Vielfalt

Inklusion

Die DBJR-Vollversammlung hat am 25./26. Oktober 2013 die Position „Inklusion – auch für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen!“ beschlossen:

Als selbstorganisierte Jugendverbände handeln wir in unseren Strukturen auf der Basis eines Menschenbildes, das die Würde und Einzigartigkeit des Einzelnen in den Vordergrund rückt. Wir begrüßen die Verschiedenheit von Menschen innerhalb unserer Gruppen und streben danach, zur Entwicklung aller jungen Menschen beizutragen. Daraus folgt eine Forderung nach Gleichstellung, keinen Menschen wegen sozialer oder individueller Umstände zu benachteiligen oder aus unseren Verbänden auszugrenzen.

Die im Deutschen Bundesjugendring (DBJR) zusammengeschlossenen Jugendverbände und Jugendringe verschreiben sich daher dem Ansatz der Inklusion. Die menschliche Diversität sehen wir als Bereicherung für unsere Verbände, sei es hinsichtlich ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Religion, ihres soziokulturellen Hintergrunds, ihres Alters, ihrer körperlichen oder geistigen Fähigkeiten.

Die Anerkennung und Wertschätzung von Unterschiedlichkeit ist jedoch nur der erste Schritt. Für uns als Jugendverbände greifen Konzepte von Inklusion und Vielfalt zu kurz, in denen es nur darum geht, unterschiedliche Menschen besser zusammenarbeiten zu lassen. Wir als Jugendverbände setzen uns für eine Welt ein, in der alle Menschen ohne Angst verschieden sein können.

Zu vielen dieser Kategorien hat sich der DBJR in den letzten Jahren bereits positioniert[1] und dabei jeweils einen inklusiven Ansatz gefordert. Mit dieser Position erweitert der DBJR diese Forderungen um die speziellen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen mit einer oder mehreren Behinderungen oder von Kindern und Jugendlichen, die davon betroffen sind. Dabei bleibt der ehrenamtliche und freiwillige Charakter der Jugendverbandsarbeit unberührt. Jugendverbände sind weder sonder- noch heilpädagogische Fachverbände. Ihre Kompetenz liegt eben nicht darin, zu therapieren, sondern Kinder und Jugendliche unabhängig von einer Behinderung als wertvolle Mitglieder einer Gruppe zu begreifen.

Wir erkennen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit Behinderung und die von Behinderung betroffen sind, als selbstverständlichen Teil der Gemeinschaft an. Sie müssen, wie alle Kinder und Jugendlichen, unterstützt, gefordert und gefördert werden, um dem eigenständigen Erziehungsauftrag der Jugendverbände gerecht zu werden.

Definition

Wir begreifen Behinderungsarten wie geistige, körperliche, seelische Behinderung und Einschränkungen der Sinne „nicht als etwas Absolutes, sondern als Zuschreibung, als Kategorie. Nicht der Defekt, die Schädigung, ist ausschlaggebend, sondern die Folgen für das Individuum.“ (Soziologie der Behinderten, Günther Cloerkes, 2007). Jede Behinderung wird individuell unterschiedlich erlebt (z. B. in der Schwere und den persönlichen Auswirkungen). Erst durch die subjektive Auseinandersetzung definieren sich Behinderungen. Behinderungen betreffen verschiedene Lebensbereiche. Wo manche aufgrund ihrer Behinderung beispielsweise einen Beruf nicht ausüben, können andere diesen problemlos ausführen. Auswirkungen von Behinderungen sind sehr unterschiedlich. Menschen können auch nur zeitlich begrenzt als behindert wahrgenommen werden.

Neben diese konstruktivistischen Perspektive tritt aber auch eine soziale Perspektive: Die soziale Reaktion des jeweiligen Umfelds bestimmt, ob und wie eine Behinderung erlebt wird. Hier sind wir als Jugendverbände gefordert!

Selbstverständnis

Das In-Kraft-Treten der UN-Behindertenrechtskonvention 2009 ist ein völkerrechtlicher Meilenstein, auch für Deutschland. Die Umsetzung fordert von der Bundesregierung eine große Anstrengung: Menschen mit Behinderung werden durch die Konvention in ihren Rechten gestärkt. Wo früher defizitorientiert von einem Mangel an Können ausgegangen wurde, steht nun der Mensch im Mittelpunkt, an dem sich das politische und gesellschaftliche Handeln orientieren muss.

Es ergeben sich beispielsweise rechtliche Ansprüche von Kindern und Jugendlichen zur Teilhabe am Unterricht in Regelschulen statt bisher in Förder- oder Sonderschulen. Diesen gesellschaftlichen Wandel wollen wir Jugendverbände und Jugendringe mitgestalten. Alle bei uns organisierten Kinder und Jugendlichen sowie insbesondere alle Mandatsträger_innen sind aufgerufen, sich ebenfalls an der Umsetzung der Konvention zu beteiligen, um den gesamtgesellschaftlichen Blick auf Behinderungen zu ändern.

Darüber hinaus bedarf es der Unterstützung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Behinderung und die von Behinderung betroffen sind in ihrer wachsenden Selbstbestimmung. Derzeit ist in der Wissenschaft noch die handlungsleitende Zielperspektive die Integration von Menschen mit Behinderung. Wir sehen diese Bemühungen als überholt an. Durch die Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention sehen wir die darin formulierte Perspektive der Inklusion[2] als den richtigen Weg.

Wie auch Kinder und Jugendliche mit Behinderung zunehmend mehr in Regelschulen unterrichtet werden, so ergibt sich für die Arbeit in den Jugendverbänden die Anforderung, dem Wunsch von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung zu entsprechen, an ihren Aktivitäten teilzuhaben. Diesem Wunsch wollen wir gerecht werden. Sie müssen dabei so angenommen werden, wie sie sind; mit all ihren Stärken und Schwächen. Aus diesem Selbstverständnis heraus können verantwortliche Personen in der konkreten Arbeit junge Menschen mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen und Herausforderungen wahrnehmen und unterstützen.

Teilhabe an den Angeboten der Jugendverbände soll aber nicht nur ein Mit-Machen sein. Verstärkt sollen junge Erwachsene die Möglichkeit haben, im Rahmen der Möglichkeiten und Anforderungen Verantwortung über eine reine Mitgliedschaft hinaus zu übernehmen.

Ziele

Die Arbeit in den Jugendverbänden und Jugendringen mit Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung ist für uns in ihrem Ansatz selbstverständlich. Zur Umsetzung eines inklusiven Ansatzes verfolgen wir deshalb folgende Ziele:

  • Alle – Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene – können unabhängig von ihren körperlichen, geistigen oder seelischen Kompetenzen Mitglieder in Jugendverbänden werden. Hier erfahren sie im Sinne der Inklusion, dass sie Rahmenbedingungen vorfinden oder diese ihnen geschaffen werden, unter denen sie Selbstorganisation und Teilhabe verwirklichen können. Das höchste Ziel ist dabei der Zugang zu „allen materiellen, sozialen und kulturellen Möglichkeiten und Prozessen einer Gesellschaft“. (Franz Fink, Thorsten Hinz, Inklusion in Behindertenhilfe und Psychiatrie, Lambertus, 2011)
  • Dafür brauchen wir eine Sensibilisierung in der JuLeiCaAusbildung. Ebenso soll ehrenamtlich Engagierten mit Behinderung verstärkt die Möglichkeit eröffnet werden, Leitung und Verantwortung zu übernehmen. Hierzu müssen Ausbildungskonzepte z. B. in der JuLeiCa-Ausbildung entsprechende konzeptionelle und inhaltliche Ergänzungen und Weiterführungen erhalten.
  • Bereits heute aktive ehrenamtliche Verantwortungstragende verstehen sich als Anwält_innen für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit und ohne Behinderung mit dem Ziel, Inklusion auch in der Gesellschaft zu wirklichen.
  • Die Jugendverbände und Jugendringe regen an und ermöglichen wechselseitig Begegnungen zwischen (jungen) Menschen mit und ohne Behinderung. Aus Begegnungen entstehen Beziehungen, oftmals dauerhafte.
  • Jugendverbände und Jugendringe ermöglichen (jungen) Menschen mit Behinderung die Teilnahme an ihren Angeboten. Junge Menschen mit Behinderung(en) leben aufgrund vergangener behindertenpolitischer Ausrichtungen in Deutschland auch heute noch in eigenen Strukturen der Sozial und Behindertenhilfe (SGB XII). Obwohl sie formal Teil der Gesellschaft sind, sind die Hürden sehr hoch, aus den Strukturen der Behindertenhilfe heraus und in Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) hineinzukommen. Im Sinne von Partizipation und Empowerment ist dies aus Sicht der Jugendverbände und Jugendringe kein hinnehmbarer Zustand für junge Menschen mit Behinderung. Die Jugendverbände schließen sich daher der Forderung nach einer sogenannten großen Lösung an, die die Implementierung der Leistungen für junge Menschen mit Behinderung in das Achte Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) fordert.
  • Die Teilhabe aller Mitglieder an allen Veranstaltungen und Angeboten der Jugendverbände und Jugendringe muss entsprechend ihrer Fähigkeiten möglich sein. Wichtige Schritte sind hier beispielsweise Leichte Sprache, die Bereitstellung von auslesbaren Informationen im Internet und barrierefreie Zugänge zu Gebäuden.
  • Der DBJR beschäftigt sich auch in seinen eigenen Strukturen mit einem inklusiven Ansatz für die Jugendverbandsarbeit. Der Hauptausschuss widmet sich dem Thema in einer seiner kommenden Sitzungen als Schwerpunktthema. Der Vorstand prüft die Ausrichtung eines Fachtages dazu.

Das Thema Behinderung berührt die eigene Betroffenheit, den Umgang mit dem Unbekannten und den Anspruch, eine gute Kinder- und Jugendarbeit zu machen. Ehrenamtliche Verantwortungstragende in den Jugendverbänden sind aber keine gezielt ausgebildeten Fachleute. Diesen Anspruch darf die inklusive Arbeit in den Jugendverbänden und Jugendringen auch nicht haben. Jugendverbände ersetzen keine sozialpolitischen Maßnahmen, sondern bieten allen Kindern und Jugendlichen unabhängig von Herkunft, Alter, Geschlecht oder geistigen und körperlichen Fähigkeiten eine sinnvolle und selbstbestimmte Freizeitgestaltung!

Einstimmig beschlossen auf der 86. Vollversammlung 2013 in Magdeburg.

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[1] beispielsweise:

2012 - Position 87: Auf dem Weg zur Geschlechterdemokratie ist noch viel zu tun!

2011 – Position 82: Kinder- und Jugendarmut als Problem ernst nehmen.

2010 – Position 76: Deutschland als Migrationsgesellschaft gestalten!

2008 – Position 64: Junge Menschen in Ostdeutschland brauchen bessere Lebensverhältnisse.

[2] Während Integration die bewusste Aufnahme von Menschen (z.B. mit Behinderung(en)) in bestehende Gruppen meint, bedeutet Inklusion, dass jeder Mensch einzigartig und etwas Besonderes ist. Durch die Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention sind Gesellschaft und Pädagogik dazu aufgefordert, die Individualität wahrzunehmen und alle an der Gesellschaft teilhaben zu lassen.

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