Perspektiven statt Restriktionen
In Deutschland leben heute 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Das ist fast ein Fünftel der Bevölkerung. Im Alter bis 25 Jahren macht der Anteil der Bevölkerung mehr als ein Viertel aus und rund ein Drittel der Kinder unter sechs Jahren haben einen Migrationshintergrund. Die Zahlen machen deutlich, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist und dass insbesondere Zuwanderung und Integration von Kindern und Jugendlichen eine besondere Aufgabe ist. Die Jugendverbände und Jugendringe im Deutschen Bundesjugendring beteiligen sich seit langem auf vielfältige Weise an der Integration junger Menschen. Zuwanderung und Integration sind vor dem Hintergrund des demographischen Wandels und der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands von wachsender Bedeutung. Es liegt daher im besonderen Interesse der jungen Generation, eine sinnvoll geregelte Zuwanderung als Vorraussetzung für soziale Stabilität und ökonomische Zukunftsfähigkeit zu schaffen und die Integration der bereits in Deutschland lebenden Migrant/innen zu fördern. Auch das neue Zuwanderungsrecht wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Daher sind dringend Verbesserungen erforderlich.
Der Deutsche Bundesjugendring fordert, dass junge Ausländer/innen zwischen 16 und 23 Jahren auch dann eingebürgert werden können, wenn sie ihren Unterhalt nicht selbstständig sichern können.
Die neue Regelung gibt die Erleichterungen für 16- bis 23-Jährige Ausländer/innen bei der Einbürgerung auf. Bisher konnten sie sich einbürgern lassen, ohne nachzuweisen, dass sie ihren Lebensunterhalt selbst finanzieren konnten.
Viele Jugendliche leben schon seit ihrer Kindheit in Deutschland und haben auch die größte Bindung zu diesem Land. Sie wollen hier ihre Lebensträume und -ziele verwirklichen – z.B. durch freie Ausbildungsplatz- oder Studienwahl und Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt. Dies ist mit der deutschen Staatsbürgerschaft wesentlich einfacher. Der Erhalt der deutschen Staatsbürgerschaft ermöglicht gleichberechtigtes Mitdenken, Mitreden, Mitentscheiden und Mitgestalten und darf nicht von monetären Verhältnissen abhängig sein. Da nur Staatsbürger/innen das Wahlrecht zusteht, können Zugewanderte mit Lebensmittelpunkt in Deutschland politische Teilhabe praktisch nicht ausüben.
Nicht zuletzt bedeutet für viele Jugendliche die deutsche Staatsbürgerschaft nicht nur als Ausländer/in gesehen zu werden. Die Verschärfung des Gesetzes führt dazu, dass in der Zeit, in der für die Jugendlichen wichtige Weichenstellung geschehen, eine neue Integrationshürde geschaffen und jungen Ausländer/innen die Chance genommen wird, sich mit dem Land zu identifizieren, in dem sie leben.
Der Deutsche Bundesjugendring fordert anstelle der Zwangs- und Strafmaßnahmen zur Durchsetzung der Teilnahmepflicht an Integrationskursen ein positives Anreizsystem zu schaffen, um Jugendliche für diese Kurse zu motivieren (z.B. die Verkürzung der Einbürgerungsfrist und eine stärkere Diversifizierung der Integrationskurse).
Jugendliche befinden sich entwicklungspsychologisch in der Ablösungsphase vom Elternhaus und haben ganz eigene Probleme und Interessen. Sie benötigen für den erfolgreichen Erwerb der deutschen Sprache gleichaltrige Gruppen und eine besondere Ansprache, die ihre Lebenssituation berücksichtigt. Begrüßenswert ist, dass der nationale Integrationsplan dieses Bedürfnis aufgreift und in Zukunft Jugendintegrationskurse angeboten werden. Weiter begrüßenswert ist die Einbeziehung deutscher Staatsangehöriger mit Migrationshintergrund in Kurse, wenn bei ihnen Defizite bestehen.
Strafandrohungen allein sind für diese Personen kein angemessenes Instrument. Erfolgreiches Lernen findet freiwillig und in einer anregenden und motivierenden Umgebung am besten statt. Das Gleichgewicht von Fördern und Fordern als wichtige Maxime muss im Integrationsprozess gewahrt bleiben. Gerade Jugendliche, die den größten Teil ihrer Kindheit in ihren Herkunftsländern verbracht haben und deren Eltern die Entscheidung getroffen haben nach Deutschland auszuwandern, benötigen positive Anreize und positive Begleitung. Wichtig ist es in diesem Zusammenhang die Integrationskurse stärker als bisher an die Zielgruppen anzupassen. Zwar gibt es bereits die Möglichkeit, Integrationskurse für Jugendliche anzubieten, doch gibt es davon noch viel zu wenige. Hier gilt es größere finanzielle Spielräume zuzulassen, die es den Integrationsträgern ermöglicht, Integrationskurse auch für kleinere Gruppen anzubieten.
Der Deutsche Bundesjugendring fordert, die gesetzlich vorgesehene Mindestaufenthaltszeit für einen Rechtsanspruch auf eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis für Erwachsene mit minderjährigen Kindern auf drei Jahre herabzusetzen, um eine schnelle Integration von Kindern und Jugendlichen zu gewährleisten. Darüber hinaus muss diese Regelung auch auf unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ausgeweitet werden.
„Kettenduldungen“ bedeuten für betroffene Kinder und Jugendliche in Deutschland, dass sie keine verlässlichen Zukunftsperspektiven entwickeln können. Die neuen gesetzlichen Vorgaben stellen keine echte Lösung dar, obwohl das Zuwanderungsrecht insbesondere darauf zielte, Kettenduldungen zu verhindern.
Nach neuem Gesetz kann ein/e Ausländer/in eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, wenn er/sie sich seit mindestens acht Jahren ununterbrochen in Deutschland aufgehalten hat und gewisse Kriterien erfüllt. Wenn er/sie zusammen mit mindestens einem minderjährigen Kind in häuslicher Gemeinschaft lebt, reduziert sich der Zeitraum auf sechs Jahre. Zunächst ist die Aufenthaltserlaubnis von der Frage der Lebensunterhaltssicherung unabhängig. Eine Verlängerung über den 31.12.2009 hinaus ist dann aber davon abhängig, dass der Lebensunterhalt überwiegend eigenständig durch Erwerbstätigkeit gesichert war und sein wird. Angesichts der angespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt ist jedoch die Verknüpfung einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung mit einer gesicherten Erwerbstätigkeit nicht geeignet dieses Problem zu lösen.
Die Stichtagsregelung wird zu erneuten Diskussionen über so genannte „Altfälle“ führen, da diejenigen, die erst nach diesem Stichtag die Vorraussetzungen bzw. die Kriterien erfüllen, weiter alle drei Monate die Duldung erneuern müssen.
Der Deutsche Bundesjugendring fordert, die UN-Kinderrechtskonvention und die Schutzmaßnahmen nach dem Haager Minderjährigenschutzabkommen, in geltendes Recht umzusetzen. Zudem müssen die festgelegten Mindestnormen der EU-Qualifikationsrichtlinie angemessen umgesetzt werden.
In einer besonders schwierigen Lage sind die bis zu 10.000 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Noch immer werden ihre Rechte aus der UN-Kinderrechtskonvention nicht umgesetzt. 16-Jährige werden in Asylverfahren wie Erwachsene behandelt. Eine neue Regelung schafft eine gesetzliche Grundlage für körperliche Eingriffe zur Altersfeststellung. Diese Maßnahmen sind unverhältnismäßig und in ihrer wissenschaftlichen Beweiskraft umstritten wie die neu eingeführte Röntgenuntersuchung von Handwurzelknochen. Sie stellen einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar. Diese Neuregelung trifft minderjährige Flüchtlinge, die durch Fluchtgründe wie Zwangsrekrutierung und Missbrauch als Kindersoldaten großen psychischen Belastungen ausgesetzt waren, mit besonderer Härte.
Mit dieser Praxis setzt Deutschland die UN-Kinderrechtskonvention, das Haager Minderjährigenschutzabkommen und die EU-Qualifikationsrichtlinie 2004/83 EG nicht angemessen um. Flüchtling ist laut dieser Richtlinie derjenige, der vor Verfolgungen in seinem Herkunftsland keinen Schutz erlangen kann. Maßgeblich ist ferner die begründete subjektive Furcht vor Verfolgung.
Die UN-Kinderrechtskonvention konnte 1992 Aufgrund des Widerstandes der Bundesländer nicht uneingeschränkt ratifiziert werden. So erklärte die Bundesrepublik Deutschland, „dass keine Bestimmung der UN-KRK dahingehend ausgelegt werden kann, dass sie das Recht der Bundesrepublik Deutschland beschränkt, Gesetze und Verordnungen über die Einreise von Ausländern und die Bedingungen des Aufenthalts zu erlassen oder Unterschiede zwischen Inländern und Ausländern zu machen.“ Wegen dieser Vorbehalte werden bis heute ausländische Flüchtlingskinder und Kinder mit deutscher Staatsbürgerschaft in Deutschland ungleich behandelt. Anfragen der Bundesregierung zur Rücknahme der Vorbehalte scheiterten an der Ablehnung folgender Bundesländer: Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Thüringen.
Der Deutsche Bundesjugendring fordert die Rücknahme der deutschen Vorbehaltserklärung zur bereits ratifizierten UN-Kinderrechtskonvention. Die Bundesregierung wird aufgefordert sich hierfür einzusetzen und ihre Bemühungen in den Verhandlungen mit den Bundesländern zu intensivieren.
Der Deutsche Bundesjugendring fordert, dass Minderjährige generell nicht in Zurückweisungshaft bzw. in den Flughafengewahrsam genommen werden dürfen.
Minderjährige in Abschiebehaft
Die Neuregelungen zum Zuwanderungsrecht sehen erhebliche Erweiterungen der Inhaftierungsmöglichkeiten vor, von denen auch Kinder und Jugendliche betroffen sind. Bei Zurückweisungsentscheidungen, die nicht unmittelbar vollzogen werden können, kann Zurückweisungshaft vollzogen werden. Ein Festhalten im Flughafentransit ist 30 Tage möglich. Der Deutsche Bundesjugendring lehnt es grundsätzlich ab, Minderjährige aus aufenthaltsrechtlichen Gründen zu inhaftieren. Die Zurückweisungshaft und das Festhalten im Flughafentransit stehen im Widerspruch zu internationalen Grundsätzen, nach denen Flüchtlinge während des Asylverfahrens generell nicht in Haft genommen werden sollen (UNHCR „Refugee Protection, A Guide to International Refugee Law). Betroffene Kinder und Jugendliche sind sofort durch die kommunalen öffentlichen Träger der Jugendhilfe alters- und situationsgemäß zu betreuen.
Der Deutsche Bundesjugendring fordert angemessene Hilfen und besonderen Schutz für Opfer von Zwangsverheiratungen
Im neuen Gesetz wurde das Nachzugsalter von Ehepartner/innen aus nicht EU-Ländern auf achtzehn Jahre heraufgesetzt. Begründet wird dies mit der Verhinderung von Zwangsverheiratungen. Diesem Anliegen misst der Deutsche Bundesjugendring hohe Relevanz zu. Für betroffene Minderjährige ist diese Regelung durchaus eine Verbesserung, da die Volljährigkeit eine größere Handlungsfreiheit mit sich bringt, um sich gegen Zwangsverheiratung zur Wehr zu setzen bzw. sich Hilfe zu organisieren. Jedoch stellt sie auch einen Eingriff in die verfassungsgemäßen Rechte von Ehe und Familie dar.
Notwendige Maßnahmen zum Schutz von Betroffenen von Zwangsverheiratungen z.B. durch verbesserte Möglichkeiten einer Rückkehr von ins Ausland verbrachten Opfern nach Deutschland, finden sich dagegen nicht.
Insgesamt entsteht der Eindruck, dass es nicht um die Verhinderung von Zwangsverheiratungen geht, sondern um die Abwendung von Zuwanderung handelt.
Der Deutsche Bundesjugendring lehnt die Vorraussetzung von einfachen Deutschkenntnissen beim Ehegattennachzug ab und fordert die Rücknahme dieser Regelung.
Mit dem Ziel einer besseren Integration von nachziehenden Ehegatten und zur Bekämpfung von Zwangsverheiratungen wird nach neuer Rechtslage vom nachziehenden Ehegatten verlangt, sich in einfacher deutscher Sprache verständigen zu können. Abgesehen wird von dieser Regelung bei Einreisenden aus Ländern wie USA, Kanada, Israel und Japan. Somit handelt es sich um eine zwei Klassen-Regelung, denn die Forderung nach Deutschkenntnissen, wird von Personen aus den „privilegierte Herkunftsländer“ nicht verlangt. Unter dem Aspekt der Gleichbehandlung ist diese Regelung nicht nachvollziehbar. Sie verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG), dass beispielsweise von einem mazedonischen Ehegatten Deutschkenntnisse für den Familiennachzug verlangt werden, von einem japanischen Ehegatten allerdings nicht. Das Ziel, Zwangsverheiratungen durch diese Normierung zu verhindern, ist an dieser Stelle deutlich überzogen. Zwangsehen sind in Gesellschaftsstrukturen begründet. Der Erwerb von Fremdsprachenkenntnissen hindert keine Zwangsverheiratung. Darüber hinaus wird die Ungleichbehandlung dadurch verstärkt, dass es nicht überall Möglichkeiten gibt, Deutschkurse zu besuchen. Voraussetzung für eine Gleichbehandlung wäre es, Deutschkurse in allen Ländern und dort mit großer regionaler Breite anzubieten. Dies ist aber gar nicht möglich. Dadurch wird Menschen aus dem ländlichen Raum jeden Landes der Zuzug nach Deutschland verwehrt. Diese Ungleichbehandlung widerspricht der Lebenswirklichkeit und bedeutet eine unzumutbare Gängelung von Menschen, ohne die angestrebten Ziele zu erreichen. Darüber hinaus verstößt sie gegen geltendes deutsches Recht, denn jede/r deutsche/r Staatsbürger/in hat das Recht mit ihrem/seinem Ehegatten/in in Deutschland zusammen zu leben, unabhängig von ihren/seinen Sprachkenntnissen. Deshalb muss die Regelung beim Ehegattennachzug unverzüglich zurückgenommen werden.
Der Deutsche Bundesjugendring fordert die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung an Kinder, wenn Vater oder Mutter eine entsprechende Erlaubnis besitzen sowie die Einhaltung des Grundrechts auf das familiäre Zusammenleben.
Nach neuer Gesetzeslage erhält ein in Deutschland geborenes Kind eine Aufenthaltserlaubnis, wenn Vater und Mutter oder der allein sorgeberechtigte Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis besitzt. Hat nur ein Elternteil einen entsprechenden Aufenthaltstitel, kann die Erlaubnis erteilt werden. Diese Regelung läuft dem Kindeswohl insofern entgegen, als es tendenziell das Aufwachsen von Kindern mit beiden Eltern in Deutschland erschwert. Weitere Einschränkungen gibt es beim Familiennachzug, der zum Teil von der Sicherung des Lebensunterhaltes abhängig gemacht wird bzw. einreisende Ausländer/innen in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts keine Leistungen erhalten. Diese Regelung bedeutet einen Eingriff in das Grundrecht auf Ehe und Familie.
Von der 80. Vollversammlung des Deutschen Bundesjugendrings am 26./27.10.2007 in Hannover einstimmig beschlossen.