Geflüchtete

Folgen des Klimawandels als Fluchtgrund anerkennen!

Die DBJR-Vollversammlung hat am 24./25. Oktober 2014 die Position „Folgen des Klimawandels als Fluchtgrund anerkennen!“ beschlossen:

Es gibt unzählige Gründe für eine Flucht oder Abwanderung aus der Heimat wie politische Verfolgung, Menschenrechtsverletzungen, extreme Armut oder bewaffnete Konflikte. Aber auch die Auswirkungen des Klimawandels können Menschen immer häufiger zur Flucht zwingen. Dies hat schon der Bericht des Weltklimarates von 2007 bestätigt, in dem zum ersten Mal ein Zusammenhang zwischen Klimawandel und Migration hergestellt wurde.[1] Dabei sind die direkten Folgen des Klimawandels wie vermehrt auftretende Dürren, Stürme oder Überschwemmungen eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben. Aber auch indirekte Klimaveränderungen wie Verschlechterung der Wasserversorgung oder Rückgang der Nahrungsmittelproduktion können die Lebensgrundlagen gänzlich zerstören. Außerdem ist zu erwarten, dass die Ausbreitung von Infektionskrankheiten weiter zunimmt. So unterschiedlich die Gründe sein mögen, niemand flüchtet freiwillig. Äußere Umstände können Menschen dazu zwingen, ihre Familie zu verlassen und das bisherige Leben aufzugeben. Statt durch strenge Nachweispflichten den Geflüchteten nach Ankunft weitere Schwierigkeiten aufzuerlegen, sollten sie hier leben können, wenn sie das wollen. Rund 500 Millionen Menschen sind von den Auswirkungen des Klimawandels besonders gefährdet. Die Zahl unterernährter Kinder könnte infolge des Klimawandels bis 2050 um 25 Millionen steigen und jedes Jahr könnten weltweit mindestens drei Millionen Kinder unter fünf Jahren aufgrund umweltbezogener Krankheiten sterben.[2]

In Küstengebieten wie in Bangladesch oder auf flachen Inseln wie Tuvalu im Südpazifik sind die Menschen durch den Meeresspiegelanstieg der Gefahr ausgesetzt, ihr Land dauerhaft zu verlieren. Meist kehren die Menschen nach Unwetterkatastrophen wie Überschwemmungen wieder zurück, wenn die schlimmsten Schäden beseitigt sind. Die Fluchtbewegungen sind insofern nur temporär. Eine Rückkehr kann aber auch langfristig ausgeschlossen sein, wenn zum Beispiel Trinkwasser verschmutzt ist oder Ackerflächen nachhaltig geschädigt sind. In anderen Fällen führen abnehmende Niederschläge oder Austrocknung von Gebieten dazu, dass Felder nicht mehr bewässert werden können. Knapper werdende Ressourcen können bestehende Konflikte verschärfen oder neue schaffen und in der Folge zu Abwanderung und Flucht zwingen.

Fluchtursachen bedingen einander und können nicht einzeln betrachtet werden. Oftmals ist es ein ganzes Bündel von sich gegenseitig verstärkenden Ursachen, das Menschen zwingt, die Heimat zu verlassen.

Dazu zählen beispielsweise extreme Armut und hohe Arbeitslosigkeit, bewaffnete Konflikte und Spannungen oder fehlender Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung. Der Klimawandel verschärft all diese Fluchtgründe. Kinder und Jugendliche sind davon besonders betroffen, vor allem weil sie die Auswirkungen dieser Entwicklung auch in Zukunft am meisten spüren werden. Sie haben das Recht, in einer intakten Umwelt aufzuwachsen, ein gesundes Leben zu führen und sich in ganzheitlicher Weise zu entwickeln. Der Klimawandel bedroht diese Rechte. Aber der dauerhafte Verlust des Lebensraums durch den Klimawandel oder sich verändernde Umweltbedingungen ist nicht als Fluchtgrund anerkannt. Es gibt bislang auch keine anderen internationalen oder nationalen Abkommen, die diese Menschen schützen.[3]

Rechtliche Lücken und Handlungsbedarf

Obwohl es vielfältige Gründe für eine Flucht aus der Heimat gibt, wird in Deutschland nach Artikel 16a des Grundgesetzes nur politisch Verfolgten Asyl gewährt. Eine Person ist dann politisch verfolgt und wird nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) als Flüchtling definiert, wenn sie „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt“. Dieser Flüchtlingsbegriff ist sehr eng gefasst ist und erfasst viele Verfolgungsschicksale nicht. Auf subsidiären Schutz können Personen Anspruch haben, denen weder durch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch durch das Asylrecht Schutz gewährt wird.

Diese Personen sind dann schutzberechtigt, wenn sie stichhaltige Gründe für die Annahme vorbringen, dass ihnen in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Dazu zählen zum Beispiel Todesstrafe, Folter oder die Bedrohung des Lebens bei bewaffneten Konflikten.[4] Allgemeine Notsituationen wie extreme Armut in Verbindung mit Naturkatastrophen oder anderen verheerenden Auswirkungen des Klimawandels werden als Gründe für eine Asylgewährung grundsätzlich ausgeschlossen. Das ist eine gravierende rechtliche Lücke.

Die Folgen der globalen Erwärmung wie steigender Meeresspiegel, veränderte Niederschläge oder zunehmende Extremwetterlagen bedrohen vor allem Menschen im Globalen Süden, die selbst am wenigsten zum Klimawandel beitragen. Im Gegenteil: Die Verursacher sind zum großen Teil in der westlichen Hemisphäre auszumachen. Deren ressourcenaufwendiger Lebens- und Wirtschaftsstil beeinträchtigt die Lebensgrundlagen im Globalen Süden. Dort verfügen die Menschen allerdings selten über die nötigen Ressourcen, um sich anzupassen und Schäden auszugleichen. Deshalb sollten die Verursacher stärker als bisher die betroffenen Länder unterstützen. Diese Unterstützung umfasst Anpassungen gegen die Folgen des Klimawandels bevor es zu spät ist um damit Situationen vorzubeugen, die Menschen zur Flucht zwingen.

Deshalb wächst seit Jahren die Zahl derer, die aufgrund von Klimaveränderungen ihre Heimat dauerhaft verlassen oder die aufgrund von plötzlichen Unwetterkatastrophen fliehen müssen. Laut UNHCR suchen allerdings etwa 90 Prozent aller weltweiten Flüchtlinge entweder Zuflucht im eigenen Land (Binnenflüchtlinge) oder in benachbarten Entwicklungsländern.

Deutschland hat eine humanitären Verantwortung gegenüber den besonders Hilfebedürftigen und steht auch als ein Verursacher des Klimawandels im Sinne einer sozialen und ökologischen Gerechtigkeit in der Pflicht, jene Menschen zu unterstützen, deren Lebensgrundlagen vom Klimawandel bedroht sind. Im Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung sich darauf verständigt, sich zum Thema „Klimaflüchtlinge“ zu engagieren. Doch den Worten müssen Taten folgen.

Deshalb fordern wir von der deutschen Bundesregierung, die direkten Folgen des Klimawandels, wie etwa den Anstieg des Meeresspiegels oder extreme Wetterereignisse, als Fluchtgrund im Rahmen von Asylverfahren anzuerkennen, wo sie die Lebensgrundlage von Asylsuchenden nachweislich bedrohen und daher eine Rückkehr ins Herkunftsland ausgeschlossen ist. Dafür ist ein Kriterienkatalog zu entwickeln.

Dabei ist eine enge Zusammenarbeit mit der Europäischen Union zwingend notwendig. Denn nur eine gesamteuropäische Reform der Asylpolitik kann zu einer nachhaltigen und menschenwürdigen Lösung führen.

Auch indirekte Folgen des Klimawandels führen zu Migration. Wir fordern im Hinblick darauf die Weiterentwicklung des Einwanderungsrechts, dass eine Migration bspw. aufgrund des Klimawandels nach Deutschland grundsätzlich ermöglicht.

Mehrheitlich bei zwei Enthaltungen beschlossen auf der 87. Vollversammlung am 24./25. Oktober 2014 in Berlin.

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[1] Vgl. IPCC 2007: www.de-ipcc.de/_media/IPCC-SynRepComplete_final.pdf; vgl. auch den neuesten Sachstand zu den Auswirkungen des Klimawandels in den IPCC-Berichten von 2014: www.ipcc.ch/report/ar5/wg1/

[2] Vgl. UNDP 2011: „Bericht über die menschliche Entwicklung“, Bonn 2011.

[3] Vgl. Brot für die Welt, Deutsches Jugendrotkreuz, Kindernothilfe, klima-allianz deutschland, Oxfam Deutschland: „Vom Klimawandel vertrieben. Migration und Flucht infolge des Klimawandels“, Berlin 2014: mein-jrk.de/fileadmin/user_upload/11-Klimahelfer/Vom_Klimawandel_vertrieben.pdf

[4] Vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: www.bamf.de

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