Gender

Jugend ist vielfältig – Jugend ist queer*

Die DBJR-Vollversammlung hat am 24./25. Oktober 2014 die Position „Jugend ist vielfältig – Jugend ist queer*“ beschlossen:

Jeder Mensch ist individuell. Dennoch erlernen wir alle bestimmte soziale Normen, Rollen und Fähigkeiten im Laufe unseres Lebens durch Erziehung und gesellschaftliche Sozialisation, bewusst oder unbewusst, durch die Reaktionen unserer Mitmenschen auf uns und unsere Umwelt. Dabei definiert die Gesellschaft z. B. auch, was unter Begriffen wie „schön“, „schlau“, „männlich“ und „weiblich“ zu verstehen ist. Nach diesen Kategorien werden Menschen dann eingeteilt und beurteilt; sie bestimmen unser Leben und unsere Wahrnehmung. Insbesondere was unter „weiblich“ und „männlich“ verstanden wird, ist stark gesellschaftlich geprägt. Hieraus werden häufig bestimmte Verhaltensweisen abgeleitet, die für „Männer“ und „Frauen“ jeweils angemessen scheinen. Diese Zuschreibungen bringen für einige Menschen Möglichkeiten, häufiger jedoch auch erhebliche Einschränkungen mit sich. Diese Einschränkungen verhindern ein freies und selbstbestimmtes Leben. Die Landesjugendringe und Jugendverbände im DBJR kritisieren die binäre Geschlechterlogik und setzen sich für die freie und selbstbestimmte Persönlichkeitsentfaltung junger Menschen ein – unabhängig von Herkunft, sozialem Status, Aussehen oder eben auch von Geschlecht oder sexueller Orientierung.

Gar nicht mal so (Ge)schlecht?!

In unserer Gesellschaft halten wir immer noch an unterschiedlichen Rollenmodellen für Jungen und für Mädchen fest, sei es durch Medien und Spielzeug oder durch die klassische Rollenaufteilung bei gemischtgeschlechtlichen Paaren. Sie sind geknüpft an Erwartungen an „geschlechterkonformes“ Aussehen und Verhalten. Damit bieten diese Rollenbilder oberflächlich Orientierung, engen aber wesentlich die Möglichkeiten junger Menschen in dieser Gesellschaft ein. Von äußeren Geschlechtsmerkmalen wird auf unser Denken, Handeln und Fühlen geschlossen. Schon bei der Geburt wird festgestellt, ob der Mensch „ein Mädchen“ oder „ein Junge“ ist. Inter- oder Transsexualität wird gar nicht in Betracht gezogen und gilt oft genug sogar als Defekt, der (operativ) behoben werden muss. Diese Festlegung hat weitreichende Folgen für die Zukunft eines jungen Menschen. Seine Sozialisation und die Entwicklung seines sozialen Geschlechts (gender) werden an die Feststellung des biologischen Geschlechts (sex) gekoppelt. Durch das geschlechtsspezifische Verhalten der Eltern und durch weitere Sozialisationsinstanzen wie Schule, peer group, etc. erfahren Kinder schon sehr früh, was als „männlich“ und was als „weiblich“ gilt. Am Ende dieses Prozesses werden die geschlechtsspezifischen Rollenbilder nicht mehr infrage gestellt. Dabei hat diese Einteilung in zwei grundsätzlich verschiedene Geschlechterrollen für unser Leben reale Auswirkungen.

Auch die Jugendverbände des DBJR bilden diese gesellschaftliche Realität ab. Uns ist bewusst, dass sie in ihrer Verbandsarbeit die gesellschaftlichen Rollenbilder nicht von heute auf morgen oder durch Beschluss auflösen werden können, sie sind so tief in uns verwurzelt, dass ein Leben ohne diese Rollenbilder oft gar nicht vorstellbar ist. Doch ist der Anspruch der Verbände an ihre eigene pädagogische Praxis, eine reflektierte Erziehung von Kindern und Jugendlichen durchzuführen, welche die gesellschaftlichen Unterschiede zwischen Frauen und Männern thematisiert. Dadurch sollen den jungen Menschen die Mechanismen ihrer Sozialisation bewusst werden, ihnen neue Räume eröffnet werden und ihr Selbstbewusstsein dafür gestärkt werden, ihren eigenen Platz zu finden.

Lieb doch, wen du willst!

Wir leben in einer Gesellschaft, die Heterosexualität als „normal“ bzw. als soziale Norm begreift. Diese Heteronormativität bringt in Verbindung mit der vorherrschenden binären Geschlechterlogik ein bestimmtes Verständnis davon mit sich, was unter Liebesbeziehungen und Familie verstanden wird. Es ist immer noch notwendig sich zu „outen“, wenn diesem Verständnis nicht entsprochen werden kann oder will, geschieht dies nicht, wird häufig automatisch Heterosexualität als Norm angenommen. Dies schränkt alle Liebenden ein. Das „Normal-Beziehungsverhältnis” besteht in den Köpfen vieler immer noch aus Mann und Frau, die zusammen mit Kind die wahre Familie bilden. Für andere, vielfältigere Lebensweisen fehlt häufig die Vorstellungskraft.

Selbst dort, wo beispielsweise Homosexualität toleriert wird, bleibt dies doch die untergeordnete Lebensform – von Gleichwertigkeit oder Gleichberechtigung kann lange noch nicht die Rede sein. Auch wenn sich langsam das Denken bei vielen in der Gesellschaft ändert und auch vermehrt vom klassischen Bild in der eigenen Lebensweise abgewichen wird, bleiben traditionelle Vorstellungen doch weiterhin allgegenwärtig und schlagen sich nieder in Fernsehwerbung, Betreuungsgeld, Ehegesetzen etc. Heteronormativität wird auch im Bildungssystem immer wieder reproduziert. Die Sexualaufklärung in der Schule erfolgt meist nur in Bezug auf heterosexuelle Partner_innenschaften. Bestrebungen dagegen vorzugehen, stoßen auf gesellschaftlichen Widerstand, wie zuletzt die Debatten um den Bildungsplan in Baden-Württemberg gezeigt haben. Die Abwertung von Liebesformen und Sexualität, die mit Heteronormativität einhergeht, schränkt besonders junge Menschen in ihrer Identitätsfindung massiv ein. Dabei ist klar festzuhalten, dass die anhaltende Alltagsdiskriminierung queerer Lebensweisen nicht auf das Problem fehlender Information zu reduzieren ist. Dies wird z. B. deutlich durch Ärzt_innen, die Homosexualität als behandelbare Identitätsstörung bezeichnen. Homo- und Trans*phobie (im Sinne einer Ablehnung homosexueller und transidenter, transsexueller bzw. transgender Personen) sind eben nicht einfach das Ergebnis von Missverständnissen oder fehlenden Informationen. Sie werden auch weiterhin gesetzlich festgeschrieben und umgesetzt.

Aus diesem Grund wenden sich der DBJR und die in ihm zusammengeschlossenen Jugendverbände und Jugendringe gegen jegliche Form der Diskriminierung und Ungleichbehandlung aufgrund von Geschlecht, Geschlechtsidentität oder sexueller Orientierung. Unsere Arbeit zeichnet sich aus durch:

  • Eine Reflexion der Geschlechterrollen in der verbandlichen Praxis: Gerade Gruppenleiter_innen, Helfer_ innen und Betreuer_innen stehen in der Pflicht ihre eigenen Rollenbilder zu reflektieren und den Kindern und Jugendlichen im Verband so die Willkürlichkeit von Geschlechterzuschreibungen aufzeigen.
  • Bewusste Sprache: Unsere Gesellschaft ist voller Diskriminierung derjenigen Menschen, die nicht in das dichotome Geschlechtermuster oder in das Muster der heteronormativen Sexualität hineinpassen können oder wollen. Diese Diskriminierung spiegelt sich auch in der Sprache wider, es ist demnach auf eine diskriminierungsfreie Sprache zu achten und auch in verbandlichen Publikation, aber auch beispielsweise in Vorlesebüchern darauf zu achten, dass nicht nur das gesellschaftlich tradierte Bild reproduziert wird.
  • Freiräume und neue Horizonte: Wir als Verbände stehen in der Pflicht, jungen Menschen die Möglichkeit zu geben sich frei zu entfalten, das bedeutet auch, dass wir ihnen die Möglichkeit geben, vielfältige Lebensformen kennen zu lernen und ihre Persönlichkeit als “normal” zu akzeptieren.

Weil für Homo- und Trans*phobie in unserer Gesellschaft kein Platz sein soll, fordern wir:

  • Die Öffnung der staatlichen Ehe für alle Menschen unabhängig ihrer geschlechtlichen Identität und sexuellen Orientierung.
  • Bund, Länder und Kommunen müssen die gesellschaftlichen Realitäten anerkennen und Akzeptanz und Offenheit für queere Lebensentwürfe und vielfältige Familienformen durch Information und Aufklärung fördern.
  • Außerdem braucht es die Unterstützung für Jugendinitiativen und -verbände von queeren jungen Menschen und Förderung für die Auseinandersetzung mit queeren Themen in der außerschulischen Jugendbildung, Jugendarbeit und Jugendverbandsarbeit.
  • Das Thema sexuelle Identität und Vielfalt der Geschlechter muss in allen allgemeinbildenden Schulformen im Curriculum verankert und diskriminierungsfrei behandelt werden.
  • Entpathologisierung von Trans – und Intersexualität (Streichung F 64.0 aus dem internationalen W Diagnoseschlüssel ICD).
  • Sofortiger Stopp der geschlechtszuweisenden medizinischen/chirurgischen Maßnahmen an intersexuellen Säuglingen und Kleinkindern.
  • Die Ergänzung des Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz durch die Diskriminierungsmerkmale der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität.

*)Der englische Begriff „queer“ bedeutet ursprünglich „eigenartig, sonderbar“. Der Begriff wurde und wird im englischen Sprachraum abwertend für Homosexuelle benutzt. Seit den achtziger Jahren wurde er aber umgedeutet bzw. zurückgewonnen und nun von sich als queer verstehenden Menschen positiv genutzt. Je nach Selbstdefinition fassen sich unter dem Begriff z. B. Lesben, Schwule, Bisexuelle, Intersexuelle, aber auch viele andere zusammen.

Mehrheitlich bei sieben Enthaltungen beschlossen auf der 87. Vollversammlung am 24./25. Oktober 2014 in Berlin

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