Internationale Jugendpolitik

Internationale Jugendarbeit gewährleisten!

Der DBJR-Hauptausschuss hat am 11. Dezember 2019 die Position „Internationale Jugendarbeit gewährleisten! Die finanzielle Förderung der internationalen Kinder- und Jugendarbeit umfassender und bedarfsgerecht strukturieren!“ beschlossen.

Wir Jugendverbände und Jugendringe fordern mehr finanzielle Zuwendungen für die internationale Kinder- und Jugendarbeit über den Kinder- und Jugendplan des Bundes (KJP) als zentralem Förderinstrument! Zentral für internationale Kinder- und Jugendarbeit sind internationale Begegnungen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt können viele solcher Angebote nicht gewährleistet werden, oder werden unter mangelhaften Bedingungen durchgeführt, weil es an finanziellen Ressourcen fehlt und die Förderstrukturen sehr starr sind. Dies entspricht unserer Auffassung nach nicht den Zielen des Artikel 11 Absatz 3 Abschnitt 4 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII), in dem der Förderungsanspruch ganz eindeutig verbindlich und uneingeschränkt festgeschrieben ist.

Die kulturell-politische und soziale Relevanz der internationalen Kinder- und Jugendarbeit

Aktuell zeigen sich, verbunden mit dem Aufschwung rechtsradikaler Parteien und Politiker*innen, in vielen Ländern der Welt antidemokratische Tendenzen und die Zunahme gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Diesen Entwicklungen kann und muss aus Perspektive der Kinder- und Jugendverbände entgegengewirkt werden.

Hier setzt die internationale Kinder- und Jugendarbeit an. Nach zwei Weltkriegen sowie der Shoa kam ihr eine gesteigerte Bedeutung als Instrument der politischen Bildung zu. So hat sie über die Jahrzehnte zur Aussöhnung des europäischen Kontinents beigetragen und dazu geführt, die Europäische Union zu einer Union des Friedens zusammenwachsen zu lassen. Dieser langanhaltende Frieden ist jedoch keine Selbstverständlichkeit. Auch heute wieder versuchen wiedererstarkende rechts-nationale Kräfte Europa zu spalten. Nach wie vor bedarf es daher Anstrengungen zur Wahrung des europäischen Friedens sowie Maßnahmen der Völkerverständigung und europäischen Integration. Internationale Kinder- und Jugendarbeit, die auf den Grundsätzen von Freiheit, Gleichheit, Solidarität und Gerechtigkeit aufbaut, kann als eine solche Maßnahme verstanden werden.

Internationale Kinder- und Jugendarbeit wirkt in einer globalisierten Welt aber längst auch über Europa hinaus. Daher braucht es ergänzend zu den finanziell stärker ausgestatteten Förderinstrumenten der Europäischen Union auch eine stark ausgestattete internationale Förderstruktur im Kinder- und Jugendplan, die Begegnungen weltweit ermöglicht.

Internationale Kinder- und Jugendarbeit befähigt junge Menschen, abseits ihres gewohnten Umfelds Erfahrungen zu machen, eigene und fremde Vorurteile zu hinterfragen, bisher unbekannte Gesellschaftsmodelle, Kulturen und Religionen verstehen zu wollen und in Folge dessen ein eigenes, kritisches Bewusstsein gegenüber diesen, aber auch den eigenen politischen, kulturellen und sozialen Normen zu entwickeln. Zwangsläufig beinhaltet internationale Kinder- und Jugendarbeit darüber hinaus Aspekte des globalen Lernens. Abstrakte Zusammenhänge wie globale Wirtschaftskreisläufe werden durch internationalen Austausch greifbarer gemacht. Interessenkonflikte und Ungerechtigkeiten zwischen Globalem Süden und Norden werden sichtbarer – aber auch mögliche Lösungen eher erkannt. Bewusstsein für nachhaltiges Wirtschaften, Mindeststandards und Mindestsicherungen, die Verbesserung der Produktionsbedingungen und auch ein möglicher Wandel des eigenen Konsums können Ergebnisse internationaler Kinder- und Jugendarbeit sein.

Den internationalen Austauschen und Begegnungen der Jugendverbände kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Im Rahmen von jahre- oder gar jahrzehntelangen Kooperationen zwischen Jugendverbänden verschiedener Länder werden internationale Begegnungen gemeinsam von Jugendlichen und Jugendgruppenleiter*innen geplant und durchgeführt. Internationale Begegnungen sind dabei ein Ausdruck der transnationaler Selbstorganisation von Kindern und Jugendlichen. Durch die gemeinsame Vor- und Nachbereitung der Partner- und Schwesterorganisationen auf Augenhöhe werden die jugendverbandlichen Ziele der Partizipation, Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit im hohen Maße erreicht.

Die Auseinandersetzung mit derartigen Themenkomplexen sowie jungen Menschen aus verschiedensten Ländern führt zu einem tiefen Verständnis kultureller Vielfalt. Vor dem Hintergrund fortschreitender Globalisierung wird es immer wichtiger kompetent mit dieser Vielfalt umzugehen. Von Toleranz und Akzeptanz geprägte Begegnungen und ein multiperspektivisches Verständnis von Gesellschaft sind daher unabdingbar für ein zufriedenes, sowie friedliches Zusammenleben aller Menschen.

Die Wirkungsfelder

Individuell

Die Teilnahme an einem internationalen Austauschprogramm fördert das politische Engagement junger Menschen und bietet eine sehr gute Möglichkeit, den eigenen Horizont zu erweitern. Auch lange nach Abschluss der Maßnahme wirken die gemachten Erfahrungen der Kinder und Jugendlichen nach und setzen so angestoßene Denkprozesse fort. Die Teilnahme fördert soziale Kompetenzen, leistet einen enormen Beitrag zur Identitätsbildung junger Menschen und schafft Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Sie befähigt die eigene Lebenswelt im Kontext gesellschaftlicher und historischer Zusammenhänge begreifen zu lernen. Im internationalen Jugendaustausch wird persönliches, lokales und globales Handeln miteinander in Verbindung gebracht.

Durch das soziale Element internationaler Kinder- und Jugendarbeit wird Teamfähigkeit zur Selbstverständlichkeit und Fremdsprachenkompetenz in einem geschützten Raum ganz nebenbei gefördert, wodurch letztendlich sprachliche Barrieren überwunden werden. In der internationalen Jugendarbeit kommt eine Fülle von spielerischen und kreativen Methoden zum Einsatz, die vor allem auch die nichtsprachliche Verständigung zwischen den Teilnehmenden fördern.

Die Auseinandersetzung mit „dem Anderen“, spannende Erfahrungen voller Spaß in einer soziokulturell heterogenen Gruppe und das Knüpfen lebenslanger Freundschaften; all dies führt zu einer positiven Einstellung gegenüber dem jeweiligen Gastland sowie interkulturellen Erfahrungen generell.

Gesellschaftlich

Die individuellen und gesellschaftlichen Wirkungsfelder gehen ineinander über. Die gesellschaftlichen Strukturen geben die Rahmenbedingungen für individuelles Handeln und individuelles Handeln formt wiederum die Gesellschaft.

Internationale Kinder- und Jugendarbeit zeichnet sich vor allem durch ihren Begegnungscharakter aus. Begegnungen junger Menschen aus unterschiedlichen Regionen der Erde ermöglichen die Dekonstruktion des „wir“-„die“-Denkens, sodass gleichsam alle Menschen in ihrer Vielfalt anerkannt und wertgeschätzt werden. So erleben und lernen junge Menschen Toleranz und den gleichberechtigten Umgang aller miteinander von Grund auf als Norm.

Die Wirkkraft internationaler Kinder- und Jugendarbeit endet jedoch nicht bei den Teilnehmenden selbst. Teilnehmende werden durch die gemachten Erfahrungen quasi nebenbei zu Multiplikator*innen für Toleranz und Vielfalt in ihrem eigenen sozialen Umfeld. Auch wenn die individuellen Wirkungen auf Dritte natürlich kein planbarer Aspekt internationaler Begegnungen sein können, haben sie dennoch einen nicht zu unterschätzenden gesamtgesellschaftlichen Einfluss auf die Arbeit gegen Ausgrenzung, Intoleranz und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.

Die Herausforderungen

Eine solidere finanzielle Ausstattung internationaler Kinder- und Jugendarbeit ist dringend notwendig, damit die gesellschaftlich wichtigen Wirkungen der internationalen Arbeit von Kinder- und Jugendverbänden weiterhin erreicht werden können. Hierzu müssen die Fördersätze für internationale Jugendbegegnungen erhöht werden, um internationale Jugendbegegnungen nicht bereits an gestiegenen Durchführungskosten scheitern zu lassen. Zu Recht steigende Reisekosten in Anbetracht des Klimawandels stellen die internationale Kinder- und Jugendarbeit vor große Herausforderungen. Jugendverbände wollen klimaschonendes Reisen ermöglichen; auch hierfür müssen sie jedoch angemessen ausgestattet sein. Um dies zu erreichen und die Quantität und Qualität internationaler Kinder- und Jugendarbeit weiter zu erhöhen, muss das Fördervolumen für internationale Kinder- und Jugendarbeit zudem generell aufwachsen.

Ein weiteres akutes Problem internationaler Jugendverbandsarbeit sind zu starre Antragsfristen. Es ist nicht nachvollziehbar, warum eine unterjährige Antragstellung in dem einen Fördertopf möglich ist, in wieder anderen aber nicht. Gerade Aktivitäten zur Initiierung internationaler Kinder- und Jugendarbeit auf Fachkräfteebene sind teils auf kurzfristige Antragstellungen angewiesen. Bei Wartezeiten von im schlimmsten Fall 1,5 Jahren von Vernetzung über Antragstellung bis zur Bewilligung und Auszahlung von Fördermitteln, lässt sich eine an den Bedürfnissen der beteiligten Partner*innen orientierte Arbeit nicht ermöglichen. Insbesondere für Ehrenamtliche ist der lange Vorlauf bei der Antragstellung eine große Hürde.

Nicht zuletzt stellt auch das Gastgeberprinzip Jugendverbände immer wieder vor große Herausforderungen. Gerade dort, wo Gelder am dringendsten benötigt werden, wie beispielsweise in Staaten ohne ausreichende finanzielle Förderung von Kinder- und Jugendarbeit, sind internationale Begegnungen so kaum, oder nur unter immensem Einsatz von Eigenmitteln möglich. Das führt dazu, dass weiterhin nur die privilegierten Gesellschaften Europas und der Welt internationale Begegnungen für Kinder und Jugendliche ermöglichen können. Eine europäische oder gar globale Integration rückt unter solchen Förderbedingungen in weite Ferne.

Austauschmaßnahmen dienen neben der Durchführung gemeinsamer Aktivitäten auch der politischen Bildung, dem Erfahrungsaustausch, dem Kennenlernen von Kultur und Besonderheiten des gastgebenden Landes bzw. Kulturraums. Die derzeitigen Förderregularien verhindern jedoch, mit Gastgruppen punktuell im benachbarten europäischen Ausland Programmpunkte mit Übernachtungen durchzuführen. So sind die Möglichkeiten vieler Jugendgruppen für Programme eingeschränkt, insbesondere im grenznahen Bereich. Ebenso sind beispielweise mehrtägige Besuche bei Institutionen der EU mit Austauschpartner*innen nur ohne Förderung möglich.

Die Forderungen

Für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, also die Menschen, die unsere gemeinsame Zukunft einmal gestalten werden, fordern wir Jugendverbände uns eine angemessene und kostendeckende Finanzierung internationaler Kinder- und Jugendarbeit. Investitionen in Teilhabe und Mitbestimmung junger Menschen sind Investitionen in eine friedliche und tolerante Zukunft weltweit. Deshalb fordert der DBJR ganz konkret:

  • Eine Erhöhung des gesamten Fördervolumens internationaler Jugendarbeit, die der Finanzierung der folgenden Maßnahmen entspricht.
  • Eine strukturelle Erhöhung aller Förderpauschalen für internationale Jugendarbeit gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 4 SGB VIII.
  • Die Höhe der Förderung für internationale Jugendbegegnungen muss der für Fachkräfteprogramme gleichgestellt werden.
  • Ein Kriterium bei der Reisekostenförderung muss die Klimafreundlichkeit und nicht der Preis des Verkehrsmittels sein, so müssen zum Beispiel durch eine zusätzliche Pauschale die Kosten für klimaschonende Reisemittel vollständig übernommen werden.
  • Eine den gestiegenen Pauschalen entsprechende Erhöhung des gesamten Fördervolumens internationaler Kinder- und Jugendarbeit.
  • Finanzierung von Honoraren für die Projektleitung, externe Fachkräfte und Expert*innen sowie Sprachmittler*innen und Dolmetscher*innen.
  • Zusätzliche finanzielle Mittel für die Förderung inklusiver Maßnahmen, beispielsweise für die Begleitung von Menschen mit Behinderung, Begleitung von Menschen mit psychischer Erkrankung, Kinderbetreuung von Alleinerziehenden etc..
  • Vereinfachung in der Beantragung sowie Verwendung von multilateralen Jugendbegegnungen bzw. Jugendbildungsmaßnahmen und eine kontinuierliche Förderung dieser. Auch für den Auf- und Ausbau nachhaltiger, langfristiger Beziehungen, die zwischen den Ländern Brücken bauen, müssen ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen.
  • Eine deutliche Öffnung des Gastgeberprinzips, das heißt sowohl Zuschüsse zu Reisekosten von ausländischen Teilnehmenden nach Deutschland als auch Tagegeld für Veranstaltungen im Ausland möglich machen.
  • Den Übergang zu ganzjähriger Antragsstellung in allen durch den KJP finanzierten Fördertöpfen, sowie bei Erasmus+.
  • Die Abschaffung von starren Begrenzungen der Teilnehmendenzahl.
  • Den Einstieg in einen Prozess, in dem gemeinsam mit den Jugendverbänden Fördermöglichkeiten für weitere Formate Internationaler Jugendarbeit entwickelt werden.
  • Freigabe von Ressourcen, die in der Gründung und Arbeit von Jugendwerken gebunden werden, da die Jugendwerke hinsichtlich ihrer Förderkriterien nicht mehr zur Arbeitsweise von Jugendverbänden passen.
  • Abbau von Visabarrieren, welche jungen Menschen pauschal eine fehlende Rückkehrbereitschaft unterstellt. Reisefreiheit muss für alle jungen Menschen erlebbar gemacht werden.
  • Flexibilisierung der Förderung bei punktuellen Aufenthalten im benachbarten Ausland im Rahmen von Jugend- und Fachkräftebegegnungen.
  • Verwaltungsvereinfachungen durch Abrechnung ausschließlich auf Grundlage von Pauschalen.

 

Einstimmig beschlossen vom Hauptausschuss am 11. Dezember 2019 in Berlin.

 

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