Europapolitik

European Youth Work Agenda

Wir nehmen stellvertretend für Kinder und Jugendliche, von denen sich rund sechs Millionen junge Menschen in Jugendverbänden und -ringen engagieren, Stellung zur European Youth Work Agenda.

Unter deutscher Ratspräsidentschaft wird im Jugendminister*innenrat eine Entschließung zu einer Europäischen Youth Work Agenda verabschiedet. Jugendverbände und -ringe müssen an der Ausarbeitung der Agenda von Beginn an beteiligt werden.

Mit dieser Stellungnahme bezieht der DBJR Position zu Youth Work und fordert, dass die Agenda die Arbeit der Mitgliedstaaten zu Youth Work stärker koordiniert und mittels eines strategischen Rahmens Youth Work in Europa strukturell stärkt. Der Europarat, seine Jugendabteilung und die Youth Partnership[1] arbeiten langjährig zu Youth Work und haben u.a. mit einer Empfehlung 2017 eine wichtige Grundlage für die Agenda geschaffen. Die zentrale Bedeutung des Ehrenamts und der Jugendverbände bei Youth Work sind in der Empfehlung besonders hervorzuheben. Youth Work deckt nicht nur die Arbeitsbereiche der Kinder- und Jugendarbeit, sondern auch der Jugendsozialarbeit ab. Youth Work beschreibt somit soziale, bildende, kulturelle und politische Aktivitäten für und mit jungen Menschen in Europa. Basierend auf non-formalen und informellen Lernprozessen, Freiwilligkeit und fokussiert auf den Interessen junger Menschen wird Youth Work von ehren- oder hauptamtlichen Fachkräften geleistet. Youth Work ermutigt junge Menschen und stattet sie mit den notwendigen Mitteln aus, sich als aktive Europäische Bürger*innen für eine demokratische und solidarische EU einzusetzen. Youth Work hat nicht nur die Beschäftigungsfähigkeit junger Menschen zum Ziel, sondern deren Entwicklung zu eigenständigen und mündigen Persönlichkeiten.

Bei der Europäischen Youth Work Agenda soll es bewusst um die Strukturen und Rahmenbedingungen für gute Youth Work in Europa und nicht um individuelle Bedarfsorientierung gehen. Youth Work findet in erster Linie auf lokaler Ebene statt. Verknüpfungen und kohärente Strategien sowie eine wirksame Beteiligung junger Menschen auf allen Ebenen sind deshalb entscheidend.

Die Youth Work Agenda als strategischer Rahmen

Die Youth Work Agenda soll die Koordination der Mitgliedstaaten verstärken, um in ganz Europa die Rahmenbedingungen für gute Youth Work zu schaffen. Ziel muss es sein, Youth Work in ganz Europa zu stärken und Jugendaustausch zu ermöglichen, auch wenn es in einigen Ländern schon gute Youth Work gibt.

Zentrale Rolle der Jugendverbände und -ringe

Jugendliche engagieren sich freiwillig und selbstorganisiert in Jugendverbänden und gestalten so die Entwicklung der europäischen Gesellschaft konkret mit. Die Rolle der Jugendverbände als Werkstätten der Demokratie und als inklusive und lokal verankerte Mittler ist zentral für Youth Work, die stark auf lokaler Ebene verankert ist. Jugendverbände und ihre Zusammenschlüsse, die Jugendringe, basieren auf Vielfalt, Pluralität und Selbstorganisation. Werteorientierung, Freiwilligkeit, Mit- und Selbstbestimmung sowie Ehrenamtlichkeit sind Kern jeder Kinder- und Jugendarbeit und sollten auch zentral für die Youth Work Agenda sein. Vor Ort gewachsene Strukturen sowie demokratisch organisierte Jugendverbände sind deshalb strukturell und finanziell zu fördern. Dafür ist in allen Nationalstaaten ein gesetzlicher Rahmen notwendig, der sowohl die rechtliche Anerkennung als auch die finanzielle Förderung der entsprechenden Strukturen und Organisationen sicherstellt.

Eine gute Praxis aus Deutschland ist ein bundesgesetzliches Regelwerk über Aufgaben, Leistungen und Grundsätze der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. Für Youth Work relevant ist insbesondere die in den Paragraphen 11 bis 13 im Kinder- und Jugendhilfegesetz bzw. Achten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB VIII) verankerte Verpflichtung aller föderalen Ebenen, Kinder- und Jugendarbeit bzw. Youth Work angemessen zu fördern. Darin findet sich u.a. die Verpflichtung, die eigenverantwortliche Tätigkeit der Jugendverbände unter Wahrung ihres satzungsgemäßen Eigenlebens zu fördern. Ebenfalls dort ist festgehalten, dass ihre Arbeit auf Dauer angelegt ist. Dies ermöglicht es, langfristig und strategisch zu arbeiten. Die europäischen Förderprogramme Erasmus+ und das Europäische Solidaritätskorps bieten diese Art der Förderung aktuell nur für europäische Dachstrukturen an. In vielen Ländern fehlt eine solche Förderung ganz. Dies führt vor allem dort zu großen Problemen.

Jugendverbände und -ringe unter Druck

Nicht zuletzt durch die Lage während der Corona-Pandemie muss die Youth Work Agenda einen Fokus auf die Sicherung und den Ausbau der Arbeit der Jugendverbände und -ringe in Europa legen, sowohl aus politischer als auch aus finanzieller Perspektive. Es wird aktuell deutlich sichtbarer, weshalb die ausschließliche Projektförderung für kleine, ehrenamtliche Jugendringe, die ihre Arbeit mit den Verwaltungspauschalen der Projekte finanzieren, problematisch ist. Einige Jugendringe mussten nun ihre Arbeit einstellen, weil ihnen die Krise die Grundlage für ihre Projekte und damit für ihre Gesamtfinanzierung genommen hat. Dafür braucht es zukünftig einen zusätzlichen Strukturfördertopf im Jugendteil von Erasmus+, um Jugendverbände und -ringe zu unterstützen, die europäisch arbeiten möchten und keine guten nationalen Rahmenbedingungen haben. Im Gegensatz zur aktuellen Erasmus+ Leitaktion 3 – „Unterstützung politischer Reformen, Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft im Bereich Jugend“ – würde der Topf Jugendverbandsstrukturen auf Dauer angelegt fördern.

Viele Jugendringe geraten seit Langem politisch unter Druck, weil Regierungen versuchen, Jugendarbeit zu instrumentalisieren. Viele nationale Regierungen agieren nicht partnerschaftlich mit den zivilgesellschaftlichen Strukturen. Ohne Einbeziehung von Expert*innen, ohne Rücksicht auf die Interessen junger Menschen und vor allem ohne gemeinsame Abstimmungsprozesse darüber, was gute Jugendarbeit ist, werden die Selbstorganisationen junger Menschen übergangen, finanziell ausgetrocknet oder von staatlicher Seite Parallelstrukturen entwickelt, die der Linie der jeweiligen Regierung folgen (müssen). Zunehmend wird in einigen Staaten mit dem zuletzt genannten Instrument versucht, die auf europäischer Ebene anerkannten nationalen Jugendringe zu verdrängen. All diesen Entwicklungen ist mit der Youth Work Agenda gezielt entgegenzutreten. Selbstorganisation von Jugend, Partnerschaftlichkeit mit der Zivilgesellschaft und Subsidiarität sind wichtige Bausteine, auf denen die Youth Work Agenda aufbauen muss.

Qualitätssicherung und Weiterentwicklung von Youth Work

In der EU-Jugendstrategie 2019-2027 werden die Mitgliedsstaaten aufgefordert, den Aufbau einer qualitativ hochwertigen Jugendarbeit auf allen Ebenen, einschließlich der Schulung von Jugendleiter*innen sowie anderen ehren- und hauptamtlichen Fachkräften, zu unterstützen. In diesem Sinne soll die Youth Work Agenda die Rahmenbedingungen für eine professionelle Aus- und Weiterbildung von haupt- und ehrenamtlichen Fachkräften der Jugendarbeit in ganz Europa setzen. Die besonderen Bedarfe und unterschiedlichen Traditionen in den Ländern müssen dabei berücksichtigt werden. Zudem sieht der DBJR die Fokussierung auf die Validierung der Bildungsleistung bzw. der erworbenen Kompetenzen beispielsweise beim YouthPass[2] kritisch, weil diese Anerkennung das Ehrenamt auf Bildungsoutcomes reduziert. Jugend(verbands)arbeit ist mehr als Bildung: Sie braucht Freiräume und kann dementsprechend nicht validiert werden. Ein gutes Beispiel der Qualitätssicherung ohne Validierung von Bildungsoutcomes ist die Jugendleiter*in-Card in Deutschland. Durch Mindeststandards und ein zentrales Antragsverfahren gewährt sie bundesweit Qualität der Ausbildung. Durch die landes- und die verbandsspezifischen Regelungen sowie die vielen Träger steht sie gleichzeitig für die Vielfalt, Wertepluralität und ständige Weiterentwicklung. Die Youth Work Agenda sollte deshalb ein europäisches Instrument entwickeln, das Qualität sichert ohne Youth Work auf Bildungsoutcomes zu reduzieren.

Für die Weiterentwicklung von Youth Work ist ein enger Austausch zwischen Praxis und Forschung wichtig. Insbesondere für die Umsetzung der Agenda muss ein europäisches Verständnis für die Beobachtung der Entwicklungen in den Ländern gefunden werden. Hier können die Qualitätsstandards für Jugendpolitik vom Europäischen Jugendforum als Hilfe/Orientierung dienen.

Die Youth Work Agenda sollte basierend auf den Schlussfolgerungen[3] des EU-Jugendminister*innenrats 2017 smart youth work mitbehandeln und weiterentwickeln. Besonders junge Menschen bewegen sich selbstverständlich in digitalen Lebenswelten. Auch für diese Lebenswirklichkeit müssen junge Menschen Kompetenzen erwerben, um sich selbstbestimmt und sicher in ihr bewegen zu können. Jugendverbände setzen sich daher seit geraumer Zeit mit der Thematik aktiv auseinander. Nicht zuletzt werden in der Jugendarbeit neue Mobilisierungswege genutzt und Aspekte von digitalem Ehrenamt erprobt. Im Rahmen der Youth Work Agenda sollten deshalb die strategischen und finanziellen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die emanzipatorische und kritische Digitalkompetenz, gute Beteiligung sowie Demokratie- und Wertebildung in den Mittelpunkt stellen.

Beteiligung und Mitbestimmung als zentraler Punkt von Youth Work

Ein weiterer wichtiger Punkt in der Youth Work Agenda sollte Beteiligung und Mitbestimmung junger Menschen an allen sie betreffenden Angelegenheiten sein. Die Zukunft Europas betrifft junge Menschen ohne Zweifel. Nur wenn junge Menschen beteiligt werden, werden die demokratische Gesellschaft und die europäische Identität nachhaltig gesichert und gestärkt. Auch um das Zugehörigkeitsgefühl zu stärken, müssen junge Menschen an der Politikgestaltung beteiligt werden. Dies führt im Umkehrschluss auch zu besseren Rahmenbedingungen für Youth Work.

Dabei darf Beteiligung kein reines Abfragen von Meinungen sein. Es muss jederzeit transparent sein, wie und wo die Ergebnisse der Beteiligung in die Politikgestaltung einfließen. Die Erwartungen der jungen Menschen müssen ernst genommen werden, wenn ihnen zuvor Beteiligung versprochen wurde. Die Youth Goals sind ein gutes Beispiel für einen Beteiligungsprozess, der offen für junge Themen war und dessen Ergebnisse nun in Europa umgesetzt werden sollten. Um Beteiligung kohärent auf lokaler Ebene zu verankern, spielen Jugendverbände und -ringe mit ihren Multiplikator*innen eine zentrale Rolle. Die Europäische Jugendstrategie muss lokal mitgedacht und implementiert werden. Jugendverbände erreichen viele junge Menschen; auch oft solche mit weniger Möglichkeiten. Sie garantieren so den wichtigen Aspekt der Inklusion bei Beteiligung. Bei der Umsetzung von Beteiligung sollten insgesamt stets die Qualitätsstandards für Jugendbeteiligung eingehalten werden.

Im Europarat wird mittels des Co-Managements die Beteiligung junger Menschen vorbildlich umgesetzt: Gemeinsame Entscheidungsstrukturen zwischen Regierung und Zivilgesellschaft sind für die inhaltliche und finanzielle Ausgestaltung der Jugendpolitik verantwortlich. Der Beirat Jugend des Europarats besteht aus jungen Menschen (zur Hälfte ausgewählt vom Europäischen Jugendforum) und arbeitet auf Augenhöhe mit den Ministerien. Anhand dieses Vorbilds sollten im Rahmen der Youth Work Agenda auf allen Ebenen Instrumente entwickelt werden, um eine gemeinsame Verantwortung für inhaltliche und finanzielle Ausgestaltung der Jugendpolitik zu ermöglichen. So braucht es beispielsweise für die Vergabepraxis von europäischen Fördermitteln zukünftig verpflichtende Strukturen der Mitwirkung von Jugendverbänden und -ringen sowie verbindliche Kontrollgremien für die Zivilgesellschaft.

Die Youth Goals als Handlungsfelder

Die Youth Work Agenda muss zudem einen Rahmen für die Umsetzung der Youth Goals bieten. Es braucht ein gemeinsames Verständnis über die Situation in Europa, wie die Youth Goals operationalisiert und umgesetzt werden können. Einige Nationale Jugendringe haben sich deshalb im Rahmen des Youth Goals Lab zu einer strategischen Partnerschaft zusammengeschlossen, um die Voraussetzungen zu schaffen, die Jugendziele in Europa umzusetzen. Dazu gehört, die Umsetzung der Jugendziele in den Mitgliedsstaaten evaluieren zu können.

Ausblick

Mit dieser Stellungnahme bezieht der DBJR Position zur aktuellen Debatte zu Youth Work. Nach der Verabschiedung beginnt mit der Convention im Dezember 2020 die Umsetzung der Agenda. Dafür wird es auf europäischer und deutscher Ebene zusätzliche Gremien zur zivilgesellschaftlichen Beteiligung brauchen, die den Prozess begleiten. Insbesondere in Fällen wie in Deutschland, in dem es bereits eine gut funktionierende Kinder- und Jugendarbeit gibt, wird dieses Gremium zentral sein.

Als Vertretung von über sechs Millionen jungen Menschen hat der DBJR den Anspruch, die fachliche Kompetenz und die Interessen junger Menschen in die Entwicklung und Umsetzung der Agenda einfließen zu lassen.

Beschlossen vom am 24.05.2020

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1 Strukturelle Partnerschaft zwischen EU und Europarat, weitere Infos hier: https://pjp-eu.coe.int/en/web/youth-partnership

2 Weitere Informationen dazu finden sich hier: https://www.youthpass.eu/de/

3 Schlussfolgerungen des Jugendminister*innenrats von 2017: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/PDF/?uri=CELEX:52017XG1207(01)&from=ET

Themen: Europapolitik