Junges Engagement Ehrenamt

Freiwilligendienste jetzt stärken!

Die DBJR-Vollversammlung hat am 30./31.10 2020 die Position „Freiwilligendienste jetzt stärken!“ beschlossen.

Mit der Einführung des Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ), des Freiwilligen Ökologischen Jahres (FÖJ), des Internationalen, des entwicklungspolitischen und des europäischen Freiwilligendienstes und seit Einführung des Bundesfreiwilligendienstes (BFD) im Jahr 2011 wurden Strukturen geschaffen, die jungen Menschen ein Bildungs- und Orientierungsjahr ermöglichen und abseits von lohnabhängigen Beschäftigungsverhältnissen Möglichkeiten schaffen, sich persönlich weiterzuentwickeln und zu orientieren. Die Freiwilligendienste sind eine besondere Form des bürgerschaftlichen Engagements, bei dem sich junge Menschen für das Gemeinwohl einsetzen.

Bereits 1964 verabschiedete der Bundestag das „Gesetz zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres“. Er stellte damit den ersten Freiwilligendienst, der aus zivilgesellschaftlichen Strukturen hervorgegangen war, auf eine rechtliche Grundlage, indem er mit diesem Gesetz die Einsatzmöglichkeiten regelte, Zulassungsvoraussetzungen für Träger und eine Altersgrenze für die Freiwilligen bestimmte sowie eine pädagogische Begleitung vorgeschrieben hat. Mit dem Gesetz sollte eine Benachteiligung der Freiwilligen vermieden werden, insbesondere sollten sie nicht als kostengünstige Arbeitskräfte missbraucht werden.

Der Doppelcharakter von Bildungsjahr und Orientierungsjahr auf der einen Seite und die Übernahme von sozialer Verantwortung und gemeinwohlorientiertem Handeln auf der anderen Seite machen auch heute noch den konzeptionellen Kern der Freiwilligendienste aus. Dabei müssen die Interessen und Bedürfnisse der Freiwilligen im Vordergrund stehen.

Freiwilligendienste bei den Jugendverbänden!

Wer die Aktivitäten eines Jugendverbandes erlebt hat, weiß, wie positiv prägend diese Erfahrungen sind. Die Jugendverbände geben jungen Menschen vielfach die Möglichkeit, sich auch im Rahmen eines Freiwilligendienstes zu engagieren. Sie sind häufig Träger von Jugendfreiwilligendiensten und bieten sich auch als Einsatzstellen an. Freiwilligendienste im Verband bauen wie auch die Bildungsarbeit in den Verbänden auf einem ganzheitlich-emanzipatorischen und erfahrungsbezogenen Bildungskonzept auf. Die Freiwilligen werden als Akteur*innen und Handelnde gesehen. Die Arbeit mit anderen Freiwilligen in der Seminargruppe unterstützt die Freiwilligen, ihr Engagement im Kontext gesellschaftlicher Zusammenhänge zu sehen und zu reflektieren.

An die Ausgestaltung der Freiwilligendienste im Sinne eines Bildungs- und Orientierungsjahrs haben wir hohe Ansprüche, um die Interessen der jungen Menschen zu schützen. Darum fordern wir von unseren Kooperationspartner*innen, den Ländern, der Bundesregierung, den Bundestagsfraktionen und den politischen Parteien, Freiwilligendienste auf Grundlage der folgenden Prinzipien auszugestalten:

Einsatzstellen im Freiwilligendienst sind keine Arbeitsplätze!

Freiwillige dürfen nicht als billige Arbeitskräfte ausgenutzt werden. Es muss verhindert werden, dass durch eine mangelhafte Arbeitsmarktneutralität von Freiwilligendiensten prekäre Lohn- und Beschäftigungsverhältnisse geschaffen werden. Die Tätigkeiten dürfen nicht den Charakter eines klassischen Arbeitsverhältnisses annehmen und keinesfalls in Konkurrenz zu Arbeitsplätzen stehen. Es muss auch sichergestellt werden, dass Freiwillige keine professionellen Fachkräfte im pflegerischen, pädagogischen und im sonstigen Bereich ersetzen oder eine kurzfristige Alternative bilden. Eine Überforderung der Freiwilligen führt auch zu negativen Erfahrungen in diesen Berufsfeldern und lassen diese unattraktiv werden. Insbesondere gilt es, den prägenden freiwilligen Charakter der Freiwilligendienste deutlich herauszustellen.

Persönlichkeitsbildung darf kein Luxusgut sein.

Sinn und Zweck eines Jugendfreiwilligendienstes ist nicht der Tausch von Arbeitskraft gegen Entgelt. Engagement erfolgt hier grundsätzlich ohne die Erwartung einer angemessenen Arbeitsvergütung. Das Vollzeitengagement in Jugendfreiwilligendiensten muss aber für junge Menschen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft möglich sein. Das „Taschengeld“ ist so zu bemessen, dass junge Menschen elternunabhängig und selbstständig leben können, aber keine Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt darstellen. Auch darf das „Taschengeld“ nicht auf andere Sozialleistungen angerechnet werden, weil es kein Einkommen ist.

Zudem muss sichergestellt werden, dass Freiwilligendienstleistende kostenlos den ÖPNV nutzen können, um nicht durch Kosten für die Anfahrt und den Heimweg belastet zu werden.

Freiwilligendienste sind kein arbeitsmarktpolitisches Instrument!

Der BFD und die Jugendfreiwilligendienste sind nicht geeignet, jungen Menschen als „Übergangslösung“ mangels des gewünschten Ausbildungs- oder Hochschulplatzes angedient oder aufgedrängt zu werden. Freiwilligendienste müssen ein Lern- und Bildungsangebot und eine Form des freiwilligen Engagements bleiben und sind deshalb auf Arbeitsmarktneutralität angelegt. Leider wurde dies im Rahmen der Weiterentwicklung des Europäischen Freiwilligendienstes zum Europäischen Solidaritätskorps verwässert. Diese Fehlentwicklung gilt es zu korrigieren.

Selbstbestimmtes Lernen ermöglichen.

Die Freiwilligendienste sehen wir als Bildungs- und Orientierungsorte an. Die Angebote müssen an den Interessen und Bedürfnissen der jungen Freiwilligen ausgerichtet sein. Die Bildungsseminare sind dementsprechend über die freien Träger zu organisieren. Freiwillige sollen – sowohl in den Einsatzstellen, als auch bei Seminartagen – die Möglichkeit für Teilhabe und Mitbestimmung erhalten. So können Freiwillige in ihrem Freiwilligendienst Selbstwirksamkeit erfahren. Dadurch kann auch gesellschaftliche und soziale Verantwortung befördert werden. Eine Verpflichtung im BFD, Teile der vorgesehenen politischen Bildungstage bei den Bildungszentren des Bundes ableisten zu müssen, reißt die jungen Menschen aus ihren Gruppen heraus. Die Verpflichtung ist insofern abzuschaffen und es ist den Trägern freizustellen, die Bildungstage vollständig in Eigenregie durchzuführen. Ebenso ist vor dem Hintergrund der selbstbestimmten Persönlichkeitsentwicklung die bindende Vorgabe von Bildungsinhalten seitens staatlicher Stellen im Wesentlichen abzulehnen.

Dienstarten gleichstellen!

Die Prinzipien der Selbstorganisation von freien Trägern und die Subsidiarität der Zivilgesellschaft setzt eine gerechte Förderung in den Freiwilligendiensten voraus. Solange die bisherigen unterschiedlichen Förderansätze gelten, benachteiligt das die aus der Zivilgesellschaft hervorgegangenen Jugendfreiwilligendienste. Wir fordern dass insbesondere die Förderung von FSJ und BFD so ausgestaltet sein muss, dass sowohl den Trägern, den Einsatzstellen, wie auch den jungen Interessent*innen an einem Freiwilligendienst eine freie Wahl möglich ist.

Freiwilligendienste sind offen für alle.

Ein Freiwilligendienst soll für alle jungen Menschen möglich sein – unabhängig von individuellen Voraussetzungen oder Bedarfen, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung, der Religion oder des soziokulturellen Hintergrunds. Um den Abbau von (strukturellen) Barrieren in den Freiwilligendiensten voranzutreiben bedarf es auch von staatlicher Seite Unterstützung. Nicht zuletzt durch das Bereitstellen finanzieller Ressourcen: zum Beispiel sollte die Beantragung zusätzlicher Mittel für den besonderen Förderbedarf als Festbetrags und nicht als Fehlbedarfsfinanzierung möglich sein. Ferner muss die Stigmatisierung durch den nötigen Nachweis zweier Kriterien abgeschafft werden. Um Bewerber*innen aus allen gesellschaftlichen Gruppen die Möglichkeit zu geben, einen Freiwilligendienst zu leisten, sollten gewisse Förderanreize für die Träger gelten, die Bewerbungen gerade aus unterrepräsentierten Gruppen zu berücksichtigen.

Das Konzept Freiwilligendienste nicht verwässern.

Die Bundeswehr bedient sich mit dem neu geschaffenen „Freiwilligendienst (FWD) im Heimatschutz“ des Begriffs FWD und auch dessen Renommee und untergräbt dabei das Engagement der Freiwilligen in den „klassischen FWD“, weil gänzlich neue Strukturen geschaffen werden. Ein Verdienst von 1.400 Euro netto steht einem Taschengeld von ca. 300 Euro gegenüber. Freiwilliges Engagement lässt sich nicht mit einem Lohn vereinbaren. Auch der kostenlose Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) in Uniform für die Zeit der aktiven Reservistentätigkeit brüskiert in diesem Zusammenhang die langen (teils noch immer erfolglosen) Bemühungen rund um #FreieFahrtFürFreiwillige. Auch sonst gleichen sich die beiden Formate inhaltlich und strukturell in keiner Weise, sodass eine begriffliche Gleichheit nicht gerechtfertigt ist. Wir fordern die Bundesregierung auf, im Rahmen ihrer eigenen Aktivitäten die Begrifflichkeit des Freiwilligendienstes nicht zu untergraben, um Personalgewinnung zu betreiben oder andere politische Ziele zu erreichen.

Freiwilligendienste stärken statt Pflichtdienst einführen!

In den regelmäßig wiederkehrenden Diskussionen über eine Dienstpflicht wird immer wieder die Bedeutung für das soziale Zusammenleben, die Versorgung unterstützungsbedürftiger Menschen und der sozialerzieherische Effekt für junge Menschen herausgestellt. Dies birgt jedoch die Gefahr, Standards zu verwässern und löst den Kern des Absolvierens eines Freiwilligendienstes in einer demokratischen Gesellschaft – das zivilgesellschaftliche Engagement – ab. Konstitutiv für das Engagement junger Menschen ist die Freiwilligkeit. Der Staat kann seinen Bürger*innen kein Engagement verordnen. Zudem erschließt sich uns nicht, warum dabei nur auf das Engagement junger Menschen abgezielt werden soll. Stattdessen gilt es vielmehr, jungen Menschen Angebote zu machen, die ihre Bereitschaft zu einem Engagement aufgreifen. Deshalb fordern wir die Freiwilligendienste entsprechend so auszubauen und auszustatten, dass jede*r, die*der einen Freiwilligendienst leisten möchte, dazu auch die Möglichkeit bekommt. Insbesondere muss Inklusion in den Freiwilligendiensten in allen Dimensionen möglich gemacht und entsprechend gefördert werden. Eine Garantie, dass jede Vereinbarung, die zwischen Freiwilligen, Trägern und Einsatzstellen zustande kommt auch gefördert wird, sollte dies sicherstellen. Und damit das Interesse des zivilgesellschaftlichen Engagements junger Menschen wertschätzen. Ein zusätzliche Anreiz für die Bewerbung auf einen Freiwilligendienst sollte die Anrechnung eines Wartesemesters von 0,5 Notenpunkten sein. Diese Regelung gilt bereits beim europäischen FSJ.

Grundsätzlich gilt: Ein qualitativer Ausbau der Freiwilligendienste würde es mehr jungen Menschen ermöglichen, sich aus eigenem Antrieb und aus freien Stücken für ein gesellschaftliches Engagement entscheiden zu können und somit selbstbestimmtes Engagement und Lernen zu verbinden. Das muss das vordergründige Ziel sein.

 

Einstimmig beschlossen in der Vollversammlung am 30./31.2020.

Themen: Junges Engagement Ehrenamt