Gender

Rechte von trans* und inter*geschlechtlichen Kindern und Jugendlichen stärken

Die DBJR-Vollversammlung hat am 26./27. Oktober 2018 die Position „Die Rechte von trans* und inter*geschlechtlichen Kindern und Jugendlichen stärken“ beschlossen:

Wir als Deutscher Bundesjugendring treten für die Wahrung, Durchsetzung und Stärkung der Kinder- und Menschenrechte ein. Dazu gehören für uns selbstverständlich auch Kinder und Jugendliche, die intergeschlechtlich sind, deren geschlechtliche Identität nicht mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt, und/oder deren Geschlechtsidentität nicht binär männlich oder weiblich ist.

Kinder und Jugendliche mit trans*, nicht-binären oder inter* Identitäten sind in besonderem Maße Diskriminierung ausgesetzt. Diese reicht von fehlender Unterstützung in der Familie über Mobbing in der Schule bis hin zu Gewalterfahrungen im öffentlichen Raum.[1] Neben diesen Formen direkter Diskriminierung haben vor allem die strukturellen Diskriminierungen aufgrund der derzeitige Rechtslage sowie der geltenden medizinischen Behandlungsleitlinien und -praxen zur Folge, dass die Menschen- und Persönlichkeitsrechte von trans*, nicht-binären sowie inter* Kindern und Jugendlichen missachtet werden.

Auch im Zuge des derzeitigen Gesetzgebungsverfahrens zur sogenannten „Dritten Option“ werden zentrale strukturelle Diskriminierungspotenziale nicht behoben. Zum Schutz der Kinder- und Menschenrechte von inter*, nicht-binären und trans* Kindern und Jugendlichen fordert der DBJR deshalb:

  • Der derzeit vorliegende Gesetzesentwurf ist zu verwerfen, darüber hinaus ist das Transsexuellengesetz abzuschaffen.
  • Stattdessen muss ein Gesetz auf Basis von Selbstbestimmung geschaffen werden, welches auch Minderjährigen und jungen Erwachsenen die Möglichkeit gibt, über den eigenen Geschlechtseintrag zu bestimmen.
  • Die Möglichkeit zur selbstbestimmten Änderung von Vornamen und Personenstand muss in der Folge allen Menschen offenstehen und unabhängig von ärztlichen oder psychologischen Begutachtungen in Form eines einfachen Verwaltungsaktes erfolgen. Dabei müssen mindestens drei positive Optionen zur Auswahl stehen.
  • Geschlechtsverändernde Eingriffe ohne Einwilligung der betroffenen Person sind, sofern sie nicht lebens- oder gesundheitsnotwendig sind, eine Menschenrechtsverletzung. Deshalb sind chirurgische und/oder medikamentöse/hormonelle Eingriffe ohne explizite Einwilligung der betroffenen Person sowie an nicht-einwilligungsfähigen Personen zu verbieten, solange ihnen keine lebensbedrohliche Indikation zugrunde liegt.
  • Der Schutz intergeschlechtlicher Säuglinge und Kinder vor nicht lebens- oder gesundheitsnotwendigen geschlechtsverändernden Operationen ist unverhandelbar. Für uns als DBJR steht das Recht auf Unversehrtheit und Selbstbestimmung über den eigenen Körper an erster Stelle. Daher muss auch das Recht der elterlichen Sorge (bzw. der gesetzlichen Vertreter*innen) durch ein klarstellendes Verbot der Einwilligung in medizinisch nicht zwingend notwendige geschlechtszuweisende oder -anpassende Eingriffe an Genitalien und Keimdrüsen begrenzt werden. Aufschiebbare medizinische Eingriffe an intergeschlechtlichen Kindern dürfen erst dann zulässig sein, wenn diese selbst in der Lage sind, ihre informierte Einwilligung zu geben.
  • Für nicht-binäre und trans* Kinder und Jugendliche muss ein Recht auf trans* bezogene medizinische Behandlung ohne Stigmatisierung und Pathologisierung verankert werden. Dazu müssen betroffenenkontrollierte und wissenschaftlich fundierte S3-Leitlinien[2] zur Behandlung minderjähriger trans* Personen geschaffen und umgesetzt werden.

Es gibt zurzeit nur zwei positive Möglichkeiten des Geschlechtseintrags: weiblich oder männlich. Bei inter* Babys muss seit 2013 der Geschlechtseintrag frei gelassen werden. In der Folge gibt es keine positive Möglichkeit eines Geschlechtseintrags entsprechend der Geschlechtsidentität für nicht-binäre sowie inter* Personen. Die geschlechtliche Identität von nicht-binären und inter* Kindern und Jugendlichen ist also weder anerkannt noch geschützt. Der Zwang zum Freilassen des Geschlechtseintrags hat darüber hinaus rechtliche Unsicherheiten und Diskriminierung zur Folge.[3]

Im Zuge eines Gerichtsverfahrens nach dem Transsexuellengesetz (TSG) kann der Geschlechtseintrag von weiblich zu männlich gewechselt werden. Das TSG steht allerdings seit Jahren in der Kritik: Insbesondere die darin vorgesehenen Zwangsbegutachtungen haben sich als wissenschaftlich haltlos erwiesen[4] und werden von Betroffenen als stigmatisierend und übergriffig erlebt.[5] Die Kosten für das Verfahren müssen die Betroffenen selbst übernehmen. Kinder und Jugendliche benötigen zudem die Zustimmung der Erziehungsberechtigten. Dadurch ist der Zugang zu einem TSG-Verfahren für Minderjährige, die in ihrer Identitätsentwicklung nicht von ihren sorgeberechtigten Personen unterstützt werden, so gut wie ausgeschlossen. Auch junge volljährige trans* Personen, die finanziell weiterhin von ihren Eltern abhängig sind, haben in der Praxis ohne deren Unterstützung keine Möglichkeit, ihren Geschlechtseintrag ändern zu lassen.[6]

Mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurde zwar die Bundesregierung im 2017 aufgefordert, die Möglichkeit eines dritten positiven Geschlechtseintrags zu schaffen.[7] In der Folge hat aber das Bundeskabinett einen Gesetzesentwurf beschlossen, der von Trans*- und Inter*-Organisationen scharf kritisiert wird: Ein dritter Personenstand wird darin zwar eingeräumt, zugänglich ist er aber nur für „Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“, die diese zudem ärztlich diagnostizieren lassen müssen. Für nicht-binäre trans* Personen ist so eine Anerkennung der geschlechtlichen Identität weiterhin nicht möglich. Inter* Personen wären weiterhin der diagnostischen Fremdbestimmung von Ärzt*innen ausgeliefert. Minderjährige unter 14 Jahren sollen zudem nur mit Zustimmung der Sorgeberechtigten oder des Familiengerichts Zugang zu einem dritten Geschlechtseintrag haben.[8]

Der vorliegende Gesetzentwurf sieht weiterhin nicht vor, geschlechtsverändernde Eingriffe an inter* Kindern unter Strafe zu stellen, obwohl Inter*-Verbände dies seit Jahren fordern. Dadurch sind intergeschlechtliche Kinder nach wie vor geschlechtsverändernden operativen und weiteren medizinischen Maßnahmen ausgesetzt, die ohne Rücksicht auf die körperlichen und sozialen Folgen vorgenommen werden und nachweislich traumatische körperliche und psychische Folgen haben.

Eine angemessene medizinische Unterstützung wird auch trans* Kindern und Jugendlichen oftmals verwehrt. So sind sie bei dem Versuch, Maßnahmen der Pubertätsverzögerung oder der körperlichen Transition zu erlangen, der Pathologisierung und Fremdbestimmung durch psychodiagnostische Verfahren ausgesetzt. Grundlage für diese Vorgehensweise sind medizinische Leitlinien, die nicht an aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern an einem überholten Verständnis von geschlechtlicher Identitätsentwicklung im Kindes- und Jugendalter orientiert sind.[9]

Sowohl inter* als auch trans* Kinder und Jugendliche, die in ihrer geschlechtlichen Identität keine Unterstützung durch ihre Eltern erfahren, sind in der Regel ohne jede Chance auf eine angemessene medizinische Behandlung. Vielmehr sind sie medizinischen oder psychodiagnostischen Übergriffen schutzlos ausgesetzt. Eltern, die ihre Kinder in ihrer geschlechtlichen Identitätsentwicklung ergebnisoffen unterstützen, werden in der Praxis nicht selten selbst pathologisiert und der Kindeswohlgefährdung beschuldigt.[10]

 

Einstimmig beschlossen von der DBJR-Vollversammlung am 26./27. Oktober 2018 in Dresden.

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[1] Vgl.: Krell, Claudia; Oldemeier, Kerstin (2015): Coming-out – und dann… Hg. v. Deutsches Jugendinstitut. München.

Timmermanns, Stefan; Thomas, Peter Martin; Uhlmann, Christine (2017): Dass sich etwas ändert und sich was ändern kann. Ergebnisse der LSBT*Q-Jugendstudie. Hg. V. Hessischer Jugendring. Wiesbaden.

Sauer, Arn; Meyer, Erik (2016): Wie ein grünes Schaf in einer weißen Herde. Lebenssituation und Bedarfe von jungen Trans*-Menschen in Deutschland. Hg. BVT*. Berlin.

[2] Nach dem System der AWMF werden Leitlinien in vier Entwicklungsstufen von S1 bis S3 entwickelt und klassifiziert, wobei S3 die höchste Qualitätsstufe der Entwicklungsmethodik ist.

S1: Die Leitlinie wurde von einer Expert*innengruppe im informellen Konsens erarbeitet.

S2k: Eine formale Konsensfindung hat stattgefunden.

S2e: Eine systematische Evidenz-Recherche hat stattgefunden.

S3: Die Leitlinie hat alle Elemente einer systematischen Entwicklung durchlaufen (Logik-, Entscheidungs- und Outcome-Analyse, Bewertung der klinischen Relevanz wissenschaftlicher Studien und regelmäßige Überprüfung).

[3] Vgl.: Ghattas, Dan Christian (2015): Intergeschlechtlichkeit im internationalen Menschenrechtsdiskurs. In: Sauer, Arn: Geschlechtliche Vielfalt. Begleitforschung zur Interministeriellen Arbeitsgruppe Inter- & Transsexualität. Hg. v. BMFSFJ. Berlin.

[4] Vgl.: Güldenring, Annette (2013): Zur „Psychodiagnostik von Geschlechtsidentität“ im Rahmen des Transsexuellengesetzes. In: Z Sex-Forsch 26 (02), S. 160–174.

[5] Vgl.: BVT* (2016): Paradigmenwechsel - Policy Paper Recht des Bundesverbandes Trans*. Zum Reformbedarf des Rechts in Bezug auf Trans*. Hg. v. Bundesverband Trans*. Berlin.

Meyenburg, Bernd; Renter-Schmidt, Karin; Schmidt, Gunter (2015): Begutachtung nach dem Transsexuellengesetz. In: Z Sex-Forsch 28 (02), S. 107–120.

[6] Vgl.: Sauer, Arn; Meyer, Erik (2016): Wie ein grünes Schaf in einer weißen Herde. Lebenssituation und Bedarfe von jungen Trans*-Menschen in Deutschland. Hg. BVT*. Berlin.

[7] In einem viel beachteten Urteil stellte das BverfG fest, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) auch die geschlechtliche Identität derjenigen schützt, „die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen.“

[8] Vgl.: Klöppel, Ulrike (2016): Zur Aktualität kosmetischer Operationen „uneindeutiger“ Genitalien im Kindesalter. In: Bulletin. Texte 42. Hg. Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien HU Berlin.

Europäische Kommission (2015): Human Rights and Intersex People. rm.coe.int/16806da5d4

[9] Vgl. BVT* (2017): Trans*-Gesundheitsversorgung. Policy Paper Gesundheit des Bundesverbandes Trans*. Hg. v. Bundesverband Trans*. Berlin.

Hamm, Jonas A.; Sauer, Arn Thorben (2014): Perspektivenwechsel. Vorschläge für eine menschenrechts- und bedürfnisorientierte Trans*-Gesundheitsversorgung. In: Z Sex-Forsch 27 (01), S. 4–30.

[10] Vgl.: Günther, Mari (2016): Psychosoziale Beratung von inter* und trans* Personen und ihren Angehörigen. Ein Leitfaden. Hg. pro familia Bundesverband. Frankfurt/Main.

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