Europapolitik

Zwischenruf zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft

Das Bundesjugendkuratorium (BJK) fordert in einem Zwischenruf, die Verantwortung der deutschen EU-Ratspräsidentschaft wahrzunehmen und Jugendpolitik in Europa zu stärken. Als Mitglied des BJK-Vorstands war unsere Vorsitzende Lisi Maier an der Stellungnahme beteiligt und hat die Perspektive der Jugendverbände eingebracht. Wir veröffentlichen hier den Zwischenruf.

JUGENDPOLITIK IN EUROPA JETZT STÄRKEN – VERANTWORTUNG DER EU-RATSPRÄSIDENTSCHAFT WAHRNEHMEN

Es ist das Anliegen des Bundesjugendkuratoriums mit diesem Zwischenruf den Blick gerade jetzt über die nationalen Grenzen zu öffnen und die Jugendpolitik in Europa stärker in den Vordergrund zu rücken. Im Sommer übernimmt die Bundesrepublik Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft. In dieser Zeit stehen wichtige Vereinbarungen zur Jugendpolitik an. Es ist einerseits zentral, diese – wie vorbereitet – auf den Weg zu bringen und andererseits zu erkennen, dass die vergangenen Monate neue jugendpolitische Herausforderungen in Europa mit sich gebracht sowie bestehende soziale Herausforderungen des Jugendalters in Europa verschärft haben. Vor allem junge Menschen, die sich gegenwärtig in unterschiedlichen Übergängen der Bildung, der Ausbildung, des Berufs, des sozialen Zusammenlebens, der Mobilität etc. befinden, sind europaweit von der Corona-Krise betroffen, da ihnen wichtige Zugänge zu Institutionen des Bildungssystems, der sozialen Kontakte, des Austauschs mit Gleichaltrigen und der (europäischen) Mobilität versperrt sind.

Die langfristigen Folgen der Corona-Krise werden in Europa nicht zuletzt die jungen Generationen bewältigen müssen. Gleichzeitig werden sie durch die ökonomischen Folgen stark betroffen sein, denn die wirtschaftliche Verwundbarkeit ist in jungen Jahren höher als am Ende des Arbeitslebens.

Um die Folgen der Corona-Krise für die jungen Menschen in Europa sozial gerecht zu gestalten, braucht es national wie auf der europäischen Ebene eine ressortübergreifende gemeinsame Anstrengung aller Politikfelder sowie die Zivilgesellschaft und eine starke Jugendarbeit, um die jugendpolitischen Herausforderungen in Europa neu zu thematisieren und europäische Antworten in Bezug auf die Folgen der Corona-Krise für junge Menschen zu finden. Die aktuellen strukturgebenden Leitbegriffe der europäischen Jugendpolitik – Beteiligen, Begegnen, Befähigen – verweisen darauf, dass über den bisher angedachten Rahmen hinaus eine europäische jugendpolitische Initiative möglich und notwendig ist, die die Lebenssituation junger Menschen in und nach der Corona-Krise nachhaltig aufgreift. Die Nachhaltigkeit in der Bewältigung der Corona-Krise wird vor allem davon abhängen, wie es gelingt die junge Generation sozial gerecht zu befähigen und dabei zu unterstützen, die ökonomischen und sozialen Herausforderungen zu meistern. Es ist aktuell viel von Solidarität in Europa die Rede. Dazu muss auch gehören, dass junge Menschen, die in einigen europäischen Ländern sehr stark von der Krise betroffen sein werden, genau diese Solidarität auch im Rahmen der Finanzverhandlungen in der EU erfahren, damit viele jugendpolitische Anstrengungen der vergangenen Jahre in Europa aufrechterhalten werden können und junge Menschen das europäische Projekt nicht in Frage stellen.

Es braucht eine Stärkung der Jugendpolitik, ihrer finanziellen Sicherung und ihrer Strukturen sowie ein solidarisches Befähigungsprogramm in Europa, das gerade jungen Menschen in den besonders betroffenen Ländern – wie z. B. in Italien, Frankreich und Spanien – Perspektiven auch für Bildung und Beschäftigung bietet. Hier müsste ebenfalls ein starkes Signal von der EU-Ratspräsidentschaft ausgehen.

Ein zentrales Element der Jugendpolitik in Europa ist weiterhin der Jugendaustausch – Begegnung – und die transnationale Jugendmobilität. Die Corona-Krise hat die europäische Jugendmobilität nahezu vollständig zum Erliegen gebracht. Bisher ist nicht absehbar, wie schnell und in welcher Form die Grenzen wieder geöffnet werden. Es ist dem vorzubeugen, dass die Corona-Krise langfristige Auswirkungen auf die Haltung junger Menschen und die transnationale Mobilität in Europa haben wird.

Es ist ein politisch starkes Signal für die europäische Jugendmobilität notwendig, damit die Programme der Jugendmobilität nach der Corona-Krise wieder zu einem Zusammenfinden der Jugend in Europa führen.

Ein solch starkes Signal wäre es z. B., wenn gerade jetzt ein Recht für junge Menschen auf pädagogisch begleitete transnationale Bildungsmobilität installiert oder beispielsweise ein Recht auf einen EU-Freiwilligendienst ausgestaltet würde. Junge Menschen auf der Flucht werden in Europa kaum mehr politisch wahrgenommen. Es ist jedoch dringend erforderlich, der akut kinderrechtswidrigen Situation von jungen Menschen in Flüchtlingscamps abzuhelfen. Die Situation geflüchteter Menschen an den europäischen Außengrenzen hat sich durch die Auswirkungen der Corona-Krise nochmals enorm verschärft. Junge Geflüchtete haben besondere Bedarfe nach Schutz und Befähigung. Die besondere Situation von jungen Geflüchteten gilt es auch bei politischen Impulsen zu Befähigung und Beteiligung junger Menschen verstärkt einzubeziehen. Die aktuelle Situation schärft den Blick darauf, dass die Schaffung von menschen- und kinderrechtskonformen Lebensbedingungen in Europa sowie Teilhabechancen und Perspektiven für junge Geflüchtete dringend umgesetzt und eingelöst werden müssen.

Solidarisches Handeln der EU muss die Schutzbedürftigsten im Fokus haben und jungen Menschen mit Fluchterfahrung konkrete Lebens- und Zukunftsperspektiven aufzeigen.

In den vergangenen Jahren – und auch hinsichtlich der deutschen EU-Ratspräsidentschaft – sollte es ein deutlich wahrnehmbares Ziel der europäischen Jugendpolitik sein, die zivilgesellschaftliche Beteiligung und Demokratie – durch die Formen der Jugendarbeit, aber auch in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens – mit den jungen Menschen zu stärken. Beteiligen in Bezug auf die junge Generation kann nicht groß genug geschrieben werden. Die Corona-Krise darf nicht dazu genutzt werden, dass in einigen Ländern demokratische Grundrechte junger Menschen beschnitten, undemokratische Regierungsformen gestärkt und Nationalismen salonfähig gemacht werden. Dadurch geraten unabhängige zivilgesellschaftliche Strukturen junger Menschen unter Druck und unabhängige Jugendstrukturen verlieren ihre Förderung. Formen zivilgesellschaftlicher Mitbestimmung junger Menschen müssen gerade auch in Krisen-Zeiten gestärkt werden, dafür gilt es neue Wege und Verfahren zu finden.

Junge Menschen müssen auch gegenwärtig in den europäischen und bundespolitischen Beratungen beim Weg aus der Krise mehr gehört werden. Es ist ihre Zukunft, die mitverhandelt wird. Auch dieses Signal müsste von der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ausgehen.

 

Das Bundesjugendkuratorium (BJK) ist ein von der Bundesregierung eingesetztes Sachverständigengremium. Es berät die Bundesregierung in grundsätzlichen Fragen der Kinder- und Jugendhilfe und in Querschnittsfragen der Kinder- und Jugendpolitik. Dem BJK gehören bis zu 15 Sachverständige aus Politik, Verwaltung, Verbänden und Wissenschaft an. Die Mitglieder werden durch die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für die Dauer der laufenden Legislaturperiode berufen. Unsere Vorsitzende Lisi Maier ist Mitglied im Vorstand des BJK.

 

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