Bildung

Bildung ist Zukunft

Die DBJR-Vollversammlung hat am 21./22. Oktober 1998 die Position „Bildung ist Zukunft“ beschlossen:

Durch ihre außerschulische Arbeit leisten Kinder- und Jugendverbände einen Beitrag zur Erziehung und Bildung junger Menschen. Sie sind dadurch ein eigenständiger Bestandteil des Bildungssystems, über dessen Ausgestaltung in den letzten Jahren immer heftiger gestritten wird. Die Veränderungen der Arbeitsgesellschaft lassen die Hoffnungen, die in den 70er Jahren in ein reformiertes Bildungssystem gesetzt wurden, ins Wanken geraten. Die Ansprüche von Jugendlichen, Eltern, Lehrenden, Gesellschaft und Wirtschaft an die Institutionen des Bildungs­systems sind oft widersprüchlich. 

In dieser Debatte um die Anforderungen an ein zukunftsfähiges Bildungssystem für junge Menschen wollen die Kinder- und Jugendverbände ihre Sicht herausarbeiten und zur Diskussion stellen. Es geht den Verbänden dabei um Schwerpunkte in der Bildung und nicht um ein umfassendes Konzept, das nur in einem breiten gesellschaft­lichen Diskurs entwickelt und weiterentwickelt werden kann, in den alle Beteiligten ihre Aspekte einbringen. 

Dieser Diskurs sollte das Favorisieren simpler Lösungswege wie ‘Rechnen-Schreiben-Lesen-lernen’ oder die Empfehlung, mit ‘Sekundärtugenden’ die Probleme zu bekämpfen, ausschließen. Aus der Sicht der Kinder- und Jugendverbände müssen die Lebensperspektiven der jungen Generation die Richtung für die Weiterentwicklung von Bildung und Ausbildung vorgeben und nicht die angeblichen wirtschafts- und finanzpolitischen Sachzwänge. Der nachwachsenden Generation werden sonst wichtige Voraussetzungen für ihre Zukunft vorenthalten.

Bildung, Ausbildung und Weiterbildung vor neuen Anforderungen

In der heutigen Zeit müssen sich Menschen ständig rasch verändernden Bedingungen und neuen Situationen anpassen. Die Berufsausbildung darf nicht länger als Ausbildung für das ganze Leben gesehen werden. Zudem ist Bildung niemals ein abgeschlossener und nicht mehr entwicklungsfähiger Zustand. Dieses gilt sowohl hinsichtlich der individuellen Persönlichkeitsentwicklung als auch hinsichtlich der Entwicklung der Person als gesellschaft­lichem Wesen.

Lernen muss heute als ein lebenslanger und niemals abgeschlossener Prozess begriffen werden. Der allgemeinen, beruflichen und wissenschaftlichen Weiterbildung kommt in dieser Situation eine wesentliche Rolle zu. Dabei ist von zentraler Bedeutung, dass Arbeiten und Lernen stärker verzahnt werden.

In der Geschichte der bildungspolitischen Diskussion finden wir eine Trennung zwischen Bildung und Ausbildung: Bildung ist offener für Themen und Gegenstände als Ausbildung, der eine stärkere Zweckbezogenheit zugeschrie­ben wird. In einem Bildungsprozess wird im Unterschied zur Ausbildung nicht etwas vorrangig an einem Gegen­stand gelernt oder vermittelt, um es dann in einer bestimmten Weise benutzen oder verwerten zu können, sondern es geht um das Sich-einlassen auf etwas und die Bedeutung für das Menschsein darin. Bildung ist nicht speziali­siert und auf Expertentum ausgerichtet.

Andererseits stehen Bildung und Ausbildung in einem Wechselverhältnis, ihre Grenzen verschwimmen immer mehr. In der arbeitsmarktbezogenen Diskussion gewinnen sogenannte Schlüsselqualifikationen, wie Flexibilität, Selbständigkeit, Verantwortlichkeit, Teamgeist, Kommunikationsfähigkeit und sachbezogene Arbeitshaltung, immer mehr an Bedeutung.

Um die Lebensperspektiven für junge Menschen zu sichern, sind bildungspolitische Initiativen und Investitionen nötig. Trotzdem darf nicht übersehen werden, dass mit einer neuen Bildungsoffensive nicht alle gesellschaftlichen Probleme gelöst werden können. So sind Bildungsdefizite z. B. nicht die Ursache für Massenarbeitslosigkeit und für fehlende Ausbildungsplätze. Bildung kann aber den Menschen helfen, ihren Platz in der Gesellschaft einzunehmen, an gesellschaftlichen Prozessen aktiv teilzunehmen und Entwicklungen mitzugestalten.

Obwohl die Schulabschlüsse von Mädchen und Frauen in der Regel besser sind als die Abschlüsse von Jungen und Männern, werden sie im Bildungssystem nach wie vor benachteiligt. Dies wird in der qualitativen Teilung des Ausbildungs- und Arbeitsmarkts sowie bei Benachteiligungen im Hochschulbereich deutlich. Diese Benachteili­gungen abzubauen, bleibt eine zentrale Anforderung bei der Weiterentwicklung des Bildungssystems.

Bildungsziele

Zentrales Ziel von Bildung ist die Befähigung des Individuums, ein selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben führen und umfassend am sozialen und ökonomischen Leben und der gesellschaftlichen Entwicklung parti­zipieren zu können. Das Bildungssystem muss so gestaltet sein, dass es möglichst vielen Menschen die Chance für ein ihren Neigungen und Fähigkeiten entsprechendes Leben eröffnet.

Aus diesen Zielsetzungen leiten sich für den Deutschen Bundesjugendring folgende Anforderungen an das Bildungssystem ab:

  • Das Bildungssystem muss die optimale Entwicklung und Förderung aller geistigen, seelischen und körperlichen Kräfte der Kinder und Jugendlichen zum Ziel haben. Die Fähigkeit der Kinder und Jugendlichen zur Identitäts­findung, Persönlichkeitsentfaltung und Selbstverwirklichung muss unterstützt werden.
  • Das Bildungssystem muss Hilfestellung bei der Entwicklung einer eigenen Wertorientierung geben, die Voraus­setzung für Toleranz und Kritikfähigkeit des Individuums ist. Dabei muss auch die Pluralität der Wertorientie­rungen berücksichtigt werden.
  • Das Bildungssystem muss soziales Lernen gleichrangig zur Vermittlung von Grund- und Fachwissen ermögli­chen, dazu gehört die Förderung von Schlüsselqualifikationen wie Kommunikationsfähigkeit, Kreativität, Verantwortlichkeit und Problemlösefähigkeit.
  • Das Bildungssystem muss Chancengleichheit und die Mitwirkung aller am Bildungsprozess Beteiligten sicher­stellen.
  • Das Bildungssystem muss Chancengleichheit und Gleichberechtigung beider Geschlechter in allen Bereichen gewährleisten. 
  • Demokratisches Bewusstsein muss gefördert werden und demokratische Verhaltensweisen müssen in jeder Altersstufe eingeübt und praktiziert werden. Dabei müssen die gesellschaftlichen Prozesse und ihre Abhängig­keit von verschiedenen Interessenlagen und Machtstrukturen entwicklungsstufengerecht reflektiert werden. Ziel ist, Hintergründe und Zusammenhänge gesellschaftlichen Lebens zu erkennen, Stellung beziehen zu können und die Bereitschaft zu Zusammenarbeit, Solidarität und zur Lösung gesellschaftlicher Probleme zu fördern.

Schulische Bildung

Schule soll nicht nur ein Ort der Wissensvermittlung, sondern auch ein Ort des sozialen Lernens sein. Als Lebens- und Erfahrungsraum junger Menschen muss sich Schule stärker dem Anspruch stellen, junge Men­schen mit Lebenskompetenz auszustatten. Dabei bildet neben der Sozial- und Methodenkompetenz die Lern­kompetenz eine wesentliche Grundlage, die es gestatten muss, individuelles und gemeinsames Lernen selbstän­dig vorzubereiten, zu gestalten, zu reflektieren, zu bewerten und das Gelernte konsequent anzuwenden mit dem Ziel, Einsichten zu gewinnen und Lösungen für ein Problem zu finden. Junge Menschen sind keine Objekte, sondern Subjekte ihres eigenen Bildungsprozesses. Das setzt voraus, dass ihre Individualität und ihre Interessen stärker zur Geltung kommen mit dem Ziel, das Selbstwertgefühl von Jungen und Mädchen zu stärken.

Für die schulische Bildung muss ein ganzheitliches Gesamtkonzept einer Grundbildung entwickelt werden; damit soll allen jungen Menschen eine gemeinsame Grundlage geboten werden, um sie zu einem lebenslangen Lernen zu befähigen.

Ein solches Grundbildungskonzept muss folgende Bereiche berücksichtigen

  • die grundlegenden Kulturtechniken (sprechen, lesen, schreiben, rechnen, EDV)
  • Übersichtwissen in allen relevanten Gebieten
  • intellektuelle Kompetenzen (strukturiertes Denken, Analyse, Argumentation, Kritikfähigkeit, Transfer­leistun­gen und problemlösendes Denken)
  • musisch-kreative Fertigkeiten (z.B. Musik, Literatur, darstellende und gestaltende Kunst, Theater)
  • körperliche, handwerkliche und hauswirtschaftliche Fähigkeiten
  • soziale Kompetenzen in der Wechselwirkung von Individualität und Solidarität sowie im Spannungsfeld der Geschlechter
  • Entwicklung der moralischen Urteils- und der Wertebildung
  • interkulturelle Kompetenzen (Fremdsprachen, Kommunikation und Umgang mit dem Anderen) 

In diesem Bildungskonzept spielen affektive Aspekte genauso eine Rolle wie rationale und physische; Theorie und Praxis werden ebenso miteinander verbunden wie Alltagsleben, Gesellschaftsleben und Politik.

Soziale Integration erfordert, dass Fördermaßnahmen, Neigungsdifferenzierung und sozialpädagogische Begleitung in allen Schularten und Klassenstufen einen höheren Stellenwert erhalten müssen. Soziales Lernen ist nur möglich, wenn soziale Integration und die Förderung aller Schüler*innengruppen unverzichtbarer Bestandteil der Arbeit in Schule wird. Daher ist allen Versuchen, bereits in einem frühen Stadium zu einer Trennung und Aussonderung von Schüler*innen zu gelangen, entgegenzuwirken. Der integrierten Gesamtschule und ihrer Weiter­entwicklung kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Zur Absicherung dieser Ziele ist sie als eine Regel­schulform flächendeckend anzubieten, damit eine Wahlmöglichkeit besteht.

Schüler*innen sind nicht gleich: Sie benötigen in verschiedenen Lebens- und Entwicklungsphasen unter­schiedliche Arten der Förderung. Diese Förderung muss möglich sein, ohne die Einheitlichkeit der Schulform aufzugeben. Auch nach der Differenzierung ist darauf zu achten, dass nicht Entscheidungen unwiderruflich festge­schrieben werden, sondern dass eine größtmögliche Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen Schulformen bestehen bleibt. 

Koedukation von Mädchen und Jungen führt nicht immer zu gleichberechtigtem Leben und Lernen von Schüler*innen und muss deshalb kritisch hinterfragt und reflektiert werden. Die schulische Unterrichtsorganisation ist dahingehend zu verändern, dass auch Unterricht in geschlechtshomogenen Lerngruppen möglich ist. Lehrer*innen müssen durch Fortbildung dafür sensibilisiert werden, in der schulischen Praxis Mädchen- und Jungenbedürfnisse gleichermaßen zu berücksichtigen und Schüler*innen gleichberechtigt zu fördern.

Ein wichtiges Ziel aller Bemühungen ist ein gleichberechtigtes Leben und Lernen von behinderten und nicht behinderten jungen Menschen. Es sind verstärkt Anstrengungen zu unternehmen, integrative Klassen im Schulrecht zu verankern. Die notwendige Ausbildung der Pädagog*innen und die personelle, materielle und räumliche Ausstattung der Schule muss zur Umsetzung des integrativen Ansatzes endlich über die Primarstufe hinaus sichergestellt werden.

Integration bedeutet des weiteren, dass Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien durch entsprechende Konzepte die Möglichkeit und die Motivation erhalten, die deutsche Sprache zu erlernen bei gleichzeitiger Förderung ihrer eigenen Muttersprache.

Schule soll in der Gesellschaft stehen, ohne nur für kurzfristige arbeitsmarktorientierte Erfordernisse auszubil­den. Schule muss sich zur Gesellschaft hin öffnen. Das geschieht auch durch Kooperation mit gesellschaftlichen Gruppen; dazu gehören in erster Linie auch Kinder- und Jugendverbände. Die Kooperation erfolgt vor allem bei Projekten sowie bei der Gestaltung des „unterrichtsfreien“ Raumes. Kooperationen zwischen schulischen und außerschulischen Projekten müssen als Zusammenarbeit unter gleichberechtigten Partnern möglich sein und sollten im Einbringen beidseitigem Selbstverständnisses und Kompetenz zum Alltag werden.

Wir brauchen ein bedarfsorientiertes Angebot, das auch am Nachmittag eine qualifizierte Begleitung und Förderung der Schüler*innen möglich macht und soziales Lernen außerhalb des Schulalltages anbietet. Das Angebot und der Ausbau von Ganztagsbetreuung ist im Rahmen der Jugendhilfeplanung zu entwickeln. Voraussetzung ist eine Kooperation von Schule und Jugendhilfe, bei der im Rahmen einer Gesamtplanung das Interesse der Kinder und Jugendlichen an unreglementierten Freizeiträumen und einer offenen Angebotsvielfalt berücksichtigt wird. 

Die Abschaffung des Bafögs für Schüler*innen führt zu einer Verfestigung faktisch ungleicher Bildungs­chancen. Es ist festzustellen, dass der Anteil von Kindern, deren Eltern über ein niedriges Einkommen verfügen, an den weiterführenden Schulen in den letzten Jahren rückläufig ist. Diese Zementierung von ungleichen Chancen ist nur durch die Wiedereinführung des Bafögs für Schüler*innen oder andere geeignete Förderinstrumente zu vermeiden.

Um die Schulbildung in die Lage zu versetzen den Anforderungen gerecht zu werden hält es der Deutsche Bundesjugendring für notwendig:

  • den Unterricht flexibel zu gestalten und die Lernschritte individuell anzupassen, damit einhergehen muss die Reduzierung der starren Zeitstrukturierung
  • die Integration von ausgegrenzten Gruppen voranzutreiben
  • Soziales Lernen in die Lehrpläne aufzunehmen und anzuerkennen
  • grundsätzlich koedukativ zu wirken und Koedukation von Mädchen und Jungen kritisch zu reflektieren und, wo erforderlich, die zeitlich begrenzte Möglichkeit zum Unterricht in geschlechtshomogenen Lern­gruppen einzuräumen
  • die Ansätze zur Öffnung von Schule in ihr soziales Umfeld auszuweiten
  • individuelle Lernkonzepte weiter zu entwickeln 
  • bedarfsorientierte Angebote qualifizierter Begleitung und Förderung der Schüler*innen auch am Nachmittag auszubauen
  • die Investitionen in die Infrastruktur der Schule zu erhöhen, um die ungenügende Ausstattung durch die Kürzungen der letzten Jahre auszugleichen
  • die Aus- und Fortbildung der Lehrer*innen im Sinne der o.g. Kriterien zu reformieren
  • die Personalkürzungen der letzten Jahre durch vermehrte Einstellung junger Lehrer*innen zu kompensieren und damit Unterrichtsausfälle nachhaltig zu reduzieren.

Hochschulbildung

Der Zugang zu Hochschulen muss sowohl über den ersten sowie über den zweiten Bildungsweg ohne Zugangs­beschränkung möglich sein. Wie in allen Bereichen der Bildung muss der finanziellen Austrocknung Einhalt geboten werden. Die Finanznot ist sowohl bei der Ausstattung der Hochschulen als auch bei den Studierenden offenkundig. Die Zahl der Bafög-Empfänger*innen ist seit langen Jahren rückläufig, da die Bemes­sungsgrundlagen kaum erhöht worden sind. Heute muss weit über die Hälfte der Studierenden ihren Unterhalt durch Erwerbstätigkeit sichern. Die soziale Zusammensetzung der Studierenden belegt die ungleichen Bildungschancen, die zunehmend durch die soziale Herkunft bestimmt werden. Die inzwischen häufig geforderte Studiengebühr würde die Chancenungleichheit verstärken.

Diese Entwicklungen bestätigen die Notwendigkeit einer elternunabhängigen Ausbildungsförderung für Studie­rende, die ein von Dritten unabhängiges Leben gewährleistet und in der Regel nicht zurückgezahlt werden muss. Die Fördersätze müssen sich an der Ausbildungsdauer und an der Preisentwicklung orientieren. Als Ausgleich können die Ausbildungsfreibeträge im Einkommensteuergesetz abgeschafft werden.

Darüber hinaus muss die personelle und sachliche Ausstattung der Bildungsinstitutionen soweit aufgestockt werden, dass sie ihrem Bildungsauftrag und der gestiegenen Zahl der Studierenden gerecht werden können. Die Schaffung von neuen Studiengängen und Studienplätzen soll dem gesellschaftlichen Bedarf an qualifizierten akademisch gebildeten Absolvent*innen Rechnung tragen. Um eine längerfristige Haushalts- und Personal­planung durchzuführen, muss ein gemeinsamer Hochschulrahmenplan zwischen Bund und Ländern vereinbart werden, in dem die erforderlichen finanziellen Mittel für den Hochschulbau, Betrieb, die Investitionsfolgekosten und die benötigte personelle Ausstattung sichergestellt werden. Die Erstellung eines Hochschulrahmenplanes muss in einem transparenten Verfahren zusammen mit allen Betroffenen durchgeführt werden.

Ferner muss die Durchlässigkeit zwischen den eher praxisorientierten Studiengängen an den Fachhochschulen und den eher theoriebezogenen Studiengängen an den Universitäten ermöglicht werden. Berufsbegleitende Teilzeit­studiengänge zur Weiterbildung und zur Erlangung von Schlüsselqualifikationen sind verstärkt anzubieten. Dazu sind auch die Angebote der Fernstudiengänge zu erweitern bzw. dem technischen Fortschritt in der Kommunika­tionstechnologie (Internet, usw.) anzupassen.

Das Studium selbst sollte stärker als bisher zur Auseinandersetzung mit der Berufspraxis qualifizieren, um den Einstieg der Studierenden in einen Beruf zu erleichtern. Studiengänge und Studienordnungen müssen eine Ausbil­dung je nach individueller Lebensplanung der Studierenden ermöglichen, dies kann auch durch ein Teilzeitstudium realisiert werden. Zur Sicherung eines qualifizierten Studiums gehört, dass im Rahmen der Tätigkeit von Hochschullehrer*innen der Lehrauftrag stärker betont wird. Hochschullehrende müssen nicht alleine gute Forscher*innen sein, sie müssen ihr Wissen auch didaktisch und methodisch aufbereitet vermitteln.

Der Deutsche Bundesjugendring fordert:

  • die personelle und sachliche Ausstattung der Hochschulen nachhaltig anzuheben
  • den Hochschulzugang über den ersten und zweiten Bildungsweg ohne Beschränkungen zu ermöglichen
  • eine grundsätzlich elternunabhängige Ausbildungsförderung
  • keine Studiengebühren
  • einen gemeinsamen Hochschulrahmenplan von Bund und Ländern
  • Durchlässigkeit von theorie- und praxisorientierten Studiengängen
  • flexible Studienmöglichkeiten je nach Lebenssituation (z. B. bei Elternschaft)
  • Leistungsverbesserung und Leistungskontrolle bei den Lehrenden
  • Berücksichtigung ehrenamtlicher Tätigkeit im Bafög durch Verlängerung der Förderungshöchstdauer
  • Ausbau interdisziplinärer Ansätze der Frauen- und Geschlechterforschung
  • vorrangige Berufung von Professorinnen

Berufliche Bildung

Angebote an Ausbildungsplätzen und Übernahme

Die duale Ausbildung ist die Basis der beruflichen Bildung. Sie muss erhalten und weiterentwickelt werden.

Seit Beginn der 90er Jahre bieten die Arbeitgeber*innen immer weniger Ausbildungsplätze an. Die Flucht aus der Ausbildungsverantwortung nimmt in den letzten beiden Jahren ein erschreckendes Ausmaß an. Nur noch jeder dritte Betrieb bildet überhaupt aus. Auf der anderen Seite steigt die Zahl der Schulabsolvent*innen und damit die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen bis ins nächste Jahrtausend weiter an.

Die Bereitstellung von betrieblichen Ausbildungsplätzen unterliegt der einzelunternehmerischen Entscheidung. Dies führt zu starken konjunkturellen Schwankungen im Ausbildungsangebot. Kostenargumente veranlassen immer mehr Betriebe, sich aus der dualen Ausbildung zurückzuziehen, um auf den Schultern anderer einen Wettbewerbsvorteil zu erschleichen. Appelle von Regierungsseite und Versprechungen von Verbandsvertreter*innen der Unternehmen blieben wirkungslos.

Die Ausbildungsvergütungen zu kürzen, um die Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen zu stärken, ist weder ein akzeptabler noch ein überzeugender Weg, da sie die Existenz unabhängig von Dritten gewährleisten sollen. Im Gegenteil: In vielen Ausbildungsberufen erlauben die niedrigen Ausbildungsvergütungen keine selbständige Lebensführung. Sie müssen entsprechend erhöht werden.

Deshalb fordert der DBJR den Bundesgesetzgeber auf, ein solidarisches Fondsmodell zu realisieren, das jene Betriebe zur Kasse bittet, die ihrer Ausbildungsverantwortung nicht nachkommen. Die Fondsabgabe muss so bemessen sein, dass mit ihr genügend Ausbil­dungsstellen finanziert werden können, um dem grundgesetzli­chen Anspruch nach Berufswahlfreiheit zu entsprechen. Dies bedeutet – gemessen an der Nachfrage –, dass ein wohnortnahes Ausbildungsplatzangebot von 112,5 Prozent zur Verfügung stehen muss wie es das Bundesverfas­sungsgerichtes schon 1980 eingefordert hat. Mit dem Fonds sollen Ausbildungsplätze in zukunftsfähigen Berufen finanziert werden. 

Zur Unterstützung dieses Ziels ist es sinnvoll, den Anspruch auf einen Ausbildungsplatz in den Länderverfas­sungen zu verankern. Dies böte die Gewähr dafür, dass die Länder sich sowohl über das bundesgesetzgeberi­sche Verfahren als auch auf Landesebene verstärkt für die Absicherung einer ausreichenden Anzahl von Ausbildungsplätzen einsetzen.

Neben bzw. bis zur Realisierung eines solchen solidarischen Fondsmodells fordert der DBJR unmittelbar wirkende bzw. ergänzende Maßnahmen zur Ausbildungsplatzförderung; dieses gilt insbesondere für struktur­schwache Gebiete. Dabei müssen Verbundlö­sungen (Ausbildung im Verbund) gefördert und vorübergehend außerbetriebliche und vollzeitschulische Ausbildungsplätze bereitgestellt werden. Ausbildungsbegleitende Hil­fen sind auszubauen. 

Auch der Ausbildungsmarkt ist geschlechtsspezifisch geteilt. Mehr Mädchen als Jungen haben keinen Ausbil­dungsplatz. Außerdem wählen Mädchen nur einen kleinen Teil der Ausbildungsberufe aus – meist die niedrig­sten Entlohnten. Ferner gehen viele Mädchen einer kostenpflichtigen Ausbildung nach. Auf der anderen Seite lassen sich junge Männer selten in z. B. Erziehungsberufen ausbilden. Der Deutsche Bundesjugendring fordert eine reelle Öffnung aller Ausbildungsplätze für alle. Das bedeutet auch, dass zum jetzigen Zeitpunkt eine solche Zielsetzung nur erreicht werden kann, wenn Frauen bei gleicher Qualifikation bei der Besetzung von Ausbil­dungsplätzen bevorzugt werden. 

Die Übernahme nach der Ausbildung ist notwendig, um die gerade erworbene Qualifika­tion und damit auch die Zukunftschancen junger Menschen zu sichern. Diese Sicherung der Qualifikation findet immer seltener statt. 40 Prozent der Ausbildungsabsolvent*innen wurden 1995 nicht übernommen; besonders in kleineren Betrieben fällt es schwer Ausgebildete zu übernehmen.

Für eine langfristige und flächendeckende Lösung ist eine aktive Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik gefordert. Dies ist durch spezielle Fördermaßnahmen (berufsbegleitende Weiterbildungsmaßnahmen) zu unterstützen. Die Informationspflicht der Arbeitgeber*innen gegenüber dem Auszubildenden und die Mitbestimmungsrechte von Betriebs- und Personalräten sind in der Frage der Übernahme auszubauen.

Qualität der Ausbildung

Ein geeignetes Konzept für eine zukunftsorientierte Berufsausbildung umfasst im Wesentlichen eine breite Grund­qualifizierung, die wirtschaftliche und berufliche Veränderungs­prozesse schneller und effizienter erfassen und regeln kann. Es gilt, Berufe, die nur noch eine geringe Arbeitsmarktverwertbarkeit besitzen und zu beruflicher und sozialer Be­nachteiligung führen, zu überprüfen. Ziel ist es, Schmalspur- und Sackgassen­berufe abzuschaffen. In diesem Zusammenhang ist die Schaffung von neuen Berufsbildern aufgrund ökologi­scher, ökonomischer, techni­scher und gesellschaftlicher Veränderungen in den Dienstleistungsbranchen und im Informations- und Kommuni­kationssektor notwendig. Dem fortschreitenden europäischen Integrations­prozess ist Rechnung zu tragen, indem innerhalb Europas vergleichbare Bildungs- und Qualifikationsprofile entwickelt werden, die das jeweilige nationale Bildungsniveau fördern und nicht reduzieren.

Die Förderung für leistungsschwache und behinderte Jugendliche und ausbildungsbegleitende Hilfen sind auszu­bauen. Das primäre Ziel der Ausbildung ist der Abschluss in einem anerkannten Ausbildungsberuf, die jeden Jugendlichen abhängig von dem persönlichen Lernniveau und Lernpotential zum individuellen Optimum im Ausbildungsverlauf führen soll. Die Maßnahmen zur Deregulierung der Berufsbildung (Änderungen in der Ausbildereignungsverordnung und im Jugendarbeitsschutzgesetz) müssen aufgehoben werden. Die Abstim­mung der Lernorte (Betrieb-Berufsschule) muss verbessert werden.

Von der Politik erwartet der Deutsche Bundesjugendring, dass sie sich für die notwendigen Rahmenbedin­gungen einer zeitgemäßen und qualifizierten Berufsschule einsetzt, das beinhaltet insbeson­dere eine Verbesse­rung der sachlichen und personellen Ausstattung der Berufsschule. Gefordert sind:

  • die Weiterentwicklung der methodischen und didaktischen Konzepte (z.B. soziale Kompetenz, Lernkom­petenz)
  • die Reduzierung des Unterrichtsausfalls
  • die qualitative und quantitative Sicherung des Berufsschullehrer*innen-Nachwuchses
  • die Verbesserung der Schüler*innen-Lehrer*innen-Relation
  • der Unterrichtsumfang von 12 Wochenstunden darf nicht unterschritten werden (Flexibilisierung der zeitlichen Lage im Einvernehmen mit den Tarifpartnern sind möglich)

Gleichwertigkeit von beruflicher und schulischer Bildung

Die Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung ist anzustreben. Als Voraussetzung für Aufbauaus­bildungen muss die Angleichung der Lehrpläne der beruflichen Bildung an jene der Sekundarstufe II der allgemeinbildenden Schulen geprüft werden.

Medienkompetenz als Bestandteil der Bildung

In einer Kommunikations- und Wissensgesellschaft, in der Kommunikation und Interaktion ganz wesentlich über technische Medien ablaufen, ist Medienkompetenz ein wesentlicher Bestandteil des Bildungsprozesses. Es ist viel mehr Wissen verfügbar, als sich der*die Einzelne aneignen kann. Deshalb gewinnt die Auswahlfähigkeit und das Orientierungswissen einen immer höheren Stellenwert. 

Die verfügbaren Medien haben sich in den letzten Jahrzehnten durch technische Innovationen ständig vermehrt. Wenn eine Gesellschaft in allen Bereichen (Arbeitswelt, Bildung, Freizeit, usw.) weitgehend von Medien geprägt wird, haben Einzelne bzw. Gruppen nur eine Chance auf Berücksichtigung ihrer Interessen, wenn sie zu aktiver Partizipation mit Hilfe der verfügbaren Medien in der Lage sind.

Die Bildungspolitik muss Konzepte entwickeln um einen demokratischem Zugang zu Informationen zu gewährleisten, um eine Spaltung in eine Zweiklassen-Gesellschaft zu verhindern. Die Fähigkeit zum Umgang mit Medien ist die Voraussetzung, um eigene Sichtweisen von Welt und Individualität, von relevanten Themen und von persönlichen Problemen mit Sprache, Bildern, Tönen, Symbolen usw. zum Ausdruck bringen zu können.

Zur Medienkompetenz gehört

  • Medien aktiv als Kommunikationsmittel nutzen zu können.
  • selbstbestimmt mit Medieninhalten umgehen, Informationen auswählen und werten zu können.
  • eine kritische Distanz gegenüber Medienentwicklungen einnehmen zu können.

Der souveräne Umgang mit Information durch Wort, Text, Bild und Ton gehörte immer zu den Zielen des Bildungsprozesses. Je vielfältiger die Informationsübermittlung wird, desto wichtiger wird es, jedes (alte und) neue Medium nutzen aber auch seine Grenzen einschätzen zu können. Die Medienpädagogik hat hierzu Konzepte aktiver Medienarbeit entwickelt und sie im Bereich der Jugendarbeit sehr erfolgreich eingesetzt. Der Schul- und Hochschulbereich verfügt über zahlreiche Modellversuche. Diese vielversprechenden Ansätze werden nur fortgesetzt, wenn hierfür finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Die unzureichende materielle Ausstattung der Bildungsinstitutionen wird bei technischen Geräten besonders offensichtlich. Daneben benötigen die pädagogisch Tätigen Rüstzeug in Form von Aus- und Fortbildungsangeboten, um Medienkompetenz an Jugendliche weitervermitteln zu können.

Mitbestimmung

Für die Interessenvertretung der jungen Menschen in den verschiedenen Bildungsinstitutionen fordert der Deutsche Bundesjugendring: 

  • Schüler*innen sind nicht Objekte ihrer Schulorganisation, vielmehr sind sie deren Mittelpunkt. Sie verbringen einen wichtigen Teil ihrer Zeit und ihres Lebens in der Schule, sie sind daher in die Gestaltung des Schulalltags und auch in eine Bildungs- und Schulreform einzubeziehen.

Schule soll Demokratie nicht nur vermitteln, sie muss auch selbst demokratisch strukturiert sein. Ein wichtiges demokratisches Ausdrucksmittel sind Schüler*innenzeitungen. Für sie muss die Pressefreiheit auf der Grundlage des Presserechts ohne Vertriebsverbote und Zensur gelten.

In einem demokratischen Bildungssystem sollen junge Menschen ihre Interessenvertretung durch gewählte Vertretungen wahrnehmen. In allen Bundesländern müssen unabhängige Vertretungen der Schüler*innen mit Satzungs- und Finanzautonomie gesetzlich verankert werden. Schüler*innen und ihre Vertretungen müssen umfassende Mitbestimmungsrechte in allen Bereichen haben. In einer demokratischen Schulstruktur sollten die Schüler*innen ihre Mitspracherechte durch einen 50-Prozent-Stimmenanteil ausüben, die übrigen 50 Prozent verteilen sich auf Eltern und Lehrpersonal. 

Eine demokratische Schulstruktur muss allerdings auch auf allen Ebenen der Bildungspolitik ihren Nieder­schlag finden. Auch auf Bundesebene muss die Vertretung der Schüler*innen der allgemein­bildenden und berufsbildenden Schulen der Sekundarstufe I und II, die Bundesschüler*innenvertretung (BSV) endlich offiziell anerkannt und mit einer institutionellen Förderung aus dem zuständigen Fachmini­sterium versehen werden. Auch in der Primarstufe gilt es, altersgemäße Formen der Schüler*innenmitbestimmung zu verwirklichen. Hierzu ist es notwendig, neue Beteiligungsformen durch Modellprojekte weiter zu entwickeln.

  • Die Mitbestimmungsrechte der Jugend- und Ausbildungsvertretungen in den Verwaltungen und Betrieben sind in den Personalvertretungs- und im Betriebsverfassungsgesetz festgeschrieben. Diese Rechte gilt es zu stärken. Es muss dafür Sorge getragen werden, dass sie in der Praxis entsprechend umgesetzt werden.
  • An den Hochschulen müssen die Lehrkräfte, die Arbeitskräfte ohne Lehraufgaben sowie die Studierenden gleiche Mitbestimmungsrechte in den Selbstverwaltungsorganen wahrnehmen können. Die Studierenden müssen ihre Interessen als verfasste Studentenschaft mit Satzung, Finanzautonomie und allgemeinpoliti­schem Mandat vertreten können. Die selbständige Entscheidungskompetenz der Hochschulen innerhalb eines gemein­samen Rahmenplanes muss ausgebaut werden.

Außerschulische Jugendbildung in der Kinder- und Jugendverbandsarbeit

Neben und nach der schulischen Bildung, dem Studium und der Ausbildung bzw. Berufstätigkeit von jungen Menschen hat sich in der Kinder- und Jugendarbeit eine eigene Säule der Bildungsarbeit entwickelt. Sie hat eine lange Tradition als wesentliches Handlungsfeld der Kinder- und Jugendverbände, wird aber auch von anderen freien und von öffentlichen Trägern angeboten. In § 11 KJHG hat sie eine gesetzliche Grundlegung und ist als Pflichtaufgabe der Kinder- und Jugendhilfe aus öffentlichen Mitteln zu fördern. Ihre Inhalte umfassen alle für junge Menschen relevanten Felder, ihre Methoden sind vielfältig, sie sind von einem hohen Maß der Beteiligung und Eigenaktivität junger Menschen gekennzeichnet, die Teilnahme ist freiwillig. Zielsetzung, Inhalte und Methoden werden von den Trägern in eigener Verantwortung bestimmt. Den Kinder- und Jugendverbänden mit ihren Prinzipien der Wertorientierung, Selbstorganisation und Ehrenamtlichkeit, Freiwilligkeit und demokratischer Struktur kommt dabei eine zentrale Rolle zu.

Jugendbildung ist ein wichtiger und originärer Bestandteil verbandlicher Jugendarbeit

Aufgabe der Bildungsarbeit der Kinder- und Jugendverbände ist es, Angebote zur persönlichen Entwicklung, zur Lebenshilfe, zur gesellschaftlichen Orientierung und zum gesellschaftlichen Miteinander anzubieten. Sie ist auch eine Form der aktiven Freizeitgestaltung. Teil der Jugendbildung sind auch Angebote der musischen und kulturel­len Bildung, der ökologischen Bildung, des interkulturellen Lernens und anderer Bildungsansätze. Politische Bildung nimmt aufgrund des Selbstverständnisses der Kinder- und Jugendverbände einen besonderen Stellenwert ein.

Der Bildungsbegriff in der Jugendverbandsarbeit umfasst zwei Kernbereiche:

In den Feldern politische Bildung, pädagogische, soziale und kulturelle Bildung werden spezifische Bildungs­inhalte vermittelt. Kreative, erfahrungsorientierte, an die Lebenswelten Jugendlicher anknüpfende Formen der Jugendbildung stehen bei allen Bildungsansätzen im Vordergrund. Gleichzeitig ermöglichen Kinder- und Jugendverbände jungen Menschen durch ihre demokratisch verfasste Struktur und ihr Organisationsver­ständnis Erfahrungen, welche die Persönlichkeitsentwicklung fördern. Dazu gehört außerhalb von Leistungs- und Konkurrenzdruck neue, selbstbestimmte Erfahrungen zu sammeln, die gerade im Zusammenhang mit sozialen Lernzielen wie Kommunikationsfähigkeit und Selbstbestimmung, Lernen von Demokratie und Solidarität, Verantwortungsübernahme für sich selbst und andere Freiräume bieten, über die Schule nicht verfügt. Kinder- und Jugendverbandsarbeit ist eigenständig und nimmt keine kompensatorische Funktion neben der Schule ein.

Politische Bildung

In einer unübersichtlicher gewordenen Welt, in der die kulturelle, religiöse, moralische und auch politische Orientierung immer schwerer fällt, kommt der politischen Bildung wachsende Bedeutung zu. Eine demokra­tische Lösung gesellschaftlicher Probleme setzt die Partizipation möglichst vieler Menschen voraus. Politische Bildung muss daher handlungsorientiert sein und sollte dazu befähigen, aktiv an der Gestaltung und Verände­rung der Gesellschaft mitzuwirken. Wertorientierung, Selbstorganisation Jugendlicher, Interessenvertretung von Jugendlichen und die Beteiligung am gesellschaftlichen Diskurs sind die Eckpunkte der politischen Bildung in den Kinder- und Jugendverbänden. Sie bewegen sich hierbei im Spannungsfeld von Freizeit, Bildung und Interessen­vertretung.

Die Auseinandersetzungen mit gesellschaftlichen Realitäten und die Suche nach Orientierungen findet in zahlreichen Lern-, Erfahrungs- und Erlebnisangeboten im Rahmen politischer Bildungsarbeit und der inter­nationalen Jugendbildung statt. Beispielsweise werden Aktionen zu ökologischen Themen, Projekte mit sozialgeschichtlichen Themen („Spurensuche“), Seminare zum Thema Gleichberechtigung, Bildungs­urlaubsangebote mit europapolitischen Fragestellungen, themenbezogene Gruppenarbeit zu In- und Auslän­derfragen veranstaltet mit der Absicht, durch die Bildungsarbeit politisches Handeln anzuregen.

Die Beteiligung in den demokratischen Strukturen der Kinder- und Jugendverbände ist gleichzeitig politische Bildung im Lernfeld Jugendverband. Kinder- und Jugendverbände versuchen ihren Bildungsanspruch zu realisieren durch politisches Lernen und Handeln auf allen Ebenen der Verbandsarbeit. Prozesse politischer Bildung werden sowohl durch die Arbeit in den verbandlichen Strukturen in Gang gesetzt als auch durch die Jugendarbeit, die von den Kinder- und Jugendverbänden angeboten wird. Insofern zieht sich das Grundprinzip politischer Bildung quer durch alle Angebote und Strukturen der Jugendverbandsarbeit.

Kinder- und Jugendverbände ermöglichen aufgrund ihres Selbstverständnisses und ihres Aufbaus die Verschmelzung verschiedener Dimensionen von Jugendarbeit, die sonst oft nur einzeln auftreten: z. B. Persön­lichkeitsbildung, politisches Lern- und Handlungsfeld, Interessenvertretung und demokratische Selbstorgani­sation. Gerade die Mitwirkung an demokratischen Willensbildungsprozessen eröffnet Möglichkeiten des institutionellen Lernens und Handelns. Die Erfahrung politischer Beteiligung wird so konkret. 

Förderung der Bildung in Kinder- und Jugendverbänden (außerschulische Jugendbildung)

Das gesellschaftliche Interesse an der außerschulischen Bildung ist eine wesentliche Voraussetzung für die staatliche Förderung der Angebote außerschulischer Jugendbildung. Lebenslanges Lernen ist für alle notwen­dig. Es geht dabei nicht um individuelle Bildungsnischen, sondern um eine unabdingbare Voraussetzung für die Weiterentwicklung und Erneuerung der Gesellschaft. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, diesen lebens­langen Lernprozess nicht nur für einige wenige möglich zu machen, sondern ihn unabhängig von individuellen finanziellen Voraussetzungen zu ermöglichen. Auch in Zeiten knapper Kassen ist die Förderung außerschuli­scher Bildungsarbeit von staatlicher Seite so zu gestalten, dass für die Teilnehmer*innen keine finanziellen Schwellen für eine Teilnahme aufgebaut werden.

Jugendbildung in Kinder- und Jugendverbänden spricht Jugendliche über den Rahmen der Verbandsmitglied­schaft hinaus an. Sie motiviert Jugendliche zur Mitarbeit, und bietet ein Betätigungsfeld für ein überschaubares Engagement, was einem wachsenden Bedürfnis Jugendlicher entgegenkommt. Die intensive Befassung mit relevanten und aktuellen Themen trägt zur Stärkung des sozialen und politischen Engagements Jugendlicher bei.

Die für die außerschulische Jugendbildung notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen bzw. zu erhalten ist Aufgabe der Jugendförderung und der Jugendpolitik. Vor allem ist hier die Verbesserung der Freistellungs­möglichkeiten für die Teilnahme und die Mitwirkung an Jugendbildungsveranstaltungen nötig.

Lebenslanges Lernen 

Weiterbildung als lebenslanges Lernen ist Voraussetzung für die individuelle Entfaltung der Persönlichkeit und für die angemessene Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Sie dient der Orientierung in einer immer komplexer werdenden Welt. Die Umbrüche der Wirtschaft und der Arbeitswelt und ihre Folgen für die gesamte Gesellschaft erfordern zunehmend Selbständigkeit und Eigenverantwortung der Menschen. Das alte Lebenskonzept einer ununterbrochenen Erwerbsarbeit im gleichen Beruf und häufig auch im gleichen Betrieb entspricht nicht mehr der Realität des Arbeitsmarktes und den Perspektiven von Erwerbsbiographien. Das Konzept des lebenslangen Lernens impliziert, dass sich Lernphasen, Erwerbsarbeits- und Erziehungsphasen abwechseln und überschneiden können. Dazu gehört auch, dass neue Formen der Verkürzung und Verteilung individueller Lebensarbeitszeit verwirklicht werden.

Selbstverantwortete Weiterbildung befähigt, das eigene Leben zu gestalten und die Gesellschaft mit weiterzu­entwickeln. Sie ist die Basis für beruflichen Aufstieg und berufliche Existenzsicherung. Lebenslanges Lernen muss daher die Möglichkeit beinhalten, Bildungswege fortzusetzen, wiederaufzunehmen oder sich neu orientieren zu können. Die individuelle Orientierung auf ein lebenslanges Lernen muss durch entsprechende Rahmenbedingungen und eine Infrastruktur gestützt werden, die den Einstieg in Bildungsprozesse für jede Gruppe der Bevölkerung ermöglicht. Um dies zu gewährleisten, sind neben breitgefächerten und bedarfsgerechten Bildungsangeboten, die nur durch eine entsprechende Vielfalt der Bildungsträger garantiert wird, vor allem ausreichende Freistellungs- und Finanzierungsregelungen für alle Bildungswilligen – egal, ob berufstätig, arbeitslos oder in der Familie tätig – notwendig. Dabei ist die bundeseinheitliche Sicherung von Qualitätsstandards und die allgemeine Anerkennung von Weiterbildungsabschlüssen dringend erforderlich.

Forderungen

Um die Schulbildung in die Lage zu versetzen den Anforderungen gerecht zu werden hält es der Deutsche Bundesjugendring für notwendig:

  • den Unterricht flexibel zu gestalten und die Lernschritte individuell anzupassen, damit einhergehen muss die Reduzierung der starren Zeitstrukturierung
  • die Integration von ausgegrenzten Gruppen voranzutreiben
  • Soziales Lernen in die Lehrpläne aufzunehmen und anzuerkennen
  • grundsätzlich koedukativ zu wirken und Koedukation von Mädchen und Jungen kritisch zu reflektieren und, wo erforderlich, die zeitlich begrenzte Möglichkeit zum Unterricht in geschlechtshomogenen Lern­gruppen einzuräumen
  • die Ansätze zur Öffnung von Schule in ihr soziales Umfeld auszuweiten
  • individuelle Lernkonzepte weiter zu entwickeln 
  • bedarfsorientierte Angebote qualifizierter Begleitung und Förderung der Schüler*innen auch am Nachmittag auszubauen
  • die Investitionen in die Infrastruktur der Schule zu erhöhen, um die ungenügende Ausstattung durch die Kürzungen der letzten Jahre auszugleichen
  • die Aus- und Fortbildung der Lehrer*innen im Sinne der o.g. Kriterien zu reformieren
  • die Personalkürzungen der letzten Jahre durch vermehrte Einstellung junger Lehrer*innen zu kompensieren und damit Unterrichtsausfälle nachhaltig zu reduzieren.
  • Berücksichtigung von Medienkompetenz als Schlüsselqualifikation in allen Lehrplänen

Der Deutsche Bundesjugendring fordert für die Weiterentwicklung der Hochschulen:

  • die personelle und sachliche Ausstattung der Hochschulen nachhaltig anzuheben
  • den Hochschulzugang über den ersten und zweiten Bildungsweg ohne Beschränkungen zu ermöglichen
  • eine grundsätzlich elternunabhängige Ausbildungsförderung
  • keine Studiengebühren
  • einen gemeinsamen Hochschulrahmenplan von Bund und Ländern
  • Durchlässigkeit von theorie- und praxisorientierten Studiengängen
  • flexible Studienmöglichkeiten je nach Lebenssituation (z. B. bei Elternschaft)
  • Leistungsverbesserung und Leistungskontrolle bei den Lehrenden
  • Berücksichtigung ehrenamtlicher Tätigkeit im Bafög durch Verlängerung der Förderungshöchstdauer
  • Ausbau interdisziplinärer Ansätze der Frauen- und Geschlechterforschung
  • vorrangige Berufung von Professorinnen

Für die berufliche Ausbildung fordert der Deutsche Bundesjugendring: 

  • ein solidarisches Fondsmodell zu realisieren, um Ausbildungsplätze in zukunftsfähigen Berufen zu finanzieren
  • ergänzende Maßnahmen zur Ausbildungsplatzförderung insbesondere in strukturschwachen Gebieten
  • den Ausbau ausbildungsbegleitender Hilfen und Förderprogramme für lern- und leistungsschwache Jugendliche
  • Unterstützung des Übergangs in den Arbeitsmarkt durch spezielle Fördermaßnahmen (berufsbegleitende Weiterbildungsmaßnahmen).
  • Verbesserung der sachlichen und personellen Ausstattung der Berufsschulen und einen Mindestumfang des Unterrichts von 12 Wochenstunden
  • Herstellung der Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung

Für die Interessenvertretung der jungen Menschen in den verschiedenen Bildungsinstitutionen fordert der Deutsche Bundesjugendring: 

  • Pressefreiheit für Schülerzeitungen auf der Grundlage des Presserechts ohne Vertriebsverbote und Zensur
  • gesetzliche Verankerung unabhängiger Vertretungen der Schüler*innen mit Satzungs- und Finanzautonomie
  • Vertretungen der Schüler*innen sollten in der Mitbestimmung einen 50-Prozent-Stimmenanteil haben, die übrigen 50 Prozent verteilen sich auf Eltern und Lehrpersonal.
  • die Mitbestimmungsrechte der Jugend- und Ausbildungsvertretungen müssen eingehalten und gestärkt werden.
  • an den Hochschulen müssen die Lehrkräfte, die Arbeitskräfte ohne Lehraufgaben sowie die Studierenden gleiche Mitbestimmungsrechte in den Selbstverwaltungsorganen wahrnehmen können. Die Studierenden müssen ihre Interessen als verfasste Studentenschaft mit Satzung, Finanzautonomie und allgemeinpoliti­schem Mandat vertreten können. Die selbständige Entscheidungskompetenz der Hochschulen innerhalb eines gemeinsamen Rahmenplanes muss ausgebaut werden.

Für die außerschulische Jugendbildung fordert der Deutsche Bundesjugendring:

  • die Teilnahme an Maßnahmen der Jugendarbeit muss weiter gefördert werden
  • die notwendigen Rahmenbedingungen für die außerschulische Jugendbildung müssen erhalten,
  • bedarfsgerecht ausgebaut und ihre Förderung muss verbessert werden
  • Freistellungsmöglichkeiten für die Teilnahme und die Mitwirkung an Jugendbildungsveranstaltungen müssen verbessert werden

Darüber hinaus sind ausreichende Freistellungs- und Finanzierungsregelungen für den gesamten Bildungsbereich notwendig um lebenslanges Lernen zu ermöglichen.

 

Einstimmig bei sechs Enthaltungen von der Vollversammlung am 21./22. Oktober 1998 in Dresdenbeschlossen.

Redaktionell überarbeitet (neue Rechtschreibung und Gender-Gap) im Januar 2018.

 

Themen: Bildung