Armut Gerechtigkeit

Einführung einer gesetzlichen Mindestausbildungsvergütung

Die DBJR-Vollversammlung hat am 26./27. Oktober 2018 die Position „Einführung einer gesetzlichen Mindestausbildungsvergütung“ beschlossen:

Laut Monitor Jugendarmut steigt die Anzahl der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Jugendlichen weiter an[1]. Die Potenziale der guten wirtschaftlichen Entwicklung wurden nicht genutzt, um die Armut von Kindern und Jugendlichen zurückzudrängen. Armut bedeutet nicht nur eine akute Unterversorgung, sondern auch eine Ausgrenzung von sozialer Teilhabe. Junge Menschen sind zum einen arm, weil ihre Familien arm sind. Wer aus einem Haushalt kommt, der mit ausreichendem finanziellem und kulturellem Kapital ausgestattet ist, hat gute Chancen auf ein gutes Leben. Jugendliche, deren Familien nicht entsprechende Ressourcen vorweisen können, haben es ungleich schwerer. Das Umfeld und die soziale Herkunft sind prägend für die Entwicklung junger Menschen. Jugendliche sind aber auch dann besonders von Armut bedroht, wenn sie keine Berufsausbildung vorweißen können. Eine gute Ausbildung kann die Gefahr von Jugendarmut maßgeblich verringern. So ermöglicht eine Berufsausbildung einen guten Einstieg in den Arbeitsmarkt, ist der beste Garant gegen Arbeitslosigkeit und kann dadurch Armut verhindern.[2]

Notwendig ist, dass junge Menschen, die eine Ausbildung beginnen, auf eigenen Beinen stehen und ein eigenständiges Leben führen können, unabhängig von der finanziellen Situation des Elternhauses. Nur so lässt sich neben der beruflichen Qualifizierung auch die unabhängige Entwicklung und Entfaltung der jungen Menschen gewährleisten. Vor allem aber muss dem*der Auszubildenden eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in allen seinen Facetten ermöglicht werden. Menschen, die sich aufgrund eines zu niedrigen Einkommens um die Sicherung ihrer Grundbedürfnisse sorgen, beteiligen sich weniger an gesellschaftlichen und politischen Prozessen. Dass es hier massive Probleme gibt zeigen die Zahlen: 24,6 Prozent der Jugendlichen zwischen 18 und 25 Jahren in Deutschland gelten als armutsgefährdet.[3] Jede*r fünfte Jugendliche wächst mit Armut und der daraus folgenden sozialen Ausgrenzung auf.

Daher benötigen Auszubildende eine gesicherte finanzielle Grundlage. Die Ausbildungsvergütung ist ein Wesensmerkmal der dualen Berufsausbildung. Jede*r Auszubildenden steht eine „angemessene Vergütung“[4] zu. Sie muss aber in ihrer Höhe an den Bedürfnissen junger Menschen ausgerichtet sein und eine eigenständige Existenz sichern. In vielen Branchen sind die gezahlten Ausbildungsvergütungen in ihrer Höhe weit unter diesen Anforderungen. Friseur*innen erhalten im ersten Ausbildungsjahr gerade einmal 406 Euro im Monat, Fachverkäufer*innen im Lebensmittehandwerk 528 Euro.[5] Dabei sind Auszubildende mit Migrationshintergrund in diesen beiden Berufen mit einer sehr geringen Ausbildungsvergütung überdurchschnittlich stark vertreten.[6] Gesellschaftliche Teilhabe, geschweige denn ein eigenständiges Leben außerhalb des Elternhauses, ist unter diesen Umständen nicht möglich. Ausbildungsabbrüche mit allen bekannten Problemen sind die Folge. Eine Ausbildungsvergütung in angemessener Höhe kann Ausbildungsabbrüche aufgrund finanzieller Ursachen vermeiden.

Aus diesen Gründen fordert der DBJR die Einführung einer gesetzlichen Mindestausbildungsvergütung für alle Auszubildenden. Sie muss in ihrer Höhe dazu geeignet sein, Auszubildenden ein eigenständiges Leben und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in allen seinen Facetten zu ermöglichen. Hierzu gehört emotionale, kulturelle und soziale Teilhabe. Die Mindestausbildungsvergütung soll daher in Höhe von 80 Prozent der durchschnittlichen tariflichen Ausbildungsvergütungen für alle Auszubildenden eingeführt werden. Das ergibt für das erste Ausbildungsjahr eine Mindestvergütung von zur Zeit (2017) 635 Euro (für das zweite Ausbildungsjahr: 696 Euro; für das dritte Ausbildungsjahr: 768 Euro; für das vierte Ausbildungsjahr: 796 Euro). Die jährliche, automatische Anpassung geschieht auf Grundlage der vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) ermittelten durchschnittlichen Steigung der tariflichen Ausbildungsvergütung.

Maßgeblich für die Vergütung von Auszubildenden ist grundsätzlich die branchenübliche tarifliche Ausbildungsvergütung. Ihre Unterschreitung um mehr als 20 Prozent ist nicht zulässig. Die Ausbildungsvergütung ist so zu bemessen, dass sie mit fortschreitender Berufsausbildung mindestens jährlich ansteigt. Sachleistungen etc. sind nicht auf die tarifliche Vergütungen anzurechnen. Überstunden sind gesondert zu vergüten. In jedem Fall darf die Höhe der Mindestausbildungsvergütung nicht unterschritten werden. Zudem muss eine Mindestausbildungsvergütung auch für betrieblich-schulische Ausbildung (zum Beispiel in Gesundheits-, Pflege- und Sozialberufen) sowie für geförderte außerbetriebliche Ausbildungen in dualen Ausbildungsberufen gelten.

Die Mindestausbildungsvergütung ersetzt keine guten tariflichen Regelungen, sie schafft aber dort ein Mindestmaß an finanzieller Absicherung, wo es bisher keine gab. Die Mindestausbildungsvergütung hilft, Armutsrisiken zu mindern und stellt einen entscheidenden Beitrag zur Bekämpfung sozialer Ungleichheit unter jungen Menschen dar. Sie ist dadurch geeignet, gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten junger Menschen in Ausbildung zu stärken.

 

Einstimmig beschlossen von der DBJR-Vollversammlung am 26./27. Oktober 2018 in Dresden.

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[1] Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit e.V. (Hrsg.) (2016): Monitor. Jugendarmut in Deutschland 2016, S. 1.

[2] Vgl. auch Abschnitt ‚Arbeitswelt‘ der sozialpolitischen Leitlinien des DBJR (Position 96, beschlossen 2013).

[3] Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit e.V. (Hrsg.) (2016): Monitor. Jugendarmut in Deutschland 2016, S. 3.

[4] vgl. BBiG, §17 Vergütungsanspruch sowie aktuelle Rechtsprechung zur Höhe der Ausbildungsvergütung.

[5] Durchschnittliche tarifliche Ausbildungsvergütung, vgl. Datenbank Ausbildungsvergütungen des Bundesinstituts für Berufsbildung 2017.

[6] DGB Jugend (2015): Ausbildungsreport 2015, S. 53

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