Stellungnahme zum Referent*innenentwurf des Wehrdienst-Modernisierungsgesetzes
Der Deutsche Bundesjugendring (DBJR) nimmt aus Sicht junger Menschen zu ausgewählten Punkten des Referent*innenentwurfs für das Wehrdienst-Modernisierungsgesetz (WDModG) Stellung. Unkommentierte Punkte des Entwurfs bedeuten keine Zustimmung.
Grundsatzposition
Der DBJR lehnt jede Form verpflichtender Dienste – ob militärisch oder zivil – entschieden ab. Das Engagement junger Menschen lebt von Freiwilligkeit, nicht von Zwang. Junge Menschen, die sich für einen Dienst in der Bundeswehr entscheiden, müssen dies aus freiem Willen tun können – unbeeinflusst, gut informiert und im Bewusstsein der damit verbundenen Risiken. Jede Form direkter oder indirekter einseitiger Einflussnahme auf diese Entscheidung ist aus Sicht des DBJR nicht akzeptabel. Die Einführung rechtlicher Verpflichtungen – wie etwa verpflichtender Bereitschaftserklärungen, Musterungen oder Einberufungsermächtigungen – steht im klaren Widerspruch zu diesem Grundsatz.
Pflicht zur Bereitschaftserklärung für junge Männer
(vgl. § 15a WPflG-E „Bereitschaftserklärung“)
Die verpflichtende Bereitschaftserklärung für männliche Wehrpflichtige ab dem Geburtsjahrgang 2008 stellt eine neue Form staatlicher Erfassung dar – obwohl die allgemeine Einberufung weiterhin ausgesetzt ist. Auf behördliche Aufforderung hin müssen Betroffene persönliche Angaben zu Qualifikationen, körperlicher Leistungsfähigkeit und ihrem Interesse am Wehrdienst machen.
Der vermeintlich „vorbereitende“ Charakter dieser Maßnahme verschleiert ihre tatsächliche Wirkung: Sie schafft Erwartungsdruck, institutionalisiert Verfügbarkeiten und leitet faktisch eine Struktur für mögliche spätere Einberufungen ein. Besonders kritisch ist, dass die Erhebung der Daten einem doppelten Zweck dient: Sie soll einerseits das Interesse am Wehrdienst fördern, andererseits im Spannungs- oder Verteidigungsfall zur Priorisierung bei Einberufungen herangezogen werden. Hier besteht die Gefahr, dass junge Menschen nicht vollumfänglich über die Konsequenzen ihrer Angaben informiert sind.
Zudem beschränkt sich die Abfrage laut dem Referent*innenentwurf ausschließlich auf militärische Einsatzmöglichkeiten. Ein modernes Verständnis gesellschaftlicher Verantwortung muss jedoch auch ziviles Engagement gleichwertig berücksichtigen. Die einseitige Fokussierung entwertet andere Formen des freiwilligen Engagements – etwa im sozialen, ökologischen oder kulturellen Bereich – und degradiert sie zu nachrangigen Alternativen.
Besorgniserregend ist auch die gezielte Fokussierung auf junge Jahrgänge, die offenbar als besonders verfügbar und flexibel gelten. Der Gesetzentwurf argumentiert offen, dass diese Altersgruppe „noch nicht nachhaltig etabliert“ sei – ein Ausdruck, der eine problematische Sichtweise offenbart: Junge Menschen werden in ihrer Lebensrealität als weniger schutzwürdig wahrgenommen. Ihre Lebensentwürfe – oft geprägt von Ausbildung, Studium oder beruflicher Orientierung – werden damit als weniger verbindlich bewertet. Diese Haltung widerspricht dem Anspruch auf Selbstbestimmung und Respekt gegenüber jungen Biografien. Die Flexibilität junger Menschen darf nicht zum strategischen Hebel staatlicher Zugriffspolitik gemacht werden.
Hinzu kommt: Der demografische Wandel führt dazu, dass die Zahl junger Menschen kontinuierlich abnimmt. Der Versuch, allein aus dieser Gruppe eine tragfähige personelle Grundlage für den Wehrdienst zu entwickeln, greift daher zu kurz. Auch innerhalb der Bundeswehr wird zunehmend betont, dass es nicht nur um Rekrutierung „an der Waffe“ geht – vielmehr besteht ein wachsender Bedarf an qualifizierten Fachkräften, etwa in Bereichen wie Logistik, Infrastrukturinstandhaltung oder Technik. Ein nachhaltiger Aufbau von Kapazitäten und sogenannter „Backbonestrukturen“ lässt sich jedoch nicht allein durch Bereitschaftsabfragen bei jungen Menschen realisieren.
Musterungspflicht
(vgl. § 17 WPflG-E „Musterung“)
Ab dem 01. Juli 2027 sind nach dem Referent*innenentwurf alle Wehrpflichtigen der nach dem 31. Dezember 2007 geborenen Jahrgänge – beginnend mit dem Jahrgang 2008 – zu einer Musterung verpflichtet.
Aus Sicht des DBJR setzt eine Musterung ohne aktive Einberufungspflicht junge Menschen pauschal einem Generalverdacht der militärischen Verwendbarkeit aus. Musterungen dürfen aus Sicht des DBJR nur auf freiwilliger Basis erfolgen.
Verordnungsermächtigung zur Einberufung zum Grundwehrdienst
(vgl. § 2a WPflG-E „Verordnungsermächtigung“)
§ 2a WPflG-E ermöglicht der Bundesregierung, mit Zustimmung des Bundestags per Rechtsverordnung anzuordnen, dass ungediente Wehrpflichtige zum Grundwehrdienst nach § 5 einberufen werden, wenn die verteidigungspolitische Lage einen schnellen Aufwuchs der Streitkräfte zwingend erfordert, der auf freiwilliger Grundlage nicht erreichbar ist. Die Dauer des Grundwehrdienstes wird in der Rechtsverordnung in Monaten festgelegt und beträgt mindestens sechs und höchstens zwölf Monate. Die Rechtsverordnung bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrates.
Diese Regelung markiert aus Sicht des DBJR einen Bruch mit der bisherigen gesetzlichen Systematik. Seit dem Wehrrechtsänderungsgesetz von 2011 ist die Einberufung zum Grundwehrdienst ausgesetzt; nach geltendem Recht war eine verpflichtende Heranziehung junger Männer nur im Rahmen eines förmlich festgestellten Spannungs- oder Verteidigungsfalls zulässig – ein Ausnahmezustand, der im Grundgesetz klar definiert und mit hohen Hürden versehen ist (vgl. Art. 115a GG). Der neu eingeführte § 2a WPflG-E ermöglicht eine verpflichtende Einberufung bereits bei einer nicht näher konkretisierten „verteidigungspolitischen Lage“. Künftig könnten bereits politisch angespannte, aber nicht verfassungsrechtlich außergewöhnliche Situationen als ausreichende Grundlage für Zwangsdienste herangezogen werden – ohne dass ein tatsächlicher Spannungs- oder Verteidigungsfall im Sinne des Grundgesetzes festgestellt werden müsste.
Der DBJR spricht sich nachdrücklich gegen die Einführung dieser Verordnungsermächtigung aus. Die Einberufung zum Grundwehrdienst sollte aus Sicht des DBJR ausschließlich unter den im Grundgesetz vorgesehenen Voraussetzungen erfolgen – also nur dann, wenn Bundestag und Bundesrat formell einen Spannungs- oder Verteidigungsfall festgestellt haben. Die damit verbundenen hohen verfassungsrechtlichen Hürden – einschließlich der erforderlichen qualifizierten Mehrheit im Bundestag – dienen dem Schutz grundlegender Freiheitsrechte und der demokratischen Kontrolle staatlichen Handelns. Eine Abkehr von diesen Standards durch einfachgesetzliche Umgehungsmechanismen schwächt nicht nur die verfassungsmäßig garantierten Schutzmechanismen, sondern untergräbt auch das Vertrauen junger Menschen in eine verlässliche, rechtsstaatlich legitimierte Sicherheits- und Wehrpolitik.
„Freiwillige“ Bereitschaftserklärung für Nicht-Wehrpflichtige
(vgl. § 58c SG-E)
Nicht-wehrpflichtige Personen sollen freiwillig eine Bereitschaft zum Dienst erklären können, unterstützt durch Anwerbung, Beratung oder Anreizsysteme. So sieht § 31b SG-E z. B. einen Zuschuss von bis zu 3.500 Euro zum Erwerb einer Fahrerlaubnis für Freiwillige vor.
Der DBJR betont, dass die Entscheidung für einen militärischen Dienst frei von ökonomischem Druck oder staatlichen Erwartungen sein muss. Bildungszugang oder berufliche Förderung dürfen nicht an militärisches Engagement gekoppelt werden. Die Annahme, dass durch gezielte Ansprache, Beratung und Anreizsysteme die Bereitschaft junger Menschen für einen freiwilligen Militärdienst gesteigert werden kann, ist aus Sicht des DBJR zudem widersprüchlich. Denn wenn man meint, der Militärdienst müsse besonders beworben und attraktiver gemacht werden, um freiwillig gewählt zu werden, bedeutet das zugleich, dass dieser Dienst von sich aus nicht gleichwertig oder ansprechend genug ist. Würde man dieses Argument konsequent auf alle Formen freiwilligen Engagements anwenden, müsste man auch soziale, ökologische oder kulturelle Dienste mit denselben Mitteln gezielt fördern. Im Entwurf wird jedoch vor allem der militärische Dienst besonders unterstützt, während zivilgesellschaftliches Engagement vergleichsweise wenig Beachtung findet. Diese einseitige Bevorzugung widerspricht dem Grundsatz echter Freiwilligkeit und Gleichwertigkeit aller Engagementmöglichkeiten. Der DBJR fordert daher, dass freiwilliges Engagement – egal in welchem Bereich – durch gleiche, faire Rahmenbedingungen gestärkt wird, ohne dass bestimmte Optionen durch gezielte staatliche Förderung bevorzugt werden.
Fehlende Gesamtstrategie für zivilgesellschaftliches Engagement
(vgl. § 1 Abs. 2 KDVG-E, § 25 und § 11 Abs. 2 WPflG-E)
Aus Sicht des DBJR fehlt bislang eine konsistente und zukunftsorientierte Gesamtstrategie zur Stärkung zivilgesellschaftlichen Engagements – insbesondere im Verhältnis zur mit dem Wehrdienstmodernisierungsgesetz verfolgten Personalgewinnung für die Bundeswehr. Ohne eine solche strategische Rahmensetzung besteht die Gefahr, dass freiwilliges, zivilgesellschaftliches Engagement an Bedeutung verliert und zunehmend durch verpflichtende Formate verdrängt wird. Der DBJR fordert daher eine kohärente, partizipativ entwickelte Gesamtstrategie, die freiwilliges Engagement schützt, stärkt und fördert – und dabei junge Menschen sowie zivilgesellschaftliche Organisationen konsequent einbezieht. Freiwilliges Engagement darf nicht als Lückenfüller staatlicher Strukturen verstanden werden, sondern muss als eigenständiger und gleichwertiger Beitrag zur gesellschaftlichen Verantwortung anerkannt werden.
Fehlende Beteiligung junger Menschen
Trotz der weitreichenden Auswirkungen auf junge Menschen wurden ihre Perspektiven im Gesetzgebungsverfahren bislang nicht systematisch einbezogen. Einen derart tiefgreifenden Eingriff in ihre Lebensplanung und Freiheitsrechte ohne aktive Beteiligung vorzunehmen, widerspricht grundlegenden Prinzipien demokratischer Teilhabe.
Aus Sicht des DBJR zeigt sich darin ein eklatanter Mangel an intergenerationeller Solidarität: Während von jungen Menschen gesellschaftlicher Einsatz erwartet wird, bleiben ihre Anliegen in politischen Entscheidungsprozessen zu häufig unberücksichtigt. Eine solidarische Gesellschaft muss jedoch sicherstellen, dass alle Generationen – insbesondere jene, die politische Entscheidungen langfristig tragen – in deren Ausgestaltung einbezogen werden. Es braucht verbindliche, frühzeitige und ernstgemeinte Beteiligungsformate für junge Menschen – insbesondere bei Gesetzesvorhaben mit tiefgreifenden Folgen für ihren Lebensverlauf.
Der DBJR stellt fest: Der Gesetzentwurf greift tief in das Selbstbestimmungsrecht junger Menschen ein und schafft strukturelle Voraussetzungen für eine mögliche Reaktivierung der Wehrpflicht – ohne offene, transparente und beteiligungsorientierte gesellschaftliche Debatte. Die politische Einbindung der noch nicht Wahlberechtigten bleibt bislang unzureichend.
Der DBJR fordert:
- die Streichung der verpflichtenden Erfassungs- und Musterungsregelungen (§§ 15a, 17, 2a WPflG-E);
- die Streichung der geplanten Verordnungsermächtigung zur Einberufung im Frieden (§ 2a WPflG-E) und die ausschließliche Bindung der Wehrpflicht an die verfassungsrechtlich vorgesehenen Ausnahmefälle;
- die Vermeidung jeder gesetzlichen Konstruktion, die faktischen Druck zur Entscheidung für den Wehrdienst erzeugt – insbesondere gegenüber sozial benachteiligten Gruppen (§ 58c SG-E);
- die verbindliche, frühzeitige und dauerhafte Einbindung junger Menschen in alle politischen Vorhaben, die ihre Lebensrealitäten unmittelbar betreffen;
- die gleichwertige Förderung freiwilligen zivilgesellschaftlichen Engagements unter fairen Bedingungen – ohne strukturelle Bevorzugung des Wehrdienstes; echte Freiwilligkeit setzt voraus, dass alle Optionen ohne finanzielle Nachteile und soziale Hürden frei wählbar sind;
- die Initiierung einer breiten gesellschaftspolitischen Debatte über Wehrpflicht, Frieden und Sicherheit in der junge Menschen als gleichberechtigte Akteur*innen ernst genommen und gehört werden.
Berlin, der 13.08.2025