Eröffnungsrede der Vorsitzenden zur 98. Vollversammlung des Deutschen Bundesjugendrings in Dresden
DBJR
Liebe Delegierte, liebe Freund*innen, liebe Gäste,
herzlich willkommen zur 98. Vollversammlung des Deutschen Bundesjugendrings – hier in Dresden!
Ein besonderer Dank geht an den Kinder- und Jugendring Sachsen. Wir freuen uns, dieses Jahr in einem Bundesland zu tagen, in dem Jugendverbände Tag für Tag zeigen, was demokratisches Engagement bedeutet – oft unter schwierigen Bedingungen und gegen Widerstände.
Hinter uns liegt ein bewegtes Jahr – politisch turbulent, gesellschaftlich herausfordernd, aber auch voller junger Energie und voller jugendverbandliches Engagement.
Mit dem vorzeitigen Ende der Ampelkoalition, den Neuwahlen und dem Regierungswechsel zu CDU, CSU und SPD hat sich die politische Landschaft grundlegend verändert. Für uns als Bundesjugendring bedeutete das: bei den demokratischen Fraktionen neu ansetzen, ansprechbar bleiben – und weiter dafür sorgen, dass Jugendpolitik sichtbar und wirksam bleibt. Und wir gegenüber den Antidemokrat*innen wehrhaft und widerständig bleiben.
Denn Demokratie und und die Vertiefung von Demokratie braucht Jugend – gerade in Zeiten, in denen Populismus und Rechtsextremismus zunehmen. Demokratie braucht aber auch eine Politik, die jungen Menschen wirkliche Perspektiven und echte Teilhabe eröffnet: Gutes Aufwachsen, wirksame Beteiligung, verlässliche Strukturen und gestaltbare Freiräume in unsicheren Zeiten und in sich verengenden Räumen.
Im Rückblick auf dieses Jahr sehen wir, wie viel wir gemeinsam erreicht haben:
Wir haben die Bundestagswahl mit jugendgerechten Forderungen und einer zahlreich wahrgenommenen Kampagne begleitet. Von der kommunalen über die Landes-, bis zur Bundesebene wurde die U18-Wahl, gemeinsam und trotz aller Widrigkeiten, mit über 166.000 jungen Wähler*innen, als die größe Aktion außerschulischer politischer Jugendbildung selbst organisiert.
Und wir sind mit dem neuen Bundestag und der neuen Bundesregierung frühzeitig ins Gespräch gekommen.
Unsere Lobbyarbeit zeigte eindeutige Erfolge: Im Koalitionsvertrag ist eine Aufstockung von 10 % für den Kinder- und Jugendplan sowie eine anschließende Dynamisierung in Aussicht gestellt – eine Forderung, die wir gemeinsam seit Jahren in den politischen Diskurs einbringen. Doch Papier ist geduldig: Entscheidend wird sein, ob die neue Bundesregierung diese Zusagen auch umsetzt – im Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2026 wird dieses wichtige Ziel keineswegs erreicht – trotzdem fordern wir es weiter ein.
Denn eine Stärkung des KJP und der bundeszentralen Infrastruktur ist gerade jetzt wichtig, wenn Jugendverbände als Teil der demokratischen Zivilgesellschaft Angriffen von Rechts ausgesetzt sind. Rechtsextreme Kräfte und radikalisierte aus der sogenannten politische Mitte heraus, versuchen, demokratisches Engagement zu diskreditieren, Jugendverbände zu verunsichern und eine sogenannte „Neutralitätspflicht“ zu instrumentalisieren. Im Wahlkampf haben wir klar gemacht: Mit Demokratiefeinden arbeitet man nicht zusammen, stimmt man nicht ab. Das hat manchem nicht gefallen. Aber: Wir lassen uns nicht einschüchtern. Unsere Strukturen leben von Haltung und fest verankerten und gelebten Grundwerten – nicht von falscher Neutralität. Zu diesen gehört nicht nur zu sprechen sondern auch zu widersprechen und Fehler und Vorurteile klar zu benennen. Und dazu gehört dieser Tage auch die vom Bundeskanzler angefeuerte Debatte um das vermeintliche Stadtbild. Sie ist rassistisch und taugt als Stichwortgeber für Anfeindungen und Übergriffe. Wir erwarten von der Bundesregierung eine integrative und keine polarisierende Politik und deshalb an dieser Stelle eine Entschuldigung.
Als Jugendverbände sind wir Orte, an denen Demokratie erlebt, gelernt, gestaltet und verteidigt wird. Dabei geht es uns immer auch um die Analyse in welcher Gesellschaft, in welcher Demokratie wir leben wollen und darum, dass Lebensbereiche neu und vertieft demokratisiert werden.
Junge Zivilgesellschaft steht aber nicht nur in Deutschland unter Druck – auch international sind viele Jugendringstrukturen aktiven Repressionen, politisch motivierten Diffamierungen oder strukturellen Defiziten wie fehlender Förderung ausgesetzt. Wir freuen uns deshalb besonders, dass unsere Partnerjugendringe aus Israel, CYMI, und aus Serbien, KOMS, sowie das European Youth Forum, YFJ, als Gäste und wichtige Partner*innen unserer Arbeit hier sind und heute auch ihre Perspektive einbringen. Wir stehen an der Seite unserer Partner*innen und Freund*innen, gerade dann wenn sie Krisen, Kriegen oder staatlichem Druck ausgesetzt sind.
National wie international sehen wir, dass junge Menschen in vielen politischen Debatten noch immer nicht als eigenständige Akteur*innen wahrgenommen werden.
Wenn Jugendpolitik auf Social-Media-Verbote, Wehrpflicht oder Zwangsdienste reduziert wird und junge Menschen in diesen Debatten kaum selbst zu Wort kommen sollen, dann fehlt etwas Entscheidendes: die Anerkennung, dass junge Menschen Expert*innen ihrer eigenen Lebensrealität sind – und ihre Beteiligung kein „nice to have“, sondern demokratische Notwendigkeit ist.
Es ist Zeit nicht mehr über junge Menschen sondern mit jungen Menschen zu sprechen. Es ist an der Zeit, junge Menschen nicht zu Objekten zu degradieren, die für die Gesellschaft etwas leisten oder gar zurückgeben sollen - sondern als Menschen mit vollwertigen Rechten anzuhören und mit einzubeziehen.
Darum fordern wir Strukturen, die ihre Stimme dauerhaft sichern: mit Beteiligung, mit verlässlicher Förderung, mit demokratischer Rückbindung in Jugendverbände.
Und genau hier braucht es ein starkes Jugendministerium – eines, das Jugend als eigenständigen Politikbereich begreift und sich dieser Aufgabe mit Ernsthaftigkeit stellt. Dafür braucht es Verlässlichkeit und Dialog in der Zusammenarbeit – von der Ministerin, von der Hausleitung und von allen, die politische Verantwortung tragen.
Wir werden uns weiter dafür einsetzen, dass Jugendpolitik nicht am Rand, sondern im Zentrum gesellschaftlicher Entscheidungen steht.
Eine Gesellschaft, die Generationen gegeneinanderstellt, statt sie miteinander zu verbinden, schwächt ihre demokratische Substanz. Unser Vorstandsantrag „Generationengerechtigkeit neu denken“ setzt genau hier an: Wir wollen eine Politik, die Investitionen in Bildung, Infrastruktur, Teilhabe und Klimaschutz nicht als Belastung, sondern als Zukunftsaufgabe begreift – als gemeinsame Verantwortung aller Generationen.
Zu dieser Gesellschaft gehört dazu, dass nicht nach unten getreten und nach oben nicht gebuckelt wird. Wir nehmen weltweit wahr, dass Überreichtum Demokratie gefährdet. Und wir nehmen in der Debatte im eigenen Land wahr, dass ein sozial verächtlicher Diskurs versucht die Armut und mangelnder Teilhabe betroffener Menschen gegeneinander auszuspielen und ihnen die Grundsicherung, ihr Existenzminimum, streitig zu machen. Das ist falsch. Als Jugenverbände fordern wir eine zukunftsfähige Gesellschaft, die alle Transformationsleistungen auf der Basis eines stabilen Sozialstaats ohne Angst und Druck möglich machen kann und will.
Junge Menschen wachsen zurzeit in Vielfachkrisen auf. Der mentale Druck auf sie ist massiv. Wir fordern einfache Zugänge zu Unterstützung, zu Schutzräumen und zu gesundheitlicher Versorgung. Dabei können wir als Jugendverbände nicht nur Brücken bauen sondern auch präventiv viel zu Resilienz in Krisenzeiten beitragen.
Sowieso: Wir müssen uns als Jugendverbände nicht verstecken: Wir bringen Ideen, Erfahrung, Wissen und starke Strukturen mit. In Jugendverbänden wird tagtäglich gelebte Demokratie und Solidarität praktiziert. Wir packen mit an. Bei uns übernehmen junge Menschen Verantwortung, organisieren sich selbst, verhandeln Interessen, tragen Vielfalt und Widerspruch aus.
Das ist der Ort, an dem Demokratie wächst – und das ist das Angebot, das wir an die Politik richten: Lasst uns gemeinsam gestalten. Nicht als Alibi, sondern als selbsbewusste Partner*innen auf Augenhöhe.
Bevor wir in die inhaltlichen Beratungen starten, möchten wir euch danken – den Delegierten, den Ehrenamtlichen, den Jugendringen und Verbänden. Ihr seid das Fundament des Bundesjugendrings.
Ohne euch gäbe es keine starke Jugendpolitik, keine U18-Wahlen, keine Beteiligungsstrukturen, keine Stimme für die Jugend in der Bundesrepublik und Europa. Ohne euch gäbe es keine Ferienfreizeit, keine Juleica-Schulung und keine internationale Jugendbegegnung.
Was uns verbindet, ist mehr als ein gemeinsamer Auftrag – es ist eine Haltung: Wir übernehmen Verantwortung füreinander, für die Demokratie, für junge Menschen.
Lasst uns diese Haltung in den kommenden zwei Tagen leben:
kritisch, solidarisch, konstruktiv – mit Mut zum Widerspruch und mit Freude auf Gemeinsamkeit.
Wir freuen uns auf intensive Debatten, auf spannende Anträge - und auf das, was uns ausmacht: Engagement für eine jugendgerechte Gesellschaft.
In diesem Sinne: Willkommen zur 98. Vollversammlung – und auf eine solidarische, starke und verbindende Jugendpolitik!