Armut

Breite Allianz fordert Kindergrundsicherung

Über Parteigrenzen hinweg gibt es eine hohe Zustimmung zur Einführung einer Kindergrundsicherung in der Bevölkerung. In einem breiten Bündnis von 22 Organisationen fordern wir deswegen die Politik zum Handeln auf.

„Die nächste Bundesregierung muss eine verlässliche Grundsicherung schaffen, damit wirksam gegen Kinder- und Jugendarmut gekämpft wird“, sagt unser Vorstandsmitglied Matthias Schröder. Er fordert außerdem: „Für eine kohärente Sozialpolitik braucht es außerdem eine Verzahnung mit angrenzenden Feldern, in denen junge Menschen von Armut bedroht sind. Gute Ausbildungsbedingungen mit Zukunftsperspektiven, ein auskömmliches BAföG für alle gehören dazu wie gute und sichere Arbeitsverhältnisse für junge Menschen.“

Die Idee einer Kindergrundsicherung findet in der Bevölkerung große Zustimmung. 76 Prozent der Wahlberechtigten sind dafür, eine Kindergrundsicherung einzuführen. Unter den Anhänger*innen der CDU/CSU und FDP, die aktuell noch keine Kindergrundsicherung im Wahlprogramm haben, spricht sich jeweils eine deutliche Mehrheit von ebenfalls 76 Prozent beziehungsweise 67 Prozent für eine Kindergrundsicherung aus. Das ergibt eine aktuelle, repräsentative FORSA-Befragung. Danach halten es 94 Prozent der Befragten für wichtig, Kinderarmut zu bekämpfen.

Die gemeinsame Erklärung im Wortlaut:

Aktuell leben 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche von staatlichen Leistungen zur Existenzsicherung, davon 1,6 Millionen, obwohl ihre Eltern erwerbstätig sind.[1] Die Corona-Pandemie macht Armutsfolgen deutlich sichtbarer und wird die Kinderarmut in den nächsten Jahren weiter verschärfen.

Kinderarmut ist besonders besorgniserregend, da sie nicht nur Mangel und Ausgrenzung im Hier und Jetzt bedeutet, sondern negativ in die Zukunft wirkt und Kindern Zukunftschancen nimmt. Die vielen familienbezogenen Leistungen wie Kindergeld, Kinderzuschlag, SGB II-Leistungen oder das Bildungs- und Teilhabepaket erreichen ihr Ziel, Armut von Kindern zu vermeiden, nicht ausreichend. Auch die Anpassungen einzelner Leistungen haben keinen grundlegenden Durchbruch bei der Überwindung der Kinderarmut gebracht.

Die Kritik am aktuellen System der sozial- und familienpolitischen Leistungen ist groß: Die Leistungen reichen in der Höhe nicht aus, das kindliche Existenzminimum – das Ausgangspunkt für das Sozial-, Unterhalts- als auch das Steuerrecht ist – wird regelmäßig kleingerechnet. Zudem profitieren Familien mit hohen Einkommen durch den Kinderfreibetrag deutlich stärker als Familien, die nur das Kindergeld erhalten – dieser Vorteil kann sich bis zum 18. Geburtstag eines Kindes auf bis zu 20.000 Euro summieren. Anders als das Kindergeld sind zahlreiche Leistungen aufgrund bürokratischer Hürden nicht einfach zugänglich und vielfach nicht ausreichend aufeinander abgestimmt. Deshalb werden viel zu viele Kinder und ihre Familien nicht erreicht, beispielsweise hat der Kinderzuschlag eine sehr hohe Nichtinanspruchnahme und bei Leistungen von sogenannten „Aufstocker*innen“ spricht die Bundesregierung selbst von einer Dunkelziffer von bis zu 50 Prozent.[2]

Angesichts der anhaltend hohen Kinderarmut und ihren gravierenden Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche fordern die unterzeichnenden Organisationen eine umfassende Reform zur Bekämpfung von Kinderarmut.

Wir fordern alle Parteien auf, der Bekämpfung von Kinderarmut höchste Priorität einzuräumen und eine Kindergrundsicherung einzuführen. Die Kindergrundsicherung gehört in den nächsten Koalitionsvertrag und muss als prioritäres Vorhaben in der kommenden Legislaturperiode umgesetzt werden. Die unterzeichnenden Organisationen sind sich einig und fordern eine Kindergrundsicherung, die diesen Namen auch verdient.

Deshalb muss diese Kindergrundsicherung bestimmten Anforderungen genügen:

  • Die Kindergrundsicherung ist eine eigenständige Leistung für jedes Kind.
  • Die Kindergrundsicherung soll bestehende kinderbezogene Leistungen bündeln. Sie ersetzt das Kindergeld und den steuerlichen Kinderfreibetrag, den Kinderzuschlag, die Hartz-IV-Leistungen für Kinder und Jugendliche und die pauschalen Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets.
  • Das Existenzminimum muss für alle Kinder neu und realistisch berechnet werden, um Kinderarmut wirksam zu vermeiden. Dazu gehören die notwendigen Ausgaben für den Lebensunterhalt genauso wie für Bildung und soziale Teilhabe. Die Basis für eine Kindergrundsicherung ist ein neu berechnetes kindliches Existenzminimum, was für alle relevanten Rechtsbereiche gilt. Notwendig ist eine Leistungshöhe, die deutlich über den Hartz-IV-Sätzen für Kinder und Jugendliche liegt.
  • Die Leistung muss sozial gerecht ausgestaltet sein und Kinder in allen Familienformen gleichermaßen erreichen. Die am stärksten von Armut betroffenen Familien müssen deutlich bessergestellt werden, mit steigendem Einkommen sinkt die Leistung langsam ab. Die Anrechnung von Einkommen muss so gestaltet werden, dass die Aufnahme oder die Ausweitung einer Erwerbstätigkeit ausreichend wertgeschätzt und honoriert wird. Schnittstellen zu anderen Leistungen, wie Unterhalt und Unterhaltsvorschuss müssen gut aufeinander abgestimmt sein.
  • Die Kindergrundsicherung muss einfach, unbürokratisch und möglichst automatisch ausgezahlt werden, damit sie auch tatsächlich bei allen Kindern ankommt. Familien brauchen eine einzige Anlaufstelle vor Ort.
  • Die Kindergrundsicherung als monetäre Leistung muss durch eine bedarfsgerechte soziale Infrastruktur für Kinder und Jugendliche und ihre Familien ergänzt werden.

Zentrale Grundlage für eine Kindergrundsicherung ist die Neuberechnung des kindlichen Existenzminimums. Verschiedene neue Vorschläge liegen auf dem Tisch. Für eine Neuberechnung braucht es einen gesellschaftlichen Diskurs, der in einer mit unterschiedlichen Akteur*innen besetzten Kommission geführt und gebündelt werden soll.

 

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[1] Leistungsbezieher*innen von SGB II/XII, Kinderzuschlag, Wohngeld, Asylbewerberleistungen unter 18 Jahren für 2019 (Statistisches Bundesamt, Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit, Statistik der Bundesagentur für Arbeit 2020/2021, sowie Armutsrisikoquote nach Alter U18 bei 20,5 Prozent=2,8 Mio. Kinder und Jugendliche U18 für 2019 (Statistisches Bundesamt 2020).

[2] Nicht-Inanspruchnahmen: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2017): Familienreport. Berlin, S.61; BT-Drucks. 19/2804, S. 9 f.

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