Geflüchtete

Geflüchtete willkommen!

Die 88. DBJR-Vollversammlung hat am 30./31. Oktober 2015 in Heidelberg die Position „Geflüchtete willkommen! – Gleiche Lebensbedingungen und Chancen für alle Kinder, Jugendlichen und jungen Volljährigen“ beschlossen:

Kinder, Jugendliche und junge Volljährige, gleich welcher Herkunft, sind in erster Linie eines: junge Menschen. Als Interessenvertreter_innen aller jungen Menschen fordern wir gleiche Rechte für alle Menschen. Das Recht auf Bildung und alle anderen Kinderrechte sind die Rechte aller Kinder, unabhängig von Staatsangehörigkeit und Aufenthaltsstatus. Dies beinhaltet auch die Verbesserung der rechtlichen Situation von Kindern und Jugendlichen ohne Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedstaats. Wir weisen darüber hinaus auf die Verantwortung auch der deutschen Politik für die Zustände in anderen Ländern und die Fluchtursachen hin, denn auch die deutsche Rüstungs-, Außen-, Klima-, Handels- und Wirtschaftspolitik trägt zur Destabilisierung der Verhältnisse und zur Verarmung weiter Teile der Welt bei. Deshalb fordern wir u.a.

  • geflohene Kinder und Jugendliche nicht gegen andere bedürftige junge Menschen auszuspielen. Beide müssen als Teil der Kinder- und Jugendhilfe weiterhin in vollem Umfang Fürsorge genießen können. Der Mehraufwand für die Versorgung von geflüchteten Menschen darf auch nicht als Argument gegen die Forderungen von Berufsgruppen wie Erzieher_innen nach guter Bezahlung verwendet werden.
  • die Anhebung des medizinischen Versorgungsniveaus nach Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) auf das Niveau der gesetzlichen Krankenkassen, die Schaffung von einfachen und unbürokratischen Zugängen zu dieser medizinischen Versorgung. Geflüchtete und folglich auch Geflüchtete ohne Papiere, haben grundsätzlich ein Recht auf kostenfreie medizinische Versorgung und müssen freien Zugang zu dieser genießen, ohne dass ihre persönlichen Daten an die Ausländerbehörde weitergeleitet werden.
  • das Recht auf schulische Bildung für geflüchtete Kinder und Jugendliche umzusetzen. Dafür müssen Wege gefunden werden, die Hindernisse, wie fehlende Sprachkenntnisse und das Fehlen schulischer Zeugnisse aus den Herkunftsländern, überwinden. Bis zur Einschulung müssen Deutschkurse in den Aufnahmeeinrichtungen bereitgestellt werden. Schulen, die Flüchtlingskinder aufnehmen wollen, kommen zurzeit an den Rand ihre personellen und räumlichen Kapazitäten; Lehrer_innen und die wenigen Schulsozialarbeiter_innen stoßen an ihre pädagogischen Grenzen. Wir fordern daher, alle Schulen, die Flüchtlingskinder unterrichten, mit zusätzlichen Lehrkräften auszustatten, die Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache unterrichten können, muttersprachliche Mittler_innen und mehr Schulsozialarbeiter_innen einzusetzen sowie Ressourcen für geeignete Lernorte bereitzustellen. Zudem muss gewährleistet werden, dass auch jugendliche Geflüchtete beziehungsweise junge Volljährige, die nicht mehr der allgemeinen Vollzeitschulpflicht unterliegen, die Möglichkeit zum Schulbesuch bekommen. Dies kann über den Ausbau der Erwachsenenbildung, z. B. Berufskolleg oder Abendschulklassen ermöglicht werden. Für die Erlangung deutscher Sprachkenntnisse sollte ebenfalls spezieller Deutschunterricht und muttersprachlicher Unterricht angeboten werden.
  • die Einrichtung von Lern- und Begegnungshäusern mit Freizeitangeboten, die Möglichkeiten zur individuellen Förderung und Begleitung nach der Schule bieten. Darüber hinaus fordern wir die Erstellung eines Maßnahmenkatalogs durch die Kultusministerkonferenz zur Integration von geflüchteten Kindern und Jugendlichen in die Schulen, der eine gezielte Förderung dieser Kinder und Jugendlichen möglich macht.
  • das Recht für Geflüchtete – unabhängig vom Aufenthaltsstatus –, eine Ausbildung oder ein Studium beginnen bzw. abschließen zu können. Geflüchteten mit einem Studien- oder Ausbildungsplatz ist ein Bleiberecht für die gesamte Ausbildungs- bzw. Studienzeit sowie nach Abschluss die Erteilung des Aufenthaltstitels "Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU" zuzusichern. Ebenfalls fordern wir einen gleichberechtigten Zugang zu den arbeitsmarktpolitischen Fördermöglichkeiten: Die Teilnahme an ausbildungsbegleitenden Hilfen oder der Assistierten Ausbildung muss für Geflüchtete ebenso möglich sein wie die verzögerungsfreie Inanspruchnahme von Berufsausbildungsbeihilfen und Leistungen gemäß BAföG.
  • wir fordern erneut die Abschaffung der Residenzpflicht für alle Geflüchteten, um u.a. geflüchteten Kindern und Jugendlichen die Teilnahme an Angeboten der Kinder- und Jugendarbeit zu ermöglichen. Diese Angebote sind ein wichtiges Element zur Unterstützung der gesellschaftlichen Teilhabe und Integration.
  • die Einstellung diskriminierender Praktiken, wie der Vorrangprüfung und der Wartezeiten für die Aufnahme von Ausbildung und Arbeit. Die Anerkennung schulischer, universitärer und beruflicher Qualifikationen, die in den Herkunftsländern erworben wurden, muss möglichst unbürokratisch gelöst werden. Wir fordern deshalb, dass die Instrumente zur frühzeitigen Kompetenzfeststellung weiterentwickelt werden, um die Integration und Teilhabe junger Geflüchteter durch möglichst barrierefreie Zugänge zu Bildung, Ausbildung und Arbeitsmarkt zu verbessern. Insbesondere bei Anerkennungsverfahren nach dem Anerkennungsgesetz für im Ausland erworbene Qualifikationen (BQFG) fordern wir eine Kostenübernahme durch den zuständigen Leistungsträger (z. B. Sozialbehörde oder Jobcenter).
  • die vereinfachte Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen. In der derzeitigen Gesetzgebung fehlt es an bundeseinheitlichen und transparenten Strukturen und klaren institutionellen Zuständigkeitsregelungen. Es braucht eine zentrale Anlaufstelle für ausländische Jugendliche sowie bundesweit einheitliche Standards und Kriterien, die eine Anerkennung von Abschlüssen unabhängig vom Wohnort garantieren.
  • die Absenkung von sozial- und arbeitsmarktpolitischen Standards zu verhindern. In diesem Zusammenhang müssen für Geflüchtete auch Ausbildungswechsel möglich sein. Ausbildungsabbrüche dürfen nicht automatisch zur Abschiebung führen. Geflüchtete brauchen hier in Deutschland Schutz – auch vor Ausbeutung und prekärer Beschäftigung. Besonders Forderungen nach der Aufhebung des Leiharbeitsverbots oder der Absenkung des Mindestlohns und von Standards auch für andere Beschäftigungsarten (z. B. Praktika und Freiwilligendienste) für Geflüchtete lehnen wir entschieden ab, weil damit neue Missbrauchsmöglichkeiten entstünden, die zu einer weiteren Spaltung des Arbeitsmarktes führen würden.
  • die Gewährleistung des Rechts auf politische und gesellschaftliche Teilhabe für alle Kinder und Jugendlichen ohne Staatsbürgerschaft eines EU-Mitgliedstaates. Die Unterstützung und Verbesserung von Möglichkeiten zur Selbstorganisation junger Geflüchteter sowie deren finanzielle Förderung sind wesentliche Voraussetzungen, um tatsächlich in einer anderen Gesellschaft „anzukommen“. Denn nur wer für seine Interessen selbstbewusst eintreten kann, kann etwas an seinen Ausbildungs-, Arbeits- und Lebensbedingungen ändern. Bestehende bürokratische Hürden für derartige organisierte Mitwirkung sind einzureißen.
  • Jungen Geflüchteten informelles Lernen und das Erleben von Freiräumen zu ermöglichen. Junge Geflüchtete haben ein Recht auf einen Zugang zu außerschulischen Bildungsangeboten, damit sie Gemeinschaft erfahren und sich entfalten können. Insbesondere Jugendverbände bieten dafür viele Möglichkeiten und Perspektiven. Ob im kulturellen oder politischen Bereich, in Sportvereinen oder auch den konfessionellen Jugendverbänden: In deren großer Vielfalt ergeben sich verschiedene Anknüpfungspunkte, wie mit Geflüchteten zusammen gelernt, erlebt und gelacht werden kann. Dafür ist jedoch eine zusätzliche Mittelausstattung die Voraussetzung. Jugendverbände sind auch deswegen zu fördern.

Einstimmig beschlossen auf der 88. Vollversammlung am 30./31. Oktober 2015 in Heidelberg.

Themen: Geflüchtete