Haltung statt Neutralität. Zur Einführung

Layout und Gestaltung: Rebekka Posselt
Der Rechtsextremismus in Deutschland wird stärker, er wächst im Alltag, in den politischen Debatten und in Parlamenten. Seine Strategien, Mythen und Politiken richten sich gegen die freie Zivilgesellschaft. Deren Einstehen für die Demokratie soll zum Schweigen gebracht werden. Unter dem Banner der Meinungsfreiheit können die Wölfe im Schafspelz keinen Widerspruch ertragen – wie den von kritischen Jugendverbänden und -ringen.
Politisch gegen Rechtsextremismus klar Stellung beziehen – dürfen Jugendverbände das? Oder sind sie, da mit staatlichen Mitteln gefördert, zu derselben parteipolitischen Neutralität verpflichtet, die für den Staat gilt? Diese Falschbehauptung eines Neutralitätsgebotes steht im Mittelpunkt der Strategien rechtsextremer Akteure wie der AfD, wenn sie gegen die demokratisch engagierte Jugendverbandsarbeit zu Felde zieht. Die zahlreichen Angriffe erfolgen in kleinen oder großen parlamentarischen Anfragen und stellen gezielt die Förderungswürdigkeit einzelner Jugendverbände und -ringe, die ihnen politisch missliebig sind, in Frage.
Ein Beispiel. „Es ist ein politischer Skandal“, behauptete der Vorsitzende der AfD-Bürgerschaftsfraktion in Hamburg, „dass der Hamburger Landesjugendring aus Steuermitteln eine politische Kampagne fährt, die sich gegen eine konkrete Partei richtet.“ Der Anlass dieses Angriffs waren zwei Ausgaben dieses punktum-Magazins1, in denen Aspekte und Propaganda-Mechanismen des Rechtspopulismus (nicht allein der AfD) kritisch analysiert wurden.
Der Hamburger Senat schmetterte diese ideologisch motivierte Infragestellung der Förderung ab. Er betonte in seiner Antwort die Verbandsautonomie trotz staatlicher Förderung: „Bei der Förderung ist das satzungsgemäße Eigenleben der Jugendverbände zu wahren, das heißt, ihnen dürfen im Rahmen der Förderung keine Einschränkungen aufgelegt werden, die in den Kernbereich der Verbandsautonomie eingreifen. Jugendverbände dürfen also politische Positionen beziehen und diese verbreiten, müssen nach Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aber positiv im Sinne der obersten Grundsätze der freiheitlichen Demokratie wirken.“2
Für diese demokratischen Rechte und Prinzipien des Grundgesetzes setzen sich Jugendverbände und Jugendringe ein, wenn sie sich gegen menschen- und demokratiefeindliche Politik positionieren. Alles andere ist mit der Vielfalt und demokratischen Selbstorganisation der Jugendverbände nicht vereinbar. Das Eintreten für Demokratie, Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit ist elementarer Bestandteil der Arbeit der Jugendverbände und Jugendringe.
Strategie und Masche. Die AfD hätte daraus lernen können. Das war und ist nicht ihre Absicht.3 Im Gegenteil: Was sich bereits 2018 in Hamburg zutrug, war seinerzeit kein Novum und wiederholte die AfD vielfach in anderen Bundesländern wie auf kommunaler Ebene. Es war und ist die politische Masche der AfD, Akteure der Zivilgesellschaft – wie Jugendverbände – mit parlamentarischen Anfragen zum vermeintlichen Neutralitätsgebot zu überziehen, deren Förderungswürdigkeit in Frage zu stellen oder unverhohlen mit dem Entzug der Förderung zu drohen, wenn sie dazu die polititische Macht hätte. Die Strategie dahinter beschreiben Hafeneger und Reisner in diesem Heft (ab S. 4): „Ziele solcher parlamentarischen Interventionen sind es, Sorgen und Ängste zu verbreiten, zivilgesellschaftliche Demokratiearbeit zu behindern und zu delegitimieren, Jugendverbände mit ihren Aktivitäten zu verunsichern, sie anklagend öffentlich zu machen, zu diffamieren, zu denunzieren und anzudrohen, welche Folgen sie bei Machtoptionen der AfD zu erwarten haben.“ Beängstigend ist derweil, dass sich diese AfD-Masche auf die „politische Mitte“ abfärbt.4
Bedrohungslage und Handlungsmöglichkeiten. Dieses Heft ist vor diesem politischen Bedrohungsszenario eine Handreichung für Jugendverbände, -ringe und Jugendgruppen vor Ort und bis zur Bundesebene, damit sie Angriffe auf ihre Verbandsautonomie selbst abwehren und sicher in ihrem demokratischen Engagement sein können.
Der erste Beitrag beschreibt Muster wie Strategien der AfD-Angriffe und die daraus resultierenden Sorgen der Jugendverbände (von Hafeneger und Reisner; S. 4 ff.). Er resümiert: „Die Ergebnisse der bundesweiten Erhebung aus dem Frühjahr 2024 sind eindeutig: Die Sorgen vor einer Regierungsbeteiligung rechtspopulistischer und -extremer Parteien auf den verschiedenen staatlichen Ebenen ist für die Jugendverbandsarbeit ein explizites Bedrohungsszenario, mit dem es an die Substanz und um ihre Existenz geht.“ Bedroht sind das Engagement junger Menschen in Jugendverbänden und die damit verbundenen „fundamentalen und alltäglich-praktischen außerschulischen Demokratieerfahrungen“.
Das vermeintliche „Neutralitätsgebot“ u.a. für Jugendverbände und -ringe und seine Erscheinungsformen in der alltäglichen Praxis dechiffriert der nachfolgende Artikel als „Mythos“ (von Bock, Lorenz, Reisner und Weis; S. 9 ff.). Er stellt klar, dass Jugendverbände zunächst „Träger von Grundrechten wie der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) oder der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) [sind]. Diese Grundrechte geben ihnen das Recht, zu äußern, was sie möchten, solange sie sich an die allgemeinen Gesetze halten.“
Wie Jugendverbände diese Grundrechte für sich nutzen können – also bei explizit politischen Aktivitäten oder Statements, dazu gibt der dritte Beitrag praktische Hinweise (von Reisner; S. 14 ff.), ohne dass dabei die Gemeinnützigkeit und damit die ökonomische Basis der Jugendverbände gefährdet wird (der Hintertür für politische Anfeindungen). „Als Faustregel gilt: Entlang der gemeinnützigen Satzungszwecke ist die Einflussnahme auf die politische Willensbildung unproblematisch, während die Unterstützung von Parteipolitik problematisch ist. Für die Praxis heißt das: Bei politischen Betätigungen immer den jugendpolitischen Inhalt, nicht die Positionierungen einer Partei voranstellen.“
Schließlich folgen im vierten Beitrag praxisnahe Hilfen für den Verbandsalltag, wenn unmittelbare Gefährdungen oder Übergriffe von Rechts vorliegen (von Buchholt; S. 19 ff.) – beispielsweise bei Diffamierungskampagnen, Störungen auf Veranstaltungen oder beim Auftauchen eines rechtsextremen Gedankengut im Verbandskontext. Das abschließende Interview von Klatt mit Heukelbach und Haas (S. 26 ff.) thematisiert antifeministische Propaganda.
Darüber hinaus. Die Auseinandersetzung mit Rechtspopulismus und -extremismus ist eine gesellschaftspolitische Herausforderung. Diese geht über die in diesem Heft verfolgte Absicht, Handreichungen gegen unmittelbare Angriffe zu bieten, hinaus.
Unmittelbare Angriffe von Rechtsaußen abzuwehren, ist für Akteure der Zivilgesellschaft das nächstliegend Erforderliche. Diesen dabei nicht auf den Leim zu gehen, also hinter dem Angriff nicht Masche und Strategie zu erkennen, das Nächste. Jeder Angriff dient der rechtsextremen Propaganda, um Feindbilder wie etwa vom „links-grün versifften“ Milieu aufzubauen. Der verständliche Reflex, politisch womöglich mit gleicher Münze zu antworten, sollte wohl überlegt sein. Das Wichtigste jedoch ist, darüber nicht den Kopf zu verlieren, dass nach einer unmittelbaren Abwehr oder Ignoranz eines Angriffes politische Aufklärungsarbeit weiter notwendig ist. Haltung zeigen ist das eine, an der gesellschaftlichen Aufklärung über die objektiven Gründe totalitärer Potentiale weiter zu arbeiten, ist das andere Gebot der Stunde. Zu fragen wäre, warum rechtsextreme Propaganda und Botschaften in den Köpfen der Menschen zunehmend verfangen. Die Muster rechtspopulistischer und -extremer Politik liefen ins Leere, wenn nicht Teile der Bevölkerung eine dafür empfängliche Disposition mitbrächte. Diese Disposition kann nicht wesentlich aus subjektiven Momenten abgeleitet werden, sondern hat objektive, gesellschaftliche Gründe. Darüber aufzuklären, ist und bleibt Aufgabe einer kritischen Zivilgesellschaft, als deren Teil sich Jugendverbände verstehen.
Fußnoten
1 punktum 2-17 und punktum 4-14, www.ljr-hh.de/index.php?id=1899 und www.ljr-hh.de/index.php?id=1431
2 Drucksache der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg 21/12367
3 Bei den Haushaltsberatungen in der Hamburgischen Bürgerschaft legte die AfD 2024 zuletzt nach und beantragte – erfolglos – die Streichung der Förderung für zwei Jugendverbände (SJD – Die Falken und Arbeitsgemeinschaft interkultureller Jugendverbände).
4 Nach der letzten Bundestagswahl stellte die CDU nach dem benannten Muster eine vergleichbare Kleine Anfrage im Bundestag, die auf Akteure der Zivilgesellschaft zielte. Im Wortlaut: „Die Frage nach der politischen Neutralität staatlich geförderter Organisationen sorgt aktuell zunehmend für Debatten. Hintergrund sind Proteste gegen die CDU Deutschlands, die teils von gemeinnützigen Vereinen oder staatlich finanzierten Organisationen organisiert oder unterstützt wurden. Dies wirft die Frage auf, inwiefern sich gemeinnützige Vereine, die zusätzlich noch mit Steuergeldern gefördert werden, parteipolitisch betätigen dürfen, ohne ihren Gemeinnützigkeitsstatus zu gefährden.“ Es folgen 551 dezidierte Fragen zu einer großen Zahl von Organisationen wie dem BUND bis hin zu den Omas gegen Rechts.