Bildung

Ausbildung besser machen

Die 88. DBJR-Vollversammlung hat am 30./31. Oktober 2015 in Heidelberg die Position „Ausbildung besser machen - Anforderungen an die Novellierung des Berufsbildungsgesetzes“ beschlossen:

Die duale Ausbildung befindet sich momentan in einer selten prominenten Situation: Sie wird weit über die deutschen und europäischen Grenzen hinaus als scheinbar wichtiges Element gegen Jugendarbeitslosigkeit gefeiert und empfohlen. Auf der anderen Seite steht sie vor einer Reihe von Herausforderungen. Im Berufsbildungsbericht 2015 der Bundesregierung kann man nachlesen, dass es durch den demografischen Wandel zu einer Entspannung auf dem Ausbildungsmarkt kommt: In vielen Branchen und Regionen bleiben Ausbildungsplätze unbesetzt. Die Zahl der Schulabgänger_innen geht zurück und sie haben so vermeintlich einen leichteren Zugang zu dualer Ausbildung. Tatsächlich stellt sich die Situation aber differenzierter dar: Ausbildungsplätze bleiben vor allem in Branchen und Regionen offen, die aus der Sicht junger Menschen unattraktiv sind, beispielsweise im Hotel- und Gaststättengewerbe, wo regelmäßige Überstunden, niedrige Ausbildungsvergütungen und fehlende Praxisanleitung durch Ausbilder_innen problematisch sind. Auch ländliche Räume sind von unbesetzten Ausbildungsplätzen betroffen; nicht etwa weil junge Menschen per se nicht auf dem Land leben wollen, sondern vielmehr weil es dort immer stärker an der Infrastruktur fehlt, die für das Leben junger Menschen wichtig ist.

Der Berufsbildungsbericht der Bundesregierung weist ebenfalls daraufhin, dass die Zahl der geschlossenen Ausbildungsverträge insgesamt auf einem historischen Tiefstand ist. Dies lässt sich nicht nur mit dem demografischen Wandel erklären, sondern auch mit der Tatsache, dass immer weniger Betriebe bereit sind auszubilden. Problematisch ist, dass Bundesagentur für Arbeit und  Politik viel zu stark darauf fokussieren, dass Jugendliche "irgendwie versorgt sind". Die jungen Menschen, die keinen Ausbildungsplatz finden, wählen zwangsweise Alternativen, bewerben sich in den Folgejahren wieder oder versuchen, ohne einen Berufsabschluss, Arbeit zu finden. Die wichtige Integrationskraft und das Versprechen der dualen Ausbildung, alle jungen Menschen in Gesellschaft und Arbeit zu integrieren, werden dadurch immer stärker untergraben. Den betroffenen jungen Menschen werden dadurch wichtige Perspektiven vorenthalten. So hat sich in den letzten Jahren ein Dschungel von Warteschleifen und Sackgassen im Übergangsbereich zwischen Schule und Ausbildung entwickelt, der den Ausbildungsplatzsuchenden weder einen qualifizierten Abschluss noch weiterführende Perspektiven gibt.

Auch die Qualität der dualen Ausbildung wird immer wieder substanziell angegriffen: von Betrieben, die sich nicht an das Jugendarbeitsschutzgesetz, Arbeitszeiten oder Ausbildungsordnungen halten, aber auch von Akteur_innen, die immer wieder verkürzte zweijährige Ausbildungen oder gleich eine Modularisierung der Ausbildung fordern und damit die Qualität der Ausbildung, die anschließenden Perspektiven, aber auch das Berufsprinzip der Ausbildung in Frage stellen.

Aus der Perspektive junger Menschen, darf es nicht vom sozialen Umfeld, dem Schulabschluss oder der momentanen wirtschaftlichen Situation abhängen, ob der Übergang von  Schule in Ausbildung gelingt. Der direkte Weg in eine gute Ausbildung muss für alle Interessierten offen stehen und nachhaltige Perspektiven schaffen. Unabhängig von Geschlecht, ethnischem Hintergrund, körperlichen und geistigen Fähigkeiten und Schulabschluss muss eine Integration in den Arbeitsmarkt möglich sein. Die Berufsausbildung muss eine Qualität haben, die es ermöglicht, dass erforderliche Fachinhalte, Prozessorientierung und notwendige Handlungskompetenzen gelernt werden. Dadurch werden die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen und die berufliche Zukunftsfähigkeit der ausgebildeten Fachkräfte sichergestellt. Eine duale Ausbildung, die entlang dieser Leitlinien ausgestaltet ist, muss die Stärken und Fähigkeiten der jungen Menschen in den Blick nehmen, ernst nehmen und nutzen.

Im Zuge der Novellierung des Berufsbildungsgesetzes (BBiG), aber auch darüber hinaus, setzt sich der Deutsche Bundesjugendring (DBJR) für folgende Forderungen ein:

Der DBJR fordert für alle Ausbildungsinteressierten einen gesetzlich garantierten Anspruch auf einen Ausbildungsplatz. Dieser gibt allen in Deutschland lebenden jungen Menschen einen rechtlich verbindlichen Anspruch auf eine qualitativ hochwertige Ausbildung. Im Rahmen der Ausbildungsgarantie muss eine zentrale und rechtskreisübergreifende Anlauf- und Beratungsstelle vor Ort eingerichtet werden.[1] Diese muss sich bei der Beratung an den Bedürfnissen und der individuellen Lebenssituation der jungen Menschen orientieren und nicht an vorgegebenen Versorgungsquoten, in die die jungen Menschen einsortiert werden. Die Ausbildungsgarantie tritt spätestens zum 30.9. eines Jahres in Kraft. Ziel der Beratung ist es, alle interessierten jungen Menschen in eine betriebliche Ausbildung zu vermitteln. Ein besonderer Blick muss auf Vermittlung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in eine betriebliche Ausbildung gelegt werden. Der Berufsbildungsbericht zeigt deutlich, dass der Zugang für diese Zielgruppe erschwert ist.

Eine Ausbildungsgarantie braucht eine stabile Finanzierung. Der DBJR fordert daher als zentrales Element zur Förderung einer stärkeren Ausbildungsbeteiligung der Betriebe und für eine gerechte Finanzierung der Ausbildung, die Einführung einer solidarischen Umlagefinanzierung.[2] Auf diese Weise werden die Betriebe in die Pflicht genommen, ihrer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung zur Ausbildung junger Menschen nachzukommen. Ziel ist es, allen ausbildungsinteressierten jungen Menschen einen betrieblichen Ausbildungsplatz anbieten zu können. Übergangsmaßnahmen sollten nur dann angeboten werden, wenn dies für die individuelle Förderung der Jugendlichen notwendig ist. Derartige Maßnahmen dürfen nicht als Ersatz für eine betriebliche Ausbildung in Frage kommen.

Im Rahmen der Studienangebote deutscher Hochschulen wächst der Bereich des dualen Studiums besonders stark. Diese Entwicklung zeigt, dass dem Thema Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung eine immer größere Bedeutung zukommt. Der Gesetzgeber hat auf diese Entwicklung aber bisher nicht ausreichend reagiert. Im Fall des Dualen Studiums zeigen sich im BBiG auch Gesetzeslücken, die es Unternehmen ermöglichen, dual Studierende zu beschäftigen, ohne dass entsprechende Schutzbestimmungen greifen. Die Verhinderung von Ausbeutung und die Garantie der Ausbildungsqualität können so nicht sichergestellt werden. Der DBJR fordert, die momentan bestehenden Schutzlücken für dual Studierende zu schließen.

Im BBiG sind bisher Praktika ausgenommen, die Teil eines Fachhochschul- oder Hochschulstudiums oder sogenannte Betriebs- oder Schülerpraktika sind. Diese haben unterschiedliche Regelungen. Der DBJR fordert, dass jede Form des Praktikums, die dazu dient, Lernziele oder  Abschlüsse im beruflichen Sinne zu erlangen, in der Praxisphase den Regularien des BBiG unterliegen muss.

Gemäß § 15 BBiG haben Ausbildende die Auszubildenden für die Teilnahme am Berufsschulunterricht freizustellen und nach § 19 Abs. 1 BBiG ist für diesen Zeitraum die Ausbildungsvergütung fortzuzahlen. Bei der Frage der Anrechnung von Berufsschulzeiten bei Auszubildenden auf die Arbeitszeit wird bisher zwischen volljährigen und minderjährigen Auszubildenden unterschieden. Die Berufsschulzeit muss für alle Auszubildenden inklusive der Wege- und Pausenzeit vollständig auf die betriebliche Arbeitszeit angerechnet werden. Der DBJR fordert, dass die Regelung in § 9 Jugendarbeitsschutzgesetz nicht nur für Minderjährige, sondern für alle Auszubildenden gilt.

Um sich auf die Prüfung vorbereiten zu können fordert der DBJR, dass der § 15 entsprechend ergänzt wird, dass Auszubildende fünf Tage Sonderurlaub vor ihrer Abschlussprüfung bzw. gestreckten Prüfung bekommen. Analog dazu müssen auch dual Studierende für ihre abschlussnotenrelevanten Prüfungen angemessen freigestellt werden.

In § 17 BBiG ist festgelegt, dass die Höhe der Ausbildungsvergütung angemessen sein muss. In der Praxis gibt es jedoch je nach Branche und Region deutliche Unterschiede. Der DBJR fordert, dass alle Auszubildenden eine ausreichende Vergütung erhalten, die ihnen ein selbstbestimmtes Leben und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen.

Einstimmig bei 1 Enthaltung beschlossen auf der 88. Vollversammlung am 30./31. Oktober 2015 in Heidelberg.

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[1] Vgl. DBJR-Beschluss „Jugendarbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit in Europa und Deutschland bekämpfen“, 2013

[2] Vgl. DBJR-Beschluss „Für einen leistungsfähigen Sozialstaat“, 2013 und DBJR-Beschluss „Sofort Umsteuern“, 2006

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