Wirksame Jugendbeteiligung ist mehr
Junge Menschen gestalten unsere Gesellschaft tagtäglich mit. Sie wollen Verantwortung übernehmen und tragen diese zum Beispiel in Jugendverbänden, Familie, Schule und Ausbildung. Sie haben vielfältige Interessen und starke Positionen zu gesellschaftlichen Themen. Als Expert*innen für ihre Lebenswelt steuern sie dafür entscheidende Perspektiven bei. Sie wollen nicht warten, bis sie vielleicht gefragt werden. Junge Menschen sind von den Entscheidungen in Politik und Verwaltung, in Bildungseinrichtungen und Betrieben betroffen – jetzt und später als Erwachsene. Sie haben deswegen ein Recht auf Beteiligung.
Von der Kommune bis zur EU gibt es vielfältige gesetzliche Grundlagen, Anlässe und Formen der Jugendbeteiligung. Doch auch wenn Jugendbeteiligung heute mehr und mehr zur politischen Praxis gehört, stellen wir fest, dass damit einhergehende Ansprüche und Erwartungen sich nur selten in den Prozessen und in der Struktur von Beteiligung wiederfinden. Jugendbeteiligung ist nicht sinnvoll und wirkungsvoll, nur weil es sie gibt.
Mitbestimmung ist eine Grundlage von Jugendverbänden und Jugendringen. Darum haben wir als Deutscher Bundesjugendring konkrete Erwartungen an Jugendbeteiligung. Wir fordern Mitwirkung mit Wirkung! Damit Jugendbeteiligung mehr ist als reine Dekoration, muss sie kontinuierlich, passend und wirkungsvoll sein. Nur wirksame Jugendbeteiligung nimmt junge Menschen und ihre Interessen ernst.
Wirksame Jugendbeteiligung ist, wenn jungen Menschen stets ermöglicht wird, direkten Einfluss auf Alltag und Politik zu nehmen.
- Beteiligungsrechte und beteiligungsfreundliche Prozesse müssen nachhaltig verankert werden.
- Wir brauchen stabile Strukturen und langfristige Formate. Sie bieten die Möglichkeit, dass junge Menschen ihre Themen setzen und sich dann engagieren können, wenn es für sie passt.
- Interessenvertretungen müssen als solche anerkannt und in ihrer Vertretungsfunktion einbezogen werden, besonders wenn die Prozesse und Fragestellungen abstrakt sind.
Wirksame Jugendbeteiligung ist, wenn sie mit passenden Formaten und Rahmenbedingungen umgesetzt wird.
- Die formulierten Qualitätskriterien[1] und Rahmenbedingungen für Jugendbeteiligung müssen berücksichtigt werden.
- Beteiligung ist freiwillig und sollte allen, gleich ihres soziokulturellen Hintergrunds, die Möglichkeit bieten teilzuhaben. Dafür müssen auch auf politischer Ebene Voraussetzungen geschaffen werden.
- Kinder und Jugendliche drücken ihre Meinung und Bedürfnisse auf von ihnen gewählten Kanälen und zu ihren Zeiten aus. Auch diese müssen berücksichtigt werden.
Wirksame Jugendbeteiligung ist, wenn das Engagement junger Menschen und ihre Positionen ernst genommen werden und als Grundlage für Kommendes dienen.
- Wir brauchen ein gemeinsames Beteiligungsverständnis und verbindliche Verfahren.
- Die Handelnden in Politik, Verwaltung, Bildungseinrichtungen und Betrieben müssen die Positionen junger Menschen ernst nehmen. Sie müssen Gestaltungs- und Entscheidungsmacht abgeben und Ergebnisse umsetzen.
- Wir brauchen eine Partizipationskultur und Räume für die selbstbestimmte Gestaltung der Lebenswelt.
Wirksame Jugendbeteiligung ist unser Selbstverständnis
In Jugendverbänden schließen sich junge Menschen freiwillig und selbstbestimmt zusammen. Sie gestalten ihre Arbeit gemeinschaftlich und selbstorganisiert, setzen sich mit unterschiedlichen Themen auseinander und bringen ihre Anliegen und Interessen zum Ausdruck. Hier engagieren sich junge Menschen, um Gesellschaft direkt zu gestalten und Verantwortung zu übernehmen. Kinder und Jugendliche bilden in Jugendverbänden ihre demokratisch verfassten Strukturen - sie wählen ihre Vertreter*innen selbst. Jugendverbände sind deswegen Interessenvertretung von und für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene.
Jugendverbände bieten mit ihren vielfältigen Zugängen und gewachsenen Strukturen zuverlässige Orte und Anknüpfungspunkte für Beteiligung. Dabei richten sie sich an alle Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, nicht nur an ihre Mitglieder. Jugendverbände müssen als Experten für die Lebenswelt junger Menschen und die Konzepte wirksamer Jugendbeteiligung respektiert werden. Wirksame Jugendbeteiligung braucht solche zuverlässigen Strukturen.
Als zivilgesellschaftlicher Akteur übernehmen wir als Jugendverbände aus diesem Selbstverständnis heraus Verantwortung in der und für die Gesellschaft. Innerhalb jugend- und gesellschaftspolitischer Debatten sind wir Jugendverbände legitime Interessenvertretung junger Menschen. Wir kritisieren an vielen Partizipationsprojekten im politischen Raum, dass sie dieses demokratische Vertretungsprinzip missachten. Wiederholt formulieren Akteur*innen aus verschiedenen Kontexten von Verwaltung, Politik und Gesellschaft die Forderung, besonders sogenannte unorganisierte Jugendliche zu beteiligen. Dies ist eine Abwertung unserer repräsentativen, legitimierten Interessenvertretung.
Ausgehend von unserer Praxis, unseren Erfahrungen und unserem Wissen um direkte Mitwirkung formulieren wir unseren Anspruch an wirkungsvolle Jugendbeteiligung. Sie darf nicht losgelöst gedacht werden, sondern muss mit dem Ziel umgesetzt werden, Gesellschaft im Sinne von und mit jungen Menschen zu gestalten.
Wirksame Jugendbeteiligung ist Verantwortung
Wirksame Jugendbeteiligung ist,
- wenn jungen Menschen stets ermöglicht wird, direkten Einfluss auf Alltag und Politik zu nehmen.
- wenn sie mit passenden Formaten und Rahmenbedingungen umgesetzt wird.
- wenn das Engagement junger Menschen und ihre Positionen ernst genommen werden und als Grundlage für Kommendes dienen.
Jugendbeteiligung braucht deswegen politischen Willen und Haltung. Sie braucht außerdem ein Bewusstsein dafür, welche Verantwortung, welche Anforderungen und Erwartungen damit verbunden sind. Wir stellen fest, dass es bei Beteiligungsanlässen in Politik und Verwaltung oft nicht darum geht, jungen Menschen Gestaltungsmacht zu übertragen. Eher stehen Bedarfe erwachsener Akteure und ihrer Prozesse im Vordergrund. Die Beweggründe entscheiden darüber, ob Jugendbeteiligung bewusst und so wirkungsvoll wie möglich gestaltet wird oder eher eine Scheinpartizipation ist. Das Bekenntnis zu Jugendbeteiligung darf nicht nur in jugendpolitischen Grundsätzen und gesetzlichen Regelungen stehen, es muss gelebte Praxis werden.
Es gibt wichtige Eckpunkte für wirksame Jugendbeteiligung:
VON DEN JUNGEN MENSCHEN AUS: Junge Menschen wollen sich nicht nur beteiligen, wenn sie gefragt werden. Sie wollen sich nicht nur in vorgegebenen Zeitfenstern zu festgelegten Themen einbringen. Jugendbeteiligung sollte daher nicht nur punktuell und projekthaft umgesetzt werden. Nachhaltige Strukturen und langfristige Formate bieten die Möglichkeit, dass junge Menschen ihre Themen setzen und sich dann engagieren können, wenn es für sie passt. Jugendbeteiligung darf nicht aufhören, wenn Meinungen gesammelt oder Entscheidungen getroffen wurden. Vielmehr sollten junge Menschen auch in die weiteren Entwicklungen einbezogen werden. So können sie mitverfolgen, was passiert, ihre Positionen, wenn notwendig erklären oder sich dafür einsetzen, dass in ihrem Interesse gehandelt wird und selbst eigene Themen setzen. Schließlich braucht es eine Kultur, in der es selbstverständlich wird, dass junge Menschen sich einbringen und mitentscheiden dürfen.
VIELFALT: Junge Menschen sind ebenso vielfältig wie Beteiligungsanlässe. Es gibt deshalb nicht ein Format, das alle jungen Menschen anspricht und die richtige Methode für alle Fälle ist. Wichtig ist, die Vielfalt der Formate zu nutzen, möglichst unterschiedlichen Zielgruppen Zugänge zu ermöglichen und Räume zu schaffen, die Gelegenheiten zur Mitwirkung bieten.
WIRKUNG: Jugendbeteiligung ist kein Selbstzweck, sondern ein Weg, um junge Interessen und Bedarfe in die Politik hinein wirken zu lassen. Dafür ist es wichtig, junge Menschen ernst zu nehmen. Beteiligung kann verschieden stark ausgeprägt sein. Mal wird schlicht die Meinung von Kindern und Jugendlichen erfragt, mal können sie gemeinsam mit Erwachsenen etwas entscheiden und im besten Fall können junge Menschen in einem konkreten Rahmen selbst gestalten. Welches Ziel, welche Grenzen und welchen Kontext die jeweilige Beteiligung hat, muss stets für alle deutlich sein. Entscheidend für wirksame Jugendbeteiligung ist aber die konkrete Wirkung der Beteiligung. Nur wenn die Meinungen und Ideen junger Menschen wirklich Auswirkungen auf Entscheidungen haben, kann sie ein Mehrwert für eine jugendgerechte Politik sein. Nur dann kann Beteiligung motivieren, positive Erfahrungen schaffen und politisches Lernen und Teilhabe fördern.
STARKE STRUKTUREN: Für eine nachhaltige Beteiligung braucht es verbindliche Absprachen und konkrete Ansprechpartner*innen, die ihre Verantwortung wahrnehmen. Diese Ansprechpartner*innen in Politik, Verwaltung, Bildungseinrichtungen und Betrieben müssen sich ihrer Rolle im Beteiligungsvorhaben bewusst sein und dafür durch Qualifizierung unterstützt werden. Um langfristig die Etablierung und Weiterentwicklung von Jugendbeteiligung zu ermöglichen, müssen bestehende Strukturen und Netzwerke der Jugendarbeit und Jugendbeteiligung genutzt und gestärkt werden.
STARKE KRITERIEN: Die Anlässe und Motivationen für die jeweiligen Jugendbeteiligungsaktivitäten sind sehr unterschiedlich, ebenso wie die Rahmenbedingungen und Ergebnisse. Es gibt nicht den einen Maßstab. Entscheidend ist aber das gemeinsame Verständnis dafür, was Jugendbeteiligung bedeutet. Alle Handelnden sollten sich bewusst sein, mit welchem Verständnis und Ziel sie Jugendbeteiligung umsetzen. Wir haben aus den Erfahrungen mit Beteiligung in Jugendverbänden Ansprüche und Kriterien formuliert und diese in den Fachdiskurs eingebracht. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend veröffentlichte 2009 die aus diesem Diskurs heraus formulierten „Qualitätsstandards für Beteiligung von Kindern und Jugendlichen“. Ergänzt wurden sie 2014 durch die Guidelines für gelingende ePartizipation. Beide sind allgemein anerkannt und stellen die Grundlage für Theorie und Praxis der Jugendbeteiligung in Deutschland dar. Sie formulieren klare Standards und Anforderungen, die alle Akteure in die Pflicht nehmen.
Wirksame Jugendbeteiligung stärkt unsere Gesellschaft
Jugendbeteiligung ist aus unterschiedlichen Gründen wichtig. Sie ist gesellschaftlich notwendig. Beteiligung schafft Verständnis und Vertrauen. Sie fördert die Fähigkeit zu Perspektivwechsel, kritischer Reflexion und Frustrationstoleranz. Partizipation ist konstitutiver Bestandteil der demokratischen Kultur. Sie ist wichtig für die Entwicklung von jungen Menschen. Deswegen müssen Kinder und Jugendliche miteinbezogen und ihre Positionen ernst genommen werden. Und zwar auf allen politischen Ebenen und in allen Politikbereichen, in denen Entscheidungen getroffen werden. Das umfasst zum Beispiel Sozialpolitik, Finanzen, Medien- und Digitalpolitik, Verkehr, Gesundheit, Frieden und Sicherheit genauso wie klassische Jugendthemen, etwa Umwelt-, Bildungs- oder Engagementpolitik.
Politik und Gesellschaft werden direkt positiv beeinflusst. Die Beiträge junger Menschen eröffnen neue Perspektiven und Lösungswege und verbessern so politische Prozesse und Entscheidungen. Der gemeinsame Aushandlungsprozess schafft eine stärkere Akzeptanz.
Jugendbeteiligung muss mit dem klaren Ziel der konkreten Einflussnahme junger Menschen auf Politik gestaltet werden. Beteiligung allein mit dem Ziel der Demokratiebildung stellt die Interessen junger Menschen hinten an und läuft Gefahr, wirkungslos und unehrlich zu sein. Ernsthafte und wirksame Jugendbeteiligung hat immer den positiven Effekt politischer Bildung. Demokratie wird unmittelbar erlebbar. Teilhabe wird praktisch und gesellschaftliches Engagement gestärkt.
Gelungene Jugendbeteiligung eröffnet jungen Menschen Zugänge zu politischer Teilhabe und vermittelt ein Verständnis dafür. Sie vermeidet Gefühle wie Machtlosigkeit und Abgehängtsein, regt dazu an, Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen und stärkt soziale Kompetenzen.
Wirksame Jugendbeteiligung nimmt junge Menschen ernst
Jugendbeteiligung inspiriert und qualifiziert in allen Lebensbereichen und auf allen politischen Ebenen. Neben dem alltäglichen Beteiligungskontext in ihrem Lebensumfeld oder konkret in der Schule wollen junge Menschen an Entscheidungen auf weiteren Ebenen und zu vielfältigen Themen mitwirken. Neben explizit politischen Vorgängen sind auch zivilgesellschaftliche oder wirtschaftliche Prozesse gemeint.
Wirksame Jugendbeteiligung braucht:
AUGENHÖHE: Für wirksame Jugendbeteiligung ist es wichtig, dass alle Beteiligten sich ihrer Rolle bewusst sind. Jugendbeteiligung braucht nicht nur aktive junge Menschen, sondern ebenso engagierte und offene Personen in Politik, Verwaltung, Bildungseinrichtungen und Betrieben. Diese müssen nicht nur partizipative Strukturen schaffen. Sie müssen auch jungen Menschen zutrauen, sich mit komplexen politischen Fragen zu beschäftigen. Zudem müssen sie bereit sein, ihr eigenes Wissen oder ihre eigenen Prioritäten und Lösungsansätze zu hinterfragen und zur Diskussion zu stellen. Denn nur weil der Haushalt es nicht vorsieht, sollte ein Vorschlag junger Menschen nicht einfach fallen gelassen werden. Gerade diese Situationen sind es, die die Wirksamkeit von Jugendbeteiligung schmälern und die Möglichkeiten für innovative Lösungen einschränken.
BETEILIGUNG IM ALLTAG: Jugendbeteiligung gehört nicht nur in öffentlichkeitswirksame Projekte. Die Orte und Zusammenhänge, in denen Jugendbeteiligung geschieht, sind vielfältig. Sie betreffen auch das persönliche Leben wie Familie, Freizeit, Schule, Ausbildung oder Arbeitsplatz. All diese Orte bestimmen über den Alltag und die Optionen junger Menschen. Daher ist es für sie entscheidend, in deren Gestaltung direkt einbezogen zu sein. In Schule und Ausbildung gibt es klar definierte Beteiligungsmöglichkeiten und Mitbestimmungsrechte. Diese entsprechen jedoch längst nicht ihrem Potenzial und sind oft nicht in dem Maße wirkungsvoll, wie junge Menschen es sich vorstellen und notwendig wäre. Zudem ist das jeweilige Machtverhältnis eine schwierige Ausgangsposition für wirkungsvolle Beteiligung und muss dabei immer kritisch in den Blick genommen werden.
GESTALTUNG VON POLITIK: Abstrakte politische Prozesse sind manchmal von anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren ebenso schwer zu beeinflussen wie von jungen Menschen. Die Gestaltungsmöglichkeiten und konkreten Wirkungen sind oft sehr eingeschränkt. Junge Menschen verstehen das. Es ist aber kein Grund, sich darauf auszuruhen. Es gilt dafür zu streiten, dass junge Positionen so früh einbezogen werden, dass sie relevant Einfluss nehmen können. Junge Menschen wollen und müssen ebenso an Entscheidungen in ihrer Kommune, wie auch in Land, Bund und EU beteiligt werden. Selbstverständlich sind die Möglichkeiten und Formate an die Ebene und das Thema anzupassen. Besonders entscheidend sind die jeweiligen Ausgangsbedingungen wie gesetzliche Regelungen und deren Ausgestaltung. Während es noch recht einfach ist, im Stadtteil junge Menschen wirkungsvoll in Prozesse einzubeziehen, wird es umso schwieriger, je abstrakter die Ebenen, Themen und Zielstellungen sind. Daher ist es zum einen wichtig, nachhaltige Strukturen zu stärken und zu etablieren, um die Mitwirkungsmöglichkeiten transparent zu halten und Zugänge möglichst niedrigschwellig zu gestalten. Zum anderen ist es bei abstrakteren Prozessen oft sinnvoll, junge Menschen in Zusammenhängen anzusprechen, die ihnen bei der Positionierung helfen oder in denen sie sich bereits mit ähnlichen Themen auseinandergesetzt haben. Während das bei kommunalen Prozessen auch Jugendtreffs und Schulen sein können, bieten sich auf höheren Ebenen besonders Jugendverbände und Jugendringe sowie andere selbstorganisierte Interessenvertretungen an.
INTERESSENVERTRETUNGEN: Junge Menschen sollen an allem, was sie betrifft, beteiligt werden. Zugleich können sie nicht immer und überall direkt mitwirken. Sie haben keine Zeit, manchmal auch kein Interesse. Manchmal fehlt das thematische Hintergrundwissen. Und schließlich sind politische Aushandlungsprozesse oft länger als die Jugendphase eines Menschen. Ebenso wie erwachsene Menschen suchen sich auch junge Menschen Strukturen, die für sie eintreten. Interessenvertretungen junger Menschen (wie Jugendverbände, Jugendringe, Schüler*innen- und Auszubildendenvertretungen, Vereine und Initiativen) sind wichtige Strukturen der Jugendbeteiligung. Sie sprechen im Interesse und im Auftrag junger Menschen und können dort Augenhöhe herstellen, wo Kinder und Jugendliche sonst ausgeschlossen wären. Alle Akteure der Jugendarbeit stehen in der Verantwortung, Ergebnisse von Jugendbeteiligungsprozessen wirkungsvoll weiterzugeben, da junge Menschen ihnen diese Positionen anvertraut haben.
Wirksame Jugendbeteiligung ist konsequent
Unerlässlich für wirksame Jugendbeteiligung sind nachhaltige Strukturen und die entsprechenden Ressourcen, um den formulierten Qualitätsstandards für und Erwartungen an Jugendbeteiligung gerecht werden zu können.
METHODEN: Vielfältige Anlässe, Orte, Akteure und Themen brauchen ebenso vielfältige Methoden. Es gibt viele Erfahrungswerte, aber keine Patentrezepte. Bei der Auswahl der passenden Formate müssen die Ziele und Rahmenbedingungen beachtet werden. Um eine direkte Einflussnahme zu gewährleisten, müssen sich Formate stark an den Prozessen orientieren. Prozesse sollten angepasst und der Fokus auf die passenden Zeitläufe und Methoden für die Kinder und Jugendlichen gelegt werden. Um jungen Menschen mit verschiedenen Voraussetzungen und Interessen eine Mitwirkung zu eröffnen, müssen die Formate ermöglichen, dass die Beteiligten sich unterschiedlich stark und auf verschiedene Weise engagieren können.
BEDINGUNGEN: Qualitätskriterien und Rahmenbedingungen beschreiben Notwendigkeiten für ernsthafte Jugendbeteiligung. Ob nachhaltige Strukturen oder kurzzeitige Aktivitäten, Jugendbeteiligung ist nicht einfach zu haben. Beteiligungsaktivitäten begleiten in der Regel bereits existierende Prozesse, sollen und können aber auch neue initiieren. Neben dem politischen Willen braucht es angepasste Prozesse und Geld für Materialien, Personal und Qualifizierung. Wichtig sind umfassende Informationen zu Abläufen, Themen und Akteuren. Ergebnisse müssen möglichst konkret werden.
WIRKUNG SICHTBAR MACHEN: Jugendbeteiligung kann nur in dem Rahmen wirksam werden, in dem überhaupt etwas passiert. Während Erwachsene daran gewöhnt sind, dass politische Prozesse nicht immer kurzfristig sichtbare Ergebnisse haben, sind junge Menschen oft enttäuscht, wenn der versprochene Effekt nicht eintritt. Es muss in solchen Fällen sichtbar werden, wie es gegebenenfalls weitergeht und inwieweit das Engagement der jungen Menschen Diskurse beeinflusst oder an anderen Stellen Effekte erzielt hat. Prozesse müssen ernsthaft ergebnisoffen gestaltet werden, um Wirkung zu ermöglichen. Im Vorfeld einer Jugendbeteiligung sollte jeder Prozess daraufhin geprüft werden.
DIGITALE WERKZEUGE: Durch Digitalisierung werden Methoden der Beteiligung erweitert. Digitale Werkzeuge und digitalisierte Abläufe erweitern die Chance, dass mehr junge Menschen ihr Wissen einbringen und dadurch den politischen Prozess gestalten können. Alle jungen Menschen sollten die gleichen Möglichkeiten haben, diese digitalen Werkzeuge zu nutzen. Dabei muss beachtet werden, dass die individuellen Voraussetzungen und das Nutzer*innenverhalten sehr unterschiedlich sind.
VERANTWORTUNG: Erwachsene Akteur*innen müssen ihrer Verantwortung gerecht werden. Statt lediglich den jungen Positionen zu applaudieren, müssen sie Macht abgeben und die erarbeiteten Positionen umsetzen. Egal ob es um die Mitwirkung von Kindern und Jugendlichen in der Schule, in der Kommunalpolitik oder in der EU-Jugendstrategie geht. Es gilt möglichst auf Augenhöhe zu diskutieren, junge Prioritäten und Ideen nicht lapidar als nicht umsetzbar abzustempeln, sondern die bisherigen Pläne damit ergebnisoffen abzugleichen. Wenn es keine Bereitschaft gibt, die Gestaltungsmacht zu teilen, fehlt die Voraussetzung für einen wirksamen Beteiligungsprozess.
Wirksame Jugendbeteiligung braucht eine Partizipationskultur
Jugendbeteiligung ist wichtig. Doch selbst wenn die perfekte Methode gefunden, die gewünschte Zielgruppe erreicht, die Standards in Prozessen beachtet und viele Rahmenbedingungen erfüllt sind, bleibt ein Problem: Es fehlt eine gesellschaftliche Partizipationskultur.
Zu einer echten Partizipationskultur gehören Zugänge zu Teilhabe. Teilhabe darf nicht auf Projekte beschränkt, sondern muss grundsätzlich und selbstverständlich sein. Es darf nicht darum gehen, Jugendbeteiligung zu begründen und zu organisieren. Es muss stattdessen begründet werden, wenn keine Beteiligung umgesetzt wird.
Zu einer Partizipationskultur gehören:
KONTINUITÄT: Die Stärkung dauerhafter Strukturen nimmt Kinder und Jugendliche ernst. Punktuelle Beteiligung ist stets initiiert im Interesse anderer Akteure. Dauerhafte Strukturen ermöglichen wirksame Jugendbeteiligung, wie sie sein soll. Nur so können möglichst viele junge Menschen aus verschiedenen Kontexten beteiligt werden. Nur so können auch kleine Fragen unter Einbeziehung der Betroffenen diskutiert werden. Nur so kann mit weniger Aufwand mehr erreicht werden. Die passenden Strukturen für wirksame Jugendbeteiligung sind vielfältig und arbeiten mal unabhängig voneinander, mal miteinander. Neben Jugendverbänden/-ringen und Initiativen gehören dazu auch Gremien wie Schüler*innenvertretungen, Jugendbeiräte und Systeme des Co-Managements[2][2]. Diese Orte bieten die Möglichkeiten langfristige Vorgänge zu begleiten und dauerhafte Beteiligungsmöglichkeiten zu eröffnen. Jugendbeteiligung braucht Menschen, die diese begleiten. Sie behalten das große Ganze im Blick und sichern die wichtigen Eckpunkte. Langfristige Ansprechpartner*innen, die Beziehungsarbeit leisten (können) und nicht nur punktuell ansprechbar sind, machen den Unterschied. Fachliches, politisches Monitoring und Interessenvertretung ermöglichen es, im Sinne der jungen Menschen die Wirksamkeit der Jugendbeteiligung zu verstärken.
ZUSTÄNDIGKEITEN: Neben den dauerhaften Strukturen für junge Menschen, braucht wirksame Jugendbeteiligung auch eine kontinuierliche Arbeit auf Seiten der Verwaltung. Die gestaltet sich ganz unterschiedlich. Neben dem klassischen Format der Jugendhilfeausschüsse gibt es in einigen Kommunen im Rahmen der Stadtplanung klar strukturierte Beteiligungsverfahren. Oft liegen generelle Zuständigkeiten in der Kommune auch bei sogenannten Kinder- und Jugendbüros oder Jugendpfleger*innen und vermehrt bei Servicestellen für Jugendbeteiligung auf Landesebene. In allen Kommunen und Ländern sollte es klare Zuständigkeiten für die generelle und wirksame Beteiligung von Kindern und Jugendlichen geben. Die nötigen Aufgabenbeschreibungen und verbindlichen Rahmenbedingungen müssen gemeinsam mit Akteuren der Jugendarbeit formuliert werden.
ZUHÖREN: Mitwirkung von jungen Menschen aus ist unser Ziel als Deutscher Bundesjugendring. Jugendbeteiligung soll nicht im Sinn von politischen Prozessen und Akteuren gestaltet werden. Es muss verstärkt darum gehen, jungen Menschen die Themenwahl zu überlassen und ihre Formen der Meinungsäußerung ernst zu nehmen – anstatt vorzugeben, wann, wie und wozu die Meinungen abgefragt werden. Jugendbeteiligung ist im Sinne aller wichtig und notwendig für eine jugendgerechte und zukunftsfähige Gesellschaft. Viele junge Menschen werden von klassischen Beteiligungsformaten nicht erreicht, weil sie sich nicht auf Zuruf beteiligen wollen. Lieber äußern sie sich, wenn sie es wollen und nutzen dazu ihre favorisierten Kanäle. Jungen Menschen dort zuhören, wo sie sich äußern, ist daher ein wichtiges Beteiligungsformat. Denn junge Menschen haben nicht erst eine Meinung, wenn sie gefragt werden.
VERBINDLICHKEIT: Politik muss junge Menschen nicht nur fürsorglich berücksichtigen und mitnehmen, sondern als entscheidende Akteure mitdenken. Prozesse müssen von Anfang an auch auf die Mitwirkung von Kindern und Jugendlichen ausgerichtet werden. Mitdenken und starke Strukturen reichen aber nicht. Es braucht klar formulierte Rechte und die konsequente Einhaltung davon. Verbindliche Beteiligungsrechte für junge Menschen sollten in Verordnungen und Gesetzen auf allen Ebenen eingeführt werden. In der Schule und im Betrieb genauso wie in der Kommune oder der EU. Besonders muss aber verpflichtend konkretisiert werden, wie und wann die jeweilige Beteiligung umgesetzt werden soll. Nur so werden Akteure dazu praktisch angehalten, Jugendbeteiligung stets mitzudenken. Nur so ist es möglich, die Beteiligung auch erfolgreich einfordern zu können. Nur so ergibt sich die Notwendigkeit, Prozesse grundsätzlich beteiligungsfreundlich zu gestalten. Die geltenden Qualitätskriterien müssen dabei berücksichtigt und ihre Umsetzung auch mit Ressourcen und Engagement ermöglicht werden.
FEHLERTOLERANZ: Jugendbeteiligung muss vor allem aus Sicht junger Menschen wirksam sein. Umwege müssen möglich sein. Es muss respektiert werden, dass Beteiligungsaktivitäten scheitern. Politische Prozesse kommen nicht immer zu einem Ergebnis. Das stellt Jugendbeteiligung an sich aber nicht in Frage.
WEITERDENKEN: Wir brauchen einen fachlichen und gesellschaftlichen Diskurs über die Möglichkeiten und Erwartungen von Jugendbeteiligung. Nicht nur Multiplikator*innen sollten darüber diskutieren, wie Jugendbeteiligung wirksam werden kann. Auch Akteure aus Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft sollten sich damit beschäftigen und konkretisieren, was die Qualitätskriterien für sie bedeuten und sich für eine Partizipationskultur einsetzen.
Junge Menschen werden durch Jugendbeteiligung fachlich und persönlich gestärkt. Aber auch Praktiker*innen der Jugendbeteiligung brauchen Unterstützung, um ihre Praxis an die verschiedenen Erwartungen und jeweiligen Rahmenbedingungen anzupassen. Vor allem sollte es selbstverständlich werden, dass Handelnde der Verwaltung und Politik sich weiterbilden, um ihre eigenen Prozesse und Entscheidungen zu reflektieren und ihrer Verantwortung bei Beteiligungsaktivitäten gerecht zu werden.
TEILHABE: Jugendbeteiligung sollte als Angebot stets alle interessierten jungen Menschen einbeziehen – unabhängig von Herkunft, Aufenthaltstitel, sozialem Status oder Bildungsgrad. Es ist wünschenswert, dass besonders Kinder und Jugendliche erreicht werden, die zuvor keine Beteiligungserfahrungen machen konnten. Das muss aber vor allem durch die Wahl der Themen und Orte begünstigt werden, an denen mitgestaltet werden kann. Die bewusst niedrigschwellige Gestaltung von Formaten und Kommunikation kann hierzu beitragen. Es darf aber weder Druck entstehen, sich beteiligen zu müssen; noch darf der Eindruck entstehen, dass die mitwirkenden jungen Menschen nicht ausreichen. Letztlich stoßen alle Formate wirksamer Jugendbeteiligung dort an ihre Grenzen, wo die Lebensrealitäten junger Menschen von politischem Handeln beeinträchtigt sind. Zugang zu Bildung und zu digitalen Medien, finanzielle Absicherung, persönliche Assistenz, Bleiberechte, Gleichberechtigung – all dies sind entscheidende Faktoren und müssen entsprechend gestärkt werden, um gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.
FREIRÄUME: Eine Partizipationskultur bedeutet, dass politische Teilhabe aller Menschen gewollt ist und aktiv unterstützt wird. Jugendbeteiligung braucht klar definierte Räume und Strukturen, die eine direkte Mitwirkung an politischen Prozessen ermöglichen und absichern. Neben diesen geregelten Formaten müssen aber auch Freiräume geschaffen werden, in denen junge Menschen selbstbestimmt und ausgehend von ihren eigenen Interessen ihre Lebenswelt gestalten können. Die Erfahrungen in den Jugendverbänden zeigen, wie gut junge Menschen Verantwortung übernehmen und sich für ihre Gesellschaft engagieren können. Diese Möglichkeiten sollten ihnen ebenso an anderen Orten ihrer Lebensrealitäten zugestanden werden.
Einstimmig beschlossen von der DBJR-Vollversammlung am 26./27. Oktober 2018 in Dresden.
***
[2] Beim Co-Management im Bereich der Jugendpolitik geht es um eine verbindliche Zusammenarbeit von Jugend und Politik/Verwaltung. So werden z.B. Gremien gebildet, in denen junge Menschen als Vertreter*innen von Jugendstrukturen und als Expert*innen ihrer Lebenswelt gleichberechtigt mit verantwortlichen Vertreter*innen von Politik oder Verwaltung beraten und entscheiden.