Vollversammlung Gerechtigkeit Jugendpolitik

Forderungen für eine jugend- und generationengerechte Fiskalpolitik

Ein umgefallenes Glas mit Kleingeld
Die Vollversammlung des Bundesjugendrings hat am 27. Oktober 2024 die Position „Forderungen für eine jugend- und generationengerechte Fiskalpolitik“ beschlossen.

1. Dogmatische Austeritätspolitik [1] – Ein Widerspruch zur Generationengerechtigkeit

Als demokratisch legitimierte Interessensvertretung junger Menschen widersprechen wir als Jugendverbände und Jugendringe vehement dem Narrativ, dass Kürzungen im öffentlichen Haushalt allein zur Verringerung der Staatsschulden generationengerecht seien oder dies im Namen der Jugend geschehe. Eine dogmatische Austeritätspolitik, die allein den ausgeglichenen jährlichen Staatshaushalt im Blick hat, ignoriert die Bedürfnisse der jungen und zukünftigen Generationen. Wir erleben im Gegenteil, dass nicht für junge Menschen, sondern an jungen Menschen gespart wird. Es wird an Ausgaben für die grundlegendste Infrastruktur gespart. Dies gilt besonders für die Infrastruktur für junge Menschen. Statt Kürzungen und Austerität braucht es heute massive Investitionen für junge Menschen und kommende Generationen.

Um jungen Menschen eine lebenswerte Zukunft zu sichern, bedarf es umfangreicher strikt an den Zielen Nachhaltiger Entwicklung (SDGs) ausgerichteten Gesichtspunkten orientierter Investitionen in die soziale und physisch-technische Infrastruktur sowie einer gewaltigen finanziellen Kraftanstrengung zur Gestaltung der sozial-ökologischen Transformation und zur Abwendung massiver Klimafolgeschäden in der dreifachen planetaren Krise [2]. Je größer die Investitionen in Umweltschutz und Klimaanpassungen sind, desto weniger Folgekosten müssen junge Menschen und nachfolgenden Generationen tragen.

Die Finanzierung von Investitionen durch staatliche Verschuldung ist ökonomisch und aus Sicht junger Menschen unerlässlich, um den zukünftigen Herausforderungen und Chancen gerecht zu werden. Eine zu geringe Neuverschuldung, die ausschließlich durch die Reduktion der Ausgabenseite entsteht, verkennt die langfristigen Bedürfnisse und Potentiale unserer und nachfolgender Generationen. So müssen nicht die Ausgaben reduziert, sondern  die Einnahmen erhöht werden. Investitionen in Bildung, Forschung, Digitalisierung und nachhaltige Infrastruktur sind die Grundlage für wirtschaftliche Entwicklung und sozialen Fortschritt. Sie müssen langfristig möglich werden durch die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums und mittelfristig durch die Aufnahme von Schulden. Ohne diese Investitionen riskieren wir, die Möglichkeit zu verlieren, auch in Zukunft in einer lebenswerten Umwelt und Gesellschaft aufzuwachsen. Der Verzicht auf notwendige Innovationen zugunsten kurzsichtiger fiskalischer Dogmen würde nicht nur die wirtschaftliche Dynamik hemmen, sondern auch die intergenerationelle Gerechtigkeit untergraben. Ein ausgeglichener Haushalt darf nicht zum Selbstzweck verkommen und ist per se kein Ausdruck von Generationengerechtigkeit. Im Gegenteil wird so verkannt, dass jungen Menschen massive Infrastrukturschulden hinterlassen werden. Da zukünftige Generationen erheblich von diesen Investitionen profitieren, ist es auch gerecht, dass sie sich an deren Finanzierung beteiligen. Viel schwerwiegender als die Beteiligung an der Finanzierung wäre das Versäumnis, die notwendigen Investitionen nicht getätigt zu haben. Nur so können wir sicherstellen, dass wir und die kommenden Generationen in einer Welt leben, die Chancen und Wohlstand für alle bietet.

Für Investitionen muss der Gesetzgeber wieder finanzielle Handlungsspielräume zurückgewinnen. Die unverhältnismäßige Einschränkung des „Königsrechts des Parlaments“ durch die Schuldenbremse muss zurückgenommen werden. Die Abschaffung der Schuldenbremse im Grundgesetz ist für eine nachhaltige und generationengerechte Fiskalpolitik aus Sicht junger Menschen zwingend. Die Aufnahme von Schulden heute ermöglicht die dringend notwendigen Investitionen und beteiligt auch die heute lebenden Generationen bereits an der Rückzahlung der Kredite.

 

2. Steuergerechtigkeit und bedarfsdeckende Staatseinnahmen

Eine gute und faire Steuerpolitik ist der beste Weg, eine übermäßige Staatsverschuldung zu verhindern. Gerade in Zeiten, in denen große Transformationsprozesse zu gestalten sind, müssen alle Bevölkerungsgruppen nach ihren Möglichkeiten an der Gestaltung und Mitfinanzierung dieser beteiligt werden.

Die finanziellen Mittel für dringende Investitionen in die Zukunft sind in der insgesamt reichen Gesellschaft zu erheblichen Teilen vorhanden. Einkommens- und Vermögensreichtum muss notwendigerweise für die Gestaltung der sozial-ökologischen Transformation herangezogen und über ein gerechtes Steuersystem an Investitionen beteiligt werden. Diese steuerliche Mehrbelastung von Reichtum und Spitzeneinkommen muss mit einer steuerlichen Entlastung für alle anderen Bevölkerungsteile einhergehen, um auch eine soziale Steuergerechtigkeit zu gewährleisten. Eine soziale und geschlechtergerechte Ausgestaltung der Lebensverhältnisse für Deutschland fordert der Bundesjugendring dabei insbesondere für junge Menschen. Dies umfasst jedenfalls auch einen langfristig bundesweit kostenloses ÖPNV, die Entlastung von Studierenden und Auszubildenden, Schaffung von günstigem Wohnraum, die Einführung einer wirksamen Kindergrundsicherung [3] zur Weiterentwicklung der sozialen Sicherung und damit die Herstellung gleicher gesellschaftlicher Teilhabemöglichkeiten für alle Menschen. [4]

Die zunehmende Akkumulation von extremen Reichtum bei Wenigen, bei gleichzeitiger Prekarisierung weiter Teile der Gesellschaft, stellt ein zentrales Versprechen von demokratischen Staaten auch gleiche Teilhabe zu gewährleisten, massiv in Frage. Entstehender Überreichtum ist eine Gefahr für die Demokratie. Es braucht steuerliche Mechanismen, um die aktuelle Entwicklung hin zu einer demokratiegefährdende Armuts- und Reichtumsverteilung in Deutschland zu korrigieren.

 

3. Keine Kürzungen an der Zivilgesellschaft im Namen der jungen Generation

Das Festhalten an der Schuldenbremse ist gerade jetzt ein großer historischer Fehler. Gerade dann, wenn der demokratische Staat von seinen organisierten Feinden angegriffen und eine freiheitliche Gesellschaft vom Rechtsextremismus bedroht wird, muss dieser massiv in die Voraussetzungen der Demokratie „investieren“. Das umfasst  funktionierende und ausreichend ausgestattete Institutionen des Rechtsstaats, aber ebenso die Stärkung der demokratischen Zivilgesellschaft durch eine gute und verlässliche Förderpolitik und durch die Gewährleistung guter Rahmenbedingungen. Aus queer-feministischer Sicht bedeutet das, dass diese Investitionen auch gezielt auf die Stärkung der Gleichstellung der Geschlechter und die Förderung von FLINTA* ausgerichtet sind. Denn diese Personengruppen sind besonders bei einem Aufstieg rechtsextremer Kräfte gefährdet. Die Demokratie lebt von Voraussetzungen, die sie selbst nicht schaffen kann. Der Staat kann diese Voraussetzungen aber durch Kürzungen und ausbleibende Maßnahmen beschädigen. Auch und gerade bei schwierigen Haushaltslagen müssen diese Bereiche in jedem Fall unangetastet bleiben.

Vertrauen in die Demokratie und insbesondere in die Problemlösungskompetenz des demokratischen Staates kann nur gestärkt oder zurückgewonnen werden, wenn der  demokratische Staat handlungsfähig ist und den großen Herausforderungen gestaltend begegnen kann. Eine aktuelle Studie der schwedischen Zentralbank zeigt, dass 1% weniger öffentliche Staatsausgaben im Durchschnitt zu 3 Prozentpunkten mehr Zustimmung zu extremen Parteien führt. [5] Solche Demokratieschulden dürfen der nächsten Generation nicht hinterlassen werden. In Zeiten des erstarkenden Rechtsextremismus darf niemals an den Voraussetzungen für die Demokratie gekürzt werden. Demokratie ist viel mehr als die bloße Staatsform. Eine echte Demokratie stirbt dann, wenn es nicht mehr genug Demokrat*innen gibt, die diese leben. Demokratie als Staats- und als Gesellschaftsform muss von jungen Menschen nicht nur gelernt, sondern jeden Tag erlebt und gestaltet werden. Die Kinder- und Jugendarbeit ist dafür ein unverzichtbarer Pfeiler. Das gilt für die selbstorganisierte Arbeit der Jugendverbände als Werkstätten der Demokratie im Besonderen. Die negativen Auswirkungen einer prekären Finanzierung dieser Arbeit sind jetzt schon auf anderen föderalen Ebenen zu beobachten, gerade im ländlichen Raum. Die Kürzung an der  Jugendverbandsarbeit in Zeiten des erstarkenden Rechtsextremismus wäre unverantwortlich, denn es braucht zuverlässige und vielfältige Räume und Strukturen für Kinder und Jugendliche auf allen föderalen Ebenen in Deutschland!

 

4. Handlungs- und Transformationsfähigkeit stärken

Die Menschen erleben die Demokratie als funktionierenden und leistungsfähigen Staat in erster Linie in der Kommune vor Ort. Gut ausgestattete Kommunen können so vor Ort jene Dinge gestalten, die sie selbst unmittelbar betreffen. Dies betrifft beispielsweise Bau und Gestaltung von Jugendhäusern, Jugendbildungsstätten, Schulgebäuden, Kultureinrichtungen, Feuerwehr und öffentlichem Nahverkehr. Kommunen müssen sich daher auch tragfähig weitgehend selbst finanzieren können. Dieses Subsidiaritätsprinzip in Deutschland ist grundsätzlich ein starkes demokratisches Prinzip, das aber derzeit an einer guten Finanzierung scheitert. Handlungsfähige Kommunen, die den Menschen vor Ort einen handlungsfähigen demokratischen Staat garantieren, brauchen neben demokratischen Mitbestimmungsprozessen vor Ort eine auskömmliche und gerechte Finanzierung. Besonders auf kommunaler Ebene fehlen die Mittel, um notwendige soziale und infrastrukturelle Aufgaben zu erfüllen. Es braucht daher einen Mechanismus, der eine strukturell bedingte unverschuldete Überschuldung von Kommunen ausgleicht und in Zukunft verhindert. Was es dagegen nicht braucht, ist die kleinteilige finanzielle Unterstützung von Einzelvorhaben der Kommunen durch Sondertöpfe und befristete Förderprogramme. Dies schafft Bürokratie und schränkt die Autonomie von Kommunen ein.

Der Staat muss wesentliche Belange des Gemeinwohls selbst bereitstellen und kann
sich nicht hinter einer übermäßigen Privatisierung zurückziehen. Das Vertrauen in den demokratischen Staat kann nur entstehen, wenn der Staat selbst durch seine Einrichtungen handelt und Leistungen für die Menschen bereitstellt. Dies betrifft jedenfalls die Bereiche der öffentlichen Mobilität, Energieversorgung, Bildung und Gesundheit als öffentliche Daseinsvorsoge.

 

5.  Forderungen

Als demokratisch legitimierte Interessenvertretung junger Menschen fordert der  Bundesjugendring die Abschaffung der Schuldenbremse, um eine jugend- und generationengerechte Fiskalpolitik zu gewährleisten. Darüber hinaus möchten wir unsere einzelnen bisherigen steuerlichen und haushälterischen Forderungen erneut bekräftigen sowie verschärfen:

  • Die Abschaffung der Schuldenbremse zur Ermöglichung sozial-ökologischer Investitionen. [6]
  • Die Einführung einer armutsfesten und echten Kindergrundsicherung. [7]
  • Aus Sicht des Bundesjugendrings braucht es die Abschaffung klimaschädlicher Subventionen unter Berücksichtigung einer sozialökologischen Transformation und einhergehenden Beschäftigungssicherung, sowie die deutliche Erhöhung der CO2-Steuer zur Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen unter der Bedingung einer Auszahlung eines sozial-gestaffelten Klimageldes, welches als eine zentrale Maßnahme der sozialen Abfederung dient. Weiterhin benötigt es Klimaschutzmaßnahmen und weitere sozial gestaltete Fördermaßnahmen, die Menschen aus fossilen Abhängigkeiten befreien. [8]
  • Nachhaltigkeits- und Genderbudgeting [9] in allen öffentlichen Haushalten mit Schwerpunkt auf den SDGs in allen öffentlichen Haushalten. [10]

Damit die Investitionen zu Teilen durch Einnahmen finanziert werden können, sehen wir als notwendige Ansatzpunkte für Staatseinnahmen:

  • Eine Reform der Erbschaftssteuer mit dem Ziel, große Erbschaften besser an der Finanzierung der Gemeinschaft zu beteiligen. Dabei darf die Fortführung von Betrieben nicht gefährdet werden. [11]
  • Die Reaktivierung einer verfassungskonformen Vermögenssteuer. [12] Diese soll sozial verträglich und progressiv ausgestaltet werden.
  • Eine progressivere Einkommenssteuer durch die Erhöhung des Spitzensteuersatzes bei gleicher Erhöhung des Steuerfreibetrages, mit dem Ziel kleine und mittlere Einkommen zu entlasten.
  • Eine flächendeckende Finanztransaktionssteuer.
  • Eine progressive Ausgestaltung der Steuerregelungen in Bezug auf Kapitalerträge.
  • Die Einführung einer Wertschöpfungsabgabe.
  • Die Abschaffung des Ehegattensplittings.
  • Die Einführung genuin europäischer Steuern.
  • Die effektive, gut ausfinanzierte Bekämpfung von Steuerhinterziehung.
  • Ergänzend zu den Maßnahmen benötigt es eine globale und gerechte Reform der Finanz- und Steuerarchitektur, ein wichtiger Ansatzpunkt ist dafür die UN-Tax-Convention.

 

Der Bundesjugendring stellt seinen Mitgliedsorganisationen für diesen Beschluss eine Version in einfacher/leichter Sprache zur Verfügung. Zusätzlich wird eine Argumentationshilfe entwickelt, um junge Menschen in ihren eigenen Strukturen zu befähigen, über eine jugend- und generationengerechte Fiskalpolitik zu sprechen.

 

[1] Austeritätspolitik bezeichnet ein Set an wirtschaftspolitischen Maßnahmen mit dem Ziel einen ausgeglichenen Staatshaushalt herzustellen und eine Staatsschuldenreduktion herbeizuführen. Dies beinhaltet eine strenge staatliche Sparpolitik mit Kürzungen beispielsweise bei Sozialleistungen oder Investitionen aber auch Steuererhöhungen.

[2] Dreifache planetare Krise: Klimawandel, Umweltverschmutzung und der Verlust der biologischen Vielfalt

[3] Siehe DBJR-Position, 2022: „Die Zeit für Entlastung junger Menschen und ihrer Jugendverbände ist jetzt!“ https://www.dbjr.de/artikel/die-zeit-fuer-entlastung-junger-menschen-und-ihrer-jugendverbaende-ist-jetzt

[4] Siehe DBJR-Position, 2023: „Für einen leistungsfähigen Sozialstaat“ https://www.dbjr.de/artikel/fuer-einen-leistungsfaehigen-sozialstaat

[5] Seite 2: https://www.riksbank.se/globalassets/media/rapporter/working-papers/2022/no.-418-the-political-costs-of-austerity.pdf

[6]  Siehe DBJR-Position, 2022: „Energiekrise begegnen, Energiewende beschleunigen“ https://www.dbjr.de/fileadmin/Positionen/2022/2022-DBJR-POSITION-vv-energiewende.pdf

[7] Siehe DBJR-Stellungnahme, 2023: „Zur Einführung einer Kinderunggrundsicherung“ https://www.dbjr.de/artikel/zur-einfuehrung-einer-kindergrundsicherung

[8] Siehe DBJR-Position, 2018: „Den Klimawandel sofort bremsen!“  https://www.dbjr.de/artikel/den-klimawandel-sofort-bremsen

[9] "Der Begriff Budgeting bedeutet Haushaltsplanung. Er bezieht sich auf die Planung von Einnahmen und Ausgaben. Der Zusatz Gender drückt aus, dass die Geschlechterperspektive in alle haushaltspolitischen Entscheidungen integriert wird. Mit dem Begriff Gender Budgeting wird international die geschlechtsdifferenzierte bzw. eine geschlechtergerechte Budgetanalyse der öffentlichen Haushalte wie Bund, Länder oder Kommune bezeichnet. Doch Gender Budgeting beschränkt sich nicht nur auf die Analyse von Haushaltsplänen, sondern nimmt auch Einfluss auf die Haushaltsplanungen, um bestehende Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern zu beseitigen und damit zu mehr Geschlechtergerechtigkeit beizutragen." https://www.uni-due.de/genderportal/mainstreaming_budget.shtml

[10] Siehe DBJR-Position, 2017: „0,7-Prozent-Ziel in der Entwicklungszusammenarbeit umsetzen - und zwar ohne Rechentricks!“ https://www.dbjr.de/fileadmin/Positionen/2017/2017-DBJR-VV-POSITION-_04-nullsieben.pdf

[11] Siehe DBJR-Broschüre, 2013: „Sozialstaat und Jugendarbeitslosigkeit - Positionen des DBJR“ https://www.dbjr.de/fileadmin/Publikationen/2013-DBJR_brosch-Sozial.pdf

[12] Siehe DBJR-Broschüre, 2013: „Sozialstaat und Jugendarbeitslosigkeit - Positionen des DBJR“ https://www.dbjr.de/fileadmin/Publikationen/2013-DBJR_brosch-Sozial.pdf

 

Mehrheitlich bei 46 Ja-Stimmen, 5 Nein-Stimme und 9 Enthaltungen beschlossen auf der Vollversammlung am 27. Oktober 2024 in Berlin.

Themen: Vollversammlung Gerechtigkeit Jugendpolitik