Pflicht zur Rettung von Menschenleben und kein Verbrechen, das für politische Debatten instrumentalisiert werden darf. Nichtregierungsorganisationen, die mit ihrem Einsatz im Mittelmeer versuchen staatliches Versagen zu kompensieren, dürfen nicht kriminalisiert und behindert werden. Eine menschenwürdige Asyl- und Migrationspolitik ist die Aufgabe aller Mitgliedsstaaten. Die bestehende enge Definition des Asylbegriffs darf nicht dazu instrumentalisiert werden Menschen, die vor einer unwürdigen Lebenssituation fliehen, in unterschiedliche Kategorien einzuteilen.

Eine europäische Einwanderungspolitik mit einer solidarischen und fairen Verteilung muss mittels einer europäischen Asylbehörde etabliert werden. Dies ist unsere humanitäre Pflicht – die Aufnahme von Geflüchteten bedarf keiner finanziellen Kompensation. Dazu gehört, dass ein gesellschaftliches Klima gefördert wird, das sich uneingeschränkt solidarisch mit Menschen auf der Flucht zeigt. Das gilt insbesondere für Kinder und Jugendliche sowie junge Menschen, die nach Europa kommen und eines entsprechenden Schutzes bedürfen. Inklusionsmaßnahmen müssen in den Mitgliedstaaten gefördert und die Teilhabe von (jungen) Geflüchteten am gesellschaftlichen Leben, beispielsweise am Arbeitsmarkt und an außerschulischen Angeboten, uneingeschränkt unterstützt werden. Die europäische Politik muss außerdem dazu beitragen, dass Fluchtursachen egal welcher Art nachhaltig verhindert werden.

Dabei spielen gewaltfreie, zivile Krisenprävention und unterstützende wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Ländern des Globalen Südens eine große Rolle.[14] Die EU sollte dabei insbesondere demokratische und sozialstaatliche Modelle fördern. Die weitere Aufrüstung der einzelnen EU-Länder ist keine Lösung. Stattdessen sollten verbindliche Abrüstungsbemühungen (insbesondere auch für Atomwaffen) über UN-Prozesse stärker eingebracht und unterstützt werden. Auch dürfen zukünftig keine Waffen mehr an diktatorische und menschenrechtsunterdrückende Regimes verkauft werden. Die Europäische Union kann und soll – nach innen wie nach außen – ein Friedensprojekt bleiben. 

Europa muss seiner globalen Verantwortung gerecht werden und gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Fehlentwicklungen, an denen die EU aus Eigeninteresse zum Teil aktiv beteiligt ist, wie beispielsweise die Zerstörung regionaler Integrationsprozesse auf dem afrikanischen Kontinent durch bilaterale Freihandelsabkommen, unterbinden. Nationale Egoismen und Abschottung dürfen nicht von der nationalstaatlichen Ebene auf die europäische Ebene übertragen werden. Die EU kann und muss nicht nur nach innen, sondern auch nach außen Solidarität leben.

Ein in Vielfalt geeintes Europa

Damit Europa nicht auseinanderbricht, wollen und müssen wir mit unserer Vision Europas mutig und laut werden. Auch wenn einzelne europäische und nationale Politiker*innen keine gute Arbeit leisten, dürfen die Existenz und die Errungenschaften der EU nicht in Frage gestellt werden. Wir müssen uns auch dann für Europa einsetzen, wenn wir nicht immer mit der konkreten Politik einverstanden sind. Es liegt in unserer gesellschaftlichen Verantwortung, an den Europawahlen teilzunehmen und Politiker*innen zu wählen, die Europa im Sinne der Jugend weiterentwickeln.

Wählen allein reicht aber nicht: Wir bilden Allianzen zwischen Politik, Zivilgesellschaft und Kultur, um die pro-europäische Mehrheit für eine zukunftsorientierte Politik über nationalstaatliche und Parteigrenzen hinweg zu nutzen. Wir setzen uns dafür ein, dass junge Menschen sich mit europäischer Politik besonders auseinandersetzen, sich einbringen, wählen gehen und sich über die Grenzen hinaus gemeinsam engagieren. Wir brauchen Mut, zukunftsorientiert zu denken und die Europäische Union weiter zu entwickeln. Ohne uns wird die Union nachhaltig und langfristig nicht funktionieren. Europa ist kein Projekt mehr. Europa ist Teil unseres Lebens.

 

Einstimmig beschlossen von der DBJR-Vollversammlung am 26./27. Oktober 2018 in Dresden.

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[1] Quelle : go.dbjr.de/eu01 (vom 26.10.2018)

[2] Quelle : go.dbjr.de/eu02 (vom 26.10.2018)

[3] Art. 2 des Lissabon-Vertrags: go.dbjr.de/eu03 (vom 26.10.2018)

[4] Weitere Informationen dazu: go.dbjr.de/eu04 (vom 26.10.2018)

[5] Weitere Informationen dazu: go.dbjr.de/eu05 (vom 26.10.2018)

[6] Quelle: go.dbjr.de/eu06 (vom 26.10.2018)

[7] Weitere Informationen dazu: go.dbjr.de/eu07 (vom 26.10.2018)

[8] DBJR Stellungnahme zur neuen EU-Jugendstrategie:http://go.dbjr.de/eu08 (vom 26.10.2018)

[9]Zusammen mit anderen Verbänden hat der DBJR innerhalb der EBD Anforderungskriterien für Bürger*innen-Dialoge erarbeitet: go.dbjr.de/eu09 (vom 26.10.2018)

[10] Der Jugend-Check ist ein Instrument zur Gesetzesfolgenabschätzung. Regelungsvorhaben der EU-Kommission, vor allem Gesetzentwürfe, werden anhand einer standardisierten Methodik auf mögliche Auswirkungen auf die Lebenslagen junger Menschen zwischen 12 und 27 Jahren überprüft. Damit werden beabsichtigte Wirkungen und nicht beabsichtigte Nebenwirkungen der Vorhaben sichtbar. Der Jugend-Check wirkt dabei als Prüf- und Sensibilisierungsinstrument, um die politische Aufmerksamkeit für die Lebenslagen und Belange junger Menschen zu steigern. Weitere Informationen dazu: go.dbjr.de/eu10 (vom 26.10.2018)

[11] Weitere Informationen in der DBJR Vorstandsposition zum Mehrjährigen Finanzrahmen: go.dbjr.de/eu11 (vom 26.10.2018)

[12] Neueste Daten von 2016, Quelle: go.dbjr.de/eu12 (vom 26.10.2018)

[13] Die Dublin-Verordnung regelt, dass der EU-Mitgliedstaat, in dem ein*e Geflüchtete*r eintrifft, für die Überprüfung des Asylantrages und die Verwaltung des Verfahrens zuständig ist.

[14] DBJR Position: go.dbjr.de/eu14 (vom 26.10.2018)

Themen: Europapolitik