Bildung

Jugendverbände machen Bildung

Die DBJR-Vollversammlung hat am 26./27. Oktober 2012 die Position „Jugendverbände machen Bildung und noch viel mehr“ beschlossen:

Bildung aus Sicht der Jugendverbände ist ein umfassender Prozess der Entwicklung und Entfaltung derjenigen Fähigkeiten, die Menschen in die Lage versetzen zu lernen, ihre Potenziale zu entwickeln, zu handeln, Probleme zu lösen und Beziehungen zu gestalten. Es ist ein Prozess der selbstbestimmten Emanzipation, der auf die Entfaltung von Urteils-, Analyse- und Kritikfähigkeit abzielt. Sie ist die Grundlage für Teilhabe und Mitgestaltung an der Gesellschaft und umfasst alle Lebensbereiche.

Bildung ist daher ein zentrales Thema für Jugendverbände, in dem sie als Selbstorganisationen junger Menschen deren Interessen vertreten. Jugendverbände schaffen aber auch vielfältige und gute Bildungsmöglichkeiten (siehe Position 65 Bildung in Jugendverbänden), teilweise in Kooperationen, z. B. mit Schule. Alle drei Aspekte sind im Interesse junger Menschen notwendig, können sich nicht gegenseitig ersetzen und müssen daher ermöglicht und unterstützt werden: Bildung findet nicht nur an der Schule, sondern z. B. auch in Jugendverbänden statt, Jugendverbände kooperieren als Partner mit anderen Bildungsakteuren und trotzdem sind Jugendverbände vor allem und auch jenseits aller Bildungsleistungen Selbstorganisationen junger Menschen, wie sie das Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) beschreibt.

Bildung im umfassenden Verständnis der Jugendverbände kann keine Institution alleine ermöglichen – auch nicht die Schule. Trotzdem ist die Schule der Ort, der wie kein anderer über die Zukunftsperspektiven junger Menschen entscheidet. Ein guter formaler Bildungsabschluss ist zentrale Voraussetzung für Erfolg auf dem Arbeitsmarkt und damit für den Zugang zu den wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Verwirklichung eines selbstbestimmten Lebensentwurfs sowie damit letztendlich für die gesellschaftliche Teilhabe. Nach wie vor zeichnet sich das deutsche (formale) Bildungssystem jedoch durch ein hohes Maß an sozialer Selektivität und gesellschaftlicher Ungerechtigkeit aus. Gleichzeitig werden die Diskussionen über das formale Bildungssystem oft vom Interesse der Wirtschaft an der Versorgung mit Fachkräften geprägt.

Staat und Gesellschaft fokussieren Bildung und finanzielle Ressourcen zunehmend auf Schule und ignorieren dabei die anderen wichtigen Sozialisationsinstanzen und Bildungsorte. Dies geschieht in der Erwartung, die Anforderungen der Wirtschaft besser zu erfüllen und die gesellschaftlichen Schieflagen auszugleichen. In der Folge wird das System Schule mit nur schwer erfüllbaren Erwartungen und Anforderungen konfrontiert. Es wird nicht mehr nur die Sicherstellung der Erreichung des formalen Bildungsabschlusses der Schüler_innen erwartet, sondern vielmehr versucht, Schulen zu Orten umfassender Persönlichkeitsentwicklung zu machen, an denen eine Vielzahl von sozialen, kulturellen und familiären Problemen gelöst werden sollen. Auch soll der Ort Schule das Instrument zur umfassenden Förderung (benachteiligter) junger Menschen sein. Dies konkretisiert sich in der aktuellen Ausweitung der formalen Bildung, z. B. durch den Ausbau der Ganztagsschulen und die Entwicklung von schulzentrierten Bildungslandschaften, verbunden mit der Hoffnung, die beschriebenen Probleme zu lösen.

Jugendverbände sind Orte der Bildung

Bildung im Sinne einer ganzheitlichen Bildung, so wie Jugendverbände sie verstehen, kann keine Institution und Sozialisationsinstanz alleine ermöglichen. Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf die bestmögliche Bildung. Dies ist aber nur im partnerschaftlichen Miteinander aller Bildungsakteure möglich. Trotz des aktuellen politischen Fokus auf wirtschaftlich verwertbare Bildung ist Bildung mehr als das. Sie muss jungen Menschen dazu verhelfen, ihre Potenziale zu entwickeln, zu handeln, Probleme zu lösen und Beziehungen zu gestalten. Und vor allem ist sie die Grundlage für Teilhabe und Mitgestaltung an der Gesellschaft. Lernorte außerhalb formaler Bildungseinrichtungen sind für den Erfolg hinsichtlich der eigenverantwortlichen und selbstbestimmten Gestaltung des Lebens oder des Berufsweges unerlässlich.

Jugendverbände sind wichtige Orte der außerschulischen Jugendbildung. Dies wurde im 12. Kinder- und Jugendbericht und auch danach in wissenschaftlichen Studien immer wieder bestätigt. In Jugendverbänden findet informelle Bildung statt und viele Möglichkeiten der nonformalen Bildung werden angeboten. Die Grundprinzipien der Jugendverbandsarbeit wie Freiwilligkeit der Teilnahme, Selbstbestimmtheit und -organisation, Ehrenamtlichkeit sowie Partizipation prägen dabei die Inhalte und Methoden von Bildung. Sie orientiert sich an den Interessen und Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen in und außerhalb von Jugendverbänden. Bildung in Jugendverbänden:

  • basiert auf dem Interesse an freiwilligem Engagement und Verantwortungsübernahme;
  • ist charakterisiert durch selbstorganisierte Kleinund Freundesgruppen der Gleichaltrigen und / oder Gleichgesinnten und die damit verbundene positive Erfahrung von Zugehörigkeit, z.B. peerto-peer-learning;
  • findet in Freiräumen statt, die Aneignung ermöglichen und ungeplante Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen, die eine notwendige, gleichberechtigte Ergänzung zu pädagogisch gestalteten Angeboten sind;
  • bedeutet Fehlertoleranz, Stärken- und Lebensweltorientierung sowie Lernen aus Erfahrungen, die durch die Bewältigung von Aufgaben mit Ernstcharakter gemacht werden;
  • ist gekennzeichnet von Aushandlungsprozessen auf der Basis persönlicher Beziehungen, die gegenseitige Akzeptanz und Respekt vermitteln und
  • ist immer auch politische und demokratische Bildung sowie Sozialisation in einer demokratischen Gesellschaft, die stattfindet, indem demokratische Organisationsstrukturen gestaltet, erfahren und somit gelernt und verinnerlicht werden.

Jugendverbände ermöglichen die Aneignung sozialer, personaler sowie je nach Angebot instrumenteller und kultureller Kompetenzen. Dies sollten Jugendverbände gegenüber anderen Bildungsakteuren sowie Politik und Gesellschaft noch deutlicher machen. Im Gegenzug müssen Politik und Gesellschaft (wieder) anerkennen, dass in Jugendverbänden die Vermittlung notwendiger Kompetenzen stattfindet und dies wertschätzen und unterstützen, ohne diese Bildungsleistung durch Nachweis-, Validierungs- oder Zertifizierungssysteme in ein pseudoformales System pressen und vor allem ohne sie mit Methoden der formalen Bildung messen zu wollen.

Forderungen

Der Blick von Politik und Gesellschaft auf Bildung darf nicht länger weitgehend auf eine Betrachtung von Schule und anderen formalisierten Bildungsorten verengt sein. Vielmehr müssen sie anerkennen, dass Bildung auch außerhalb von Schule stattfindet. Für das gelingende Aufwachsen junger Menschen ist es unabdingbar, Bildung auch an anderen Orten und bei anderen Akteuren gezielt zu ermöglichen. Die jeweiligen Merkmale, Settings, Methoden und Voraussetzungen der einzelnen Bildungsorte müssen respektiert und akzeptiert werden.

Politik muss das partnerschaftliche Miteinander aller Bildungsakteure unterstützen und bei den jeweiligen Bildungsorten stärken und fördern, was diese entsprechend ihrer Besonderheiten leisten können. Das heißt auch, dass einzelne Bildungsorte, wie derzeit die Schule, nicht überfordert bzw. überfrachtet werden dürfen.

Schule ist ein Lebensraum der Schüler_innen, sie dient aber zuallererst der formalen Bildung. Als solche muss sie weiterentwickelt und verbessert werden. Oberstes Ziel muss dabei sein, der starken sozialen Selektivität des (formalen) deutschen Bildungssystems entgegenzuwirken.

Dort, wo gesellschaftliche Entwicklungen dazu führen, dass Schule einen immer größeren Teil der (täglichen) Zeit junger Menschen einnimmt – wie es z. B. für die Entwicklung von Ganztagsschulen gilt –, muss dafür Sorge getragen werden, dass nicht nur formale Bildung stattfindet. Dazu ist jedoch die Kooperation mit andern Bildungsakteuren und -orten zu suchen ohne die Notwendigkeit und Bedeutung der anderen Sozialisationsinstanzen infrage zu stellen.

Jugendverbände müssen bereit sein, mit wissenschaftlicher Unterstützung ihr Bildungsspektrum inhaltlich präziser zu beschreiben und darzustellen, welche Bildungsdimensionen, Inhalte und Modalitäten zum Tragen kommen sowie diese in den gesellschaftlichen Diskurs deutlicher einbringen.

Jugendverbände sind Bildungspartner!

Jugendverbände sind keine isoliert existierenden Bildungsorte. Ihre Angebote sind offen für alle jungen Menschen und orientieren sich an der Lebenswelt und dem Sozialraum von Jugendlichen. Damit verstehen sie sich als Bildungsakteure im lokalen Raum. Als solche haben sie Interesse daran, sich mit anderen Bildungsakteuren zu vernetzen, zu kooperieren und ihr spezifisches Bildungspotenzial einzubringen. Das Schulsystem und das der Jugendarbeit ergänzen sich, können sich aber nicht ersetzen. Freiwilligkeit, Beteiligung, Mitwirkung und selbst gestaltete Bildungsprozesse sind die wesentlichen (Ermöglichungs-) Faktoren der Bildung in Jugendverbänden. Dies steht im Unterschied oder gar Gegensatz zum Pflichtsystem Schule, welches vor allem noch durch ein curriculares, unterrichtsnahes und im Regelfall nach wie vor von Leistungskontrolle bestimmtes Lernen geprägt ist. Die Konsequenz daraus ist die Notwendigkeit einer Kooperation zwischen dem Schulsystem und den Trägern der Jugendarbeit, vor allem den Jugendverbänden.

Schule erreicht als Pflichtsystem theoretisch alle jungen Menschen im schulpflichtigen Alter. Jugendarbeit erreicht nur den Teil, der Kenntnis von ihren Angeboten erlangt, der sich motivieren lässt und dem aufgrund der jeweiligen persönlichen Situation eine Teilhabe möglich ist, was spätestens bei Fragen der Mobilität und Erreichbarkeit der Angebote deutlich wird. Sie erreicht aber junge Menschen auch dann, wenn sie von der Schule nicht oder maximal eingeschränkt erreicht werden: zeitlich (nach der Schule, an den Wochenenden, in den Ferien), biografisch (nach der Schulzeit) und oft auch diejenigen, die Schule trotz Pflichtsystem nicht erreicht (z. B. Schulverweigerer). Vor allem aber erreicht Jugendarbeit junge Menschen auf freiwilliger Basis, was für die Motivation neben Mitbestimmungsmöglichkeiten, eigenem Interesse und Praxisbezug eine wesentliche Rolle spielt.

Jugendverbände müssen im Interesse junger Menschen ihre Stärken auch an der Schule einbringen können und dies auch tun. Aktuell bedeutet der Ausund Aufbau der Ganztagsschulen, dass sie die sich daraus ergebenden Chancen nutzen können, um dort gute Angebote für Kinder und Jugendliche zu machen. Wenn Schule zur Ganztagsschule wird, braucht sie

Partner, die einen anderen Blick auf Kinder und Jugendliche mitbringen und die keine Lehrpläne und Leistungsziele für sie entwerfen, sie nicht bewerten oder benoten wollen.

In diesen Kooperationen werden die Jugendverbände immer der schwächere Partner sein. Sie sind der Schule personell und materiell unterlegen. Insbesondere die Basis der Jugendverbände, das ehrenamtliche Engagement (junger) Menschen, kann in vielen Fällen (alleine) die Kooperationsleistungen nicht sicherstellen. Um zu vermeiden, dass Schule in den Kooperationen einseitig die inhaltlichen und formalen Fragen bestimmt und damit erschwert oder verhindert, dass Jugendverbände ihre Stärken einbringen können, müssen die Kooperationen trotzdem so ausgestaltet sein, dass sie die gleichberechtigte Zusammenarbeit beider Partner gewährleisten. Jugendverbände sind keine Lückenfüller, die eine preiswerte Beaufsichtigung von Schüler_innen sicherstellen. Kooperationen sind nur dann sinnvoll, wenn sich beide Partner mit ihren spezifischen Potenzialen und damit auch Eigenheiten einbringen können.

In Kooperation mit Schule werden die Angebote der Jugendverbände immer einen anderen Charakter haben als außerhalb, wesentliche Merkmale der Jugendverbandsarbeit sind im schulischen Kontext nicht möglich. Jugendverbandsarbeit kann im Rahmen von (Ganztags-)Schule Kindern z. B. praktische Fertigkeiten vermitteln und/oder dabei auch gezielt erlebnisund kulturpädagogische Elemente einsetzen und so auch die sozialen Kompetenzen trainieren. Ein solches Angebot am Ort Schule kann aber niemals eines sein, an dem Jugendliche aus unterschiedlichen sozialen Kontexten zusammenkommen, nie eine Gruppe, die sich ihre eigenen Regeln gibt, nie eine Organisation in der Verantwortung von Jugendlichen. Sie kann auch nicht die Entscheidung über Aktivitäten mit aller Konsequenz in die Hände ihrer Mitglieder legen.

Angebote der Jugendverbände an Schulen können daher nicht die Gruppenarbeit außerhalb als zentrale Form der Selbstorganisation von jungen Menschen ersetzen. Daher bedeutet Kooperation der Systeme auch zukünftig, dass es sowohl gemeinsame als auch jeweils eigenständige Angebote, Maßnahmen und Projekte geben muss.

Ein wichtiges Instrument der Interessenvertretung junger Menschen ist die Vernetzung innerhalb der regionalen Bildungslandschaften. Dabei bringen Jugendverbände die Interessen junger Menschen auch in die Weiterentwicklung und Ausgestaltung der formalen Bildung ein – sei es konkret-praktisch z. B. an der einzelnen Schule, auf der strukturellen Ebene z. B. durch (jugendpolitische) Einmischung in die Schulentwicklungsplanung, im Rahmen der Jugendförderplanung oder in gesellschaftlich-politische Diskussionsprozesse.

Forderungen

Dort, wo sich die (tägliche) Schulzeit aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen ausdehnt, muss Schule mehr leisten als nur formale Bildung.

Schule ist (insbesondere dann) gefordert, sich für die Zivilgesellschaft, für andere Bildungsorte und eine andere, ganzheitliche Sicht auf Bildung zu öffnen. Sie muss Kooperationen zulassen und Rücksicht auf den kleineren, ressourcenschwächeren Partner nehmen.

Staat und Gesellschaft sind gefordert, ihre Verantwortung für die junge Generation ernst zu nehmen und – z. B. durch die Bereitstellung ausreichender Ressourcen und durch eine kritische Überprüfung der Ansprüche an den Umfang und Inhalt der schulischen Curricula – es Schule und Jugendarbeit zu ermöglichen, zu kooperieren statt zu konkurrieren. Dazu gehört auch eine ausreichende finanzielle Ausstattung, die es Jugendverbänden ermöglicht, sich adäquat in Kooperationen einzubringen, d. h. insbesondere auch eine ausreichende finanzielle Ausstattung auf lokaler Ebene.

Jugendverbände müssen sich im Interesse der Kinder und Jugendlichen in Schule und das gesamte System der formalen Bildung einmischen und einbringen, vor allem da, wo Schule sich zeitlich ausdehnt, z. B. in Ganztagsschulen. Jugendverbandsarbeit muss sich dabei anpassen, darf ihre Prinzipien jedoch nicht verlieren und – ganz wichtig – ihre eigenständigen Angebote nicht aufgeben.

Junge Menschen brauchen mehr als Bildung

Junge Menschen brauchen mehr als Bildung. Jugendverbände dürfen sich daher in ihrem Handeln nicht auf die Erbringung von Bildungsleistungen reduzieren lassen. Ihre Existenzberechtigung beziehen sie in erster Linie aus ihrem Selbstbild und ihrer Arbeit als Selbstorganisationen und Zusammenschlüsse junger Menschen sowie als Orte der selbstbestimmten Freizeitgestaltung. Jugendverbände werden daher ihren Schwerpunkt immer außerhalb von Schule haben.

Junge Menschen benötigen neben der notwendigen Anregung und Erziehung Freiräume als Räume ohne staatliche oder gesellschaftliche Vordefinitionen, in denen das Aufwachsen so wenig wie möglich von außen gesteuert oder normiert wird. Dies trifft auch und insbesondere auf zeitliche Freiräume zu. Junge Menschen haben neben dem Recht auf Bildung daher auch ein Recht auf Freizeit und eigenständige Persönlichkeitsentwicklung außerhalb formalisierter Institutionen.

Die Zeit, die junge Menschen für formale und verpflichtende Bildungsangebote aufbringen müssen, dehnt sich aus – im Alltag und in der Biografie. Das ist genau die Zeit, die junge Menschen nicht frei gestalten können, in der sie nicht an den Angeboten der Jugendarbeit entsprechend ihrer Wünsche und Vorstellungen teilhaben können. Und es ist auch genau die Zeit, in der diese jungen Menschen sich nicht freiwillig, selbstbestimmt entsprechend ihrer Interessenlage – z. B. in Jugendverbänden – für andere junge Menschen engagieren können. Aber Jugendverbände und Jugendarbeit leben vom Engagement vor allem junger Menschen.

Die Ausdehnung der täglichen Schulzeit durch Einführung von Ganztagsschulen und achtjährigen Gymnasien (G8) reduziert die Freiräume von Schüler_innen für freiwilliges und selbstbestimmtes Engagement. Ähnliche Folgen sind seit der Einführung der BA/MAStudiengänge an vielen Hochschulen zu beobachten: verschulte Studienpläne, erhöhter Leistungsdruck und überladene Lehrpläne führen dazu, dass viele Studierende immer weniger Zeit für ihr ehrenamtliches Engagement aufbringen können. Gleichzeitig wird an vielen Orten versucht, bürgerschaftliches Engagement, das Sich-Einsetzen und Übernahme von Verantwortung für andere und für die Gesellschaft mit unterschiedlichen Modellen im Rahmen von Schule und Hochschule zu vermitteln und einzuüben. Letzteres kann ersteres jedoch nicht ersetzen, dies belegen bereits die Zahlen, die z. B. im 3. Freiwilligensurvey oder im 3. Nationalen Bildungsbericht veröffentlicht wurden.

Forderungen

In Politik und Gesellschaft ist die Auseinandersetzung mit der Notwendigkeit der eigenständigen, selbstorganisierten Entwicklung junger Menschen, der Aneignung von nicht vordefinierten (zeitlichen) Räumen und der nicht fremdgesteuerten Gesellung zu führen.

Schule muss ihren Bedarf an der täglichen Zeit junger Menschen auf das wirklich Notwendige begrenzen, damit diese auch an anderen Bildungsorten und an anderen Bildungsleistungen partizipieren können. Dazu gehören Lehrpläne und -inhalte überprüft. Konkret müssen:

  • zeitliche Freiräume (wieder) geschaffen werden. Daher fordert der Deutsche Bundesjugendring (DBJR) eine maximal 35-Stunden-Woche für Schüler_innen, geschützte, prüfungsfreie Ferienzeiten für Studierende sowie die langfristige Bekanntgabe von Klausur- und Prüfungsterminen. Zudem muss die Regelstudienzeit – sowie die damit einhergehende Förderdauer nach dem Bundesausbildungsfördergesetz (BAföG) – aufgrund nachgewiesenen ehrenamtlichen Engagements in einem Jugendverband verlängert werden können.
  • verlässliche Zeiten, die frei und selbstbestimmt genutzt werden können, ermöglicht werden. Daher fordert der DBJR, dass es Unterrichtsplanung, Lehrplaninhalte etc. allen Schüler_innen i.d.R. ermöglichen, alle schulischen Aufgaben bis spätestens 16 Uhr erledigt zu haben.
  • junge Menschen sich (wieder) freiwillig und selbstbestimmt entsprechend ihrer Interessenlage engagieren können. Jugendarbeit auf Basis ehrenamtlichen Engagements muss weiter ebenso möglich sein wie Selbstorganisation, Gesellung und Peer-Groups außerhalb von Schule. Daher fordert der DBJR einen bundeseinheitlichen freien Nachmittag unabhängig von der Schulform (also auch im Rahmen von Ganztagsschulen).
  • mindestens zwei Sommerferienwochen bundesweit gemeinsam sein, um Aktivitäten zu ermöglichen, an denen junge Menschen aus allen Bundesländern teilnehmen können.
  • bundesweit verbindliche Freistellungsregelungen für Auszubildende, Schüler_innen und Studierende geschaffen werden.

Gesellschaft, Staat, Politik und Verwaltung müssen die Leistungen der Jugendverbände unabhängig von ihren Bildungsleistungen anerkennen und die eigenverantwortliche Tätigkeit der Jugendverbände und Jugendgruppen unter Wahrung ihres satzungsgemäßen Eigenlebens fördern, denn in Jugendverbänden und Jugendgruppen wird Jugendarbeit von jungen Menschen selbst organisiert, gemeinschaftlich gestaltet und mitverantwortet. Weiterhin werden Anliegen und Interessen junger Menschen zum Ausdruck gebracht und vertreten.

In diesem Sinne erwartet der DBJR von einer Eigenständigen Jugendpolitik, dass sie Partei ergreift für die Jugendarbeit und deren Eigenständigkeit auch gegenüber dem Bildungssystem absichert. Damit einhergehend muss sie ihren Gestaltungsanspruch über den Bereich des Ressorts des Bundesjugendministeriums (BMFSFJ) hinaus ausdehnen und auch auf die Bildungspolitik im Interesse junger Menschen Einfluss nehmen.

Von der 85. Vollversammlung am 26.|27.10.2012 in Berlin einstimmig beschlossen.

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