Jugendpolitik

Das Wahlrecht: nicht für alle

Junge Menschen unter 18 Jahren in Deutschland können und wollen wählen. Sie dürfen es jedoch nicht. Jedenfalls nicht zur Wahl des Deutschen Bundestages. Während zu vielen Kommunal- und Landtagswahlen – und seit kurzem auch zur Europawahl – junge Menschen ab 16 Jahren ihre Stimme abgeben dürfen, ist es ihnen bei der Bundestagswahl weiterhin verwehrt. Der Beitrag ist am 22.9.23 im Blog Wertejahre erschienen.

Kinder- und Jugendwahlen bezeugen politische Reife junger Menschen

Nicht nur die vielen Kommunal- und Landtagswahlen oder andere Staaten, wie z.B. Österreich, zeigen, dass Wählen ab 16 Jahren möglich und sinnvoll ist. Auch Projekte der politischen Jugendbildung zeigen eindeutig auf, dass das Wählen auch für U18-Jährige ein wichtiger Akt politischer Bildung und Partizipation sein kann. Ein nicht nur bundesweit bekanntes Format sind die Kinder- und Jugendwahlen U18. Es ist ein bundesweit vom Deutschen Bundesjugendring koordiniertes, aber dezentral verantwortetes Projekt der politischen Bildung und ermöglicht es, die Stimmen von jungen Menschen durch eine eigene Wahl ins öffentliche Bewusstsein zu holen und ihre politische Meinung zum Ausdruck zu bringen. Die U18-Wahlen werden seit 1996 i.d.R. immer neun Tage vor dem jeweiligen offiziellen Wahltermin abgehalten und sind mittlerweile zur größten außerschulischen politischen Bildungsinitiative Deutschlands herangewachsen. Zur letzten Europawahl 2019 wurden 119.038 Teilnehmende und zur Bundestagswahl 2021 – trotz Corona – über 262.000 Teilnehmende in 2.699 Wahllokalen und verzeichnet.

Zur Bundestagswahl, Europawahl, den meisten Landtagswahlen und vielen Kommunalwahlen ermöglichen die U18-Wahlen und die entsprechenden Aktivitäten im Vorfeld jungen Menschen – und dabei vor allem jenen, die das gesetzliche Mindestwahlalter für das aktive Wahlrecht noch nicht erreicht haben – einen niedrigschwelligen Zugang zu Wahlen als einem der wichtigsten Mitbestimmungsmöglichkeiten in einer demokratischen. Ziel ist es, jungen Menschen Möglichkeiten zu bieten, sich selbstbestimmt und selbstorganisiert mit dem Thema Wahlen auseinanderzusetzen. Kinder und Jugendliche erkennen dabei, wie Wahlen in einer parlamentarischen Demokratie funktionieren, welche Prinzipien und Voraussetzungen bei der Durchführung notwendig werden und wie sich die Bedeutsamkeit des Wahlvorgangs jedes einzelnen aufsummiert. Kinder und Jugendliche setzen sich mit politischen Fragen auseinander, entwickeln eine Haltung und mischen sich aktiv ein.
Herabsenkung des Wahlalters?

Sachgründe sprechen deutlich für Wahlalter-Absenkung

Das alles zeigt, dass es keine Frage ist, ob junge Menschen in der Lage sind, sich mit politischen Programmen sowie der Bedeutung und Funktionsweise von Wahlen auseinanderzusetzen und damit fähig sind, sich über Wahlen an der demokratischen Willensbildung zu beteiligen. Es ist vielmehr nur eine Frage, ob es ihnen erlaubt ist. Oder andersrum und richtiger formuliert: Ob ihnen das Wahlrecht weiterhin vorenthalten wird. Das Wahlrecht ist zentrales grundrechtsgleiches Recht der Verfassung, das unter 18-Jährigen jedoch vorenthalten wird. Jugendverbände und -ringe fordern in Deutschland bereits seit Jahrzehnten, dass die Vorenthaltung dieses fundamentalen demokratischen Rechts aufgegeben wird.

Die Rechtfertigungslast, das Wahlrecht bestimmten Personengruppen vorzuenthalten, liegt bei denen, die unter-18-Jährigen die vollständige demokratische Teilhabe weiterhin nicht gewähren wollen und ihnen ihr grundrechtgleiches Recht, das Wahlrecht, nicht zugestehen wollen. Die Rechtfertigungs- und Begründungslast für die Forderung zur Senkung des Wahlalters liegt also gerade nicht bei den jungen Menschen selbst. Auch die reinen Sachgründe sprechen doch sehr deutlich für eine Absenkung des Wahlalters. Denn gerade die junge Generation wird zukünftig, sehr langfristig und in erheblichem Umfang durch Entscheidungen betroffen sein, die aktuell Gegenstand demokratischer Entscheidungsprozesse sind. Themen wie der Schutz des Klimas, die Ausgestaltung der sozialen Sicherungssysteme angesichts des demografischen Wandels, die Prioritätensetzung bei öffentlichen Investitionen und die Regulierung des Internets sowie die hierzu getroffenen Entscheidungen gestalteten die Zukunft nachhaltig und haben damit Wirkung weit über Legislaturperioden hinaus.

Wahlrecht zum Bundestag erst ab 18 Jahren ist anachronistisch

Anerkannt werden sollte auch, dass alle gängigen Argumente, die jungen Menschen weiterhin ihr Wahlrecht vorenthalten wollen, inzwischen entkräftet sind. Die scheuklappenartige Koppelung des Wahlalters an die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch wird der fundamentalen Bedeutung demokratischer Mitbestimmung nicht gerecht. Dass dieser Vergleich auch sachlich unsinnig ist, zeigt der Verweis auf die vollumfängliche Religionsmündigkeit sowie auf die Strafmündigkeit junger Menschen, die ihnen vom Gesetz ab dem Alter von 14 Jahren zugesprochen wird. Wer darüber hinaus noch behauptet, junge Menschen ab 16 Jahren wären von ihrer Entwicklung noch gar nicht in der Lage, die Tragweite der Wahlentscheidung zu begreifen, begibt sich ebenfalls auf sehr dünnes Eis. Abgesehen davon, dass es dafür keine überzeugenden Belege gibt, stellt sich bei dieser Behauptung dann folgerichtig die Frage, welche Personengruppen in unserer Gesellschaft nach welchen Kriterien dann ebenso von dem Wahlrecht auszuschließen sind, da sie vermeintlich die Tragweite ihrer Entscheidung nicht begreifen können.

Fachliche Expert*innen und auch politische Verantwortungsträger*innen in der aktuellen Wahlrechtskommission des Deutschen Bundestages sind sich in der Notwendigkeit der Herabsetzung des Wahlalters inzwischen einig. Es braucht nur noch den politischen Willen und den Zusammenschluss der demokratischen Kräfte im Bundestag und Bundesrat zur Umsetzung.

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Zuerst erschienen im Blog Wertejahre des Pressenetzwerks für Jugendthemen e.V. (PNJ): https://wertejahre.org/2023/09/22/das-wahlrecht-nicht-fur-alle/

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