Medien- und Digitalpolitik

Digitalisierung und Jugendpolitik

In der Ausgabe 2/2019 der Zeitschrift „hessische jugend“ des Hessischen Jugendrings über „Was bedeutet Digitalisierung für die Jugend(arbeit)?“ hat Michael Scholl, unser Referent für Medien und Kommunikation, einen Beitrag publiziert. Wir veröffentlichen den Beitrag ungekürzt:

Die Digitalisierung wird nicht verschwinden. Sie wird sogar voranschreiten, das Leben weiter durchdringen und die Gesellschaft verändern. Jugendverbände und Jugendringe werden intensiver als bisher eine Haltung zur Digitalisierung entwickeln müssen. Noch besser, sie gestalten Digitalisierung mit – praktisch, pädagogisch und politisch. 

Eine Haltung zur Digitalisierung sollte nicht auf Sand gebaut sein, sie sollte weniger auf Hörensagen als auf Erfahrung zurückgreifen. Digitale Jugendarbeit hat das Ziel, fachkundig und reflektiert zu werden, also Wissen aufzubauen und über Veränderungen nachzudenken. Digitale Jugendarbeit meint: Ehrenamtliche Gruppenleitungen, hauptberufliche Begleiter*innen und Jugendliche können generelle Funktionsweisen digitaler Geräte und Abläufe verstehen, sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken bewerten. Sie können digitale Selbstbestimmung sowie digitale Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit fördern. Jugendarbeit reagiert nicht nur wie bisher auf von außen kommende Entwicklungen. Sie entwickelt vielmehr selbst Ideen für sinnvolle Einsatzszenarien, Handlungskonzepte und sogar eigene Anwendungen. Sie gestaltet mit digitalen Innovationen neue Ansätze, um junge Menschen zu erreichen und zu begleiten. Außerdem werden Jugendverbände und Jugendringe politisch aktiv, um bei den Rahmenbedingungen für Digitalisierung im Interesse junger Menschen mitzuwirken.

Digitale Jugendarbeit bleibt dabei eng mit der Jugendarbeit verbunden, so wie sie es auch vor der Erfindung des Internets und digitaler Technologien war. Sie trägt zur positiven Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen bei. Sie knüpft an die Interessen junger Menschen an und wird von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet. Aus Beteiligung wird jedoch auch Online-Beteiligung, aus Beratung auch Online-Beratung. Kommuniziert und gehandelt wird stärker in medialen Formen, beispielsweise über Apps, digitale Wege und soziale Netzwerke.

Fragen stellen und Verantwortung übernehmen

Kern der Arbeit in Jugendverbänden und Jugendringen bleiben Selbstbestimmung und Selbstorganisation. Freiräume zu schaffen und Mitwirkung anzubieten, bleiben Anspruch und Aufgabe. Eine wichtige Frage ist dabei: Wie wirkt Digitalisierung auf diese Selbstbestimmung und Selbstorganisation, auf Freiräume und Mitwirkung? Und was bedeutet das für die Praxis, die Pädagogik und die Politik der Jugendverbände?

Es ist der richtige Zeitpunkt, digitale Jugendarbeit mit Nachdruck zu entwickeln und Antworten zu suchen. Noch sind Jugendverbände eher digitale Neulinge als digitale Spezialisten. Ein großer Teil ist spät dran mit der Digitalisierung – noch nicht zu spät. Es gibt Verbände und Jugendringe mit Expertise und Wissen, sie sind digitale Wegbereitende. Sie können Scharnier sein zwischen jenen, die erst beginnen und jenen, die bereits Profis sind. Andere Profis, die Werte und Haltungen der Jugendverbände teilen, können Partner*innen werden.

Es macht Sinn, mit anderen zusammenzuarbeiten, die sich ähnliche Fragen stellen und vielleicht schon Antworten haben. Es ist Zeit, sich in Sachen Digitalisierung zu professionalisieren und Verantwortung zu übernehmen. Hierfür sind etwa Fortbildungen und Angebote zum Diskurs wichtig. Es geht nicht darum, das große Ganze am Anfang zu begreifen und dann zu handeln. Es geht darum, im Kleinen zu beginnen und so Stück für Stück das große Ganze zu erschließen. Konkret: mit Tools zu arbeiten, Technik auszuprobieren, Medien zu nutzen und zu verstehen, sich mit Fragen an Debatten zu beteiligen. Oder erstmal das WLAN der Jugendeinrichtung für andere zu öffnen und einen ersten Schritt zur digitalen Teilhabe zu gehen.

Medien- und Digitalpolitik gestalten

Es gehört zum Selbstverständnis der Jugendverbände und der Jugendringe, Gesellschaft mitzugestalten. Wenn sie für Freiheit und Freiräume einstehen, dann auch für Datensouveränität. Jugendverbände selbst produzieren Daten und gehen mit sensiblen Daten junger Menschen um. Sie müssen also Einfluss darauf nehmen, was Politik an Rahmen für den Umgang mit Daten setzt. Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) der Europäischen Union ist so ein Rahmen. Die DSGVO hat die Debatte um den Datenschutz befeuert. Verstärkt wird sie durch Leaks über Fehlverhalten jener Konzerne, deren Geschäft das Auswerten riesiger Datenmengen ist: Google, Amazon, Facebook, Twitter und viele weitere Tech-Konzerne, die mit ihren Geräten, Diensten und ihrer Software im Alltag gegenwärtig sind. Der Zugang zu Daten und die Kontrolle über Daten sind extrem ungleich verteilt. Politik versucht bisweilen hilflos, Regeln zu setzen. Verbraucher*innen haben ihre Macht, Alternativen stark zu machen, längst nicht erkannt.

Während die DSGVO noch alle fordert und beschäftigt, steht die nächste relevante Entscheidung auf europäischer Ebene an: Die ePrivacy-Verordnung. Sie wird die Verarbeitung elektronischer Kommunikationsdaten regeln, also den Internetzugang, Messaging-Dienste, E-Mail-Dienste, Internettelefonie, Personal-Messaging und Soziale Medien. Kurz: den kommunikativen Alltag. Jugendverbände und -ringe müssen sich informieren, Erwartungen und Positionen formulieren, Entscheider*innen überzeugen: Politisch aktiv werden und für Selbstbestimmung, Freiheit und Freiräume streiten.

Wenn Jugendverbände außerdem für Teilhabe und Gerechtigkeit kämpfen, dann zum Beispiel auch für ein zeitgemäßes Copyright. Denn junge Menschen werden und sind zugleich Urheber*innen wie Ver- braucher*innen. Sie brauchen und wollen keine Verwertungsgesellschaften. Es liegt im Interesse junger Menschen, Ideen für einen fairen Ausgleich zu entwickeln oder zu unterstützen – auch im Sinne freier Bildungsmaterialien. Jugendpolitik bedeutet konkret, Modelle wie Creative Commons selbst anzuwenden und ihnen Geltung zu verschaffen.

Wenn Jugendverbände weiter für Vielfalt und Demokratie arbeiten, dann auch für ein freies Internet ohne technischen Filter und intransparente Algorithmen. Menschen gestalten algorithmische Systeme und haben bestimmte Ziele vor Augen. Politisch sein im Interesse der Jugend bedeutet zum Beispiel, Entwickler*innen an ihre Verantwortung zu erinnern und zur Reflexion ihres Handelns anzuregen. Das geht mit Methoden der Jugendarbeit zum Beispiel bei Veranstaltungen, in denen gemeinsam mit Entwickler*innen nützliche, kreative oder unterhaltsame Software programmiert oder digitale Lösungen für Probleme der Jugendarbeit gesucht werden – einem Hackathon.

Digitalpolitik und Jugendpolitik verschmelzen – ein letztes Beispiel – auch beim Netzausbau und damit bei Infrastrukturpolitik. Den Netzausbau fordern Jugendverbände und Jugendringe mal mit mehr, meist mit weniger Vehemenz. Dabei haben die Angebote der Jugendarbeit und Bildungsstätten auf dem Land meist keine nennenswerte Internetanbindung. Ein Teil findet das vielleicht pädago- gisch sinnvoll und gut. Doch beim Anspruch der Jugendarbeit, Selbstständigkeit, Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl zu fördern, Eigenverantwortlichkeit, Verantwortungsbewusstsein und Gemeinschaftsfähigkeit zu fördern, Kommunikations-, Kritik-, Kooperations- und Konfliktfähigkeit in einer zunehmend rasant digitalisierten Welt zu fördern, sowie zu sozialem Engagement und gesellschaftlicher Mitverantwortung in Zeiten der Digitalisierung anzuregen, ist das digitale Nirwana nicht im Interesse junger Menschen. Wenn der Staat Milliarden ausgibt, um Schulen zu digitalisieren, muss die Jugendarbeit aufschreien und einen großen Teil der Milliarden für den Ausbau der außerschulischen Bereiche fordern.

Digitalisierung kostet Zeit und Geld

Es gibt noch viele Beispiele für jugendpolitische Handlungsfelder, die unter dem Blickwinkel der Digitalisierung wichtig sind und Expertise auf der Basis digitaler Jugendarbeit brauchen: der Jugendmedienschutz, die Medienbildung, die Engagementpolitik etwa. Digitale Jugendarbeit kostet Zeit und Geld. Jugendverbände brauchen Zeit und Geld für den Datenschutz, für den Abbau von digitalen Barrieren und den Ausbau digitaler Teilhabe. Sie brauchen schlicht mehr Mittel, um etwa Urheber*innen fair zu entlohnen, Hardware zu beschaffen sowie alternative Dienste und Angebote zu stärken, die unabhängiger von Datenkonzernen und kommerziellen Angeboten machen. Förderrichtlinien erlauben bisher nicht, Geld in OpenSource-Projekte zu stecken, weil deren Finanzierung meist auf Spenden basiert. Spenden sind laut Förderrichtlinien aber verboten. Da muss sich noch Vieles ändern. Jugendverbände und Jugendringe brauchen letztlich auch mehr Mittel, um Ehrenamtliche und Hauptberufliche im Rahmen digitaler Jugendarbeit zu qualifizieren.

Fazit: Medien- und Digitalpolitik ist ein zentraler Bereich einer kohärenten Jugendpolitik. Sie setzt Rahmen und Regeln, wie Digitalisierung in ihren Facetten auf den Alltag, auf die Jugendarbeit und auf Jugendliche wirkt. Es ist deswegen jugendpolitische Pflicht der Jugendverbände und Jugendringe, Digitalisierung mitzugestalten – praktisch, pädagogisch und politisch.

***

Aus: hessische jugend Ausgabe 2/2019 „Was bedeutet Digitalisierung für die Jugend(arbeit)?“  

Themen: Medien- und Digitalpolitik