Jugendarbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit bekämpfen
Die Teilhabe von Menschen an Gesellschaft und Staat gelingt unter anderem dann, wenn sie in der Erwerbstätigkeit stehen. Besonders für junge Menschen gelingt die Beteiligung, wenn sie gute Chancen in Ausbildungs- und Arbeitsmarkt haben. Dieser Tatsache steht eine zunehmende Jugendarbeitslosigkeit in allen Mitgliedsstaaten der europäischen Union entgegen. Hier besteht die Gefahr für einen großen Teil von jungen Menschen, in der EU dauerhaft vom Arbeitsmarkt ausgegrenzt und in ihren persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten eingeschränkt zu werden.[1] Damit einher geht der Eindruck eines zunehmenden Teils junger Menschen, dass die Regierungen und Parlamente ihnen in ihrer Ohnmachtssituation keine Hilfe sein können. Die Politik der europäischen Union verliert an Akzeptanz. Um der jungen Menschen wegen und zur Sicherung der Demokratie in Europa stellt sich der Deutsche Bundesjugendring (DBJR) der steigenden Jugendarbeitslosigkeit entgegen.
Arbeitslosigkeit Jugendlicher in Europa
Besonders im europäischen Rahmen hat die Jugendarbeitslosigkeit ein bisher unbekanntes Ausmaß angenommen. Durchschnittlich waren in den 28 Staaten der Europäischen Union im Sommer 2013 23,4 Prozent der 15 bis 24-Jährigen arbeitslos.[2] In Griechenland und Spanien ist die Jugendarbeitslosenquote im Juni 2013 sogar auf die Rekordwerte 61,5 Prozent bzw. 55,8 Prozent angestiegen. Vor dem Hintergrund immens hoher Jugendarbeitslosigkeitsquoten in vielen europäischen Ländern werden Vorschläge immer populärer, die Jugendarbeitslosigkeit durch die Anwendung des dualen Systems[3] lösen zu wollen. Dies schätzt der DBJR als kritisch ein, denn der Kern des Problems der hohen Jugendarbeitslosigkeit liegt in den meisten europäischen Ländern nicht an mangelhaft ausgebildeten Jugendlichen. Ganz im Gegenteil ist diese Generation oftmals so gut qualifiziert wie noch keine vor ihr. Zentraler Ansatzpunkt muss vielmehr die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation und eine Schaffung statt Streichung von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen sein. Arbeitgeber, Industrie und Wirtschaft sind dabei in die Pflicht zu nehmen. Und es gilt, sich innerhalb der Europäischen Union solidarisch gegenüber den stärker betroffenen Mitgliedsländern zu verhalten. Bei allen Problemen mit dem Zugang in Ausbildung hat das duale System mit seinen zwei Lernorten, der engen betrieblichen Anbindung und der Einbindung der Tarifpartner bei seiner Ausgestaltung viele Stärken. Möglicherweise können mittel- oder langfristig auch andere Staaten, sofern sie ein entsprechendes Interesse haben, sinnvoll Elemente einer betriebsnäheren Ausbildung integrieren.
Eine schnelle Einführung des dualen Systems wird dabei nicht automatisch funktionieren. In den Staaten, in denen es eine Diskussion zur dualen Ausbildung gibt, ist es erforderlich, dass unter Beteiligung der Tarifpartner evaluiert wird, welche Elemente sinnvoll und elementar für eine Anpassung bzw. Übernahme sind. Dabei sind wir uns sehr wohl bewusst, dass Erwerbslosigkeit in diesem Ausmaße nicht ausschließlich Jugendliche betrifft und generelle Lösungen zur gerechten Verteilung von Erwerbsarbeit erforderlich sind, um das Problem nachhaltig zu lösen. Es ist aber wichtig, gerade jungen Menschen eine Perspektive für ihr Leben zu geben. Der DBJR fordert deswegen
- eine wirkungsvolle Jugendgarantie in allen Ländern der europäischen Union,
- die Beteiligung von repräsentativen Jugendvertreter_innen an den Beratungen und Entscheidungen zur Jugendarbeitslosigkeit und Jugendgarantie in Europa,
- eine solide Finanzierung einer wirkungsvollen europäischen Jugendgarantie,
- einen leichteren Zugang zu Mitteln des europäischen Sozialfonds – unabhängig von der Höhe des einzuzahlenden Beitrag des betreffenden Landes,
- die zukünftige Bundesregierung auf, sich solidarisch und verhältnismäßig an der Revitalisierung des Arbeitsmarktes für junge Menschen in Europa zu beteiligen.
Für eine wirkungsvolle Jugendgarantie
Um die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen und die Zustände des „Übergangssystems“ zu überwinden, fordert der DBJR die Einführung einer Jugendgarantie in den Mitgliedsstaaten der europäischen Union. Die bisher getroffenen Vereinbarungen auf europäischer Ebene sind unzureichend. Diese Jugendgarantie soll für alle in der Europäischen Union lebenden Menschen bis zur Altersgrenze von 30 Jahren gelten. Sie soll diesen jungen Menschen einen rechtlichen Anspruch geben, innerhalb von zwei Monaten nach Abschluss der allgemeinbildenden Schule, ihrer formalen Ausbildung oder des Studiums sowie beim Verlust ihres Arbeitsplatzes
- einen qualitativ guten Ausbildungsplatz – mit absoluter Priorität betrieblich, wo das nicht möglich ist nach klar definierten Regelungen auch außerbetrieblich, beispielsweise in Ausbildungsverbünden oder
- eine regulär bezahlte und qualitativ gute Arbeitsstelle oder bei Interesse der Jugendlichen den Anspruch auf weiterführende und weiterqualifizierende Bildungsangebote bzw.
- bei Interesse der Jugendlichen den Anspruch auf einen Studienplatz an einer staatlichen Hochschule
angeboten zu bekommen.
Im Mittelpunkt der Jugendgarantie stehen die einzelnen jungen Menschen und deren individuelle Bedürfnisse. Die im Rahmen der Jugendgarantie gemachten Angebote müssen Perspektiven sichernd, nachhaltig qualifizierend und anschlussfähig sein.
Die Finanzierung der Jugendgarantie muss über solidarische Finanzierungsinstrumente erfolgen. Dafür müssen Unternehmen in ihre gesamtgesellschaftliche Verantwortung genommen werden, z. B. in Form einer allgemeinen Umlagefinanzierung oder Branchenfonds, in denen alle Unternehmen, je nach Größe, verpflichtend einzahlen. Darüber hinaus werden auch öffentliche Gelder benötigt, die der Staat längerfristig durch die Maßnahmen der Jugendgarantie an anderer Stelle, z. B. durch höhere Einnahmen aus Lohnsteuern und sinkenden Ausgaben für Arbeitslosengeld und Sozialleistungen, wieder spart.
Arbeitslosigkeit Jugendlicher in Deutschland
Obwohl Wirtschaft und Politik einen steigenden Bedarf an Fachkräften prognostizieren, finden jedes Jahr tausende Jugendliche nach dem Verlassen der allgemeinbildenden Schule keinen Ausbildungsplatz.
Besonders dramatisch ist, dass noch fast jeder dritte Jugendliche, der eine betriebliche Ausbildung sucht, in das sogenannte Übergangssystem mündet.[4] Das Ziel dieser sogenannten Berufsvorbereitenden Maßnahmen ist es, die Employability (Beschäftigungsfähigkeit) sehr junger und/oder gering qualifizierte Jugendliche zu verbessern, damit ihre Chancen auf einen Ausbildungsplatz im nächsten Jahr steigen. Das Übergangssystem Schule – Beruf ist heute breit gefächert, aber auch unübersichtlich. Viele Fördermaßnahmen stehen unabgestimmt nebeneinander. Im Augenblick befinden sich rund 400.000 junge Menschen in den verschiedenen Maßnahmen. Ein Teil dieser jungen Menschen wird in eine Maßnahme des Übergangssystems vermittelt, obwohl ihnen nichts außer einem Ausbildungsplatz fehlt. Besonders in Maßnahmen des Übergangssystems verschwenden deshalb viele junge Menschen Zeit, da kaum oder keine neuen Kenntnisse und Fertigkeiten für die persönliche und berufliche Entwicklung erworben werden. Nach Berechnungen des Bundesinstitutes für Berufsbildung (BIBB) sind in den Maßnahmen des Übergangssystems mindenstens 61.000 Jugendliche und junge Erwachsene, die ihren Ausbildungswunsch aufrecht erhalten und Ausbildungssuchende sind. Zu diesen müssen die 15.650 offiziell als unversorgt geltenden Ausbildungssuchenden hinzu gerechnet werden. Die 27.000 arbeitslosen Jugendlichen der 90.000 Jugendlichen, die sich nicht mehr bei der Bundesagentur gemeldet haben, kommen mindestens hinzu. So wird deutlich, dass die Zahl der Ausbildungssuchenden ohne Ausbildungsplatz über 100.000 beträgt.
Ein neues Übergangssystem muss sich nach Meinung des DBJR daran messen lassen, dass es auch den besonders förderungsbedürftigen jungen Menschen gerecht wird. Denn für diese wird ein Übergangssystem weiter unverzichtbar für den Erwerb von Basis- und Schlüsselkompetenzen sein. Diese sind für diese jungen Menschen die Voraussetzung für den nächsten Schritt in berufliche Qualifikation und Ausbildung. Hierbei müssen nicht die Jugendlichen zu den Angeboten passen, sondern die Angebote müssen den Bedarfen der Jugendlichen folgen. Die Angebote müssen an ihren individuellen Förderbedarfen ausgerichtet sein und auf ihren Erfahrungen und Kompetenzen aufbauen. Sie müssen Jugendlichen Gestaltungsräume eröffnen, eine längerfristige Lebens- und Berufsperspektive ermöglichen und gesellschaftliche Teilhabe sicherstellen. Dabei lässt das Übergangssystem jedoch an Übersichtlichkeit und Zielorientierung zu wünschen übrig.
Die Erfahrung der Arbeits- bzw. Ausbildungslosigkeit ist sehr prägend für Jugendliche, da sie direkt zu Beginn ihrer Berufslaufbahn eine Reihe von herben Niederlagen einstecken müssen. Viele hundert Bewerbungen, auf die sie Absagen erhalten, sind dabei keine Seltenheit – sondern eine bittere und tägliche Erfahrungen für viele Jugendliche in Deutschland und anderen Mitgliedsstaaten der europäischen Union. Erschwerend kommt hinzu, dass selbst nach Abschluss einer Ausbildung eine Weiterbeschäftigung nicht garantiert. Unsicherheit und Perspektivlosigkeit findet damit ihre Fortsetzung.
Darüber hinaus wird Teilnehmenden an Berufsvorbereitenden Maßnahmen vermittelt, die Teilnahme an einer berufsvorbereitenden Maßnahme würde im nächsten Jahr ihre Chancen auf dem Ausbildungsmarkt verbessern. Die Eingliederungsquote liegt bei nur 43 Prozent.[5]
Mehrheitlich bei zehn Enthaltungen und drei Gegenstimmen beschlossen auf der 86. Vollversammlung 2013 in Magdeburg.
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[1] Ein zusätzlicher Tag, den ein Jugendlicher in Arbeitslosigkeit verbringt, zieht statistisch bis zu sechs zusätzliche Tage der Arbeitslosigkeit im späteren Erwerbsleben nach sich (Schmillen/Umkehrer.: The Scars of Youth. Effects of Early-Career-Unemployment on Future Unemployment Experiences, IAB Discussion Paper No.6/2013).
[2] Eurostat: Saisonbereinigte EU-Jugendarbeitslosenstatistik 06/2013, epp.eurostat.ec.europa.eu
[3] Als duale Ausbildung, auch duales Berufsausbildungssystem, bezeichnet man die parallele Ausbildung in Betrieb und Berufsschule.
[4] DGB-Expertise zur Struktur und Entwicklung des Übergangsbereichs Matthias Anbuhl, Seite 7 f.
[5] Berufsbildungsbericht 2013 des Bundesministerium für Bildung und Forschung