Gemeinnützige Orte der Jugendarbeit zukunftssicher machen
Jugendbildungsstätten und gemeinnützige Übernachtungs- und Freizeitstätten sind zentrale Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit innerhalb der Kinder- und Jugendhilfe. Sie sind unverzichtbare Orte für Jugendbildung, Jugendreisen bzw. die Kinder- und Jugenderholung (vgl. § 11 Abs. 3 Nr. 5 SGB VIII) als wichtigem gestaltbaren Handlungsfeld der Kinder- und Jugendarbeit. So werden viele Angebote der außerschulischen (politischen) Jugendbildung in Jugendbildungsstätten unterbreitet oder von Jugendbildungseinrichtungen verantwortet.[1] Solche Räume der Jugendarbeit werden dabei nicht nur von Jugendbildungsstätten oder anerkannten Träger*innen der Kinder- und Jugendhilfe nach § 75 Abs. 1 SGB VIII alleine ermöglicht. Vielmehr sind es auch gerade all jene gemeinnützigen Freizeitstätten wie Zeltplätze oder Gruppenhäuser auch ohne Bettenbetrieb, die ein wichtiges Fundament von bundesweiter Kinder- und Jugendarbeit bieten.
Wir nehmen die Ankündigung im Koalitionsvertrag („Wir wollen das Investitionsprogramm für Familien- und Jugendbildungsstätten fortführen“) zum Anlass, die Notwendigkeit eines solchen Programms zu unterstreichen. Wir möchten damit Anregungen geben, wie „Mehr Fortschritt wagen“ gelingen kann. Unterschiedliche Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten haben zu einem Rückgang der Zahl entsprechender Einrichtungen geführt. Zugleich wurde ein Investitionsbedarf bei zahlreichen verbliebenen Einrichtungen wegen gestiegener Anforderungen sichtbar.
Die Bedeutung der außerschulischen (politischen) Jugendbildung hebt der 16. Kinder- und Jugendbericht hervor, der den Handlungsbedarf hier am Beispiel der Jugendbildungsstätten verdeutlicht. Darin hält die Bundesregierung der 19. Legislatur fest: „Die Bundesregierung nimmt wahr, dass Jugendbildungsstätten in den letzten Jahren geschlossen wurden. […] Die Bundesregierung hält Jugendbildungsstätten für sehr wichtige Anbieter, die unbedingt erhalten werden sollten.“[2] Der Bericht selber stellt einen massiven Rückgang diesen Einrichtungstyps fest [3, 4, 5] Ursächlich dafür ist vor allem der jahrelange Rückgang der öffentlichen Förderung in den Bereichen Kinder- und Jugenderholung bzw. Jugendreisen, außerschulischer Jugendbildung und insbesondere in der Investitionsförderung. Diese Einrichtungen als infrastrukturelles Rückgrat der Jugendarbeit sehen sich einem regelrechten „Häusersterben“ gegenüber. Gleichzeitig ist die über Jahrzehnte mühsam aufgebaute Infrastruktur durch den erheblichen Investitionsstau in ihrer Substanz bedroht.
Brechen Jugendbildungsstätten und andere gemeinnützige Übernachtungs- und Freizeitstätten in Deutschland weg, brechen Orte weg, an denen junge Menschen sich entwickeln, sie notwendige Gruppenbindung und soziale Bezüge zu anderen entwickeln und ausbauen, sie ihre Position in der Gesellschaft finden können – und dies unabhängig vom Einkommen oder ihrer sozioökonomischen Situation. Diese Orte sind in ihrer deutschlandweiten Gesamtstruktur die zentrale bauliche Basis zur Gewährleistung der Kinder- und Jugendhilfe und damit insgesamt gesehen von wesentlichem bundesweitem Interesse.
Es ist deswegen folgerichtig, dass Bundestag und Bundesregierung während der Pandemie mit dem „Sonderprogramm Kinder- und Jugendbildung, Kinder- und Jugendarbeit“ dazu beigetragen haben, die gemeinnützigen Lernorte mit Übernachtungsbetrieb zu unterstützen, um ihre Existenz während der Pandemie zu sichern. Dadurch, dass das Sonderprogramm nun 2022 nicht fortgeführt wird, wird die zukunftsfähige Gestaltung der Einrichtungen erschwert, da diese zusätzlich unter den pandemiebedingten finanziellen Einschnitten leiden.
Durch die Auswirkungen der Pandemie ist dabei spätestens offensichtlich geworden, dass viele gemeinnützige Übernachtungs- und Freizeitstätten nicht zukunftsfähig aufgestellt sind, gleichzeitig aber vor großen gesellschaftlichen Herausforderungen stehen. Die Notwendigkeit energetischer Sanierungen, die Schaffung inklusiver Angebote und die damit verbundenen baulichen Veränderungen sowie die Digitalisierung sind hierbei insbesondere zu nennen.
Darüber hinaus ist auch grundsätzlich zu berücksichtigen, dass sich die Anforderungen an Lernen, Bildung, Freizeit und Austausch stark verändert haben. Um für Kinder und Jugendliche attraktiv zu bleiben und ihren Bedürfnissen zu entsprechen, sind auch hier Investitionen in die Ausstattung von Räumen, der Einrichtung mit Mobiliar, der Gestaltung von Freizeitmöglichkeiten etc. mitzudenken.
Klimaschutz/Nachhaltigkeit: Die größten baulichen und infrastrukturellen Anforderungen an die Einrichtungen werden durch die zuletzt mit den im Koalitionsvertrag ausgerufenen politischen Zielen im Hinblick auf die Energiewende und den sich daraus ergebenden energetischen Sanierungsbedarfen gestellt. Um auch zukünftige Anforderungen an die Energieeffizienz und Energieversorgung von Gebäuden zu gewährleisten und um den Forderungen junger Menschen zu folgen, bedarf es einer umfassenden baulichen Sanierung auf höchsten energetischen Standards. Die existierenden Förderprogramme für eine energetische Sanierung stellen durch die Vorgabe eines hohen Eigenanteils regelmäßig eine unüberwindbare Hürde für gemeinnützigen Einrichtungen dar. Die vielen Gebäude, Gelände und Dächer der Einrichtungen können einen nicht zu unterschätzenden Beitrag leisten, um Deutschland dezentral mit Energie zu versorgen und unabhängiger von fossilen Energiequellen zu machen.
Inklusion/Barrierefreiheit: Dies gilt ebenso für die mit der Novelle des § 11 Abs. 1 S. 3 SGB VIII eingeführte Erwartung des Gesetzgebers an gemeinnützige Einrichtungen, inklusive Zugänge zu schaffen und, damit verbunden, barrierefreie Angebote bereitzuhalten. Dies spiegelt gleichzeitig die Erwartungshaltung junger Menschen sowie die des Koalitionsvertrages wider.[6] Die Schaffung inklusiver Zugänge erfordert oft einen erheblichen baulichen Eingriff in die bestehenden Strukturen, welcher insbesondere die vielen Einrichtungen in denkmalgeschützten Bauten vor besondere Herausforderungen stellt.
Digitalisierung: Auch die Methoden und Bildungsformate verändern sich unter dem Einfluss der Digitalisierung und eröffnen neue Möglichkeiten im Bereich Lernen und Bildung. Die Pandemie hat zusätzlich als Katalysator gewirkt und das Digitalisierungstempo erhöht. Die Erwartungen an diese Einrichtungen im Bereich der Digitalisierung übersteigen die eigenen Mittel für die erforderlichen Maßnahmen deutlich.
Diese drei Themenfelder zeigen den großen Handlungsbedarf, um die politischen und gesetzlichen Ziele für zukunftsfähige Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit zu erreichen. Bei der Umsetzung dieser dringend erforderlichen Maßnahmen sind auch die in den letzten Jahren deutlich gestiegenen grundsätzlichen Anforderungen an gemeinnützige Übernachtungsstätten etwa im Bereich Brandschutz, Sanitärschlüssel, Hygiene und Trinkwasservorgaben zu berücksichtigen.
Wirtschaftlich wäre es dabei nicht vertretbar, Investitionen beispielsweise nur zum Zwecke der klimaneutralen Sanierung zu fördern, ohne dabei gleichzeitig einen Umbau hin zur barrierefreien Gestaltung des Gebäudes zu ermöglichen. Um mehrfache Baukosten zu vermeiden, bedarf es für die verschiedenen Investitionsbereiche eine einheitliche Gesamtförderung. Aufgrund des Umfangs der erforderlichen Maßnahmen muss explizit auch der Neubau von Gebäuden förderfähig sein, sofern dies bei gesamtwirtschaftlicher Betrachtung im Einzelfall kosteneffizienter ist.
Diese großen gesellschaftspolitischen Veränderungen und politischen Zielvorgaben können die gemeinnützigen Einrichtungen nicht alleine bewältigen. Rücklagen – soweit für gemeinnützige Einrichtungen erlaubt und vorhanden – waren aufgrund der notwendigen sozialen Preisgestaltung gering und sind aufgrund der Coronapandemie aufgebraucht oder konnten nicht gebildet werden. Die Bildung neuer Rücklagen für dringend nötige Investitionen war aufgrund der Einnahmeausfälle und kaum möglich. Die Generierung von Eigenmitteln für Investitionen ist auch unabhängig von derzeitigen Preissteigerungen für gemeinnützige Einrichtungen in aller Regel kaum möglich.
Die gemeinnützigen Einrichtungen sind nur mit einem Förderprogramm, das auf Eigenmittel weitestgehend verzichtet, in der Lage, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um sich dauerhaft zukunftsfähig aufzustellen. Viele (aktuelle) Förderprogramme sind darüber hinaus aus formalen Gründen für gemeinnützige Einrichtungen nicht nutzbar. Durch geringe Rücklagen aufgrund der strikten Regelungen der Gemeinnützigkeit fallen für viele Einrichtungen Möglichkeiten einer Kreditaufnahme für Investitionen – auch aus geförderten Programmen – aus. Sie werden in der Regel auch in der Tourismusförderung zu Unrecht nicht mitbedacht.
Das Investitionsprogramm ist dringend notwendig. Um die genannten Ziele zu erreichen, bedarf es eines langfristig angelegten Förderprogramms(kein Kreditprogramm!). Erforderlich ist die Umsetzung eines Digitalpakts Kinder- und Jugendarbeit[7]. Neubaumaßnahmen müssen explizit ermöglicht werden. Bei den Investitionen müssen die Kosten für Bauplanung sowie die Baubegleitkosten förderfähig sein. Bereits vorhandene Programme (Bundesförderung für effiziente Gebäude – Zuschuss für Nichtwohngebäude oder die Klimaschutzoffensive für den Mittelstand der KfW) müssen dahingehend geöffnet werden, dass durch einen weitgehenden Verzicht auf Eigenmittel (max. 10%) sowie die Ermöglichung der Kombination mit Mitteln des KJP die genannten gemeinnützigen Einrichtungen Zugang erhalten. Für einen effektiven Zugang zu den Programmen ist die Reduzierung des bürokratischen Aufwands, die Schulung der Verantwortlichen der Träger*innen und des Verwaltungspersonals sowie die Schaffung entsprechender Beratungsmöglichkeiten erforderlich.
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[1] vergleiche: Klaus Waldmann, 2020: Die Entwicklung der Landschaft der außerschulischen politischen Jugendbildung in Deutschland seit 1990. Expertise für die Kommission zum 16. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung: „Förderung demokratischer Bildung im Kindes- und Jugendalter“. https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs2021/KJB_Waldmann_Exp16KJB_03032021_final.pdf [30.01.2022]
[2] ebenda, S. 20
[3] ebenda, S. 335
[4] Die Zahlen entstammen einer Zusammenstellung des Statistischen Bundesamtes und umfassen Jugendtagungs- und jugendbildungsstätten, die hier wie folgt definiert sind: „Jugendtagungsstätten sind regionale oder überregionale Einrichtungen, in der Regel ohne hauptamtliches pädagogisches Personal, mit Tagungs-, Übernachtungs-, Verpflegungs- und Freizeitmöglichkeiten, in denen regelmäßige Bildungsveranstaltungen durchgeführt werden; Jugendbildungsstätten stehen ganz oder überwiegend für Veranstaltungen der außerschulischen Jugendbildung, einschließlich der Mitarbeiterschulung / Mitarbeiterinnenschulung zur Verfügung. Sie verfügen über eigenes pädagogisches Personal, das eigene Maßnahmen anbietet. Nicht hierzu gehören Einrichtungen der Erwachsenenbildung.“ (Definition nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes, zitiert nach s.o.)
[5] Als Ursache beschreibt Klaus Waldmann [2, S. 20]: „Eine wesentliche Ursache für diesen Rückgang dürfte jedoch sein, dass einzelne Träger ihre Bildungseinrichtungen aufgrund unzureichender öffentlicher Förderung oder mangelnder verfügbarer Eigenmittel schließen mussten oder sich aus finanziellen Überlegungen aus der außerschulischen Jugendbildung zurückgezogen und sich anderen Arbeitsfeldern zugewandt haben. Festzuhalten ist, dass die traditionellen Gelegenheiten für Angebote der außerschulischen Jugendbildung und damit auch für die politische Jugendbildung in dem für diese Expertise ausgewerteten Zeitraum in sehr erheblichen Umfang verschwunden sind.“ Er untermauert dies auch mit einer faktischen Stagnation der Mittel für außerschulische Jugendbildung im KJP für diesen Zeitraum und der Entwicklung der Zahl der Beschäftigten in diesen Einrichtungen
[6] Koalitionsvertrag, S. 78
[7] Details siehe https://www.dbjr.de/artikel/digitalpakt-kinder-und-jugendarbeit