Jugendarbeit

Zum Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen

Der DBJR-Vorstand hat im Rahmen der Bundestags-Anhörung zum Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz KJSG) eine Stellungnahme abgegeben.

Als Deutscher Bundesjugendring (DBJR) nehmen wir zum vorliegenden Gesetzentwurf (Bundestags-Drucksache 19/26107) sowohl aus Sicht junger Menschen als auch aus Sicht der Kinder- und Jugendarbeit – insbesondere der Jugendverbandsarbeit – zu ausgewählten Punkten des Entwurfs Stellung. Bei unkommentierten Punkten des Entwurfs kann nicht automatisch von einer Zustimmung ausgegangen werden.

Wir begrüßen, dass mit diesem Gesetzentwurf ein wichtiger Schritt in Richtung einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe gegangen und der Weg zur sogenannten Inklusive Lösung beschritten wird. Die Übergangsfrist von sieben Jahren in einem dreistufigen Verfahren hierfür erscheint uns mit Blick auf die betroffenen Kinder und Jugendlichen und ihre Eltern recht lang. Ein schnelleres Verfahren wäre wünschenswert. Gleichzeitig erkennen wir an, dass die noch offenen notwendigen Klärungen und Vorbereitungen zeitliche Ressourcen für die Neuausrichtung brauchen. 

Ebenso begrüßen wir, dass die Subjektstellung der Kinder und Jugendlichen in der Kinder- und Jugendhilfe gestärkt werden soll. 

Zu den einzelnen Regelungen:

Artikel 1 – Änderung des SGB VIII, hier zu Nummer 2 (§ 1)

Wir begrüßen, dass die Selbstbestimmung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in das programmatische Leitbild der Kinder- und Jugendhilfe aufgenommen werden soll; ebenso die Erweiterung der Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe darum, es „jungen Menschen zu ermöglichen oder erleichtern, entsprechend ihres Alters und ihrer individuellen Fähigkeiten in allen sie betreffenden Lebensbereichen selbstbestimmt zu interagieren und damit gleichberechtigt am Leben in der Gesellschaft teilhaben zu können“. Den damit verbundenen inklusiven Ansatz begrüßen wir ausdrücklich und bedauern gleichzeitig, dass er in den folgenden Regeln nicht konsequent durchgehalten wurde.

Wir empfehlen darüber hinaus, den in der Stellungnahme des Bundesrates (Drucksache 5/21) in den Punkten 1 und 2 empfohlen Bezug auf die UN-Kinderrechtskonvention aufzunehmen.

Artikel 1 – Änderung des SGB VIII, hier zu den Nummern 4 und 5 (§§ 4 und neuer 4a)

Wir begrüßen, dass mit diesen Regelungen das Ziel deutlich gestärkt wird, noch stärker als bisher Adressat*innen der Kinder- und Jugendhilfe gleichberechtigt und konsequent an Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Wir teilen ausdrücklich die Einschätzung: „Selbstorganisierte Zusammenschlüsse als fester Bestandteil der freien Jugendhilfe können diese Beteiligung und die diesbezügliche Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe ganz maßgeblich befördern.“

Die damit angestrebte Stärkung der Selbstvertretungsorganisationen innerhalb der Kinder- und Jugendhilfe durch eine explizite Regelung zur Förderung und zur Zusammenarbeit mit der öffentlichen und freien Jugendhilfe kann auch die Selbstvertretungen junger Menschen mit Behinderungen bzw. ihrer Angehörigen im Prozess der Interesseninklusiven Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe stärken.

Als unglücklich bewerten wir, dass es durch die Verwendung des Begriffs „selbstorganisierte Zusammenschlüsse“ zu Missverständnissen kommen kann, weil diese in anderen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe bzw. dieses Buches anders besetzt sind (siehe z. B. die §§ 11, 12). Wir empfehlen hier die ausschließliche Verwendung des Begriffes „Selbstvertretung“ bzw. „Selbstvertretungszusammenschlüsse“.

Auch mit der gegenüber dem Referent*innen-Entwurf überarbeiteten Formulierung sehen wir die Gefahr, dass der Fokus auf die Kinder- und Jugendhilfe nicht deutlich genug wird und der geplante § 4a pauschal als Unterstützungsregelung aller möglichen Interessenvertretungen junger Menschen und damit v.a. auch außerhalb der Kinder- und Jugendhilfe herangezogen werden kann. Die Förderung von (selbstorganisierten) Jugendgruppen und -verbänden sowie ihren Zusammenschlüssen ist darüber hinaus in § 12 geregelt. Wir regen daher eine entsprechende Schärfung der Formulierung an sowie eine Evaluation der Wirkungen des Paragrafen nach einer angemessenen Zeit. Gleichzeitig teilen wir die Bedenken, die in der Stellungnahme der AGJ formuliert werden, dass die nun gewählten komplizierten Formulierungen in Absatz 1, die mehrere unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten, verhindern, dass sich die angestrebten Zielgruppen angesprochen fühlen.

Aus diesem Grund empfehlen wir, entsprechend der Stellungnahme des Bundesrates (Punkt 3) die Einführung eines Landesrechtsvorbehalts zu prüfen.

Artikel 1 – Änderung des SGB VIII, hier zu Nummer 7b (§ 8)

Wir begrüßen sehr, dass die Bedingung für den elternunabhängigen Beratungsanspruch gestrichen werden soll. Wir fordern dies seit dessen Einführung. 

Auch begrüßen wir die Konkretisierung im neuen Absatz 4, empfehlen aber die Formulierung aus der Stellungnahme des Bundesrates (Punkt 4) zu übernehmen: „Beteiligung und Beratung von Kindern und Jugendlichen nach diesem Buch erfolgen in einer für sie verständlichen, nachvollziehbaren und wahrnehmbaren Form“.

Artikel 1 – Änderung des SGB VIII, hier zu Nummer 8 (§ 8a)

Wir lehnen die Empfehlung des Bundesrates (Stellungnahme des Bundesrates Punkt 6) dringend ab, das Jugendamt zu verpflichten, bei Verdacht auf eine Kindeswohlgefährdung öffentliche Warnungen auszusprechen. Hier schließen wir uns der AGJ an. Der derzeitige Schutz- und Hilfeauftrag des Jugendamtes würde dadurch grundlegend hin zu einer Aufgabe der polizeilichen Gefahrenabwehr verändert.

Artikel 1 – Änderung des SGB VIII, hier zu Nummer 15 (§ 11)

Wir begrüßen die mit der vorgesehenen Ergänzung verbundene Zielsetzung, „dass die Angebote der Jugendarbeit in der Regel für junge Menschen mit Behinderungen zugänglich und nutzbar sein müssen.“ Diese Verpflichtung lesen wir jedoch auch aus der bisherigen Formulierung des § 11 heraus „Jungen Menschen sind die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen“. Die beinhaltet weder eine Begrenzung auf eine bestimmt Gruppe junger Menschen noch den Ausschluss bestimmter junger Menschen. Auf dieser Basis ist die gewählte Formulierung eine Engführung des Gedankens der inklusiven Kinder- und Jugendhilfe, weil sie nur auf junge Menschen mit Behinderungen abstellt.

Gleichwohl sehen auch wir den konkreten Handlungsbedarf insbesondere für junge Menschen mit Behinderung. Dabei sehen wir in der gewählten Formulierung jedoch die Gefahr, dass nicht klar genug zum Ausdruck kommt, dass nicht jedes Angebot in seiner konzeptionellen Ausrichtung für alle Kinder und Jugendlichen gleichermaßen geöffnet sein kann, v.a. wenn die Gesetzesbegründung dazu aus dem Blick gerät ("in der Regel", "grundsätzlich").

Konkret sehen wir u.a. folgende Risiken und bitten durch eine Anpassung der Formulierung und/oder eine entsprechende Erweiterung der Gesetzesbegründung diese Risiken zu minimieren:

  • Auch wenn es u.a. durch § 3 (2) Satz 2 eindeutig geregelt ist, soll deutlich gemacht werden, dass sich diese Verpflichtung zu allererst an die Träger der öffentlichen Jugendhilfe richtet. Ihre Erfüllung durch diese ist in Wahrnahme ihrer Gesamtverantwortung durch entsprechende Planungsprozesse im Rahmen der Jugendhilfeplanung und die Schaffung entsprechender finanzieller Voraussetzungen zu ermöglichen. Wir sehen hier die Gefahr, dass vielerorts dieser Grundsatz nur formal als konkrete Förderauflage oder Nebenbestimmung in die Förderrichtlinien oder gar die einzelnen Förderbescheide übertragen wird, ohne dass die Voraussetzungen für seine Umsetzung gegeben sind. So ist eine angemessene Umsetzung ohne Anpassung der Fördersätze kaum möglich.

  • Damit verbunden sehen wir die Gefahr, dass es zu einer Einschränkung der Palette der Angebote und Maßnahmen der Kinder- und Jugendarbeit auf solche kommt, die weitgehend inklusiv gestaltbar sind.

  • Wir sehen ebenfalls die Gefahr, dass Maßnahmen verhindert werden, die aus anderen Gründen nicht gewollt sind, in dem auf eine nicht ausreichende Zugänglichkeit und Nutzbarkeit der Angebote für junge Menschen mit Behinderungen verwiesen wird. 

  • Letztendlich muss vermieden werden, dass in Umsetzung dieses Grundsatzes andere Gruppen junger Menschen, denen der Zugang zu Angeboten der Kinder- und Jugendarbeit erschwert ist, aus den Blick geraten oder gar benachteiligt werden. Sonst führt die explizite Benennung bestimmter Kategorien und z. B. die Nichtnennung sozialer Benachteiligung gegebenenfalls zur Vernachlässigung sozialer Ungleichheit.

Weiterhin muss in der Praxis darauf geachtet werden, dass bei Fragen der Finanzierung und bei Förderung nur die Kosten für die notwendigen Investitionen v.a. baulichen Maßnahmen in den Blick genommen werden. Viel schwerer wiegen aus unserer Sicht und unseren Erfahrungen die immer wiederkehrenden Kosten für laufenden Maßnahmen – wie für erhöhte Mobilitätskosten oder z. B. die Kosten für Gebärdendolmetscher*innen – wie sie z.B. bei Angeboten der Jugendbildung anfallen.

Aus unserer Sicht wird es auch zukünftig – trotz großer Anstrengungen aller Beteiligten – nicht möglich sein, dass alle entsprechenden Kosten systemisch durch die Kinder- und Jugendhilfe getragen werden können. Es wird immer Kosten für die individuelle Teilhabe geben, die von den Reha-Trägern bzw. im Rahmen der Eingliederungshilfe getragen werden müssen. Hierfür muss gerade für die Übergangszeit eine unbürokratische Lösung gefunden werden, die auch berücksichtigt, dass die Verantwortlichen und Organisatoren vieler Maßnahmen der Kinder- und Jugendarbeit ehrenamtliche junge Menschen sind.

Wir wollen insgesamt auch nicht unsere Irritation darüber verschweigen, dass offenbar vor allem § 11 die Notwendigkeit einer solchen Erweiterung gesehen wurde.

Abschließend regen wir an, zu prüfen, das Inkrafttreten dieser Regelung auf die „zweite Stufe“ zu verschieben – also zum 01.01.2024. Damit haben die öffentlichen wie die freien Träger der Jugendhilfe Zeit, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen durch Anpassungen der Jugendhilfeplanungen, Berücksichtigung bei den Haushaltsaufstellungen, Beratungen in den AGs nach § 78 sowie Anpassungen der Konzepte und Durchführung baulicher Maßnahmen sowie ggf. Beschaffungen. Andernfalls sehen wir die Gefahr, dass es mit Inkrafttreten nicht sofort zu merkbaren Verbesserungen kommt bzw. kommen kann und in der Folge ein „Gewöhnungseffekt“ einsetzt, der die neue Regelung ins Leere laufen lässt.

Artikel 1 – Änderung des SGB VIII, hier zu Nummer 34 ( neuer § 45a)

Die mit einer Legaldefinition von Einrichtungen in der Kinder- und Jugendhilfe geschaffen Verbesserung der Rechtssicherheit begrüßen wir. Perspektivisch ist in Folge bei weiteren gesetzlichen Neuregelungen besonders auf die korrekte Adressierung der Einrichtungen zu achten und klar zu benennen, ob pauschal Einrichtungen (der Kinder- und Jugendhilfe) entsprechen des neuen § 45a adressiert werden sollen, die dann auch viele Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit umfassen würden oder nur erlaubnispflichtige Einrichtungen nach § 45, die durch die formulieren Ausnahmen Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit i.d.R. nicht umfassen.

Ergänzend regen wir an, § 45 (1) Punkt 1 durch die Formulierungen „Einrichtungen i.S. § 11“ zu ergänzen oder zu konkretisieren. 

Artikel 1 – Änderung des SGB VIII, hier zu Nummer 40 (§ 72a)

Wir sehe es sehr kritisch, dass auch mit diesem Entwurf erneut die Chance vertan wird, das Instrument des Erweiterten Führungszeugnisses durch eine unbürokratischere und effizientere Lösung auf gleichem Schutzniveau zu ersetzen und verweisen dazu auf unsere entsprechenden Stellungnahmen und Positionen.

Daher empfehlen wir dringend, Punkt 40 der Stellungnahme des Bundesrates aufzunehmen: „Der Bundesrat spricht sich dafür aus, neben dem erweiterten Führungszeugnis eine Unbedenklichkeitsbescheinigung (vereinfachte bereichsspezifische Auskunft aus dem Bundeszentralregister) im Bundeszentralregistergesetz einzuführen und die entsprechenden Folgeänderungen in § 72a SGB VIII vorzunehmen…“

Artikel 1 – Änderung des SGB VIII, hier zu Nummer 52 (§ 83)

Die Absicht, die Bundeselternvertretung der Kinder in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege bei wesentlichen die Kindertagesbetreuung betreffenden Fragen die Möglichkeit der Beratung zu geben, ist im Interesse der Betroffenenvertretung zu begrüßen.

Wir sehen es jedoch kritisch, dass damit gerade dieser Personenkreis bzw. dieses Handlungsfeld herausgehoben wird. Auch in anderen Handlungsfeldern gibt es legitimierte Interessenvertretungen der adressierten jungen Menschen auf Bundesebene. Auch für diese sollte die Möglichkeit der Beratung gesetzlich verankert werden.

Artikel 1 – Änderung des SGB VIII, hier zu Nummer 57 (§ 94)

Die Senkung des maximalen Kostenbeitrags in Absatz 6 begrüßen wir ausdrücklich. Darüber hinaus empfehlen wir, zu regeln, dass sichergestellt ist, dass steuerfreie Einnahmen und Aufwandsentschädigungen aufgrund ehrenamtlicher Tätigkeiten unter Verweis auf die einschlägigen Regelungen des Einkommensteuergesetzes (EStG) vollständig von der Anrechnung ausgenommen werden und ohne jeden Abzug bei den Jugendlichen verbleiben. 

Grundsätzlich sprechen wir uns darüber hinaus deutlich für den Verzicht auf einen Kostenbeitrag aus. Jenseits aller anderen Aspekte ist damit immer eine zusätzliche Schlechterstellung gegenüber jungen Menschen verbunden, die das Glück haben, bei ihren Eltern aufzuwachsen. Heutzutage ist es weitgehend unüblich, dass junge Menschen einen Teil ihres Einkommens an ihre Eltern abgeben.

Zu Artikel 1 – Änderung des KKG, hier zu Nummer 2 (§4 bzw. §§ neue 4 und 5)

Wir können die geplante Umstellung der Reihenfolge der Regelungen, die dann der von den Adressat*innen erwarteten Handlungsreihenfolge entgegensteht, nicht nachvollziehen. Die damit verbundene besondere Betonung der Befugnis zur Information des Jugendamtes sehen wir kritisch. 

Zu § 4 Abs. 4 KKG-E („Rückmeldepflicht des Jugendamtes“) verweisen wir auf die Stellungnahme der AGJ, die wir an dieser Stelle vollumfänglich teilen.

Von einer Einführung einer faktischen Meldepflicht § 4 Abs. 3 KKG wie sie in der Stellungnahme des Bundesrates Punkt 53 empfohlen wird, sollte dringend abgesehen werden. Die Gründe sind u.a. in der Stellungnahme der AGJ ausreichend dargestellt.

Abschlussbemerkungen

Äußerst kritisch sehen wir, dass die Einführung des Rechtsanspruches auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter vollkommen unabhängig von diesem Prozess läuft. Beides führt aber zu Änderungen des SGB VIII und kann wechselseitige Auswirkungen haben.
 

Beschlossen vom DBJR-Vorstand am 18.02.2021

Themen: Jugendarbeit