Einführung einer umlagefinanzierten Ausbildungsgarantie
Seit Jahren kommen die Unternehmen ihrer Verantwortung nicht nach und bilden zu wenig aus. Mehr als 80 Prozent aller Betriebe stellen keine Auszubildenden ein.[1] Zudem ist die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge in den letzten zehn Jahren auf ein gefährlich niedriges Niveau gesunken. Vor der Finanzkrise 2008 wurden jährlich 616.000 Ausbildungsverträge[2] abgeschlossen. Dieses Niveau wurde seitdem nie wieder erreicht. Im Gegenteil: 2020 fiel die Zahl sogar erstmals unter die 500.000-Marke[3]. Die Folge: Es gibt nicht genügend Ausbildungsplätze für alle, die eine Ausbildung machen möchten. Für 100 Ausbildungsinteressierte standen bundesweit im Jahr 2020 nur 96,6 Ausbildungsplätze zur Verfügung[4]. Anstatt eine Ausbildung machen zu können, werden junge Menschen in Übergangsmaßnahmen abgeschoben. Allein 2020 wurden über 230.000 junge Menschen, die eigentlich eine Ausbildung machen wollten, in Übergangsmaßnahmen wie zum Beispiel dem Berufsvorbereitungsjahr oder einer Einstiegsqualifizierung geparkt[5], während es laut Berufsbildungsbericht 2020 gleichzeitig fast 60.000 unbesetzte Ausbildungsplätze[6] gab. Der Ausbildungsmarkt ist hochgradig ungerecht und ist zudem stark nach Regionen zersplittert.[7] Die schlechteste Ausgangssituation für Ausbildungsplatzsuchende herrscht in Berlin und Bremen vor. Dagegen scheint in Bayern die Lage rein zahlenmäßig am besten.
Für die Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz bekommen, bedeutet dies letztlich Unsicherheit und fehlende Perspektiven. Ohne Ausbildung landen viele junge Menschen im Niedriglohnsektor mit schlechten Arbeitsbedingungen. Das wirkt sich auf das gesamte Berufsleben bis hin zur Rente aus. Die Chancen junger Menschen auf einen Ausbildungsplatz hängen ab von ihrem Wohnort, Schulabschluss, der sozialen Herkunft, dem Geschlecht oder auch davon, ob sie von rassistischen Diskriminierungen betroffen sind. Insbesondere sind Menschen mit Beeinträchtigungen bei der Wahl des Ausbildungsplatz benachteiligt.[8] Jede*r dritte Schüler*in mit einem Hauptschulabschluss schafft den Sprung in Ausbildung nicht.[9] Und das, obwohl das Berufsbildungsgesetz keinen Schulabschluss als Zugangsvoraussetzung für eine Ausbildung vorschreibt. Die Folge: Lag die Zahl der Personen ohne Berufsabschluss 2011 noch bei 1,98 Millionen (13,8 Prozent), ist sie 2019 auf 2,16 Millionen (14,7 Prozent) gestiegen.[10] Diesen Menschen fehlt damit die Grundvoraussetzung für einen qualifizierten Zugang zum Erwerbsleben. Es droht ein Leben in prekärer Beschäftigung und Niedriglohn. Sie sind die Hochrisikogruppe auf dem Arbeitsmarkt. Das trägt unweigerlich zur Spaltung unserer Gesellschaft bei.
Der DBJR fordert dem wirksam entgegenzusteuern, an der Struktur des Ausbildungsmarktes anzusetzen und einen Zugang zu einer Ausbildung für alle zu schaffen.
Durch die Corona-Krise hat sich die Situation nochmal massiv verschärft. 57.553 weniger abgeschlossene Ausbildungsverträge gab es 2020 im Vergleich zum Vorjahr.[11] Für 2021 ist mit einem weiteren Rückgang auf Grund der wirtschaftlichen Folgen der Krise zu rechnen.[12] Damit droht ein weiterer massiver Substanzverlust in der dualen Berufsausbildung. Damit wird jungen Menschen nicht nur ihre Perspektive verbaut, sondern der Fachkräftemangel erheblich verschärft.
Um der Corona-Krise, Zukunftsängsten und Fachkräftemangel zu begegnen, fordert der DBJR eine Ausbildungsgarantie, die durch einen umlagegestützten Zukunftsfonds finanziert wird. Der Zukunftsfonds soll die Maßnahmen des Übergangsbereichs ersetzen und den jungen Menschen eine echte Perspektive bieten. Die Ausbildungsgarantie sichert Jugendlichen das Recht auf Ausbildung und bietet Verlässlichkeit. Letzteres ist dadurch zu erreichen, dass sich alle Betriebe an der Ausbildung beteiligen. Schließlich profitieren alle Betriebe von gut ausgebildeten Fachkräften, egal ob sie bisher selbst ausbilden, oder auf die Ausbildung durch andere Betriebe verlassen.
Die Ausbildungsgarantie ist ein gesetzlich garantierter Anspruch auf einen Ausbildungsplatz für alle jugendlichen Ausbildungsinteressierten, die innerhalb eines Jahres keinen Ausbildungsplatz finden. Die Garantie soll im SGB III verankert und damit Teil der staatlichen Arbeitsmarktförderung werden. Garantiert werden soll der Einstieg in das erste Ausbildungsjahr eines anerkannten vollqualifizierenden drei- oder dreieinhalbjährigen Ausbildungsberufs. Die Vermittlung in eine reguläre betriebliche Ausbildung muss dabei Vorrang haben. Erst, wenn nach einem mehrstufigen Verfahren kein betrieblicher Ausbildungsplatz vermittelbar ist, wird ein außerbetrieblicher Ausbildungsplatz bei einem Maßnahmenträger oder einer berufsbildenden Schule angeboten, um den gesetzlichen Anspruch der Ausbildungsinteressierten sicherzustellen. Dort werden dann die Jugendlichen im ersten Ausbildungsjahr gemäß des Ausbildungsplans ausgebildet. Ziel bleibt auch in dieser Phase die Vermittlung in eine reguläre betriebliche Ausbildung. Sollte der Übergang in eine betriebliche Ausbildung nach dem ersten Ausbildungsjahr nicht gelingen, soll die Ausbildung beim Träger bis zum Berufsabschluss garantiert werden. Auch bei einer außerbetrieblichen Ausbildung muss gelten: Qualitätsstandards müssen eingehalten werden. Die Regularien für eine Berufsausbildung, betriebliche Mitbestimmung, Tarifverträge und die Mindestausbildungsvergütung müssen auch hier uneingeschränkt gelten.
Die am Bedarf der Jugendlichen ausgerichtete Ausbildungsgarantie kann nur eingelöst werden, wenn eine stabile, solidarische Finanzierung vorhanden ist, die nicht unter Haushaltsvorbehalt steht. Hier fordert der DBJR die Betriebe in die Pflicht zu nehmen und Verantwortung für die nachhaltige gute Ausbildung benötigter Fachkräfte zu übernehmen. Ausbildende Betriebe und Betriebe, die keine Ausbildung anbieten, sollen sich gegenseitig bei der Gewinnung von Fachkräftenachwuchs unterstützen. Durch einen Zukunftsfonds, in den alle Betriebe einzahlen, werden zusätzlich notwendige Ausbildungsplätze finanziert und die Ausbildungsleistung der Betriebe honoriert. Damit ist eine faire Beteiligung der Wirtschaft an den Kosten der außerbetrieblichen Ausbildung (Ausbildungsgarantie) sichergestellt und Mitnahmeeffekte werden minimiert. Betriebe erhalten im Gegenzug aus dem Fonds finanziellen Ausgleich für ihr Ausbildungsengagement mittels einer Förderung der entstandenen Ausbildungskosten. Somit besteht ein finanzieller Anreiz für Betriebe, als Kooperationspartner für Verbundausbildung zu fungieren oder zusätzliche bereitzustellen – ihr betriebliches Ausbildungsengagement wird belohnt. Die Ausbildungsgarantie ist untrennbar mit dem Zukunftsfonds verbunden und beide Bestandteile bedingen in ihrer Funktionsweise einander.
Um die Zahl der ausbildenden Betriebe spürbar zu erhöhen, wird eine leistungsfähige Bildungsinfrastruktur in Form von überbetrieblichen Bildungszentren (Verbundausbildung) aufgebaut bzw. vorhandene Strukturen gestärkt. Der Aufbau wird durch den Zukunftsfonds finanziert. Betriebe, die nicht in der Lage sind, eine qualitative Ausbildung vollumfänglich zur Verfügung zu stellen, können eine Förderung durch den Zukunftsfonds für die Nutzung dieser Ausbildungsinfrastruktur erhalten. Betriebe zahlen entsprechend ihres Personalbestandes eine Umlage in den Zukunftsfonds. Bilden sie selbst aus, erhalten sie einen Teil der Ausbildungskosten zurück. Damit soll vor allem sichergestellt werden, dass Ausbildungsengagement belohnt wird, aber Betriebe, die nie oder sehr selten ausbilden, sich an der Ausbildung der für die gesamte Wirtschaft notwendigen Fachkräfte beteiligen.
Bei 63 Ja-Stimmen, 1 Nein-Stimme und 6 Enthaltungen beschlossen in der Vollversammlung am 11.09.2021.
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[1] Berufsbildungsbericht 2021 (Vorabversion), S. 43 f.
[2] Berufsbildungsbericht 2019, S. 58, Tabelle 6.
[3] Berufsbildungsbericht 2021 (Vorabversion), S. 54, Tabelle 8.
[4] Berufsbildungsbericht 2021 (Vorabversion), S. 54, es handelt sich um die erweitere Angebots-Nachfrage-Relation (eANR).
[5] Berufsbildungsbericht 2021 (Vorabversion), S. 39.
[6] Berufsbildungsbericht 2021 (Vorabversion), S. 75, von den im Laufe des Ausbildungsjahres 2019/2020 bundesweit gemeldeten 530.265 Berufsausbildungsstellen waren nach der Statistik der BA zum Stichtag 30.09.2020 noch 59.948 unbesetzt.
[7] Berufsbildungsbericht 2021 (Vorabversion), S. 55.
[8] Berufsbildungsbericht 2021 (Vorabversion), S. 126.
[9] BIBB-Datenreport 2020, S. 281.
[10] Berufsbildungsbericht 2021 (Vorabversion), S. 99 und S. 126.
[11] Berufsbildungsbericht 2021 (Vorabversion), S. 53.
[12] Bernd Fitzenberger, Direktor des IAB, rechnet für 2021 mit einem nochmaligen Rückgang an abgeschlossenen Ausbil-dungsverträgen um 10 Prozent, Quelle: Artikel auf Spiegel.de vom 25.5.2021: „Wie Corona die Azubi-Krise verschärft“, Homepage: https://www.spiegel.de/karriere/wie-corona-die-krise-der-berufsausbildung-beschleunigt-a-a77d75f8-ba3a-4313-a710-6a87929bef56