Freundschaft - ein wichtiger Baustein in unserem politischen Miteinander
Chang Duong/unsplash
Sie geben uns Verbundenheit, Verständnis und Vertrauen, stärken unser Wohlbefinden und machen uns glücklicher und gesünder: Freundschaften. Gemeinsam mit Freund*innen gehen wir schönen Aktivitäten nach, meistern Herausforderungen des Alltags und bewältigen persönliche Krisen. Freundschaften sind vielfältig und oft von Dauer. Bisweilen halten sie ein Leben lang. Freundschaften sind wichtig für Menschen jeden Alters.
Für junge Menschen sind Freundschaften von herausragender Bedeutung. Für 97 Prozent aller 12- bis 25-Jährigen sind “gute Freunde, die einen anerkennen und akzeptieren” wichtig. Für 69 Prozent der jungen Menschen sind ihre Freund*innen gar das Wichtigste im Leben[1]. Freundschaft ist ein Jugendthema.
Freundschaften entwickeln sich bereits in der Kindheit. Sie vermitteln Kindern auf einzigartige Weise Selbstvertrauen, Zugehörigkeit und Selbstwert. Für Jugendliche sind Freund*innen auf ihrem Weg in ein selbstbestimmtes Leben entscheidend. Sie geben Sicherheit und Zuwendung bei Ablösung von den Eltern oder Konflikt mit der Herkunftsfamilie. Freundschaften im Jugendalter ermöglichen, selbstständig eigene Interessen und Anliegen herauszufinden und diesen nachzugehen. Mit Beginn der Pubertät ist die eigene Peer-Group, sind die eigenen Freund*innen, oft die erste, selbst geschaffene und unersetzliche Basis für die Erfüllung sozialer Bedürfnisse, die zu einem guten Aufwachsen und erfüllten Leben beitragen. Junge Erwachsene bauen sich ihr eigenes soziales Umfeld oft neu auf. Freundschaften und Wahlfamilien sind dabei von großer Bedeutung[2].
Diese Wahlfamilie hat für zahlreiche Personengruppen, zum Beispiel für queere junge Menschen, die in der Ursprungsfamilie Ausschluss erfahren, eine besondere Relevanz. Insbesondere für Aspec* Personen[3] haben Freundschaften einen besonderen Wert. Sie leiden darunter, dass vor allem romantische Beziehungen in unserer Gesellschaft einen so herausragenden Stellenwert haben. Die institutionelle Förderung von Freundschaft ermöglicht somit auch Schutzräume.
Junge Menschen können im Angesicht der multiplen Krisen bei ihren Freund*innen auf Halt und Schutz zurückgreifen und in stürmischen Zeiten im “sicheren Hafen" Freundschaft anlegen. Freund*innen ermöglichen Empathie, Akzeptanz und Gemeinschaft. Diese Werte sind bei der Prävention und Bewältigung von psychischen Erkrankungen, von denen junge Menschen derzeit massiv betroffen sind[4], entscheidend und ein wichtiges Fundament auf dem gegebenenfalls professionelle Unterstützung aufbaut.
Freundschaftliches Zusammenwirken bildet eine gute Basis für zivilgesellschaftliches Engagement durch gegenseitiges Empowerment; auch über nationale Grenzen hinweg. In Vereinen, Verbänden und sozialen Bewegungen entstehen Freundschaften, als deren Ausgangspunkt und Folge. Jugendverbände sind Orte gelebter Freundschaft.
Freundschaften haben eine hohe persönliche Bedeutung für sehr viele Menschen. Dies ist anerkannt. Ihre wissenschaftlich belegte Bedeutung für die gesamte Gesellschaft ist dagegen politisch ohne entsprechende Würdigung und Folgewirkung. Politik fokussiert sich zurecht auf Familie, zu Unrecht aber nicht auf Freundschaft. Kein Ministerium, kein Bundestagsausschuss und kein*e Beauftragte*r der Bundesregierung hat eine Zuständigkeit für Freundschaft. Dies passt leider zu einer politischen Grundhaltung, die primär seit langem bestehende Lebensformen, wie die Ehe, akzeptiert, fördert und konserviert - und zu einem Staatsverständnis, das Solidarität, Zusammenhalt und Menschlichkeit privatisiert. Im Gegensatz dazu braucht es eine progressive Gesellschaftspolitik, die sich gegenüber allen Menschen und demokratiefreundlichen Organisationen achtend, fördernd und schützend verhält und diejenigen fördert, die füreinander einstehen und dadurch zum Zusammenhalt der Gesellschaft beitragen. Freundschaft ist ein wichtiger Baustein in unserem politischen Miteinander.
Freundschaften sind aus sich selbst heraus wertvoll und müssen keinem Zweck dienen. In einer alternden Gesellschaft, in der es nur wenige kinderreiche Familien, dafür aber eine hohe Scheidungsquote und viele Alleinlebende gibt[5], haben sie gleichzeitig gesellschaftlich eine elementare Bedeutung. Freund*innen übernehmen oft viel Verantwortung füreinander. Die rechtlichen Regelungen für das wechselseitig füreinander Eintreten sind jedoch noch nicht in dieser Wirklichkeit angekommen. Das Zusammenleben in nicht-ehelicher Gemeinschaft ist millionenfache Lebensrealität, wird aber staatlich nicht angemessen gefördert. Die entsprechenden Vorhaben im Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition sind bisher nicht umgesetzt.
Wir fordern daher, dass Freundschaft als entscheidende soziale Beziehung gemäß ihrer Bedeutung von großem individuellem und gesellschaftlichem Potential politisch anerkannt, rechtlich abgesichert und staatlich gefördert wird.
Als Bundesjugendring erwarten wir von Bund, Ländern und Kommunen folgende Maßnahmen:
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Freundschaft als wichtige Grundlage für ein erfülltes privates und solidarisches gesellschaftliches Leben muss anerkannt und in allen politischen Konzepten und Maßnahmen angemessen berücksichtigt werden.
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Die Stärkung und Förderung von Freundschaft muss als Querschnittsaufgabe im politischen System verankert und demokratisch repräsentiert sein. Dies gilt vorrangig im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Dort wird ein*e Freundschafts-Beauftragte*r als Koordinator*in der Bundesregierung angesiedelt.
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Orte und Räume, in denen zwischenmenschliche Begegnungen stattfinden, müssen an den Bedarfen von gutem sozialem Miteinander ausgerichtet werden. Dies bedeutet, dass in Kitas, Kindergärten, Schulen, Hochschulen, Betrieben sowie Behörden, der Alltag freundschaftsfördernd zu gestalten ist.
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Öffentliche Infrastruktur, Städtebau und Mobilität im ländlichen Raum muss auf das soziale Miteinander der dort lebenden Menschen ausgerichtet werden.
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Freundschaft braucht Freiräume und einen Alltag, der unverzweckte Räume für das Zusammensein ermöglicht. Ausbildung, Arbeit und Engagement sind an diesen Bedarfen auszurichten.
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Etablierte zivilgesellschaftliche Strukturen, wie Jugendverbände, sind Orte gelebter Freundschaft. Daher müssen sie durch eine Erhöhung und Dynamisierung ihrer Förderung gestärkt werden.
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Europäische und internationale Jugendarbeit ist ein Schlüssel für Freundschaften über Staatsgrenzen hinweg. Jugendverbände verstehen sich als Ermöglicher*innen dieser Begegnungen – in der jugendverbandlichen Identität ist Freundschaft fest verankert. Wir erwarten von der Bundesregierung einfache unbürokratische finanzielle Förderung dieser jugendverbandlichen Aufgabe.
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Freundschaft wirkt präventiv und ist eine gute Voraussetzung, um Einsamkeit zu verhindern. Die gesellschaftliche Wahrnehmung von Freundschaft muss durch eine Integration in die "Strategie gegen Einsamkeit"[6] weitere politische Bedeutung gewinnen.
Freundschaften sind neben romantischen Beziehungen, Familien und Ehen wichtige soziale Strukturen. Zur Weiterentwicklung und Stärkung von Freundschaften müssen auch Verantwortungsgemeinschaften rechtlich etabliert werden. Hierfür fordern wir:
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Die im Koalitionsvertrag zugesagte Verantwortungsgemeinschaft[7] wird zügig eingeführt. Sie schafft einen gesetzlichen Rahmen, der Freundschaften und andere soziale Nähe-Beziehungen jenseits der Ehe rechtlich absichert. Sie ist auch nicht als Alternative für eine Ehe zu lesen, sondern als eigenständige Kategorie. Diese sind auch ergänzend zur Ehe möglich. Mindestens zwei Personen übernehmen vor dem Staat Verantwortung füreinander und entscheiden modular, in welchen Lebensbereichen, dies gelten soll[8]. Sie lassen sich dafür in ein standesamtliches Register eintragen[9].
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Die gesetzlichen Regelungen bedeuten für Verantwortungsgemeinschaften, durch selbstgewählte und ausgestaltete Aspekte, auch sozialrechtliche Möglichkeiten. Zum Beispiel kann dies für junge Menschen eine neue Möglichkeit der sorgerechtlichen Absicherung bedeuten, für junge Erwachsene eröffnen sich selbstbestimmte und elternunabhängigere Optionen das eigene Leben zu gestalten. Eine Anerkennung dieser Form des Zusammenlebens im Pflegezeit- und Familienpflegezeitgesetz ist notwendig.
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Die Verantwortungsgemeinschaft muss explizit auch Rechte für und Bedarfe von Kindern und Jugendlichen mitdenken. Dies gilt für alle oben aufgeführten gesetzlichen Regelungen und Pflichten. Diese sind auch auf Kinder und Jugendliche zu übertragen, sofern jeweils alle ihre Sorgeberechtigten zustimmen. So sollen in die Verantwortungsgemeinschaft eingebundene Erwachsene Verantwortung auch für Kinder und Jugendliche übernehmen können. Nur so kann das gesamte Konzept gerade sein Potenzial für ein gutes Aufwachsen für Kinder und Jugendliche entfalten.
[1] Jugend 2019. Eine Generation meldet sich zu Wort. 18. Shell Jugendstudie
[2] Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, sieht darin auch einen Fortschritt für queere Menschen, ihre Wahlfamilie rechtlich abzusichern. Das sagte der Grünen-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Für Lesben, Schwule oder transgeschlechtliche Menschen sei es oftmals die Wahlfamilie, die aufgrund von Ablehnung nach dem Coming-out den Platz der Herkunftsfamilie eingenommen hat", erklärte Lehmann. Nicht nur in der Ehe oder in Liebesbeziehungen würden Verantwortung und Sorge füreinander gelebt, sondern auch in Freundschaften. https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/verantwortungsgemeinschaft-100.html
[3] Menschen aus dem asexuellen und/oder aromantischen Spektrum
[4] https://www.dbjr.de/artikel/mentale-gesundheit-junger-menschen-in-krisenzeiten-staerken
[6] www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/strategie-der-bundesregierung-gegen-einsamkeit-234582
[7] https://fragdenstaat.de/dokumente/142083-koalitionsvertrag-2021-2025/
[8] https://jugendhilfeportal.de/artikel/eckpunkte-fuer-die-verantwortungsgemeinschaft
[9] Die Auflösung einer Verantwortungsgemeinschaft soll unbürokratisch und konsensual möglich sein, ohne eine gerichtliche Scheidung wie bei Ehen, im Gegensatz zum Eckpunktepapier des Bundesministeriums für Justiz: https://www.bmj.de/DE/themen/gesellschaft_familie/ehe_nichteheliche_gemeinschaft/verantwortungsgemeinschaft/Eckpunkte/eckpunkte_node.html
Mehrheitlich bei 47 Ja-Stimmen, 8 Nein-Stimme und 35 Enthaltungen beschlossen auf der Vollversammlung am 27. Oktober 2024 in Berlin.