Armut Jugendarbeit Jugendverbände

Klassismus entgegenwirken – Teilhabe aller jungen Menschen stärken!

Der Hauptausschuss des Bundesjugendrings hat am 31.01.2024 die Position "Klassismus entgegenwirken – Teilhabe aller jungen Menschen stärken!" beschlossen.

Wir Jugendverbände und Jugendringe setzen uns für die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen ein. Alle jungen Menschen sollen die gleichen Chancen haben, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, die eigenen Talente und Begabungen zu entfalten, am sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben teilzuhaben und unsere Gesellschaft mitzugestalten. Teilhabe ist ein elementares Recht junger Menschen!

Die Lebensrealität vieler Kinder und Jugendlicher sieht aber anders aus: Durch einen massiven Anstieg der Kinder- und Jugendarmut in Deutschland und eine zunehmend ungleiche Verteilung von Vermögen und Einkommen werden die Teilhabechancen vieler junger Menschen erheblich eingeschränkt. Etwa ein Fünftel der Kinder und Jugendlichen ist heute von Armut bedroht.[1] Wer in Armut lebt, hat nicht einfach nur wenig(er) Geld zur Verfügung, sondern wird im Bildungs- und im Gesundheitssystem benachteiligt, hat schlechtere Chancen bei der Arbeits- und Wohnungssuche, wird herabgewürdigt oder im öffentlichen Leben unsichtbar gemacht, und hat oft weniger Ressourcen zur Mitbestimmung. Diese Form der strukturellen Herabwürdigung, die nicht auf individuelles Verschulden zurückzuführen ist, heißt Klassismus.

Wie Klassismus wirksam wird

Klassismus bedeutet, aufgrund der (zugeschriebenen) sozialen Herkunft bzw. des sozialen Status diskriminiert und unterdrückt zu werden. Er äußert sich in materieller Benachteiligung ebenso wie in kultureller und sozialer Ausgrenzung. Klassistisch ist: Menschen mit „Unterschichtennamen“ oder Dialekt sprechende Menschen herabzuwürdigen; Bezieher*innen von Bürgergeld mangelnden Arbeitswillen zu unterstellen; Eltern mit niedrigem sozialen Status Erziehungs- und Sorgekompetenzen abzusprechen; die Leistungen von armen Kindern und Jugendlichen schlechter zu bewerten und ihnen nichts zuzutrauen; die Lebensrealitäten und Interessen von Menschen zu ignorieren, die sich nicht akademisch ausdrücken können.

Die Grundlage des Klassismus – der Widerspruch von Kapital und Arbeit – und damit einhergehend Armut und armutsbegünstigende Strukturen, ein dauerhaft großer Niedriglohnsektor, die Ausweitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse, der Mangel an bezahlbarem Wohnraum und an Betreuungsangeboten für Kinder, oder kaum bedarfsgerechte Sozialleistungen für Kinder und Familien festigen die Ausgrenzung und Benachteiligung aufgrund des sozialen Status.

Klassismus muss benannt werden

Wir finden: Klassismus und seine Ursachen müssen benannt werden! Insbesondere deshalb, weil klassistische Diskriminierung junge Menschen besonders hart trifft und lebenslange Auswirkungen haben kann. Im Gegensatz zu anderen Formen der Diskriminierung ist Klassismus als Begriff außerhalb theoretischer Debatten noch nicht sehr verbreitet. Weder ist Klassismus als Diskriminierungsform im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) anerkannt noch gibt es eine systematische Antiklassismus-Arbeit z.B. in Schulen und Behörden. Die mangelnde öffentliche Auseinandersetzung mit Klassismus führt dazu, dass viele Betroffene die eigene Lebenslage nicht auf ungerechte Strukturen zurückführen, sondern für selbstverschuldet halten. Der gemeinsame Kampf gegen Armut und ihre strukturellen Ursachen wird so erschwert.

Klassismus zu benennen ist ein notwendiger erster Schritt, um ein Bewusstsein für klassenbezogene Diskriminierung zu schaffen und benachteiligende Strukturen abzubauen. Klassismuskritik bedeutet jedoch nicht, Armut in Konkurrenz zu anderen Diskriminierungsformen zu setzen. Gerade weil Klassismus in der Regel nicht allein auftritt, sondern sich häufig mit Rassismus, Sexismus oder Ableismus verschränkt, darf er nicht isoliert betrachtet werden. Klassismuskritik kann nur als Bestandteil einer breit angelegten Antidiskriminierungsarbeit Erfolg haben.

Was getan werden muss

Als Jugendverbände und Jugendringe engagieren wir uns für eine solidarische und diskriminierungsfreie Gesellschaft. Wir unterstützen die Selbstorganisation junger Menschen und tragen mit unseren Angeboten zum Empowerment benachteiligter Kinder und Jugendlicher bei. Wir ermöglichen Kindern und Jugendlichen das Knüpfen neuer Netzwerke und unterstützen damit den Abbau sozialer und kultureller Ungleichheiten. Gleichwohl müssen auch wir selbst klassismussensibler werden und dafür Sorge tragen, dass arme Kinder und Jugendliche dieselben Chancen haben, sich bei uns zu engagieren und ihre Themen einzubringen wie ihre Altersgenoss*innen aus privilegierteren Familien. Wir wollen die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Klassismus voranbringen, indem wir unsere eigenen Strukturen immer wieder kritisch hinterfragen und zu einem Vorbild klassismuskritischen Handelns werden!

Klassismuskritik darf sich für uns aber nicht im Empowerment armer Menschen erschöpfen. Oberste Priorität muss weiterhin sein, Armut und armutserzeugende Strukturen entschieden zu bekämpfen! Um die Lebenslage und die Teilhabechancen armer junger Menschen zu verbessern und klassistische Benachteiligungen abzubauen, fordern wir:

  • die konsequente Umsetzung unserer Vorschläge zur Bekämpfung von Kinder- und Jugendarmut [2]
  • eine wirksame, armutsfeste Ausgestaltung der Kindergrundsicherung
  • nachhaltige Maßnahmen zur Bekämpfung der Vererbung des sozialen Status, unter anderem durch die Verbesserung von Bildungs- und Arbeitsmarktchancen klassismusbetroffener junger Menschen mithilfe eines gesicherten Ressourcenzugangs
  • die Aufnahme des sozialen Status als Diskriminierungsmerkmal ins Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
  • klassismuskritische Bildungsangebote für Lehrkräfte und Erzieher*innen aller Stufen des Bildungssystems sowie für Mitarbeitende in Behörden
  • die Stärkung der Teilhabe armer Kinder und Jugendlicher durch eine dauerhafte auskömmliche Förderung der Jugendverbandsarbeit.

 

[1] Funcke, A. & Menne, S. (2023): Kinder- und Jugendarmut in Deutschland. Hrsg. von der Bertelsmann Stiftung. <https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/factsheet-kinder-und-jugendarmut-in-deutschland> [Letzter Zugriff: 04.10.2023]

[2] U.a.: „Jugendarmut bekämpfen!“ Position des Deutschen Bundesjugendrings, verabschiedet von der Vollversammlung am 26./27. Oktober 2018 in Dresden <https://www.dbjr.de/artikel/jugendarmut-bekaempfen>; „Die Zeit für Entlastung junger Menschen und ihrer Jugendverbände ist jetzt!“ Position des Deutschen Bundesjugendrings, verabschiedet vom Hauptausschuss am 14. September 2022 <https://www.dbjr.de/artikel/die-zeit-fuer-entlastung-junger-menschen-und-ihrer-jugendverbaende-ist-jetzt>

Einstimmig beschlossen im Hauptausschuss am 31. Januar 2024 in Berlin.

Themen: Armut Jugendarbeit Jugendverbände