Jugendpolitik

Zum Antrag auf eine eigenständige Kinder- und Jugendpolitik in NRW

Der Deutsche Bundesjugendring hat im Rahmen einer Anhörung im Nordrhein-Westfälischen Landtag eine Stellungnahme eingebracht zu einem Antrag der SPD-Fraktion. Dieser fordert: NRW muss eine Strategie für eine eigenständige und einmischende Kinder- und Jugendpolitik entwickeln. Der DBJR nimmt zur Drucksache 17/14941 wie folgt Stellung:

Der Deutsche Bundesjugendring (DBJR) bedankt sich für die Möglichkeit, im Interesse junger Menschen Stellung zum vorliegenden Gesetzentwurf nehmen zu dürfen und die vielfältige Erfahrung auf Bundesebne mit der dortigen Jugendstrategie einbringen zu können. Als Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände und Landesjugendringe in Deutschland setzen wir uns seit vielen Jahren mit der Frage auseinander, was eine eigenständige bzw. gute Jugendpolitik aus Sicht junger Menschen ausmacht. Für uns nimmt eine gute Jugendpolitik junge Menschen als Ausgangspunkt und ihre Interessen als Ziel. Sie setzt sich mit dem auseinander, was Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene betrifft oder interessiert. Gute Jugendpolitik vertritt dabei den Standpunkt und die Perspektive junger Menschen und ist in diesem Sinne parteilich. Sie nimmt junge Menschen und deren Selbstbestimmung und Selbstorganisation ernst und schafft wirksame Kinder- und Jugendbeteiligung. Sie ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und in Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft verankert. Damit eine eigenständige Jugendpolitik strukturell abgesichert ist, muss es daher verlässliche Strukturen in Politik und Verwaltung geben, die eine klare Verantwortung für Jugendpolitik tragen und handlungsfähig sind.

Vor diesem Hintergrund begrüßen wir den vorliegenden Antrag, welcher in seinen Forderungen wichtige Weichen stellt, um eine eigenständige Kinder- und Jugendpolitik in NRW zu stärken.

In unserer Stellungnahme nehmen wir vorrangig Bezug auf unsere Erfahrungen zur Umsetzung der Jugendstrategie der Bundesregierung. Diese wurde im Dezember 2019 unter dem Titel „In gemeinsamer Verantwortung: Politik für, mit und von Jugend“ beschlossen. Sie stellt einen wichtigen Schritt zu einer guten, ressortübergreifenden Jugendpolitik auf Bundesebene dar. Die Jugendstrategie rückt die spezifischen Interessen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in den Fokus und schafft somit ein Bewusstsein dafür, in politischen Entscheidungsprozessen jugendpolitische Belange aufzugreifen. Die bestehende Strategie der Bundesregierung zeigt allerdings auch, dass der Weg zu einer eigenständigen bzw. guten Jugendpolitik in Deutschland noch weit ist. Sie hat in weiten Teilen noch nicht den Charakter einer ganzheitlichen Strategie. Vielmehr werden bestehende Maßnahmen der Bundesressorts aufgezählt, welche aktuell mit jugendpolitischen Bezug durchgeführt werden. Es entsteht somit der Eindruck, dass im Mittelpunkt der Strategie, mit wenigen Ausnahmen, nur eine unvollständige Bestandsaufnahme der aktuellen Maßnahmen des jeweiligen Ressorts steht. Diese Maßnahmen wurden untereinander kaum abgestimmt und nicht ausgehend von einer gemeinsamen Strategie entwickelt. Daraus folgt aus unserer Sicht für eine landesweiter Kinder- und Jugendstrategie, dass diese nicht nur bestehende Maßnahmen im Bereich Kinder und Jugend benennen muss, sondern sich damit auseinandersetzen muss, mit welcher ganzheitlichen, ressortübergreifenden Strategie die Belange und Interessen von Kindern und Jugendlichen mittel bis langfristig gestärkt werden können und welche Maßnahmen und Aktivtäten daraus folgend initiiert werden müssen.

Wirksame Kinder- und Jugendbeteiligung

Daher begrüßen wir auch ausdrücklich die Forderungen in III.2. und III.3. junge Menschen bei der Entwicklung der eigenständigen Jugendpolitik und der Kinder- und Jugendstrategie zu beteiligen. Die Einbindung von Interessensvertretungen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, wie etwa die der Jugendverbände und -ringe, sollte dabei gewährleistet werden.

Wirksame Jugendbeteiligung ist konstitutiv für eine gute Jugendpolitik und die damit verbundene Kinder- und Jugendstrategie. Daher müssen zukünftig alle Angebote, Maßnahmen und Aktivitäten der Kinder- und Jugendbeteiligung im Rahmen der Kinder- und Jugendstrategie mindestens den entsprechenden Qualitätsstandards genügen. Diese werden aktuell durch den DBJR und das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) mit Unterstützung externe Expert*innen überarbeitet. Darüber hinaus muss es das Ziel der Strategie sein, dass sich das Handeln der Ressorts bei der Anwendung von Jugendbeteiligung an den Standards orientiert. Dazu gehört, dass die Kinder- und Jugendbeteiligung an der (Weiter)Entwicklung und Umsetzung der Jugendstrategie sowie den entsprechenden Maßnahmen verlässlich, nachhaltig und transparent erfolgt und die etablierten Strukturen der Interessenvertretung junger Menschen aktiv und kontinuierlich beteiligt werden. Dies sollte ebenso bei der Verankerung der Partizipationsrechte von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen (III.7.) sowie bei der Durchführung der geplanten Beteiligungsmaßnahmen, wie etwa ein landesweiter Kinder- und Jugendgipfel (III.5.) oder den Formaten in III.8. berücksichtigt werden. 

Der ressortübergreifende Charakter einer guten Jugendpolitik

Wir begrüßen die Forderung in III.4. die Steuerung der Kinder- und Jugendstrategie an die Staats-kanzlei zu binden. Aus Erfahrungen auf Bundesebene, wo die Umsetzung der Jugendstrategie im BMFSFJ liegt, sehen wir klar, dass die ressortübergreifende Umsetzung an dieser Stelle an ihre Grenzen stößt. Daher fordern wir auch auf Bundesebene, dass die Anbindung und Steuerung der Jugendstrategie durch das Bundeskanzleramt übernommen wird. Dieses Verfahren stärkt aus unserer Sicht die vorgesehene Interministerielle Arbeitsgruppe (IMA) und erhöht deren Steuerungsfunktion. Alle Ressorts müssen gemeinsam Verantwortung übernehmen, um eine gute Kinder- und Jugendpolitik umzusetzen. Durch die Verzahnung der Bereiche können ressortübergreifende Aktivitäten und Maßnahmen aus der Kinder- und Jugendstrategie hervorgehen. Gleichzeitig können solche Maßnahmen Schritte auf den Weg zu einem wirklich ressortübergreifenden Charakter der Kinder- und Jugendstrategie sein. Wichtig ist dabei, dass eine Verzahnung von Politik und Zivilgesellschaft stattfindet. Dazu gehört transparenter Austausch und die kontinuierliche Begleitung der Umsetzung/Erarbeitung der Kinder- und Jugendstrategie durch die Zivilgesellschaft und junge Menschen. Bezugnehmend auf III.5. begrüßen wir daher, dass Interessensvertretungen von jungen Menschen im Prozess vorgesehen sind. 

Kinder- und Jugendstrategie im Lichte der Corona-Krise

Wichtiges Ziel von guter Jugendpolitik und der Jugendstrategie muss sein, dass die Lebenswirklichkeiten junger Menschen von Politik, Verwaltung, in den Medien und durch die breite Öffentlichkeit in all ihren Facetten betrachtet und anerkannt werden. In der Corona-Krise hat sich mehr als deutlich gezeigt, dass die vorhanden undifferenzierten und zum Teil klischeehaften Jugendbilder falsch und inakzeptabel sind. Jungen Menschen wurde kollektiv Fehlverhalten zugeschrieben, sie wurden auf die Rolle von Schüler*innen o.ä. reduziert. Die Reaktionen auf die Corona-Pandemie etwa in Form von Prioritätensetzung, Nichtbeachtung bei den Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung und dem geringen Stellenwert bei Unterstützungsmaßnahmen bzw. Maßnahmen zur Abfederung der Krisenfolgen zeigen sehr deutlich, welch geringe Wirkung die Jugendstrategie der Bundesregierung derzeit noch hat. Und es zeigt, wie schnell an vielen Stellen die guten Absichten bei relevanten politischen Entscheidungen vergessen sind. Ebenso wurde deutlich, dass junge Menschen meist nur als Objekte des (politischen) Handelns gesehen werden. Weder wurden sie oder ihre Interessenvertretungen in die Entscheidungen eingebunden – und damit auf vielfältige Expertise verzichtet – noch wurde ihr umfangreicher und vielfältiger Beitrag zur Krisenbewältigung gesehen oder anerkannt. Damit wird deutlich: Eine Jugendpolitik ist keine gute Jugendpolitik, die in Krisenzeiten, wenn es um auch für junge Menschen essentielle Dinge geht, nicht vorkommt oder keine Wirkung zeigt. Eine gute Kinder- und Jugendstrategie muss daher auch in Krisenzeiten bestand haben.

Zu einzelnen weiteren Aspekten

Wir begrüßen darüber hinaus die Forderung (III.6.), das Wahlalter auf 16 zu senken. Der DBJR fordert schon lange die Einführung eines Wahlrechts ab 14 auf allen föderalen Ebenen. Auch die Etablierung eines Kinder- und Jugendchecks auf Landesebene (III.9.) begrüßen wir prinzipiell. Wir möchten an dieser Stelle darauf hinweisen, dass es durchaus unterschiedliche Auswirkungen von Gesetzen auf die (Alters-)Gruppe der Kinder und die (Alters-)Gruppe Jugendliche und jungen Erwachsenen gibt. Die Erfahrungen aus der Entwicklung des Jugendchecks auf Bundeseben haben gezeigt, dass jeweils unterschiedliche Lebenswelten zu betrachten sind. Auch ist es insbesondere bei der Gruppe Kinder wichtig, Kinder als eigenständige Individuen in den Blick zunehmen und  nicht die Auswirkungen beispielsweise auf Familie zu prüfen. Dies sollte bei der Erarbeitung eines Kinder- und Jugendchecks berücksichtigt werden. Wir möchten außerdem betonen, dass genau die verbindliche Gesetzesfolgenabschätzung für alle Ressorts und alle Gesetze wichtig ist. Eine Gesetzesfolgenabschätzung nur für ausgewählte Gesetze und ohne verlässliche Kommunikation der Ergebnisse zu den Entscheidungsträger*innen ist dabei nicht zielführend.

 

Zusammenfassung

Eine eigenständige Kinder- und Jugendpolitik und damit eine wirkungsvolle Kinder- und Jugendstrategie gelingt nur dann, wenn alle Ressorts sowie die Zivilgesellschaft und die Interessenvertretungen junger Menschen einbezogen werden. Jegliche Kinder- und Jugendbeteiligung im Rahmen der Kinder- und Jugendstrategie muss den Qualitätsstandards genügen, verbindlich, nachhaltig und transparent sein und die etablierten Interessenvertretungsstrukturen, u.a. die Jugendverbände und -ringe einbeziehen. Der ressortübergreifende Charakter der Jugendstrategie muss bei der Steuerung und den geplanten Maßnahmen deutlich erkennbar sein. Dem Gedanke einer Strategie folgend, kann sich diese nicht darauf beschränken, vorhandene Maßnahmen zu beschreiben, sondern muss diese bewerten und entsprechend der Zielstellungen neue initiieren. Die Erarbeitung und Umsetzung der Kinder- und Jugendstrategie muss transparent geschehen und auf übergeordneter Ebene begleitet werden. Die Maßnahmen, die aus einer Kinder- und Jugendstrategie abgeleitet werden, müssen wirkungsvoller auf die jeweiligen Ziele ausgerichtet werden und nicht nur symbolischen Charakter haben. Eine Kinder- und Jugendstrategie muss auch in Krisenzeiten Wirkung zeigen. Nicht zuletzt sollte die Kinder- und Jugendstrategie auf Landesebene die Jugendstrategie der Bundesregierung und die Europäische Jugendstrategie insofern aufgreifen, dass eine ebenen-übergreifende Verzahnung ermöglicht wird. Gleichzeitig sieht der DBJR in einer Jugend-strategie auf Landesebene auch die Chance, wichtige Anregungen für die Umsetzung und Weiter-entwicklung der Jugendstrategie auf Bundesebene zu geben.

 

Themen: Jugendpolitik