Bundesjugendring kommentiert „Jungsein in einer alternden Gesellschaft“ im 17. Kinder- und Jugendbericht
DBJR/Christian Weis
Jungsein in einer alternden Gesellschaft- das heißt, in Widersprüchen aufzuwachsen. Jungsein in einer alternden Gesellschaft heißt zunächst einmal, dass jungen Menschen, wie es der Kinder- und Jugendbericht treffend formuliert, zunehmend die Rolle einer Minderheit zukommt.
Dabei geht es hier nicht nur um eine rein numerisch-statistische Minderheit. Jungsein in einer alternden Gesellschaft bedeutet auch, mit einer Schieflage in politischen Gestaltungsprozessen konfrontiert zu sein: die Interessen junger Menschen werden in politischen Diskursen unzureichend berücksichtigt. Bereits heute ist über die Hälfte der Wahlberechtigten älter als 53 und dieses Medianalter wird weiter steigen. Ein zentraler Hebel, dieser Schieflage entgegenzuwirken, ist aus Sicht des Bundesjugendrings die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahr. Die jüngst veröffentlichten Ergebnisse der Shell-Jugendstudie haben gezeigt: junge Menschen wollen sich einbringen. Junge Menschen entwickeln ein immer stärkeres politisches Interesse.
Und das verwundert nicht, denn, wie auch der Kinder- und Jugendbericht richtig feststellt, werden gerade junge Menschen zukünftig, sehr langfristig und in erheblichem Umfang von Entscheidungen betroffen sein, die aktuell Gegenstand politischer Debatten sind. Entscheidungen zum Umgang mit der Klimakrise, zur Ausgestaltung der sozialen Sicherungssysteme angesichts des demografischen Wandels und zu den allgemeinen Prioritätensetzungen bei öffentlichen Investitionen entfalten Wirkung weit über Legislaturperioden hinaus.
Unter dem Schlagwort „Generationengerechtigkeit“ wurden zuletzt politische Entscheidungen in die eine oder andere Richtung gerechtfertigt- Entscheidungen zu öffentlichen Investitionen, Entscheidungen in der Rentenpolitik. Als Bundesjugendring möchten wir deutlich darauf hinweisen, dass Gerechtigkeit in diesen Debatten für uns keine Frage zwischen Jung und Alt ist. Es ist falsch, hier einen Generationenkonflikt heraufzubeschwören, wenn der eigentliche Konflikt ein Verteilungskonflikt ist.
In der Position „Rente ist Jugendthema- die gesetzliche Rentenversicherung solidarisch weiterentwickeln“ haben die Mitgliedsorganisationen des Bundesjugendrings deutlich gemacht, dass dem bestehenden System der gesetzlichen Rente kein Generationen-, sehr wohl aber einen (vergeschlechtlichter) Verteilungskonflikt zugrunde liegt. Dieser Verteilungskonflikt darf nicht dazu genutzt werden, Generationen gegeneinander auszuspielen. Er muss klar als solcher benannt werden. Es gilt, solidarische Lösungen zu finden, denn junge und ältere Menschen sind Verbündete im demokratischen und gesellschaftlichen Miteinander.
Deutlich hervorzuheben ist auch: das Verhältnis der jüngeren zur älteren Generation war noch nie so entspannt wie heute, das unterstreicht auch der Kinder- und Jugendbericht. Ein eindrückliches Beispiel dieses Verhältnisses ist sicherlich die Pandemie. In dieser Zeit haben junge Menschen erheblich zurückgesteckt. Jugendhäuser, außerschulische Bildungsstätten, Zeltlager, offene Treffs aber auch Schulen und Spielplätze wurden geschlossen. Ferienfreizeiten, politische, kulturelle und sportliche Angebote sowie andere Maßnahmen der außerschulischen Jugendbildung und Jugendbeteiligung entfielen ebenso ersatzlos wie die Möglichkeit für Gruppenstunden, Beratungsangebote und internationale Begegnungen.
Junge Menschen verzichteten in dieser Zeit auf ihr Recht auf unverzweckte Freizeit und freie Entwicklung, um insbesondere ältere Menschen als besonders vulnerable Gruppe vor den Auswirkungen der Pandemie zu schützen und zu ihrer Eindämmung beizutragen. Was bis heute fehlt, ist eine Anerkennung und Wertschätzung dieser Solidarität. Im Gegenteil: wir erleben aktuell erneut einen Diskurs über „die Jugend“.
Als Paradebeispiel dienen hier sicherlich die Debatten nach den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Ja, der Zuspruch junger Wähler*innen zur AfD hat zugenommen. Und ja, das ist ein Grund zur Sorge. Aber die Darstellung „Junge Menschen wählen rechtsextrem“ ist unterkomplex. Sie wird den komplexen Ursachen und den realen politischen Einstellungen junger Menschen nicht gerecht. Junge Menschen haben in der großen Mehrzahl demokratische Parteien gewählt. Viele junge Menschen, gerade aus den neuen Bundesländern, haben sich nach der Veröffentlichung der Correctiv-Recherchen Anfang des Jahres zahlreich bei den größten Kundgebungen in Ostdeutschland seit der friedlichen Revolution, für Demokratie und Rechtsstaat und gegen Rechtsextremismus engagiert. Anstatt pauschaler und ungerechtfertigter Schuldzuweisungen für ihr Wahlverhalten brauchen junge Menschen von allen demokratischen Parteien ein jugendpolitisches Angebot. Ein Angebot in der ganzen Vielfalt der politischen Themen und Handlungsfelder, die ihre Gegenwart und Zukunft betreffen.
Junge Menschen müssen wirksam an politischen Entscheidungen beteiligt werden. Die politische Kommunikation muss sich dorthin richten, wo sich junge Menschen aufhalten und ihre Anliegen adressieren. Junge Menschen ernst zu nehmen und für ihre Anliegen Politik zu machen, muss zur Grundvoraussetzung aller politischen Diskurse und Maßnahmen werden, gerade angesichts der altersbezogenen Schieflage im Hinblick auf die demokratische Gewichtung der Generationen.
Und es gibt einen weiteren Hebel, dieser Schieflage politisch entgegenzuwirken: die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz. Auch wenn die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Kinder – jungen Menschen bis zur Vollendung ihres 18. Lebensjahrs – eindeutig als Grundrechtsträger mit Menschenwürde und einem eigenen Recht auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit versteht, wird diese Subjektstellung noch nicht überall unmissverständlich zum Ausdruck gebracht und ist dadurch nicht für jeden erkennbar.
Umfang und Möglichkeiten der Ausübung persönlicher Rechte hängen zu oft allein vom Wohlwollen der Sorgeberechtigten ab. Damit sind Kinder weiterhin faktisch „rechtslos“, auf ihre spezielle Situation wird nicht ausreichend eingegangen. Denn Kinder benötigen zudem besonderen Schutz, individuelle und kindgerechte Förderung sowie Beteiligungsformate, die für sie zugänglich sind. Sie sind nicht einfach mit „kleinen Erwachsenen“ gleichzusetzen.
Die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz wäre eine Stärkung der Rechte einer gesellschaftlichen Minderheit. Sie würde dazu beitragen, dass die Belange von Kindern in allen gesetzgeberischen, politischen und gerichtlichen Entscheidungen stärker als bisher berücksichtigt werden müssten. Es ist daher zu begrüßen, dass die Sachverständigenkommission sich auch hier den Forderungen des Bundesjugendrings anschließt, die Kinderrechte endlich im Grundgesetz zu verankern.
Gefragt nach ihren Kernanliegen und Interessen im Hinblick auf die Ausgestaltung des demografischen Wandels und das Aufwachsen in einer alternden Bevölkerung weisen junge Menschen laut dem Kinder und Jugendbericht auf die Rolle der Kinder-und Jugendhilfe hin. Insbesondere wird hier die Kinder- und Jugendarbeit als Optionen der selbstbestimmten Gestaltung von Lebenswelten und des Erlebens von Partizipation betont. Diese Angebote gilt es zu stärken. Es gilt, Räume zu schaffen, in denen junge Menschen Selbstwirksamkeit erfahren. Räume, in denen wir sie dabei unterstützen, ihre Anliegen und Interessen – auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels- zu formulieren und diese selbstbewusst nach außen zu tragen. Und es gilt, eine starke Interessensvertretung für junge Menschen zu sein. Denn, wie es der Kinder- und Jugendbericht treffend formuliert: junge Menschen drohen, im gegenwärtigen „Ringen um Ressourcen“ ins Hintertreffen zu geraten.