Nachhaltige Entwicklung

Wir haben den Hunger satt!

Die DBJR-Vollversammlung hat am 28./29. Oktober 2011 die Position „Wir haben den Hunger satt!“ beschlossen:

1. Einleitung

Erschreckende Bilder von der Hungerkatastrophe in Kenia, Äthiopien und Somalia führen uns deutlich vor Augen, was für viele Menschen weltweit den alltäglichen Überlebenskampf bestimmt. Hunger ist das drängende, lebensbedrohliche, aber vermeidbare Problem unseres Jahrhunderts. Das Menschenrecht auf Nahrung (Art.11 der Konvention Nr.1 über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte) wird tagtäglich für beinahe eine Milliarde Menschen, also jeden siebten Menschen, verletzt! Nach Angaben des World Food Report 2010 verhungert alle fünf Sekunden ein Kind unter 10 Jahren. Menschen, die über längere Zeit hungern, sind häufig lebenslang körperlich und geistig beeinträchtigt. Nach wie vor sind die Menschen in ländlichen Regionen am schlimmsten von Hunger und Unterernährung betroffen. Und das, obwohl sie selbst Nahrungsmittel produzieren (könnten). Ursachen und Lösungen für das weltweite Problem des Hungers sind bei der Politik, der Wirtschaft und auch bei uns zu suchen. Es wird jedoch auch leicht unterschätzt, wie unser Konsumverhalten direkt und indirekt zu weltweitem Hunger beiträgt.

Als Zusammenschluss der Jugendverbände ist uns das Menschenrecht auf Nahrung, die gerechte Verteilung von Lebensmitteln und die Bekämpfung von Hunger und Armut in der Welt ein wichtiges Anliegen. Wir appellieren an die internationale Staatengemeinschaft, die Europäische Union und die Bundesregierung, aber auch an die Verbraucherinnen und Verbraucher, ihren Beitrag zu leisten, um Hunger jetzt und nachhaltig zu bekämpfen.

2. Hauptursachen, Zusammenhänge

Mit der Menge Lebensmittel, die weltweit geerntet und produziert wird, könnten laut World Food Report 2010 zwölf Milliarden Menschen versorgt werden. Dennoch schafft es die Weltgemeinschaft nicht bzw. es fehlt der Wille, alle Menschen satt zu machen. In weiten Teilen sorgen auch Regierungen und Konzerne der Industrieländer dafür, dass die Teller der Hungernden leer bleiben. Hauptursachen sind unter anderem:

Internationale Vereinbarungen und Politik verursachen Hunger.

Strukturanpassungsprogramme, die der Internationale Währungsfonds vielen Ländern als Ausweg aus der Verschuldung verordnete, zwingen zur Öffnung der Märkte, zu Exportorientierung und somit zur Abkehr von regional orientierter nachhaltiger Landwirtschaft. Der Vorrang der Nahrungsmittelproduktion für die einheimische Bevölkerung ist nicht gewährleistet. Mehr als zwei Drittel der sogenannten Entwicklungsländer sind heute Netto-Nahrungsmittelimporteure und die Importmengen steigen drastisch an.

Die Welthandelsorganisation (WTO) hält trotz den aus entwicklungspolitischer Sicht häufig negativen Folgen an der Liberalisierung der Märkte und am Freihandel fest. Die bestehenden Abkommen sichern derzeit vor allem Industrieländern zusätzliche Absatzmärkte. Arme Länder haben derzeit weder die Möglichkeit ihre Märkte zu schützen noch an ihnen teilzunehmen.

Fortbestehende Exportsubventionen oder der Export von in Industrienationen nicht absetzbaren Lebensmitteln und Reststoffen führen zu Preisverschiebungen. Die Industrienationen nehmen die Zerstörung der lokalen Märkte und somit der Existenz vieler Bäuerinnen, Bauern und Produzierender in Kauf. Hauptempfänger/-innen von Direktzahlungen und Subventionen sind in erster  Linie große Konzerne.

Supermärkte und große Konzerne verursachen Preisdruck.

Die Konzentration von Marktmacht führt insbesondere im Bereich des Lebensmittelhandels zur Bildung von oligopolistischen Strukturen. Das heißt, Preise und Produktionsbedingungen werden längst von einigen wenigen Konzernen bestimmt. Kleine Produzierende können dem Wettbewerb nicht mehr standhalten und werden u.a. durch Patente auf Verfahren zur Erzeugung von Organismen in die Abhängigkeit von transnationalen Konzernen getrieben. Die Folge sind Erzeugerpreise, die die Produktionskosten nicht mehr decken, die Aufgabe von Betrieben, Lohnarbeit oder Arbeitslosigkeit und in vielen Fällen: Hunger.

Spekulationen und Flächenkonkurrenz verursachen Preisexplosion.

Immer mehr fruchtbares Ackerland wird nicht mehr zur Nahrungsmittel-, sondern zur Produktion von Energiepflanzen genutzt. Der weltweite Versuch von Politik und Wirtschaft, den Herausforderungen von Klimawandel und Rohstoffknappheit mit sogenannten Biokraftstoffen zu entgegnen, schlägt fehl und verursacht ganz unmittelbar Hunger. Der weltweit zunehmende Fleischkonsum macht die Ausweitung des Futtermittelanbaus notwendig. Bereits ein Drittel der Getreideproduktion dient als Futtermittel. Nahrungsmittel und Ackerland sind zu begehrten Spekulations- und Investitionsobjekten geworden, was ausschließlich der Profitsteigerung Einzelner dient. Das sogenannte Land Grabbing, bei dem sich landwirtschaftsfremde Investoren/-innen, multinationale Großkonzerne und Staaten landwirtschaftliche Nutzfläche  zu Lasten der einheimischen Kleinbäuerinnen und -bauern aneignen, nimmt bereits jetzt ungebremst ungeahnte Dimensionen an.

Unser Konsum, unser Anspruch, unsere Verschwendung stehen dem weltweiten Hunger gegenüber.

Durch die Nachfrage nach möglichst billigen Produkten leisten Konsumierende ausbeuterischer Produktion Vorschub. Während die einen hungern, quellen europäische Supermärkte über vor Lebensmittelangeboten. Pro Jahr werden in Deutschland etwa 20 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeschmissen. Ungefähr ein Drittel von dem, was in Deutschland produziert wird, landet im Müll.

3. Forderungen

Um Hunger nachhaltig zu bekämpfen, muss sich die Staatengemeinschaft als weltweite Konsumgemeinschaft begreifen. Das Menschenrecht auf Nahrung für alle Menschen zu gewährleisten und dem politischen Ziel der Ernährungssouveränität näher zu kommen, erfordert starken Willen und entsprechende Maßnahmen von Politik, Wirtschaft und nicht zuletzt allen Konsumierenden.

Die internationale Staatengemeinschaft muss sich einsetzen für:

  • die Abschaffung aller Arten von Exportverbilligungen und -erstattungen, die die Verdrängung der einheimischen Landwirtschaft und Produktion in anderen Teilen der Welt zur Folge haben.
  • das Recht für sogenannte Entwicklungsländer (zeitlich befristet), ihre lokalen Märkte vor Billigimporten und Dumpingpreisen aus dem Ausland schützen zu können.
  • das Verbot von Nahrungsmittel- und Flächenspekulation. Land Grabbing muss durch gesetzliche Vorgaben verhindert werden. Weiterhin muss die zunehmende Flächenversiegelung für Verkehr und Bauland, die zu Lasten landwirtschaftlicher Nutzfläche geht, gestoppt werden.
  • die Entwicklung eines ordnungspolitischen Rahmens und kartellrechtlicher Maßnahmen, um die Abhängigkeit einzelner Länder und Landwirte/-innen von Saatgutkonzernen und einigen wenigen multinational agierenden Handelskonzernen zu verhindern.
  • die Einführung einer globalen Finanztransaktionssteuer im Sinne einer Steuer gegen Armut zur Vermeidung ungebremster Spekulationen und zur Stabilisierung der Nahrungsmittelmärkte.
  • die Einhaltung internationaler Vereinbarungen zur Armutsbekämpfung, insbesondere die Einhaltung der Millenniums-Entwicklungsziele (MDGs) einschließlich der Zusage  der Industrienationen, mindestens 0,7 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für die Entwicklungszusammenarbeit bereit zu stellen.
  • das Treffen verbindliche Vereinbarungen in den Bereichen Klimaschutz, nachhaltige Entwicklung und der globalen Bekämpfung von Hunger und Armut im Kontext der UN-Konferenz für Nachhaltige Entwicklung (Rio+20) im Juni 2012 v.
  • Ein internationales Rechtssystem, das die Einklagbarkeit des Rechts auf Nahrung gewährleistet.
  • Effektive und koordinierte Maßnahmen zur Anpassung an und Vermeidung weiterer Folgen des Klimawandels, der Ernten zerstört und weltweiten Hunger verstärkt.
  • die Umsetzung der Menschenrechte auch als Frauenrechte. Die Lage der Frauen ist zu verbessern.

Von der Europäischen Union fordern wir:

  • Neuausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), u.a. mit klarem Bekenntnis zu internationaler Verantwortung, nachhaltigen Produktionsweisen und dem Recht auf Nahrung für alle Menschen.
  • Abstand von Abkommen und Verträgen, die einseitig den Absatz von Produkten, Gütern und Dienstleistungen aus der Europäischen Union fördern.

Von der deutschen Bundesregierung fordern wir:

  • Kohärenz von Agrar-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik zur nachhaltigen Bekämpfung von Hunger und Armut.
  • Förderung des landwirtschaftlichen Sektors und von nachhaltiger ländlicher Entwicklung in
  • sogenannten Entwicklungsländern mit besonderem Fokus auf die Förderung von Kleinbäuerinnen und -bauern.
  • Faire und gerechte Entschuldung der sogenannten Entwicklungsländer.
  • Förderung des fairen Handels und von Formen des Wirtschaftens, die auf Empowerment, Selbstorganisation und Solidarität ausgerichtet sind.
  • Förderung von weiterverarbeitenden Industrien in den Rohstoff produzierenden Ländern, um Einkommen, Beschäftigung und Perspektiven gerade für junge Menschen zu schaffen.
  • Gezielte Verbesserung von Gesundheit und Bildung in sogenannten Entwicklungsländern. Hierbei ist es vor allem wichtig, Angebote für Frauen zu schaffen, da diese häufig keinen ausreichenden Zugang dazu haben.

Durch die geforderten Maßnahmen muss für die Produzierenden von Nahrungsmitteln sichergestellt sein:

  • Erzeugerpreise, die die vollen Produktionskosten widerspiegeln und umweltverträgliches Produzieren erlauben.
  • Zugang zu Land, Wasser, Saatgut, zu Krediten, Rechtssicherheit und Bildung.
  • Schaffung von Anreizen, sodass der Anbau von Nahrungsmitteln Vorrang hat vor exportorientierter Nutzung, beispielsweise von Energie- oder Futterpflanzen.
  • Erhalt und Förderung von kleinen und mittleren Strukturen zur Lebensmittelproduktion und Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe.
  • Gewährleistung, dass Arbeits- und Entlohnungsbedingungen der abhängig Beschäftigten, die den internationalen Standards entsprechen, um die Ausbeutung der Beschäftigten in der Nahrungsmittelproduktion zu verhindern.

Über politische und strukturelle Veränderungen hinaus sind alle Konsumierenden gefordert. Jede und jeder Einzelne kann durch kritischen und verantwortungsvollen Konsum bestehende Handelsstrukturen verändern und somit dazu beitragen, das Hungerproblem zu lösen.

Von der 84. Vollversammlung am 28./29. Oktober 2011 einstimmig in Ludwigshafen beschlossen.

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