Überwindung gesellschaftlicher Brüche diskutiert
Ausgangspunkt der Debatte war die Erkenntnis, dass die Pandemie junge Menschen, Engagierte in Jugendverbänden und die Gesellschaft als Ganzes stark herausgefordert hat und weiter Einfluss ausübt. Die Arbeit mit jungen Menschen lebt vom Miteinander, von gemeinsamen Aktivitäten und Erlebnissen. In der Pandemie aber sind Brüche entstanden. Eine engagierte Jugend, die Gesellschaft für sich und andere positiv gestalten will, hat erlebt, wie Solidarität und Gerechtigkeit in Frage gestellt wurden. Die Auswirkungen auf die mentale Gesundheit Jugendlicher und die Folgen für den „Gesundheitszustand“ der demokratischen Gesellschaft beiben sichtbar.
Gemeinsam mit Dr. Alena Buyx konstatierten die Teilnehmenden, dass es ein großes solidarisches Potential in der Gesellschaft gibt. Der Großteil der Menschen verhält sich in der Pandemie solidarisch und vernünftig. Wenn nun Brüche empfunden werden, liegt dass nicht zwingend an einer tatsächlichen Polarisierung sondern vielmehr an einer Veränderung in der Wahrnehmung. Gründe dafür sind zum einen gezielte Desinformation und Zuspitzung, vor allem in digitalen Räumen, die das Vertrauen in politische Maßnahmen und Institutionen schwächen.
Zum anderen haben nahezu alle hautnah miterlebt, wie lebenswichtige Güter rationiert wurden und auf Intensivstationen Abwägungen über Leben und Tod getroffen werden mussten. Das führte zu starker Verunsicherung , die die Wahrnehmung von Brüchen weiter begünstigt. Der Blick auf andere Länder zeigt zudem, dass in Deutschland der Fokus oft auf dem Trennenden liegt und nicht auf den Gemeinsamkeiten, die Menschen verbinden.
Diskutiert wurde, was es nun braucht, um Brüche zu überwinden und als Gesellschaft die Pandemie zu verarbeiten. Die Untersuchung der strukturellen Ursachen und die Aufarbeitung der Auswirkungen sind ein wichtiger Schritt. Gleichzeitig müssen aus dem Erfahrenen Schlüsse gezogen werden und der Lernprozess als solcher benannt und anerkannt werden. Vor allem ist aber ein öffentlicher, emotionaler Heilungsprozess notwendig. Dieser kann – und muss sogar – in und mit der Zivilgesellschaft passieren.
Dabei, so die Teilnehmenden in der Debatte, ist eine diverse „Heilung“ notwendig, die unterschiedliche Formen von Vulnerabilität berücksichtigt. Insbesondere Kinder und Jugendliche sind im Laufe der Pandemie immer stärker und auf besondere Art und Weise betroffen gewesen. Je mehr unwiederbringliche Momente der Identitätsfindung wegbrachen, desto belasteter sind die jungen Menschen gewesen. Kinder und Jugendliche waren und sind großen Veränderungen ausgesetzt , sie mussten sich immer wieder anpassen. Der Wegfall des physischen Miteinanders, das Soziale und Zufällige hatten deutliche negative Folgen . Jugendverbände können jetzt Orte der Begegnung bieten, Erfahrungsräume schaffen, Lernerfahrungen ermöglichen und so bei der Aufarbeitung helfen.
Verletzlichkeit muss multidimensional gedacht werden. Die Theoretiker*innen brauchen die Hilfe der Praktiker*innen. Einigkeit herrschte darüber, dass Kinder- und Jugendhilfe und die Arbeit in Jugendverbänden eine entscheidende Rolle dabei einnehmen, junge vulnerable Menschen aufzufangen – auch bei der nächsten Krise.
Das vom Deutschen Bundesjugendring organisierte Format war Teil der Fachveranstaltung vom Haus der Jugendhilfe und Jugendarbeit e. V. „Jugendarbeit nach Corona“ am 26.10.2021. Die Debatte folgte der Chatham-House-Regel: Teilnehmende dürfen freien Gebrauch von Informationen machen, die sie bekommen. Aber niemand soll die Identität und Zugehörigkeit anderer Teilnehmender preisgeben oder Zitate zuordnen. Damit sollen Gedanken und Meinungen geschützt werden.