Vorfahrt für die Zivilgesellschaft
Nach der geplanten Aussetzung der Wehrpflicht und dem damit verbundenen Wegfall des Wehrersatzdienstes muss der Ausbau und die Stärkung der Jugendfreiwilligendienste angegangen werden. Dazu gehört die sinnvolle Ordnung der verschiedenen Dienstformen, ihre Profilierung als Lern- und Orientierungsdienste und ihre finanzielle Absicherung. Bereits jetzt übersteigt die Nachfrage nach Freiwilligendiensten das Angebot bei weitem. Ein weiterer Anstieg ist nach dem Ende der Pflichtdienste zu erwarten. Der Plan der Bundesregierung, einen zusätzlichen staatlichen Freiwilligendienst zu schaffen, kann dafür nur eine Zwischenlösung sein.
Der Ausbau der Jugendfreiwilligendienste ist politischer und gesellschaftlicher Konsens
Junge Menschen wollen sich aktiv in die Gestaltung von Staat und Gesellschaft einbringen. Sie verbinden den Wunsch nach sinnvollem, sozialem Einsatz mit dem Wunsch, ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln und Orientierung vor dem Berufsleben zu erhalten. Dieses Potential muss der Staat im Interesse der Gesellschaft erschließen. Mit dem Ende der Wehr- und Wehrersatzdienste stehen nun die notwendigen finanziellen Mittel für einen Ausbau der Jugendfreiwilligendienste zur Verfügung. Die Beibehaltung und der Ausbau der Jugendfreiwilligendienste sind politischer Konsens. Alle im Bundestag vertretenen Parteien stimmen hier überein und haben entsprechende Schritte in der Vergangenheit mit verantwortet. Viele Bundesländer unterstützen den Ausbau der Jugendfreiwilligendienste. Die Zivilgesellschaft und auch das Nationale Forum für Engagement und Partizipation erwarten von der Bundesregierung mutige Schritte zum Ausbau der Jugendfreiwilligendienste. Die Bundesregierung muss die Aussetzung der Wehrpflicht und damit auch des Zivildienstes nutzen, um den Ausbau der Jugendfreiwilligendienste voran zu treiben und langfristig tragbare Perspektiven für die Jugendfreiwilligendienste zu schaffen. Dafür muss ein großer Teil der Zivildienstmittel zukünftig für Jugendfreiwilligendienste zur Verfügung stehen.
Der geplante Bundesfreiwilligendienst kann nur ein Übergangsmodell sein
Mit dem absehbaren Ende des Zivildienstes muss dringend mit dem Ausbau der Jugendfreiwilligendienste begonnen werden. Die zivilgesellschaftlichen Träger der Jugendfreiwilligendienste (Freiwilliges Soziales Jahr FSJ; Freiwilliges Ökologisches Jahr FÖJ u.a.) bemühten sich, ihr Platzangebot massiv zu erhöhen. Die dafür nötigen finanziellen Mittel aber auch die überfällige Erhöhung der Platzpauschale wurden von der Bundesregierung Anfang 2010 zugesagt und von der zuständigen Ministerin im Oktober 2010 öffentlich bestätigt. Dies muss nun auch in den Haushaltsplanungen umgesetzt werden!
Mit dem Ende des Zivildienstes werden erhebliche Mittel im Bundeshaushalt frei. Nach Ansicht der Bundesregierung verhindert das verfassungsrechtliche Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern, diese Mittel in Jugendfreiwilligendienste zu investieren. Deshalb plant das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, neben den bewährten Jugendfreiwilligendiensten einen Bundesfreiwilligendienst einzuführen. Die dahinter liegende Absicht, die freiwerdenden Mittel für die Förderung des Engagements junger Menschen einzusetzen, ist zu begrüßen. Auch das Bemühen um größtmögliche Einbindung der Zivilgesellschaft in die Planungen wird von uns begrüßt. Dennoch muss dieser Plan unausweichlich zu einer Doppelstruktur führen. Bei der Einführung eines staatlichen Bundesfreiwilligendienstes dürfen die Jugendfreiwilligendienste weder finanziell noch rechtlich benachteiligt werden. Darum müssen die Träger der Jugendfreiwilligendienste maßgeblich am Aufbau eines Bundesfreiwilligendienstes beteiligt werden und dieser auch mit Blick auf Bildungsstandards usw. entsprechend ausgestaltet werden.
Die Doppelstruktur von Bundesfreiwilligendienst und den bewährten Jugendfreiwilligendiensten sehen wir nach wie vor kritisch. Wir fordern daher, dass sowohl der neue Bundesfreiwilligendienst als auch die Doppelstruktur regelmäßig evaluiert werden. Ziel muss es sein, dass unter bedarfsgerechter staatlicher Förderung die zivilgesellschaftlichen Träger befähigt werden, die Engagementbereitschaft junger Menschen zu deren Bildung und Orientierung und zum Wohl der Gesellschaft sinnvoll einzubinden.
Freiwilligendienste setzen an den Interessen junger Menschen an
Die Jugendverbände sehen die Freiwilligendienste als Lern- und Orientierungszeit an. Sie kommen daher insbesondere für junge Menschen in Frage, bei denen entsprechende Lern- und Orientierungsbedarfe anzunehmen sind – anders als bei Erwachsenen. Erwachsenenfreiwilligendienste müssen daher grundlegend anders diskutiert werden.
Die Jugendfreiwilligendienste sind klar als Lern- und Orientierungsangebote für junge Menschen profiliert und erfolgen darüber hinaus bei wertegebundenen Trägern, die die selbstlosen Motive junger Menschen aufgreifen und ernst nehmen. Nur dies kann die Perspektive von Freiwilligendiensten sein. Unsere plurale Wertegesellschaft ist subsidiär aufgebaut – daher ist der Staat als Träger des Engagements junger Menschen die falsche Stelle.
Forderungen
Der Bundesfreiwilligendienst darf das bewährte zivilgesellschaftliche Angebot der Jugendfreiwilligendienste weder finanziell noch rechtlich beschädigen. Der Bundesfreiwilligendienst darf nur ein Übergangsmodell sein und muss nach den Vorgaben des Jugendfreiwilligendienstgesetzes ausgestaltet werden. In der Folgezeit muss ein konsequenter Ausbau der Jugendfreiwilligendienste in der bisherigen Form als Bildungs- und Orientierungsjahr die Übergangslösung des Bundesfreiwilligendienstes ersetzen.
Die Förderung der Jugendfreiwilligendienste muss deutlich erhöht werden. Der neue Dienst darf in seiner Ausgestaltung weder für Einsatzstellen noch für den interessierten jungen Menschen zu einem Konkurrenzangebot werden. Die Förderung des FSJ muss dafür bedarfsgerecht angehoben werden. Sie sollte auf Dauer im Kinder- und Jugendplan des Bundes angelegt sein.
Sowohl die Jugendfreiwilligendienste als auch ein Bundesfreiwilligendienst müssen als Lern- und Orientierungszeiten profiliert, am Bildungskonzept des FSJ ausgerichtet und durch freie Träger gestaltet werden.
Freiwilligendienste müssen auch zukünftig arbeitsmarktneutral ausgestaltet sein. Wo möglich, müssen sozialversicherungspflichtige, tarifvertraglich gesicherte Vollzeitarbeitsplätze zusätzlich entstehen. Die Freiwilligendienste müssen Lern- und Orientierungsangebote bleiben, die an den Bedürfnissen von jungen Menschen ausgerichtet sind. Aus diesem Grund ist es dringend erforderlich, die Umsatzsteuerbefreiung der Jugendfreiwilligendienste als Bildungs- und Orientierungsdienst gesetzlich zu regeln.
Eine zusätzliche bessere Förderung von Jugendfreiwilligendienstangeboten für junge Menschen mit besonderem Förderbedarf (Migranten, Lernschwache, Behinderte etc.) ist zu begrüßen. Die Förderung des Staates dafür darf sich nicht allein auf Projektmaßnahmen beschränken, sondern sollte auf Dauer angelegt sein.
Es müssen deutlich mehr Angebote in der Kinder- und Jugendarbeit und angrenzenden Bereichen gefördert werden, da diese Felder besonders stark von jungen Menschen nachgefragt werden und dort gleichzeitig besonders schlechte Refinanzierungsmöglichkeiten bestehen.
Von der 83. Vollversammlung am 29./30. Oktober 2010 mit zwei Enthaltungen in Berlin beschlossen.