Jugendpolitik

Frieden ist für uns mehr als die Abwesenheit von Krieg

Die 89. DBJR-Vollversammlung hat am 28./29. Oktober 2016 in Berlin folgende Position „Frieden ist für uns mehr als die Abwesenheit von Krieg“ beschlossen:

Kinder und Jugendliche weltweit wollen in Frieden leben. Sie wollen mit ihren Geschwistern, ihrer Familie und ihren Freund_innen in einer friedlichen Welt leben, diese entdecken, lernen, spielen und lachen. Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf persönliche Entwicklung und Entfaltung und die damit verbundenen Erfahrungen.

Daher zählt zur Auseinandersetzung mit den Bedingungen für eine gerechtere und friedlichere Welt auch die Suche nach Antworten auf Fragen wie: Welche Bedingungen brauchen wir für gelingenden Frieden? Wie lassen sich Krieg und Vertreibung verhindern?

Friedenspädagogik und -politik

Frieden ist für uns mehr als die Abwesenheit von Krieg, Zwang und Gewalt: Unsere Vision ist eine Weltordnung, in der Kinder und Jugendliche ohne Furcht vor Krieg leben können. Frieden ist und bleibt das Ziel, auf das wir durch Friedenspädagogik und -politik hinarbeiten. Soziale Gerechtigkeit ist dabei immer notwendiger Bestandteil von Frieden.

Ziel von Friedenspädagogik ist es, individuelle, gesellschaftliche und internationale Lernprozesse zur gewaltlosen und friedlichen Lösung von Konflikten zu ermöglichen sowie zu fördern. Grundlage und Ziel ist die Etablierung einer Friedenskultur, die Gewaltlosigkeit und gerechten Frieden in ihren Werten und Haltungen impliziert sowie in Verhaltensweisen und Handlungen nach außen verdeutlicht. Es handelt sich bei der Friedenspädagogik um ganzheitliche Konzepte, die von einer großen Methodenvielfalt geprägt sind und sich in drei grundlegende Bereiche gliedern lassen: Friedenskompetenz, Friedensfähigkeit und Friedenshandeln.

Aktive in Jugendverbänden und -ringen beteiligen sich national und international an gesellschaftlichen und politischen Prozessen und Entscheidungen, die zur Durchsetzung der Menschenrechte und der Überwindung von Gewalt sowie der Förderung von Partizipation und Demokratie beitragen. Gelebt wird dies bei weltweit stattfindenden Jugendbegegnungen und -austauschen, internationalen Workcamps und gemeinsamer Gremienarbeit sowohl auf europäischer als auch internationaler Ebene.

Friedenskompetenz meint das Sachwissen um Krieg, Gewalt und Konflikte sowie deren Überwindung. Dies kann konkret die Auseinandersetzung mit Themen wie Peer-Gewalt, Eskalationsmechanismen, Militär oder Rüstung, Armut und Ausbeutung, Herrschaft und Macht bedeuten. Darüber hinaus werden individuelle Voraussetzungen für den Frieden sowie gesellschaftliche und staatliche Rahmenbedingungen in den Blick genommen. Kinder und Jugendliche in Jugendverbänden und -ringen kennen gewaltfreie Handlungsoptionen und konstruktive Konfliktbearbeitungsmethoden.

Friedensfähigkeit beschreibt die sozialen Kompetenzen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen: ein starkes Ich ist die beste Voraussetzung zur Sicherung des Friedens. Auch gendersensible Angebote spielen in der Friedenspädagogik eine wichtige Rolle, weil aufgrund geschlechtsspezifischer Sozialisation Gewalt auf der einen, und Gewaltlosigkeit auf der anderen Seite für Mädchen und junge Frauen sowie für Jungen und junge Männer eine unterschiedliche Rolle spielen. Oft kann sogar ein unterschiedlicher Erfahrungshintergrund je nach Geschlecht vorausgesetzt werden. Dies erfordert je nach Situation alters- und gendersensible Maßnahmen. Die beiden ersten Bereiche sind ganzheitlich angelegt, so dass Lernen durch Erfahrung konkret im dritten Bereich, dem Friedenshandeln, umgesetzt wird.

Eine gute staatliche und gesellschaftliche Friedenspolitik ist für uns auch die Anerkennung von Friedenspädagogik, sowie deren strukturelle und projektbezogene Förderung vor, während und nach einem (bewaffneten) Konflikt. Konkret bedeutet dies den Vorrang von ziviler Krisenprävention und Konfliktbearbeitung vor jeder Anwendung von Gewalt.

Daher fordern wir

  • die gewaltfreie Bearbeitung von Konflikten im Sinne einer aktiven Friedenspolitik, die gekennzeichnet ist durch zivile Konfliktprävention und Konfliktbearbeitung. Dies gilt im besonderen Maße für nationale und internationale Konflikte;
  • eine gute staatliche und gesellschaftliche Friedenspolitik, die Anerkennung von Friedenspädagogik, sowie deren strukturelle und projektbezogene Förderung vor, während und nach einem (bewaffneten) Konflikt;
  • den Vorrang von ziviler Krisenprävention und Konfliktbearbeitung vor jeder Anwendung von Gewalt.

Fluchtbewegungen und -ursachen

Viele Kinder und Jugendliche weltweit müssen in Unfrieden leben, wodurch ihr Leben bedroht ist. Einige haben die Möglichkeit zu fliehen, gemeinsam mit ihren Eltern und oft auch allein.

Das Jahr 2016 war auch für uns als Jugendverbände und -ringe im Deutschen Bundesjugendring (DBJR) gekennzeichnet von der Arbeit für und mit Geflüchteten. Außerdem beobachten wir wie geflüchtete Jugendliche in der Jugendverbandsarbeit zunehmend Verantwortung übernehmen und gesellschaftlich partizipieren. Auf allen Ebenen der Jugendverbände und -ringe gab es Projekte, gemeinsame Seminare und vor allem auch den (jugend-)politischen Einsatz für gute Lebensbedingungen geflüchteter Jugendlicher.

Als Jugendverbände und -ringe beschäftigen wir uns dabei auch mit den Ursachen von Flucht und Vertreibung. Nationale und internationale Konflikte sind und waren in den letzten Jahrzehnten immer wieder Ursache für vermehrte und konzentrierte Migrationsbewegungen. Die meisten Geflüchteten sind entweder so genannte Binnenflüchtlinge, die innerhalb der eigenen Staatsgrenzen verbleiben, oder sie fliehen für mehrere Jahre auf angrenzendes Staatsgebiet[1].

Seit Ende des 20. Jahrhunderts haben sich Fluchtbewegungen globalisiert. Laut einem Bericht der Vereinten Nationen waren Mitte 2015 weltweit etwa 65 Millionen Menschen auf der Flucht[2]. Dabei treten neben bewaffneten Konflikte als Hauptursache zunehmend auch andere Gründe, warum Menschen ihre Heimat verlassen. Jeder Flucht liegt ein Aspekt von Unfrieden zugrunde. Bedingungen wie Armut, Hunger, Umweltkatastrophen, Folgen des Klimawandels, Landraub, fehlende Lebensperspektiven und Eingriffe in die Natur ziehen immer wieder Flucht nach sich. Ebenso die global ungleiche Ressourcenverteilung und ungerechte Handelspolitik[3], die zum Beispiel mit Lebensmittelexporten großer Konzerne aus dem globalen Norden in Länder des globalen Südens einhergeht und dort wichtige Lebensgrundlagen zerstört. Wichtig ist eine ganzheitliche Betrachtung der Politik gegenüber Ländern des globalen Südens: Einzelne Interventionen – sei es durch Politik oder Wirtschaft – dürfen nicht isoliert, sondern müssen als zusammenhängend beziehungsweise sich gegenseitig bedingend betrachtet werden. Insbesondere die Rolle der Industrienationen wie Deutschland und global agierender Konzerne gilt es in den Fokus zu nehmen.

Die durch die wirtschaftlichen und militärischen Großmächte geprägte Sicherheitspolitik sieht für Konflikte immer wieder gewaltsame Lösungen vor. Sei es in Form von Waffen- und Munitionslieferungen, dem Entsenden von „Sicherheitsberater_innen“ und „Ausbilder_innen“ von Sicherheitskräften oder militärischen Interventionen. Jede dieser Optionen zieht langfristige und weitreichende Konsequenzen nach sich, die nicht zu überblicken sind.

Die Industrienationen tragen nicht zuletzt durch Exporte und vor allem durch Rüstungsexporte zu einer Verschärfung nationaler Konflikte und einer weiteren Destabilisierung von Staaten und Gesellschaften bei. Deutschland gehört zu den weltweit größten Rüstungsexporteuren. Eine besonders problematische Rolle spielt dabei die unkontrollierte Verbreitung von Kleinwaffen (Handfeuerwaffen, Sturmgewehre). Die Verbreitung dieser Waffen beginnt meist als legaler, von der Bundesregierung genehmigter Rüstungsexport. Ihr Verbleib kann allerdings kaum kontrolliert werden. Über vielfältige Wege gelangen sie nahezu ungehindert in Konfliktgebiete und führen dort zur Gewalteskalation. Einmal getroffene Exportentscheidungen entfalten gerade in Regionen mit hoher politischer Dynamik oft unerwünschte langfristige Auswirkungen. Dies kann dazu führen, dass die Waffen sich später gegen international mandatierte Einsatzkräfte oder die Zivilbevölkerung richten. Besonders problematisch ist auch die Verbreitung von militärtechnischem Know-How und die Ermöglichung von Waffen in Lizenzproduktion, die sonst nur zurückhaltend belieferte Länder in die Lage versetzt, sich durch eigene Produktion hochzurüsten.

Wir fordern daher:

  • dass sich Außen und Sicherheitspolitik an der Maxime einer friedlicheren Welt orientiert und ihren Blick auf die Menschen und deren Perspektiven richtet statt auf ökonomische Profite.
  • ein Ende jeglicher deutscher (Klein)Waffen- und Munitionsexporte sowie der entsprechenden Lizenzen.
  • eine erhebliche Verschärfung der Exportkontrollen von zivil und militärisch verwendbaren Gütern (DualUse-Güter).
  • die Schaffung struktureller Voraussetzungen, die eine Entscheidung nach friedensethischen Kriterien und nicht nach ökonomischen oder industriepolitischen Interessen bei zukünftigen Rüstungsexporten gewährleisten.
  • eine Verankerung des Verbots von Kleinwaffenexporten im Grundgesetz.
  • eine gerechtere Ressourcenverteilung zwischen globalem Norden und Süden und eine dementsprechend gestaltete Handels und Entwicklungspolitik im Sinne des Beschlusses der DBJR Vollversammlung „Wir haben den Hunger satt“ (2011).
  • die Entwicklungszusammenarbeit konfliktsensitiver zu gestalten. Aufbau und Sicherung von politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in denen zivile Konfliktbearbeitung möglich ist, müssen gefördert werden und immer Vorrang vor militärischen Formen der Konfliktbearbeitung haben.

Einstimmig beschlossen auf der 89. Vollversammlung am 28./29. Oktober 2016 in Berlin.

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[1] siehe zum Beispiel Dadaab, Kenia. Das Lager besteht seit 1990 und wird zurzeit von über 400.000 Geflüchteten bewohnt.

[2] UNHCR Global Trends 2015 www.unhcr.org/statistics/unhcrstats/576408cd7/unhcr-global-trends-2015.html

[3] s. Beschluss der DBJR Vollversammlung “Wir haben den Hunger satt” (2011)

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