Zum Wahlverhalten junger Menschen: Wirksame Jugendpolitik statt Schuldzuweisungen
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Bei den Jungwähler*innen bekam die AfD in allen drei Bundesländern die meisten Stimmen unter den Parteien. Allerdings ist der Anteil junger Menschen, die AfD gewählt haben, ähnlich dem Anteil in der Gesamtbevölkerung. Nicht nur deshalb wird die Darstellung „Junge Menschen wählen rechtsextrem“ den komplexen Ursachen und den realen politischen Einstellungen junger Menschen nicht gerecht. Junge Menschen haben in der großen Mehrzahl demokratische Parteien gewählt.
Allerdings blicken junge Menschen mit großer Sorge auf die Welt von heute und morgen, das belegen zahlreiche Jugendstudien. Viele aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen sind nicht bewältigt und große Transformationsprozesse stehen an. Hinzu kommt, dass junge Menschen keine ausreichenden und gerechten Bedingungen für die eigene Lebensgestaltung vorfinden. Bildungsgerechtigkeit und Freiräume zum gesunden Aufwachsen und zur Persönlichkeitsentwicklung sind nicht für alle jungen Menschen gegeben. All diese Herausforderungen verstärken Verunsicherungen, lassen Zukunftsängste entstehen und sorgen für massive Belastungen und Beeinträchtigungen der mentalen Gesundheit junger Menschen. Junge Menschen bewältigen ihre Entwicklungsaufgaben in einer Welt, in der ihr Aufwachsen durch multiple Krisen wie die Klima- und Umweltkrise, Angriffen auf Demokratien und massive soziale und ökonomische Ungerechtigkeiten geprägt ist.
Anstatt pauschaler und ungerechtfertigter Schuldzuweisungen für ihr Wahlverhalten brauchen junge Menschen von allen demokratischen Parteien ein jugendpolitisches Angebot in der ganzen Vielfalt der politischen Themen und Handlungsfelder, welche ihre Gegenwart und Zukunft betreffen. Junge Menschen müssen wirksam an politischen Entscheidungen beteiligt werden. Die politische Kommunikation muss sich dorthin richten, wo sich junge Menschen aufhalten und ihre Anliegen adressieren. Junge Menschen ernst zu nehmen und für ihre Anliegen Politik zu machen, muss zur Grundvoraussetzung aller politischen Diskurse und Maßnahmen werden.
Es ist darüber hinaus ein gesamtgesellschaftlicher und besorgniserregender Trend, dass rechtsextreme Positionen überdurchschnittlich viel Aufmerksamkeit der Medien bekommen und auch demokratische Parteien zunehmend Narrative und Positionen rechtsextremer Parteien übernehmen. Das führt zu einer Normalisierung des Rechtsextremismus. Es sind gerade nicht die jungen Menschen selbst, die aktuell in gesellschaftlichen und politischen Verantwortungspositionen sind und solche Normalisierungsprozesse zulassen. Allerdings werden dadurch die Rahmenbedingungen geprägt, in denen junge Menschen aufwachsen und politisch sozialisiert werden. Es ist falsch, die Schuld für die Diskursverschiebung und das Erstarken rechtsextremer Kräfte bei jungen Menschen zu suchen.
Viele junge Menschen, gerade aus den neuen Bundesländern, haben sich nach der Veröffentlichung der Correctiv-Recherchen Anfang des Jahres zahlreich bei den größten Kundgebungen in Ostdeutschland seit der friedlichen Revolution, für Demokratie und Rechtsstaat und gegen Rechtsextremismus engagiert. Eine der Größe des Problems angemessene Antwort zur Förderung und zum Schutz von Demokratie sind viele politische Entscheidungsträger*innen bislang schuldig geblieben. Das verstärkt bestehende Erfahrungen der eigenen Ohnmacht.
„Die rechtsextreme AfD hat bei den letzten Landtagswahlen bei jungen Menschen stark abgeschnitten und das ist Grund zur Sorge. Trotzdem greifen Wahlanalysen wie ‘Vor allem die Jugend wählt die AfD’ zu kurz.“ betont Wendelin Haag, Vorsitzender des Bundesjugendrings und ergänzt “Adultismus – also die Abwertung von Menschen aufgrund ihres jungen Alters – führt dazu, dass jungen Menschen weniger politische und rationale Urteilsfähigkeit zugetraut wird. Auch echte Partizipation junger Menschen findet viel zu selten statt, ob in der Schule, der Politik oder anderen gesellschaftlichen Kontexten. Gleichzeitig werden an junge Menschen übermäßige Erwartungen gestellt, die entgegen der Strukturen stehen, mit denen junge Menschen konfrontiert sind.”
Zur Stärkung unserer Demokratie fordert der Bundesjugendring deshalb mehr Räume für junge Menschen, tatsächliche Partizipation und einen Schwerpunkt auf politische Bildung, die neben Schulen vor allem auch im außerschulischen Kontext wie Jugendverbänden stattfindet. Politische Bildung ist dabei als emanzipatorischer Bildungsprozess zu verstehen, der partizipativ und unter Mitbestimmung junger Menschen gestaltet wird. Jugendverbände als Werkstätten der Demokratie müssen gestärkt werden, um jungen Menschen Räume zu schaffen, gesellschaftliche Verhältnisse kritisch zu reflektieren und eigene Positionen zu entwickeln. Wenn dies nicht geschieht, wird die Demokratie langfristig Schaden nehmen. Demokratiefeind*innen nutzen gezielt Räume, in denen Handlungsspielräume für die plurale Zivilgesellschaft eingeengt werden, anstatt sie von öffentlicher Hand adäquat zu fördern, zu schützen und zu unterstützen.
„Jugendverbände sind Orte gelebter Demokratie – nicht nur für junge Menschen, sondern vor allem durch sie und mit ihnen“, betont Wendelin Haag, “Strukturen, in denen junge Menschen selbstbestimmt und demokratisch ihre eigene Lebenswirklichkeit gestalten, müssen wir massiv stärken, auch um dem Rechtsruck entgegenzutreten.”