Politische Bildung

Politische Bildung in der Jugendverbandsarbeit

Die DBJR-Vollversammlung hat am 30./31.10 2020 die Position „Politische Bildung in der Jugendverbandsarbeit - anerkennen, wertschätzen, weiterentwickeln!“ beschlossen.

Politische Bildung ist eine wichtige und notwendige Voraussetzung für die persönliche, soziale und zivilgesellschaftliche Teilhabe von Individuen an der Gesellschaft. In den zahlreichen informellen, non-formalen und formalen Bildungsangeboten bzw. -gelegenheiten kommt politische Bildung traditionell in unterschiedlichsten Formen vor, die vor allem Demokratische Bildung, Demokratiebildung und politisches Handeln sind, und ist damit nicht immer als solche wahrnehmbar. Die entsprechenden Angebote und Gelegenheiten ermöglichen bewusst oder unbewusst, dass sich (junge) Menschen beteiligen, einmischen, engagieren und tragen entsprechend zum gesellschaftlichen Engagement bei.

Politische Bildung, wie sie in der Jugendverbandsarbeit seit jeher umgesetzt wird, stärkt unsere demokratische Gesellschaft, weil sie junge Menschen zu Mitbestimmung, solidarischer Selbstverantwortung und partizipativer Beteiligung auffordert. Sie setzt – genau wie Jugendverbände und -ringe in ihrem Handeln – auf Kompromisse zur Lösung von Problemen anstatt auf Spaltung. Als Jugendverbände und -ringe leisten wir damit als Teil der demokratischen Zivilgesellschaft einen wesentlichen Beitrag zu einer auf demokratischen Werten basierenden Gesellschaft. Diese ist gekennzeichnet durch ein empathisches Miteinander, eine konstruktive Diskussionskultur und eine kritisch-konstruktive Beobachtung und Begleitung des Handelns von Legislative, Judikative und Exekutive aus der Perspektive und im Interesse junger Menschen.

Wir setzen uns damit für eine demokratische, nachhaltige und solidarische Gesellschaft ohne Ausgrenzung, Diskriminierung und Rassismus ein, indem Kinder und Jugendliche lernen, ihre Interessen zu erkennen und diese an geeigneter Stellen einbringen. Es ist nicht nur für uns als junge Menschen sowie Jugendverbände und -ringe, sondern gesamtgesellschaftlich wichtig, dass unser gemeinsamer Beitrag zur politischen (Jugend-)Bildung durch die Gesellschaft und die staatlichen Akteure als solche wahrgenommen und anerkannt sowie unterstützt und gefördert wird.

Im derzeitigen Fokus der politischen Debatte steht die politische Bildung oftmals als kurzfristiger „Brandlöscher“: Einzelne Aspekte und Ansätze werden als Allheilmittel gegenüber komplexen, gesellschaftlichen Herausforderungen gesehen und besonders hervorgehoben; beispielsweise gerade dann, wenn im Zuge rechtsextremistischer Übergriffe der Ruf nach schnellen Interventionen laut wird. Politische Bildung oder einzelne Programme sollen zur Prävention rassistischer Gewalt, zur politischen Bildung gegen Politikverdrossenheit, zur politischen Bildung zum Stopp des Zulaufs zu rechtsextremen Parteien, gegen gezielte Desinformationskampagnen, als Gegensteuern gegen nach rechts verschobene Diskurse u.v.m. dienen. Die Notwendigkeit eines allumfassenden, kohärenten Ansatzes wird dagegen nicht gesehen.

In (Bundes-)Programmen wie „Demokratie leben!“ wird größtenteils versucht, eine Stärkung der Demokratie über Projekte zur Extremismusprävention zu erreichen. Dabei wird jedoch vernachlässigt, dass dieser Aspekt losgelöst von anderen (politischen) Bildungserfahrungen kaum nachhaltig umsetzbar ist. Obwohl dabei häufig der Wunsch nach einer starken Zivilgesellschaft geäußert wird, liegt der Fokus hauptsächlich auf Symptombekämpfung.

Wir Jugendverbände und -ringe beobachten, dass sich der Fokus der staatlichen bzw. öffentlichen Förderung eher von werteorientierten, langfristig geförderten und in der Breite der Zivilgesellschaft verankerten Trägern abwendet. Dies geschieht zugunsten einer „Zivilgesellschaft nach Maß“, von der bedarfsbezogen temporäre Programme eingefordert werden. Mit den Grundprinzipien der Kinder- und Jugendhilfe, der Kinder- und Jugendarbeit der Jugendverbände und der politischen (Jugend-)Bildung, wie wir sie verstehen, ist das nicht vereinbar. Es entspricht eher den Bedürfnissen der staatlichen Akteure als den Kindern und Jugendlichen.

Gesellschaftliche Entwicklungen und Tendenzen

Immer wieder1 mussten wir in den letzten Jahren auf gesellschaftliche Entwicklungen aufmerksam machen, die unser demokratisches Zusammenleben und eine unabhängige, demokratische Zivilgesellschaft weltweit gefährden. Dazu gehört in Deutschland beispielsweise das (juristisch) unbegründete Infragestellen der Gemeinnützigkeit politisch engagierter Träger. Dies führt neben der offensichtlichen Bedrohung finanzieller Existenzgrundlagen auch zum Infragestellen ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz. Auch das subtile Aufweichen der partnerschaftlichen Zusammenarbeit und des Subsidiaritätsprinzips, wie sie zum Beispiel für die Kinder- und Jugendhilfe in § 4 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) verankert sind, beobachten wir. Gleichzeitig erleben wir den Aufstieg rechtspopulistischer und rechtsextremistischer Parteien, die Entleerung politischer Diskurse, die realitätsverzerrende Gleichbehandlung von sogenanntem Links- und Rechtsextremismus (Hufeisentheorie) sowie den dramatischen Anstieg rassistischer und diskriminierender Gewalt. Bei Förderfragen und im politischen Diskurs wird die für staatliche Träger geltende Verpflichtung zur parteipolitischen Neutralität immer ausufernder als Verpflichtung zu Werteneutralität interpretiert und ohne rechtliche Grundlage im vorauseilendem Gehorsam auf zivilgesellschaftliche, freie Träger angewandt. Jugendverbände und -ringe geraten wie viele andere zivilgesellschaftliche Träger hierdurch unter Druck und sollen in ihren Handlungsmöglichkeiten zunehmend eingeengt werden.

All diese Entwicklungen schwächen die Existenzgrundlage unserer pluralen, demokratischen Zivilgesellschaft und schaden damit auch der Kinder- und Jugendarbeit in ihrem nachhaltigen Engagement für Kindern und Jugendliche und somit auch für unsere Gesellschaft.

Politische Bildung zu stärken kann in diesem Kontext Schutzpotenzial und Rechtssicherheit bieten, wenn sie in einem weitreichenden, trägerorientierten, ganzheitlichen Ansatz zur Demokratieförderung integriert ist. Nur eine Zivilgesellschaft mit freien Trägern, die ihre demokratischen Werte und Ziele leben und vertreten dürfen, steht im Einklang mit den übergeordneten Zielen der Demokratieförderung. Dies beinhaltet, dass Bildungsangebote an eben jenen Werten und Zielen sowie – im Falle der Kinder- und Jugendarbeit – an den Interessen junger Menschen anknüpfen dürfen und von jungen Menschen bestimmt und gestaltet werden.

Schutz und Förderung demokratiestärkender Strukturen sollten im Rahmen dessen unumstrittene Priorität haben und nicht zugunsten kurzfristiger Programme aus dem Blick verloren werden. Ein respektvoller Umgang zwischen einer unabhängigen, starken Zivilgesellschaft und den staatlichen Strukturen sowie die damit einhergehende, kritische Einmischung in politische Prozesse machen unsere Demokratie erst demokratisch.

Jugendverbandsarbeit als Orte politischer Bildung

Niederschwellige Anlässe und Momente der Selbstwirksamkeit sind Schlüsselfaktoren für ein langfristiges, freiwilliges gesellschaftliches Engagement. Nachhaltige Motivation erwächst nicht aus dem Zwang einer Pflichterfüllung, sondern aus dem Wunsch nach Verbesserung der eigenen Lebensumstände.

Im jugendverbandlichen Kontext eröffnen sich darüber hinaus Gestaltungsmöglichkeiten der eigenen zeitlichen und örtlichen Freiräume. Auf Basis von erzielten Kompromissen schaffen junge Menschen in Jugendverbänden Angebote und machen damit gleichzeitig konkrete Demokratieerfahrungen; sie handeln dabei politisch. Das eigene Handeln beziehungsweise die Möglichkeit zur Umsetzung eigener Projekte und die bewussten Entscheidungen für Wege und Methoden addieren sich zu einem selbstbestimmten Bildungsprozess, bei dem junge Menschen selbst ihre Schwerpunkte setzen und gemeinsame Erfahrungen sammeln und auswerten können.

Die Voraussetzung für die Partizipation am gesellschaftlichen Leben ist die individuelle Mündigkeit jeder*s Einzelnen. Deshalb muss politische Bildung, die diese Mündigkeit befördern soll, dauerhaft gelebt und gestaltet werden. Sie kann nicht in einem abstrakten Lernen über Strukturen und Prozesse bestehen, sondern muss handlungsorientiert sein, das heißt sie braucht konkrete persönliche Erfahrungen mit demokratischen Gestaltungsprozessen im Alltag, um erfolgreich und nachhaltig zu wirken.

Es wird nicht immer bewusst als Prozess politischer Bildung wahrgenommen, benötigte Informationen selbständig zu suchen, Strukturen zu verstehen, untereinander zu diskutieren, kritisch abzuwägen, Kompromisse nachzuvollziehen sowie selber Kompromisse zu suchen und zu schließen. Die im Deutschen Bundesjugendring zusammengeschlossenen Jugendverbände und -ringe sind jedoch der Überzeugung, dass solche selbstorganisierten und freiwilligen Erfahrungen von Demokratie im praktischen Leben nachhaltiges Potenzial für politische Bildung, insbesondere Demokratiebildung, beinhalten. Die langfristige Verankerung demokratischer Werte sowie das Engagement für diese werden durch persönliche Überzeugung und Erfahrung ermöglicht und bestärkt.

Das Alleinstellungsmerkmal der Jugendverbände ist dabei insbesondere die Möglichkeit für junge Menschen, früh echte Verantwortung zu übernehmen – sowohl für sich als auch für andere, individuell wie auch in Gruppen, in den Verband hinein sowie als Interessenvertretung nach außen. Jugendverbände und ihre Zusammenschlüsse, die Jugendringe, sind Interessenvertretungen junger Menschen. Sie bieten Möglichkeiten demokratischer Selbstorganisation (zum Beispiel in politischen Gremien, Arbeitsgruppen, Austauschen und Zusammenkünften) und damit ein großes Potenzial für politische Bildung durch politisches Handeln sowie im Zusammenspiel mit den anderen Bildungsgelegenheiten.

Angebote politischer Bildung in der Jugendverbandsarbeit

Die Erfahrung selbstbestimmter Räume, Gruppen und Zeiten…

in denen die Bedingungen, unter denen junge Menschen zusammenleben, nicht vorgegeben sondern veränderbar sind. Gemeinschaft und wie diese gestaltbar sein kann wird in der jugendverbandlichen Praxis konkret erlebt.

Eigenständiges, bedarfsbezogenes und erfahrungsorientiertes Lernen…

durch eigenes politisches Handeln geschieht in den Strukturen der Selbstorganisationen und Interessenvertretungen, beispielsweise bei internationalen Begegnungen, bei der Vorbereitung von Demonstrationen, beim Aushandeln des Jahresprogramms, auf Freizeiten und Zeltlagern, bei der Wahl des Vorstandes. Die Beteiligung durch die demokratischen Strukturen der Jugendverbände und -ringe zieht sich durch alle Angebote und Strukturen. Eigene Projekte, Erfolge oder Misserfolge werden miteinander erlebt und reflektiert. Die demokratische Selbstorganisation in der Jugendverbandsarbeit schafft Gelegenheit, Mitgestaltungsmöglichkeiten und -strategien in der Demokratie durch das Erleben zu erlernen. Dabei werden junge Menschen befähigt, auf den unterschiedlichsten Ebenen in der eigenen Verbandsstruktur Verantwortung und Leitungsaufgaben zu übernehmen und sich darüber hinaus zum Beispiel in die Arbeiten der Jugendringe oder Jugendhilfeausschüsse einzubringen.

Explizite Angebote der politischen Bildung…

bei denen Inhalte, Ausrichtung und Methoden in eigener Verantwortung durch die beteiligten jungen Menschen bestimmt werden, haben ebenfalls eine zentrale Rolle. Dabei werden sowohl Initiativen wie U18, aber auch thematische Schwerpunkte von Freizeiten, Gedenkstättenbesuche, Seminare mit konkreten Angeboten zur Wissensvermittlung zu Themen wie beispielsweise Nachhaltigkeit, Klimawandel, Flucht, Armut, Digitalisierung, Gender und Solidarität in den Blick genommen. Die Prinzipien der Wertorientierung, Selbstorganisation und Ehrenamtlichkeit, Freiwilligkeit und demokratischer Struktur sind dabei durchgängig eine zentrale Grundlage.

Bildung im Jugendverband ist immanenter Teil der Jugendverbandsarbeit und darf sich deshalb nicht von den Prinzipien der Freiwilligkeit, Selbstorganisation, gemeinschaftlichen Gestaltung und Verantwortung lösen. Daher müssen es die Rahmenbedingungen den Jugendverbänden und -ringen ermöglichen, Angebote frei zu gestalten. Nur in ihrer Gesamtheit, Gemeinsamkeit und Vielfalt bieten die Angebote der Jugendverbandsarbeit die so wichtigen Möglichkeiten zur persönlichen Entfaltung, zur gesellschaftlichen Orientierung und zum Erlernen des demokratischen, gesellschaftlichen Miteinanders und somit zur Förderung ihrer Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.

Wo Bildungsorte ineinander übergehen und Bildungsgelegenheiten ineinander greifen, können individuelle Lernerfahrungen entstehen, die sich langfristig summieren und positiven Einfluss auf Engagement, Wertefestigung, kritische Reflexion und politisches Handeln haben. Die gemachten Erfahrungen werden regelmäßig und oft umfangreich im informellen Rahmen in der eigenen Peer-Group reflektiert und ausgewertet – mit dem Ziel, die nächste Herausforderung noch besser zu meistern.

Diese Bildungsräume sind im Interesse der jungen Menschen und unserer demokratischen Gesellschaft zu erhalten und zu schützen. Sie weiterzuentwickeln ist für uns von hoher Priorität und ein großes Anliegen. Denn wir setzen uns für politische Bildung mit Beteiligung, Verantwortung und Eigeninitiative junger Menschen ein, ganz im Sinne unserer Grundsätze.

Merkmale außerschulischer politischer Bildung in der Jugendverbandsarbeit

Informelle, non-formale und formale Bildung ist die Befähigung des Individuums, ein selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben zu führen und gesellschaftliche Entwicklungen mitzugestalten. Politische Bildung im Speziellen schafft Bewusstsein für die eigenen Handlungsspielräume in der Gesellschaft. Dafür sind Einblicke in das System und die Erfahrung demokratischer Prozesse zwei maßgebliche und sich ergänzende Komponenten.

Bildung in Jugendverbänden ist nicht auf Verwertbarkeit bzw. wirtschaftlichen Output, Arbeitsmarktbefähigung oder zertifizierbare Expertise ausgerichtet, sondern dient dem eigenen Interesse, dem Erreichen von persönlichen Zielen sowie der Erfüllung von Bedürfnissen und Werten der Beteiligten. Jugendverbände leisten damit einen unersetzlichen Beitrag zur politischen Emanzipation junger Menschen und sind ein wichtiger eigenständiger Bestandteil des Bildungssystems.

Die Freiheit vom Zwang, „Lernerfolge“ anhand standardisierter Indikatoren vorweisen zu müssen, sind Attraktivitäts- und Erfolgsfaktoren dieser Lernerfahrung. Diese Aspekte führen jedoch auch dazu, dass non-formale Bildungsangebote häufig als nicht gleichwertig zu den formalen Regelsystemen wie Schule betrachtet werden. Diese Haltung ist zum einen veraltet und entspricht zum andern nicht dem Willen des Gesetzgebers. Dieser hat im Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) ganz bewusst festgelegt dass „jungen Menschen […] die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen [sind]“ und konkretisiert „zu den Schwerpunkten […] gehören außerschulische Jugendbildung mit allgemeiner, politischer, […] Bildung…“.2

Grundlegendes Prinzip der Jugendverbandsarbeit ist das soziale Lernen, das heißt auch: Gemeinschaften durch Bildung zu schaffen. Durch das Zusammenkommen von jungen Menschen und der gemeinsamen Erfahrung des Wissenszuwachses entstehen neue Kollektive, die befähigt werden, ihre Interessen zu artikulieren und diese im demokratischen Diskurs einzubringen.

Aktuelle Herausforderungen

Die oben beschriebenen gesellschaftlichen Entwicklungen bergen – nicht nur für Jugendverbände und -ringe – unter anderem folgende Herausforderungen:

Shrinking spaces for civil society in Deutschland, der EU und weltweit

Der Prozess der „shrinking spaces“ bezeichnet den Einfluss- und Spielraumverlust zivilgesellschaftlicher Organisationen durch die (anfangs) subtile, aber kontinuierlich zunehmende Verwehrung fundamentaler Rechte der Bürger*innen, der demokratischen Zivilgesellschaft und ihrer Organisationen. Die Einschränkungen von Versammlungs-, Vereinigungs- und Meinungsfreiheit bedeutet in vielen Ländern inzwischen vor allem, dass Verbände und Organisationen in ihrer Arbeit behindert, mit Drohungen und Diffamierungskampagnen eingeschüchtert oder sogar mit Gewalt attackiert werden. Nicht umsonst liegt die Betonung auf „shrinking spaces“ also darauf, dass die Einschränkung der Zivilgesellschaft eine Tendenz bzw. ein fortlaufender Prozess ist und somit der zivilgesellschaftliche Handlungsspielraum immer weiter schrumpft. Ziele, Förderung, Strukturen und Angebote zivilgesellschaftlicher Träger werden durch staatliche bzw. staatsgelenkte Akteure verzerrt dargestellt. Vor allem in der Fördermittelvergabe herrscht eine große Intransparenz. Politische Einmischung und unbequeme Interessenvertretungen werden als nicht wünschenswerte Kompetenzübertritte karikiert und zum Schutze der Souveränität des Staats behindert oder gar unterbunden. Teilweise gehen Regierungen dazu über, selbst gegründete oder stark beeinflussbare Interessenvertretungen unter dem Deckmantel der Zivilgesellschaft (Government-organized non-governmental organization - GONGO) zu finanzieren. Diese verlieren dadurch ihren Status als regierungsunabhängige Organisation, stellen sich jedoch als unabhängig dar. Diese Trends sind global zu beobachten. Mittlerweile muss in einigen Ländern sogar von „closing spaces“, also geschlossenen Räumen gesprochen werden.

So wird beispielsweise mit dem polnischen Gesetz zur Finanzierung von zivilgesellschaftlichen Organisationen der Zugang zu Finanzmitteln, selbst von der EU, einem intransparenten zentralen Regierungsprozess unterstellt. Ebenso wurde in Ungarn das Gesetz zur Einschränkung der Arbeit von Nichtregierungsorganisationen verabschiedet, das kurz darauf vom Europäischen Gerichtshof aufgehoben werden musste, weil es gegen EU-Recht verstößt. Im Jahr 2019 gaben bei einer Umfrage der European Union Agency for Fundamental Rights zur Lage der Zivilgesellschaft unter ihren über 700 Mitgliedsorganisationen europaweit über die Hälfte aller Befragten an, dass sich die Situation für die Zivilgesellschaft in ihrem Land in den letzten Jahren „verschlechtert“ oder „sehr verschlechtert“ habe.3

Auch Jugendverbände und -ringe sind Teil dieser Zivilgesellschaft. Sie sind damit in ihrer Unabhängigkeit gefährdet. Ihrer wertebasierten, demokratischen und politischen Bildung sowie vor allem ihrer Interessenvertretungsarbeit wird Stück für Stück die Existenzgrundlage entzogen. Viele unserer Partnerorganisationen in anderen europäischen Ländern, beispielsweise in Polen oder der Ukraine, haben inzwischen keine ausreichende finanzielle Grundlage mehr. Es wurden faktisch staatlich gelenkte Parallelstrukturen installiert oder sie sind schlimmeren Repressalien ausgesetzt.

Auch in Deutschland läuft der Prozess der „shrinking spaces“, oft noch subtil aber meist mit deutlichen Folgen. Die folgenden Entwicklungen bzw. Herausforderungen tragen dazu bei.

Aufweichung des Subsidiaritätsprinzips

Durch das Subsidiaritätsprinzip wird unter anderem die Entstehung staatsnaher monopolistischer Strukturen verhindert und die plurale, demokratische Zivilgesellschaft geschützt. Der Subsidiaritätsgedanke beinhaltet, dass der Staat nur dann und dort eingreift, wo die Zivilgesellschaft oder die Träger der kommunalen Selbstverwaltung diese Aufgaben nicht erfüllen können. Staatliches Eingreifen sollte sich dabei darauf reduzieren, zivile Organisationen vor Übergriffen, die ihr Handeln einschränken, zu schützen, ermöglichende Rahmenbedingungen zu schaffen sowie sie zu unterstützen und zu fördern. Konkretisiert für die Kinder- und Jugendhilfe bedeutet dies nach dem SGB VIII „Soweit geeignete Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen von anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe betrieben werden oder rechtzeitig geschaffen werden können, soll die öffentliche Jugendhilfe von eigenen Maßnahmen absehen. […] Die öffentliche Jugendhilfe soll die freie Jugendhilfe nach Maßgabe dieses Buches fördern …“4

Wenn dieses Subsidiaritätsprinzip nicht mehr geachtet oder umgangen wird, stellt das die Zivilgesellschaft vor große Herausforderungen und schränkt ihre Möglichkeiten ein.

Übertragung des parteipolitischen Neutralitätsgebots für Akteure des Staates auf die Zivilgesellschaft

Für den Staat sowie seine Akteure (sowie anderer Körperschaften des öffentlichen Rechts) gilt auf Basis des Grundgesetzes das parteipolitische Neutralitätsgebot.

Jugendverbände und -ringe dagegen sind wie viele andere Organisationen Teil der demokratischen, pluralistischen Zivilgesellschaft. Ihre Aktivitäten sind durch die Beschäftigung mit gesellschaftlichen Diskursen geprägt; insbesondere dann, wenn es sich um Angebote der politischen Bildung handelt. Eine verpflichtende Neutralität gegenüber Vertreter*innen von Parteien bzw. deren Positionen oder gar eine Neutralität gegenüber allen Werten steht dabei im Gegensatz zur Aufklärung und Auseinandersetzung mit beispielsweise Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus, Transphobie oder Homophobie.

Die im SGB VIII verankerte finanzielle Förderung der Jugendverbände und ihrer Zusammenschlüsse geht davon aus, dass sich die gesellschaftliche Vielfalt in der Pluralität der (geförderten) demokratischen Organisationen abbildet und die verbandliche Jugendarbeit und die Jugendbildung insgesamt von den verschiedenen Konzeptionen, Werten und Verbandsprofilen geprägt ist. Damit wird ein breites Spektrum demokratischer Werte gefördert. Und der Staat kommt damit seiner Verpflichtung zu Gleichbehandlung der Werte innerhalb des demokratischen Spektrums nach.

Zunehmend geraten Jugendverbände und -ringe unter Druck, weil sie aufgrund ihres Werteprofils im Konflikt mit rechtsextremen Parteien und Organisationen stehen und sich dazu öffentlich äußern. Hier ist die – rechtswidrige – Ausweitung des staatlichen Neutralitätsgebots auf die geförderten zivilgesellschaftlichen Organisationen Grundlage der Argumentation. Jugendverbände und -ringe sind wie alle anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen jedoch Träger von Grundrechten und nicht Adressaten der Beschränkungen durch das Grundrecht. Daran ändert auch eine (staatliche) Förderung nichts.

Die ständige Wiederholung von Neutralitätsansprüchen gegenüber öffentlich geförderten Trägern sorgt jedoch für immer mehr Unsicherheiten und Fehleinschätzungen in den Verwaltungen. Oft wird besonders dort, wo rechtsextreme Parteien bereits in Parlamenten und Entscheidungsgremien sitzen oder Budgetverantwortung haben, in vorauseilendem Gehorsam gehandelt – und zu politischen Themen geschwiegen, zu denen Zivilgesellschaft ein Recht und eine moralische Pflicht auf Mitsprache hat.

Speziell für Jugendverbände und -ringe gilt, dass ihre Arbeit im Rahmen der Regelungen des § 12 SGB VIII geschieht und dieser ausdrücklich Pluralität und Werteorientierung als Grundlage für Jugendverbände und ihrer Zusammenschlüsse definiert. Jugendbildung und Jugendpolitik in Jugendverbänden folgen daher den Interessen und Themen junger Menschen und bilden ihre Pluralität ab. Ein politisches Neutralitätsgebot greift in die gewollte Pluralität der Jugendhilfe ein und bricht mit den Grundlagen der freien Jugendhilfe. Die gesetzlich verankerte Förderung „unter Wahrung ihres satzungsgemäßen Eigenlebens“5 ist so nicht möglich.

Zunehmende Rechtsunsicherheit durch restriktivere Auslegung des Gemeinnützigkeitsrechtes

Spätestens mit dem sogenannten attac-Urteil und der in der Folgezeit sehr unterschiedlichen Auslegung durch die einzelnen Finanzämter, bei denen beispielsweise der Zweck „allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens“ und der „politische Bildung“ entsprechend der Abgabeordnung oft weiter eingeschränkt wurden, ist die Rechtsunsicherheit bei vielen zivilgesellschaftlichen, gesellschaftlich engagierten Organisation – vor allem auch Trägern der politischen Bildung – groß. Nicht selten kommt es zu einer Selbstbeschränkung, um die eigene Existenz nicht zu bedrohen. Der Status der Gemeinnützigkeit ist nicht nur für die finanzielle Existenzsicherung unabdingbar sondern oft auch Grundlage für gesellschaftliche Anerkennung und Akzeptanz. Politisches Engagement von jungen Menschen und damit verbundene selbstorganisierte Bildungsprozesse innerhalb zivilgesellschaftlicher Organisationen ist so in den letzten Jahren stark unter Druck geraten.

Projektbezogene Extremismusprävention darf Demokratieförderung nicht ersetzen

Seit 1992 fördert die Bundesregierung Programme und Maßnahmen zur so genannten Extremismusprävention. Der Fokus der Programme wurde etwa zehn Jahre später durch den Bezug auf die Demokratieförderung erweitert. Zivilgesellschaftliche Strukturen werden dabei durch die Bundesregierung in der Prävention und Bekämpfung von antidemokratischen Ideologien und Praxen unterstützt.

Dennoch entsteht der Eindruck, dass der Fokus sich derzeit wieder zur Extremismusprävention zurückbewegt und Demokratieförderung kurzerhand zum Synonym erklärt wird: Temporäre, projektbasierte Arbeit soll kurzfristig vorgegebene Zielvorstellungen und Wunschveränderungen messbar liefern und verdrängt dauerhafte Förderungsstrukturen. Durch Extremismusprävention sollen komplexe, gesellschaftliche Entwicklungen vereinfacht und von der Zivilgesellschaft innerhalb eines definierten Zeitrahmens abgearbeitet werden. Es entstehen so neue Abhängigkeiten gegenüber den Fördergebern, die Förderauflagen für kurzfristige Bildungsprojekte folgen den Vorgaben entsprechend und ermöglichen den – zumeist staatlichen – Geldgebern eine neue Hoheit über die Inhalte unserer Arbeit. Hinzu kommen Erfahrungen mit Vergabeverfahren, die als intransparent und übergriffig bewertet werden6. Letzteres beispielsweise dadurch, dass der Fördermittelgeber massive Eingriffe in das satzungsgemäße Eigenleben von Organisationen im Rahmen des In-Aussichtstellens zusätzlicher Mittel vornehmen will.

Politisches Lernen durch politisches Handeln erfährt (zu) wenig Anerkennung

Schule als Pflichtsystem, das vorgeblich alle jungen Menschen erreicht und das den Anschein der Messbarkeit der dortigen Bildungsleistungen erweckt, führt in Politik aber auch bei vielen gesellschaftlichen Debatten zur falschen Annahme, sie sei der einzige oder zumindest privilegierte Lernort für junger Menschen und damit Maßstab aller Bildungsdebatten. Diskussionen zu Qualität und wünschenswerten Parametern für politische Bildung werden dem folgend ebenfalls allzu oft ausschließlich im schulischen Kontext geführt.

Dadurch gerät die Vielfalt der politischen Bildung durch schulische wie außerschulische Angebote bzw. formale, non-formale und informelle Gelegenheiten aus dem Blick. Gerade die Pluralität der außerschulischen Träger und ihrer Angebote und Konzepte sichert Möglichkeiten und Zugänge, die dem formalen Bildungssystem versperrt bleiben. So ist es unverständlich aber oftmals Realität, dass beispielsweise Jugendverbänden abgesprochen wird, relevante politische Bildner zu sein. Standards und Qualitätsmerkmale schulischer bzw. formaler politischer Bildung können eben nicht oder nicht unverändert auf außerschulische bzw. außerunterrichtliche Angebote der non-formalen Bildung angewandt werden, beispielsweise die Trennung von politischer Aktion und politischer Bildung. Politische Bildung braucht echte Partizipationserfahrungen und gleichzeitig ist sie mehr als nur diese.

Jugendverbandliche Bildungserfahrungen gehen von Bedarfen, Interessen, Motivationen, Wünschen und Zielen der Teilnehmenden aus. Sie basieren auf Freiwilligkeit, nicht auf Leistungsdruck. So bleiben sie langfristig präsent und werden anschließend weiter verwertet. Um diese Möglichkeiten der freien, individuell gestaltbaren und oft mit Peers als Gruppe erlebten Bildungserfahrungen zu erhalten, sind Wertschätzung, Interesse und Unterstützung in der Weiterentwicklung außerschulischer politischer Bildung gefragt – seitens der Politik, der Wissenschaft und der Träger selbst.

Forderungen

Demokratisches Handeln als Bildungsprozess anerkennen

Jugendverbände sind aktive Orte der politischen Bildung und als solche anzuerkennen. Hier übernehmen junge Menschen gemeinsam gesellschaftliche Verantwortung für sich andere und und üben zusammen demokratische Prinzipien dadurch ein, dass sie ihre Interessen mit anderen verhandeln. Die Potenziale, Räume und Möglichkeiten zur Weiterentwicklung politischer Bildung in Jugendverbänden sollten wahrgenommen, unterstützt und wissenschaftlich begleitet werden.

Zuverlässige, langfristige und nachhaltige Förderung

Wir Jugendverbände und -ringe sowie eine Vielzahl weiterer zivilgesellschaftliche Träger setzen uns mit unserer Expertise und Erfahrung für eine Stärkung der Demokratie in Deutschland ein. Für uns steht fest, dass die Kinder- und Jugend(verbands)arbeit, öffentlich durch Regelsysteme gefördert, ihren Beitrag zur Stärkung der Demokratie leistet und durch eine ausreichende Förderung in die Lage versetzt werden muss, diese Leistung umzusetzen. Dies ist weder durch zyklische Programme oder ausschließlich anlassbezogene Projektförderung möglich. Wir fordern daher Bund, Länder und Kommunen auf, ihren Verpflichtungen zur Förderung der Kinder- und Jugendarbeit (§11 SGB) und der Jugendverbände und ihrer Zuganschlüsse (§12) entsprechend dem SGB III (Kinder- und Jugendhilfegesetz) nachzukommen und dabei auf Auflagen oder Nebenbestimmungen zu verzichten, die rechtlich nicht geboten sind, aber geeignet, die eigentlich zu fördernde Arbeit zu verhindern. Gleiches gilt für den gesamten Bereich der politischen Bildung inklusive der Demokratiebildung.

Zusätzliche Förderung für zusätzliche Programme

Eine Stärkung der Demokratie in Deutschland kann nur durch eine Vielfalt von kontinuierlichen, zuverlässigen Förderungen unterschiedlicher, komplexer Ansätze verfolgt werden. Weitere Träger sowie dringend notwendige Strukturen, wie etwa die Beratungsarbeit oder spezifische Fachstellen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus, benötigen daher eine andere, zusätzliche Förderung. Dabei muss sichergestellt werden, dass auch Jugendverbände – trotz Förderung durch den KJP bzw. die entsprechenden Programm auf Landes- und kommunaler Ebene – an einer entsprechenden Förderung partizipieren können.

Transparente Strukturen schaffen

Staatliche Initiativen der Demokratieförderung inklusive politischer Bildung (und Demokratiebildung im Speziellen) müssen auf einer transparenten und effektiven Struktur fußen sowie klare Kriterien und nachvollziehbare Vergabeverfahren und Förderrichtlinien beinhalten. Sie müssen langfristig planbar sein und innovative Formate ermöglichen. Zivilgesellschaftliche Strukturen, die nach den Förderrichtlinien Anspruch auf eine Förderung haben, muss mit geringem Aufwand und geringen Ressourcen der Zugang zu dieser möglich sein.

Stärkung bestehender Strukturen

Die Vergabe von Fördermitteln und die Weiterentwicklung von Programmen sowie Qualitätsstandards politischer Bildung sollten in Zusammenarbeit mit den bewährten und etablierten zivilgesellschaftlichen Strukturen geschehen. Den bewussten Aufbau zusätzlicher „Parallelstrukturen“, ohne entsprechenden Bedarf innerhalb einzelner Programme, sehen wir kritisch. Politische Bildungsarbeit muss dort gefördert werden, wo sie bereits seit vielen Jahrzehnten gut und nachhaltig geleistet wird. Auch Jugendverbände und -ringe müssen in ihrer Bedeutung für die politische Bildung weiterhin und dauerhaft gestärkt werden. Nur so besteht die Möglichkeit die Potenziale politischer Bildung auszuschöpfen, weil Netzwerke entsprechend gebildet und ein nachhaltiger Wissenstransfer gewährleistet werden kann.

Schutz der Grundrechte freier Träger

Die Förderung freier Träger darf nicht an Bedingungen einer Werteneutralität oder parteipolitischen Neutralität gekoppelt oder diese in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt werden. Standards zur Parteineutralität für Akteure des öffentlichen Rechts haben im zivilgesellschaftlichen Kontext keine juristische Basis, auch nicht im Rahmen von Programmen zu politischer Bildung. Entsprechende Nebenbestimmungen bei der öffentlichen Förderung von Jugendverbänden, Jugendringen und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen sehen wir als nicht gerechtfertigt an. Sie sind entsprechend zu überarbeiten. Dies ist auf allen föderalen Ebenen deutlich zu kommunizieren, so dass die derzeit vorhandenen Unsicherheiten bei Verwaltungen und Trägern beseitigt wird.

Expanding Spaces for civil societies – oder weite Räume für zivilgesellschaftliches Engagement weltweit

Als DBJR setzen wir uns aktiv für die Stärkung der Demokratie in Europa ein. Politische Bildung in Europa darf im Kontext der Shrinking Spaces nicht aus den Augen verloren werden. Sie ist Fundament für mehr Teilhabe und steht für eine soziale, gerechte und demokratische Gesellschaft. Zusätzlich muss die EU ein Anreizsystem für Rechtsstaatlichkeit innerhalb der Förderprogramme schaffen. Dieses Anreizsystem muss Staaten, die besondere Fortschritte in der Unterstützung der Zivilgesellschaft machen, zusätzlich fördern.

Politische Bildung in Europa muss besonders im außerschulischen Bereich gestärkt und gefördert werden. Sie gilt als Fundament für mehr Teilhabe und steht für eine soziale, gerechte und demokratische Gesellschaft. Politische Bildung befähigt junge Menschen, ihre Rechte wahrzunehmen und auf europäischer Ebene den gesellschaftlichen Diskurs entsprechend der europäischen Werte zu denken und zu leben. In der Erasmus-Programmstruktur muss eine Förderung von politischer Bildung im außerschulischen Bereich ausgebaut werden.

Wahrung der Subsidiarität und der Rolle der Zivilgesellschaft

Die Zivilgesellschaft muss in die Ausgestaltung und Entwicklung der Demokratieförderinstrumente einbezogen werden. Die Zusammenarbeit zwischen Fördergeber und Zivilgesellschaft muss auf einer vertrauensvollen Basis fußen und auf Augenhöhe stattfinden. Dazu gehören zum Beispiel die Pflicht zu partnerschaftlichen Zusammenarbeit von staatlichen Strukturen und Zivilgesellschaft, die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und die Wahrung der Pluralität von Trägern, Werten und Angeboten. In der Umsetzung bedeutet dies vor allem: Die Zivilgesellschaft muss in ihrer Präventionsarbeit im Sinne des Subsidiaritätsprinzips als unabhängiger, starker Partner des Staates gesehen werden und nicht als Dienstleister staatlicher Vorgaben. Politische Bildung kann eine Demokratie nur stützen, wenn die Gesellschaft und die politischen Instanzen demokratische Werte leben und ernst nehmen.

Demokratie (er-)leben

Um unsere Demokratie glaubwürdig stärken zu können, muss ein Demokratieverständnis vorgelebt werden, das aufrichtig, schlüssig und kohärent ist. Der DBJR fordert, das Wahlrecht auf Europa-, Bundes-, Landes- und Kommunalebene an den Lebensmittelpunkt und nicht einzig an den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft zu knüpfen. Für Interessenvertretungen, darunter auch die Interessenvertretungen junger Menschen, müssen Räume zur Mitsprache geschaffen und ihnen garantiert werden, dass sie ihre zivilgesellschaftlichen Aufgaben, beispielsweise in Konsultationsverfahren, wahrnehmen können. Demokratische Beteiligungsmöglichkeiten junger Menschen müssen ausgebaut werden und diese unabhängig der Staatsbürgerschaft gewähren. Dazu gehört es insbesondere, das Wahlalter zu senken. Demokratie (er-)leben, lässt sich aber nicht auf die politischen Institutionen beschränken. Mitsprache muss alle Lebensbereiche junger Menschen umfassen. Dafür müssen die Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen umfassend demokratisiert werden. Das heißt: Ihre umfassende Mitsprache in Schule, Uni, Arbeit oder Ausbildung ist Voraussetzung. Will man, dass Demokratie für junge Menschen mehr ist als eine leere Phrase, müssen sie ihre Wirkmächtigkeit selbst erfahren und durch sie in die Lage versetzt werden, Verbesserungen durchzusetzen.

Das bedeutet für uns:

Wir Jugendverbände und -ringe sollten unsere Möglichkeiten, jungen Menschen praktische Erfahrungen mit demokratischer Selbstwirksamkeit zu ermöglichen, verstärkt als solche und als Gelegenheit zur politischen Bildung erkennen, bewusst nutzen und weiterentwickeln.

Dazu gehört, unsere Aufgabe als Interessenvertretung bewusst wahrzunehmen sowie in unserer kritisch-konstruktiven Funktion gegenüber staatlichen Akteuren als Teil der demokratischen Zivilgesellschaft nicht nachzulassen. Dabei ist das Bewusstsein dafür zu stärken, dass mit diesem politischen Handeln zugleich politische Bildung verbunden ist.

Auch unser Kern, die vielfältige und intensive Gremienarbeit mit ihren demokratischen Regeln als Grundlage für die Entscheidungsfindung, ist ein Teil der politischen Bildung die innerhalb von Jugendverbänden und -ringen geschieht und grundlegendes Wesensmerkmal der Jugendverbände als „Werkstätten der Demokratie“ ist. Dieser Aspekt sollte durch Reflexionsprozesse gestärkt werden. Zugleich sollten die Initiativen der Jugendverbände mit konkreten Angeboten zur politischen Bildung intern geprüft, definiert und weiterentwickelt werden.

Darüber hinaus sollten die im DBJR zusammengeschlossenen Jugendverbände und -ringe prüfen, über dieses gemeinsame Grundverständnis von politischer Bildung hinaus, konkretisierte Standards anzustreben. Dies würde unsere Rolle und Position innerhalb der politischen (Jugend-)Bildung stärken.

 

Einstimmig beschlossen in der Vollversammlung am 30./31.10.2020.

1 DBJR VV-Position „Werkstätten der Demokratie – politische Bildung von Jugendverbänden und Jugendringen stärken und schützen“ (2018)

2 vgl. §11 SGB VIII

3

vgl. fra.europa.eu/en/publication/2020/civic-space-experiences

4 § 4 (2) und (3) SGB VIII

5 § 12 (1) SGB VIII

6 www.dbjr.de/artikel/fragen-und-argumente-zum-programm-demokratie-leben

Themen: Politische Bildung