Vollversammlung Gender

Gemeinsam aufstehen gegen Antifeminismus!

Eine weiblich gelesene person mit gehobener Faust im Sonnenuntergang
Die Vollversammlung des Bundesjugendrings hat am 27. Oktober 2024 die Position „Gemeinsam aufstehen gegen Antifeminismus!“ beschlossen.

Ausgangslage: Die Demokratie steht zunehmend unter Druck. Seit einigen Jahren werden längst erreichte Frauenrechte offensiv zur Disposition und damit demokratische Werte wieder vermehrt in Frage gestellt. In einer Gesellschaft, in der Frauen in vermeintliche ‚Männerdomänen‘ vordringen und die Bereiche ihrer (gleichberechtigten) Teilhabe zunehmend erweitern, wirken Kräfte – im Versuch emanzipatorische Bewegungen aufzuhalten – dem entgegen. So sind geschlechterpolitische Anliegen und Akteur*innen in den letzten Jahren vermehrt Angriffen und Diffamierungen ausgesetzt. Rechtsextreme, menschenfeindliche Bewegungen erstarken mit ihrem geschlossen antifeministischen Weltbild ebenso wie antifeministische Haltungen in der Mitte der Gesellschaft. Dies zeigt auch ein Blick in die Leipziger Autoritarismus-Studie aus dem Jahr 2022, der zufolge jeder dritte Mann[1] und jede fünfte Frau ein geschlossen antifeministisches oder sexistisches Weltbild haben[2].

Antifeminismus als Ideologie

Antifeminismus propagiert eine Ideologie, die eine vermeintlich ‚natürliche‘ Geschlechterordnung unterstützt und heteronormative Geschlechterverhältnisse aufrechterhält[3]. Diese Weltanschauung basiert auf sexistischen Ansichten sowie auf Frauen- und Queerfeindlichkeit. Maßgeblich sind dabei eine vermeintlich biologistische, binäre Vorstellung von Geschlecht und rückwärtsgewandte, stereotype Geschlechterbilder[4]. Antifeminismus bekämpft Bemühungen um Emanzipation und zeigt sich in Diskursen und Einstellungen gegen Gleichstellungsbestrebungen und die Sichtbarkeit marginalisierter Personen. Er stellt sich gegen feministische Errungenschaften und legitimiert geschlechtsspezifische Gewalt systematisch. Antifeminismus trägt zur Aufrechterhaltung von Ungleichheit und Diskriminierung bei und verhindert den Fortschritt in Richtung einer gerechteren und inklusiveren Gesellschaft[5].

Antifeminismus als Gefahr für die Demokratie[6]

Antifeminismus untergräbt grundlegende demokratische Prinzipien wie Gleichberechtigung und Vielfalt und spaltet die Gesellschaft. Das zeigt: Antifeminismus ist antidemokratisch. Eine Funktion von Antifeminismus liegt darin, Ressentiments und Rahmenbedingungen zu etablieren, die insbesondere Frauen und queere Personen von gesellschaftlicher Teilhabe ausschließen, und damit patriarchale Strukturen zu stabilisieren.

Antifeminismus schränkt zivilgesellschaftliche, politische sowie kirchliche Diskurs- und Handlungsräume ein und beschränkt die selbstbestimmten und sicheren Räume der Selbstwirksamkeit massiv. Insbesondere für queere Mädchen und Frauen sowie für Personen mit internationaler Geschichte ergibt sich aus dem steigenden Rechtsruck und antifeministischen Backlash eine verstärkte Betroffenheit und ein verändertes Sicherheitsgefühl.

Dabei gehört Gleichberechtigung zum Kern einer demokratischen Gesellschaft und ist nicht verhandelbar. Rechtspopulistische und extrem rechte Strömungen sehen hierin jedoch eine Gefahr für eine Ordnung, die Männer privilegiert und Frauen sowie alle weiteren Geschlechter unterordnet. Ihre Ablehnung richtet sich gegen Gleichstellung, gegen geschlechtliche und sexuelle Vielfalt. Rechtspopulismus, Rechtsextremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit müssen deshalb im Kern aus einer gendersensiblen Perspektive betrachtet werden[7].

Antifeminismus als Brückenideologie und gesamtgesellschaftliches Problem

Auch das gesamtgesellschaftliche Diskursklima verschärft sich in Richtung antifeministischer Entgleisungen. Akteur*innen, die sich – in Zivilgesellschaft, in Forschung, Verwaltung, im digitalen Raum, in Medien und Parlamenten – für Frauenförderung und Geschlechterforschung einsetzen, sind zunehmend Anfeindungen ausgesetzt.

Antifeminismus kann als Brückennarrativ zu anderen Ideologien der Ungleichwertigkeit wirken, wie Rassismus, Antisemitismus und Trans*feindlichkeit[8]. Häufig geht damit auch die Ethnisierung von Sexismus einher, die rassistische Anti-Migrations-Diskurse bestärkt[9]. Dabei schlägt Antifeminismus eine Brücke in rechtskonservative Teile der Gesellschaft und stellt eine Grundlage rechter Mobilisierungsstrategien dar[10]. Gefährlich ist insbesondere die Anschlussfähigkeit von Antifeminismus in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen, die insbesondere durch mediale Diskurse – vor allem in den sozialen Medien – Aufschwung erhält. So trägt Antifeminismus dazu bei, frauen- und queerfeindliches, rechtes und reaktionäres Gedankengut innerhalb der Dominanzgesellschaft salonfähig zu machen, was in der Folge gewaltsame Angriffe begünstigen kann[11]. Daran wird deutlich: Antifeminismus ist kein ‚Randphänomen‘, sondern explizit ein gesamtgesellschaftliches Problem.

Zwischen Antifeminismus und Emanzipation

Frauen und queere Personen sind in politischen Kontexten oftmals mit höheren Hürden und Zugangsbarrieren konfrontiert und müssen für gleiche Ämter mehr leisten als Cis-Männer[12]. Auch in unserer verbandlichen Arbeit spiegeln sich solche und andere antifeministische Erscheinungsformen wider. Sie können in Haltungen und Organisationskulturen sichtbar werden, denen heteronormative Maßstäbe zugrunde liegen und die die Formen gleichberechtigter demokratischer Teilhabe beschränken, z. B. wenn es um diversitätswahrende Quotierungen geht oder die Bereitschaft, die eigenen Arbeits- und Organisationskulturen diversitätssensibel und (macht-)kritisch zu reflektieren.

Handlungsbedarf als Jugendverbände

Für uns ist klar: Wir nehmen die antifeministischen Anfeindungen und Angriffe gegen Frauen und queere Personen sowie Geschlechterpolitik sehr ernst und verstehen sie als Angriffe auf den Kern unserer Demokratie. Es ist Teil unseres Selbstverständnisses als Jugendverbände, uns für Geschlechtergerechtigkeit einzusetzen und uns frauen- und queerfeindlichen Bestrebungen entschlossen entgegenzustellen.

Vor dem Hintergrund des erstarkenden Antifeminismus in der Gesellschaft sind gerade wir gefragt, uns klar zu einer demokratischen, feministischen Kultur des Miteinanders zu bekennen, sie in unseren Strukturen zu leben und einzufordern. Das bedeutet auch, frauen- und geschlechtsspezifischen Ungerechtigkeiten im Kontext aller weiteren Formen der Unterdrückung zu reflektieren. Uns ist wichtig, dabei die verschiedenen Diskriminierungsdimensionen zu berücksichtigen und gemeinsam daran zu arbeiten, antifeministische Denk- und Handlungsmuster zu erkennen, zu entlarven, ihnen zu begegnen und sie zu durchbrechen.

 

Wir begreifen den Einsatz gegen Antifeminismus als zentralen Bestandteil unseres demokratischen Engagements, als wichtiges Element zur Demokratiebildung und -stärkung.

Wir werden aktiver!

  • Wir bilden uns politisch weiter: Wir verpflichten uns, das Engagement gegen Antifeminismus als wichtigen Baustein unseres Einsatzes für eine geschlechtergerechte und diversitätskompetente Demokratie auf unserer Agenda zu stärken. Dazu gehört, politische Bildungsarbeit zu leisten, um Antifeminismus zu erkennen, ihre Verschränkung mit anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu identifizieren und so Handlungssicherheit im Umgang mit antifeministischen, rechtspopulistischen und extrem rechten Argumentationen zu vermitteln.

  • Wir betreiben Wissensmanagement: Wir geben Wissen über Antifeminismus und mögliche Gegenstrategien innerhalb unserer Verbände proaktiv weiter und ermutigen einander, Antifeminismus als solchen zu benennen, ihn zu dokumentieren und ihn auch zu melden, zum Beispiel bei der Meldestelle Antifeminismus der Amadeu Antonio Stiftung[13].

  • Wir leben Solidarität: Wir bringen uns aktiv und solidarisch in analoge und digitale Debatten ein, stärken unsere mädchen-, frauenpolitischen und feministischen Netzwerke und verbünden uns mit anderen (Jugend-)Organisationen, um uns in Politik und Gesellschaft gemeinsam nachhaltig für Geschlechtergerechtigkeit einzusetzen.

  • Wir analysieren, reflektieren und entwickeln uns weiter: Wir verpflichten uns, uns kritisch mit unserer Organisationskultur auseinanderzusetzen und Leerstellen in Bezug auf Feminismus in unserer Arbeit und unserem Miteinander zu identifizieren, daraus Ableitungen zur Weiterentwicklung im Sinne einer feministischen Organisationskultur zu treffen und diese voranzubringen.

  • Wir stärken Öffentlichkeitsarbeit: Wir betreiben gezielt Öffentlichkeitsarbeit, um über Antifeminismus aufzuklären, antifeministische Diskursstrategien zu entlarven und zu entkräften und ein Bewusstsein für die antidemokratische Funktionsweise antifeministischer Ideologie zu schaffen.

Es braucht ein zielgerichtetes und koordiniertes Vorgehen gegen Antifeminismus auf politischer, institutioneller und gesellschaftlicher Ebene. Daher formulieren wir folgende Forderungen an die Politik:

  • Nehmt Antifeminismus ernst! Antifeminismus und Gleichstellungspolitik müssen als zentrale Mobilisierungsfelder autoritärer und demokratiefeindlicher Kräfte ernst genommen werden.

  • Klärt auf und fördert Bildung! Es braucht langfristige, finanzielle und strukturelle Förderung von Maßnahmen, Bildungsprogrammen und Organisationen, die dazu beitragen, Antifeminismus zu erkennen, zu bekämpfen und gesamtgesellschaftlich darüber aufzuklären.

  • Sensibilisiert Entscheidungsträger*innen! Es braucht eine Sensibilisierung von Politiker*innen bezüglich der antidemokratischen Qualität von Antifeminismus und den dringlichen Bedarf, die Geschlechtergerechtigkeit politikfeldübergreifend als Querschnittsanliegen zu verankern und strukturelle Ungleichheiten zu überwinden.

  • Fördert Gleichstellung! Es braucht – auf kommunaler, nationaler und europäischer Ebene – konsequente Maßnahmen zur Bekämpfung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit durch eine starke Antidiskriminierungs- und Geschlechterpolitik, um die Gleichstellung der Geschlechter in allen gesellschaftlichen Bereichen zu fördern und geschlechtsspezifische Diskriminierung zu bekämpfen. Dies umfasst auch die Stärkung bestehender Gesetze zum Schutz von Frauenrechten und die Implementierung effektiver Mechanismen zu deren Durchsetzung, um die Gleichstellung aller Geschlechter bis 2030 zu verwirklichen und damit auch rechten Ideologien entgegenzuwirken.

  • Stärkt feministische Digitalpolitik! Wir fordern eine demokratische feministische Gestaltung der digitalen Öffentlichkeit. Hass im Netz darf nicht unwidersprochen stehen bleiben und insbesondere Betroffene müssen befähigt werden, gegen antifeministische Anfeindungen und Mobilisierungen vorzugehen. Hierfür müssen geeignete rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, um Hasskommentaren und Drohungen im Netz effektiv entgegenzutreten. Dies kann z. B. durch einfachere Meldewege erreicht werden, sodass ohne großen Aufwand Anzeige erstattet werden kann[14]. Zudem sollen Plattformbetreiber*innen ihre eigenen Strukturen und Algorithmen täter*innenunfreundlich, sicherer und inklusiver gestalten. Insbesondere im Bereich der Digitalpolitik ist es wichtig, dass Entscheidungspositionen und Teams, die digitale Räume entwerfen, bereitstellen, betreuen, vielfältig besetzt werden. Die direkte und sichtbare Mitgestaltung von Frauen und queeren Personen kann – neben anderen positiven Effekten – als Vorbild für junge Menschen dienen und sie motivieren, sich selbst bei der Gestaltung digitaler Räume einzubringen.

  • Fördert geschlechtsspezifische Forschung! Es bedarf der Finanzierung von Forschung, die sich mit geschlechtsspezifischen Themen befasst, um ein besseres Verständnis für die Ursachen und Auswirkungen von Antifeminismus zu erlangen und evidenzbasierte Politikmaßnahmen zu unterstützen.

 

[1] Die Geschlechterbegriffe referieren auf Personen, die in der Gesellschaft weiblich bzw. männlich sozialisiert sind. Die Studienlage gibt keine Auskunft über Personen, die sich außerhalb binärer Vorstellungen von Geschlecht verorten.

[2] Kalkstein, Fiona/ Pickel, Gert/ Niendorf, Johanna/ Höcker, Charlotte/ Decker, Oliver (2022): Antifeminismus als Element rechtsautoritärer Dynamik. In: Decker/ Oliver, Kiess, Johannes/ Heller, Ayline/ Brähler, Elmar: Leipziger Autoritarismus Studie, S. 253ff.

[3] Heteronormativität umfasst explizit auch cis- und endo-Normativität. Diese beschreiben jeweils die Diskriminierung von trans und inter Menschen.

[4] Amadeu Antonio Stiftung (2023): Was ist Antifeminismus? Link: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/antifeminismus/was-ist-antifeminismus/.

[5] Lang, Juliane/ Fritzsche, Christopher (2018): Backlash, neoreaktionäre Politiken oder Antifeminismus? Forschende Perspektiven auf aktuelle Debatten um Geschlecht. Feministische Studien, Vol. 36, No. 2, S. 335 – 346.

[6] Beck, Dorothee/ Gesterkamp, Thomas/ Kemper, Andreas/ Stiegler, Barbara/ von Bargen, Henning (2021): Antifeminismus auf dem Weg durch die Institutionen. Heinrich-Böll-Stiftung.

[7] Amadeu Antonio Stiftung (2023): Was ist Antifeminismus? Link: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/antifeminismus/was-ist-antifeminismus/.

[8] Leipziger Autoritarismus Studie 2022, S. 245-270.

[9] Dietze, Gabriele (2015): Anti-Genderismus intersektional lesen. Zeitschrift für Medienwissenschaft, Vol. 13, No. 2, S. 125 – 127.

[10] Leipziger Autoritarismus Studie 2022, S. 264.

[11] Elementarer Bestandteil antifeministischer Narrative ist die systematische Falschdarstellung und Umdeutung feministischer Ziele und Errungenschaften. Teil diskursiver Strategien ist es, ihre Anliegen ins Gegenteil zu verkehren: Mayer, Stefanie/ Ajanovic, Edma/ Sauer, Birgit (2018): Kampfbegriff Gender-Ideologie: zur Anatomie eines diskursiven Knotens – Beispiel Österreich. In: Lang, Juliane/ Peters, Ulrich: Antifeminismus in Bewegung: Aktuelle Debatten um Geschlecht und sexuelle Vielfalt. Marta Press, Hamburg.

[12] Lukoschat, Helga/ Köcher, Renate (2021): Parteikulturen und die politische Teilhabe von Frauen. EAF Berlin, S. 13f. / Lukoschat, Helga/ Belschner, Jana (2019): Macht zu gleichen Teilen. EAF Berlin. Diversity in Leadership, S. 10. / Kletzing, Uta; Lukoschat, Helga (2010):Engagiert vor Ort. Wege und Erfahrungen von Kommunalpolitikerinnen, S. 8ff.

[13] Meldestelle Antifeminismus der Amadeu Antonio Stiftung: antifeminismus-melden.de

[14] S. hierzu: DBJR-Beschluss (2023): „Frauenhass im Netz ist real – Gewalt gegen Frauen endlich beenden“ sowie BDKJ-Beschluss „Digitale Teilhabegerechtigkeit für junge Menschen“ (2024).

 

Einstimmig beschlossen auf der Vollversammlung am 27. Oktober 2024 in Berlin.

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