Über Antifeminismus zur Volksgemeinschaft. Was es in Bezug auf antifeministische Propaganda zu wissen gibt

Layout und Gestaltung: Rebekka Posselt

Vorwort von Onna Buchholt (Bundesverband Mobile Beratung). Interview von Julia Klatt (Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Köln) mit Julia Haas und Ronja Heukelbach (beide Spotlight)Rechtsextreme versuchen auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen, ihre Einflussnahme zu vergrößern. Neben Angriffen extrem rechter Parteien auf zivilgesellschaftliche Akteur*innen und Versuche der Unterwanderung von Vereinsstrukturen sind auch die Sozialen Medien ein Handlungsfeld, in dem Rechtsextreme nach Anhänger*innen suchen. Gerade antifeministischer und queerfeindlicher Content bietet Anschlussmöglichkeiten für extrem rechtes Denken. Auf unterschiedlichen Plattformen kommen Jugendliche hier mit solchen Posts und Videos in Berührung, ohne nach diesen zu suchen. Eine Studie des „Polarization & Extremism Research and Innovation Lab“ der American University in Washington fand heraus, dass neuen Accounts 16-jähriger Jugendlicher innerhalb von weniger als neun Minuten antifeministischer Content angezeigt wird.1 Dabei sind die Grenzen zwischen antifeministischen Inhalten und weiteren Bestandteilen rechtsextremer Ideologie fließend, denn die Auseinandersetzung mit Männlichkeit und dessen vermeintlicher Unterdrückung durch Feminist*innen stellt einen Kern rechter Krisendiagnosen dar.2 Zugleich können Rechtsextreme inhaltlich an hohe Zustimmungswerte zu Sexismus und Antifeminismus in der Mehrheitsgesellschaft anknüpfen.3 Das macht antifeministische Kampagnen auf Social Media und darüber hinaus so gefährlich für demokratische Gesellschaften. Das folgende Interview mit zwei Mitarbeiter*innen von Spotlight beleuchtet überblicksartig unterschiedliche Dimensionen, die in Bezug auf Antifeminismus relevant sind. „Spotlight – Antifeminismus erkennen und begegnen“ ist ein Projekt der Wuppertaler Initiative für Demokratie und Toleranz e.V..Ziel des Projektes ist es, die Gefahren und antidemokratischen Dynamiken von Antifeminismus sichtbar zu machen und ihnen entgegenzuwirken. Die Mobile Beratung arbeitet seit jeher eng mit Spotlight zusammen.Dieses Interview von Julia Klatt (MBR Köln) ist unter dem Titel „Feministische Errungenschaften müssen immer wieder verteidigt werden. Interview mit dem Projekt Spotlight“ in einer längeren Fassung als Teil der Publikation „Seit 15 Jahren unterwegs. 2008–2022. Perspektiven auf Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in NRW“ der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in NRW erschienen. Wir danken herzlich für die Erlaubnis, es gekürzt mit aufzunehmen!

Julia Klatt: Wo begegnete und begegnet euch Antifeminismus in der Beratungsarbeit?

Ronja Heukelbach: Bei der Recherche zu rechten AkteurInnen4 gibt es unfassbar viel zum Thema Antifeminismus, angefangen von der rechten Frauen-Gruppierung Lukreta über Diskussionen zu Schwangerschaftsabbrüchen bis hin zur Auseinandersetzung mit der Frauenquote. In Erinnerung geblieben ist mir auch ein Beratungsfall, in dem eine Frauenberatungsstelle mit antifeministischen und rassistischen Aussagen von Klientinnen konfrontiert wurde. Die dabei getätigte Ethnisierung sexualisierter Gewalt ist eine gängige Verknüpfung, die uns immer wieder begegnet. Ansonsten ist Antifeminismus oft unterschwellig Thema, z. B. in Workshops zur extremen Rechten oder auch in Qualifizierungs- und Begleitungsprozessen. Dabei geht es oft um Auslassungen und ein – absichtliches oder unabsichtliches – Unsichtbarmachen von rechtsextremen Aktivistinnen. Ein gutes Beispiel ist der Blick auf das NSU-Kerntrio: So berichteten manche Medien, dass Beate Zschäpe an Verhandlungstagen gestylt war, aber nicht welche Ideologieelemente sie vertritt. Aktivismus von Frauen in der extremen Rechten wird ständig verharmlos; der „richtige“ Nazi ist dann eben doch wieder der Mann. Ebenso unterbelichtet ist, welche Rolle der Antifeminismus für rechte Frauen spielt.

Julia Haas: Das gilt auch für die Beratungsarbeit. Hier ist es wichtig, zu reflektieren, wo Blicke geschärft werden müssen, wie der Umgang mit Beratungsnehmenden ist und wie Geschehnisse analysiert werden. Die Fälle sind da, sie wurden nur lange Zeit nicht „bespielt“. Vielen Leuten ist gar nicht bewusst, was Antifeminismus ist und ob sie davon betroffen sind. Sie fragen sich nach einem Vorfall: „War das nun ein antifeministischer Angriff und habe ich damit verbunden ›das Recht‹, Beratung in Anspruch zu nehmen?“ Genau da setzt Spotlight an: Den Begriff Antifeminismus zu (er)klären und zu vermitteln, dass es hierfür Hilfsangebote gibt.

Welche Rolle spielt Antifeminismus in der extremen Rechten heute?

Julia Haas: Etwas runtergebrochen beruht extrem rechtes Denken auf dem Glauben an eine Volksgemeinschaft. Bildhaft gesprochen ist man als Teil dieser gefühlten Schicksalsgemeinschaft nur ein Rädchen im Getriebe. Um das Getriebe am Laufen zu halten, müssen alle Rädchen am richtigen Platz sein und ihre Aufgabe erfüllen. Geschlecht und Ethnie sind klare Platzanweiser in diesem Konstrukt, und darüber wird eine eindeutige Identität geformt. Es bedarf also eindeutigen Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit, die sich in ihrer Verschiedenheit ergänzen und für die Reproduktion zuständig sind. Feminismus, der diese eindeutig konnotierten Rollen in Frage stellt, ist der extremen Rechten quasi zwangsläufig ein Dorn im Auge. Und wenn nun in neueren Debatten die biologischen Gegebenheiten von nur zwei Geschlechtern in Frage gestellt werden, gerät das ganze rechte Denksystem ins Wanken. Das ist eine unheimliche Bedrohung der „natürlichen“ Identität. So wird Antifeminismus zur selbstverständlichen und logischen Agenda von extrem rechten AkteurInnen, die an vielen Stellen mit Rassismus gekoppelt ist. Auf die Verschiebung von sexualisierter Gewalt auf „die Anderen“ hat Ronja ja schon verwiesen. Rechte Aktivist*innen rund um Lukreta sprechen dann von „importierter Gewalt“. Hier gibt es auch einen Link zu Teilen einer „aufgeklärten Mehrheitsgesellschaft“, die liberale Werte gegen die vermeintlich reaktionären Zugewanderten zu verteidigen sucht.

Im Kern antifeministischer Denkmuster steckt die Verhinderung der Teilhabe aller – das steht meinem Verständnis einer demokratischen Gesellschaft entgegen. Antifeminismus ist also wie andere Ungleichwertigkeitsideologeme antidemokratisch.

Antifeminismus wird eine Scharnierfunktion zugeschrieben. Was ist damit gemeint?

Julia Haas: Antifeminismus ist als Thema ein Scharnier zwischen der extremen Rechten und beispielsweise christlichen Fundamentalist*innen oder anderen konservativen Kreisen. Ein FAZ-Journalist schreibt teilweise ebenso antifeministische Texte wie die ehemalige Tagesschau Moderatorin Eva Hermann oder Birgit Kelle, die als eine der antifeministischen Figuren publizistisch tätig ist. Am Beispiel der „Demo für alle“ lässt sich eindrücklich durchdeklinieren, dass Antifeminismus ein sehr starkes Bindeglied sein kann. In Baden-Württemberg sollte vor einigen Jahren der Bildungsplan geändert werden, um Sexualerziehung offener zu gestalten und sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Schulen stärker sichtbar zu machen und damit vielfältigere Identitätsangebote für Schüler*innen zu schaffen. Dagegen hat sich breiter Protest formiert, von Hedwig von Beverfoerde, die sehr stark in christlich fundamentalistischen Kreisen unterwegs ist, die „Demo für alle“ mitorganisiert hat und mit ihrer Bürgerinitiative Familienschutz Teil des Bündnisses Zivile Koalition ist, bis hin zur AfD-Politikerin

Beatrix von Storch, die eben jene Zivile Koalition mitgegründet hat. Manchmal sind solche Allianzen nicht immer gleich offensichtlich. Rechte Aktivist*innen sprechen beispielsweise viel von „Kinderschutz“, um mit rechtem, antifeministischem und antipluralistischem Denken im Mainstream anzudocken und einen Meinungskorridor in eine bestimmte Richtung zu schaffen.

Ist Antifeminismus dann quasi auch ein Einstieg in andere Ideologiefragmente?

Julia Haas: Das kann durchaus so sein, ohne jetzt die Metapher von der „Einstiegsdroge“ oder dem unabsichtlichen „Abrutschen“ in die rechte Szene zu bemühen. Aber der junge Typ, der sich mit den Männlichkeitsvorstellungen eines Influencers wie Andrew Tate identifizieren kann und in ihnen eine klare Handlungsanweisung sieht, kommt schnell in Berührung mit rechten AkteurInnen und damit weiteren Ungleichheitsideologien.

Ich bin vorsichtig, den Begriff Antifeminismus zu weit zu fassen, und betone immer wieder den dahinterliegenden Organisierungsgrad und den politischen Moment, der Antifeminist*innen antreibt. Es werden die durch feministische Kämpfe und Errungenschaften hervorgebrachten, strukturellen Veränderungen in der Gesellschaft gezielt attackiert. Nicht alle Menschen, die beispielsweise ein Problem mit gendersensibler Sprache haben oder sexistisches Verhalten zeigen, sind organisierte Antifeminist*innen. Das macht den erkennbaren Sexismus natürlich nicht unschuldiger.

Ronja Heukelbach: Diese Welt, die Antifeminist*innen haben wollen, ist für eine kleine Gruppe weißer heterosexueller cis-Männer gedacht, die in ein bestimmtes Männlichkeitsbild passen und einen entsprechenden Körperbau und Mindset haben. Doch was bedeutet das für alle anderen? Darin steckt so viel Beängstigendes.

Ihr beschreibt den Kampf gegen Antifeminismus auch als Abwehr- und Verteidigungskampf. Was sind die Räume, in denen das ausgehandelt wird?

Julia Haas: Wenn wir Antifeminismus als Patriarchatsverteidigung begreifen, dann würde ich schon sagen, dass an vielen Stellen immer wieder feministische Errungenschaften verteidigt werden müssen. Der Weg, der aus einer patriarchalen Gesellschaft heraus erkämpft wurde, ist ja noch lange nicht am Ende. Wir befinden uns in einer Situation, in der wir für eine gleichberechtigte Gesellschaft eigentlich weitergehen müssten und nun vielerorts damit beschäftigt sind, die antifeministischen Stimmen, die alles wieder zurückdrehen wollen, abzuwehren.

Ronja Heukelbach: Viele Dinge sind auch gar nicht so präsent. Bei der durchaus berechtigten Empörung über das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen in den USA gerät mitunter in Vergessenheit, dass Schwangerschaftsabbrüche auch in Deutschland immer noch illegal sind. Oder wenn es darum geht: Wie kann ich rausgehen, wen kann ich öffentlich lieben und wie kann ich mein Geschlecht darstellen ohne zur Zielscheibe zu werden und Angriffen ausgesetzt zu sein? Hier spielt auch mit rein, wie ich auf verletzende Sprache reagiere und wer mir hilft, wenn ich angegriffen werde. Diese Fragen stellen sich für queere, trans- und inter-Personen ganz anders als für andere. Und hoffentlich werden all diese Fragen in Zukunft überfällig sein, weil es gesellschaftlich keine Rolle mehr spielt, wie wir leben und lieben.

Wenn man es runterbricht, sind es also auch alltägliche Räume, in denen ein ständiger Aushandlungsprozess mit beispielsweise Sexismus als Ideologiefragment von Antifeminismus stattfindet oder stattfinden sollte: Wer ist wo und wie in einem Unternehmen repräsentiert? Gibt’s eine gläserne Decke? Wie kann Werbung gestaltet werden? Wie werden weiblich assoziierte Körper gezeigt und sexualisiert? Wer kann dargestellt werden, ohne danach einen Shitstorm abzukriegen? Hier wird auch deutlich, dass Antifeminismus immer sexistisch ist. Wichtig ist nur, nicht jeder Sexismus ist automatisch auch antifeministisch. Und die Auseinandersetzung mit Sexismus oder auch Queerfeindlichkeit kann präventiv gegen Antifeminismus wirken.

 

 

Fußnoten

1 Vgl.: Snyder, Rachel Louise: We underestimate the manosphere at our peril, in: New York Times, 28.03.2025, Online verfügbar: www.nytimes.com/2025/03/28/opinion/manosphere-online-boys-parents.html [04.04.2025].

2 Vgl.: Glaser, Enrico: „Echte Männer sind rechts (…). Dann klappt‘s auch mit der Freundin“, in: Amadeo Antonio Stiftung. Fachstelle Gender, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus (2024): (R)echte Männer und Frauen. Analysen zu Geschlecht und Rechtsextremismus, Berlin, S.36f..

3 Vgl.: Hasselbusch, Linda/ Lochau, Lea/ Glaser, Enrico: Geschlecht und Rechtsextremismus – eine Einführung, in: Amadeo Antonio Stiftung. Fachstelle Gender, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus (2024): (R)echte Männer und Frauen. Analysen zu Geschlecht und Rechtsextremismus, Berlin, S.8.

4 Da rechte und antifeministische Vorstellungen auf einer binären Geschlechterlogik aufbauen und keine weiteren Geschlechter zulassen, werden AkteurInnen aus diesem Spektrum mit Binnen-I gegendert.

Themen: Haltung statt Neutralität