Politische Bildung stärken und schützen
Unsere Gesellschaft hat politische Bildung dringend nötig. Wir befinden uns in einer gesellschaftlichen Situation, die besondere Herausforderungen für politische Bildung aufwirft. Dazu gehört unter anderem der Aufstieg rechter Parteien, die Verschiebung des öffentlichen Diskurses nach rechts, der Anstieg rassistischer Gewalt und der verstärkte Rückgriff auf sicherheitspolitische Logiken in zivilgesellschaftlichen Zusammenhängen. Rechte Ideologien, die bereits zuvor in der so genannten „Mitte“ der Gesellschaft existierten, sind präsenter, werden zunehmend normalisiert und nehmen mehr und mehr Raum ein. Nationalistische und rassistische Kräfte wollen eine Abschottung Europas; Ministerien setzen eher auf Sicherheit durch „Prävention vor Extremismus“, als auf die Stärkung von Demokratie und einen ressourcenorientierten Blick auf Jugend und Zivilgesellschaft. Grundlage ist unter anderem die Extremismustheorie, die ein vereinfachtes Bild komplexer Gesellschaft hat, eine falsche Gleichsetzung verschiedener politischer Praxen und Zielsetzungen vornimmt und damit eine kritische Zivilgesellschaft gefährdet. Der Faktengehalt des öffentlichen Diskurses wird in Frage gestellt, Verschwörungstheorien, „Fake News“ und Zweifel an wissenschaftlichen Erkenntnissen nehmen zu.
In dieser gesellschaftlichen Situation muss sich die politische Bildung verorten und ihre Konzepte an die veränderten Herausforderungen anpassen. Außerdem müssen die Akteur*innen der politischen Bildung Strategien entwickeln, um mit Angriffen und dem Druck von Kritiker*innen und Gegner*innen politischer Bildung umzugehen.
Jugendverbände und Jugendringe sind wichtige Träger politischer Bildung und zivilgesellschaftlichen Engagements. Sie fördern die gesellschaftliche Teilhabe von jungen Menschen und sind Werkstätten der Demokratie. Mit ihren Bildungsangeboten, ihrer politischen Arbeit, als Orte gelebter Demokratie sowie als Impulsgeber für die Gesamtheit der demokratischen Zivilgesellschaft auf Basis ihrer ständig neuen Erfahrungen mit Eigenverantwortung und Mitbestimmung leisten sie einen Beitrag zu einer Gesellschaft ohne Ausgrenzung, Diskriminierung und Rassismus.
Politische Bildung ist traditionell ein wesentliches Element in der Jugendverbandsarbeit. Jugendverbände tragen durch ihre Prinzipien und ihr spezifisches Format zu den Zielen politischer Bildung bei: Selbstorganisation und Selbstbestimmung, Partizipation. Jugendverbände ermöglichen Gestaltungsräume für junge Menschen, die sich dort über ihre Freizeitgestaltung, aber auch über Bildung und Gesellschaft austauschen können. Jugendliche und junge Erwachsene wählen die Themen und die Methoden ihrer Bildungsarbeit selbst. Dabei greifen Jugendverbände politische und gesellschaftliche Fragen auf und stärken die Themen, die noch nicht im gesellschaftlichen Diskurs etabliert sind.
Dieses Engagement – nicht nur der Jugendverbände – gerät zunehmend unter Druck. Immer häufiger wird das gesellschaftliche und politische Engagement unter anderem von Jugendverbänden und Jugendringen mit Verweis auf eine behauptete politische Neutralitätspflicht der Organisationen kritisiert. Die politischen Akteur*innen, die diese Kritik formulieren, möchten damit gezielt das Engagement von Jugendorganisationen aber auch anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen einschränken oder delegitimieren.
Diese bisherige Praxis und die dahinterliegenden Annahmen betreffen die Arbeit von Jugendringen und Jugendverbänden auf verschiedenen Ebenen:
Jugendverbände und Jugendringe sind gemeinsam mit vielen anderen demokratischen Organisationen der Zivilgesellschaft Träger der politischen Jugendbildung und von Projekten der Demokratieförderung. Diese Arbeit ist durch die Beschäftigung mit gesellschaftlichen Diskursen geprägt. Programme der Parteien sowie Reden und Veröffentlichungen sowie andere politische Äußerungen ihrer Repräsentant*innen sind Teil dieses gesellschaftlichen Diskurses. Eine verpflichtende Neutralität gegenüber Vertreter*innen von Parteien bzw. deren Positionen steht damit im Gegensatz zur Aufklärung und Auseinandersetzung mit beispielsweise Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus, Transphobie oder Homophobie.
Die finanzielle Förderung der Jugendverbände und ihrer Zusammenschlüsse geht jedoch davon aus, dass sich die gesellschaftliche Vielfalt in den demokratischen Organisationen abbildet und die verbandliche Jugendarbeit und die Jugendbildung von den verschiedenen Konzeptionen, Werten und Verbandsprofilen geprägt sind. Bereits heute ist zu beobachten, dass Jugendverbände unter Druck geraten, da sie aufgrund ihres Werteprofils im Konflikt mit der AfD stehen und sich dazu öffentlich äußern. So wird etwa von der AfD die staatliche Förderung von Organisationen in Frage gestellt, die sich in den politischen Diskurs einbringen und keine Neutralität gegenüber den Parteien erkennen lassen. Auch hier ist die Ausweitung des staatlichen Neutralitätsgebots auf die geförderten zivilgesellschaftlichen Organisationen Grundlage der Argumentation.
Die Jugendverbände und Landesjugendringe im Deutschen Bundesjugendring weisen diese Versuche einer Einschränkung und Delegitimierung ihres zivilgesellschaftlichen Engagements entschieden zurück.
Eine Übertragung des Neutralitätsgebots ist auch aus rechtlicher Perspektive nicht nachvollziehbar. Staatliche Akteure sind aufgefordert bei der finanziellen Förderung von politischer Bildung, Demokratieförderung und Präventionsarbeit die grundrechtlichen Freiheiten freier Träger durch die Regelungen in Förderbedingungen nicht einzuschränken. Insbesondere Eingriffe in die Meinungsfreiheit freier Träger in Form einer pauschalen und unreflektierten Übertragung eines Neutralitätsgebots beispielsweise über entsprechende Nebenbestimmungen bei der öffentlichen Förderung von Jugendverbänden, Jugendringen und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen sind nicht gerechtfertigt. Es darf nicht verkannt werden, dass diese Organisationen Träger der Grundrechte sind und diese Rechte nicht durch (staatliche) Förderung verlieren.[1]
Darüber gilt speziell für Jugendverbände und -ringe, dass ihre Arbeit im Rahmen der Regelungen des § 12 SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz) stattfindet und dieser ausdrücklich Pluralität und Werteorientierung als Grundlage für Jugendverbände und ihrer Zusammenschlüsse definiert. Jugendbildung und Jugendpolitik in Jugendverbänden folgen daher den Interessen und Themen junger Menschen und bilden ihre Pluralität ab. Ein politisches Neutralitätsgebot greift in die gewollte Pluralität der Jugendhilfe ein und bricht mit den Grundlagen der freien Jugendhilfe.
Der DBJR und die in ihm zusammengeschlossen Jugendverbände und -ringe
- lehnen jeden Versuch, ihre Arbeit durch fälschliche Behauptung der pauschalen oder generellen Geltung eines sogenannten Neutralitätsgebotes für freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe oder der politischen Bildung als Versuch der Diffamierung ihrer Arbeit und der Verhinderung der Meinungsfreiheit der durch sie vertretenen jungen Menschen ab.
- fordern alle Parteien auf, die Rolle und Aufgabe von Jugendverbänden, Jugendringen und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen anzuerkennen.
- fordern den Staat auf, seinen Verpflichtungen unter anderem zur Förderung der Jugendarbeit und Jugendverbandsarbeit entsprechend dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) nachzukommen und dabei auf Auflagen oder Nebenbestimmungen zu verzichten, die rechtlich nicht geboten sind, aber geeignet, die eigentlich zu fördernde Arbeit zu verhindern. Gleiches gilt für den gesamten Bereich der politischen Bildung inklusive der Demokratiebildung.
- sind daher untereinander und mit anderen demokratischen Organisationen der Zivilgesellschaft solidarisch, die durch die beschriebenen Argumentationen, Infragestellung ihrer Förderung oder gar Existenzberechtigung unter Druck geraten.
- fordern Lehrer*innen auf, den Beutelsbacher Konsens ernst zu nehmen, die Schüler*innen bei der Gewinnung ihres eigenen Urteils zu unterstützen, kontroverse Debatten zu ermöglichen und anzuregen und dazu beizutragen, alle jungen Menschen in die Lage zu versetzten, eine politische Situation und ihre eigene Interessenlage zu analysieren sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen.
Einstimmig beschlossen von der DBJR-Vollversammlung am 26./27. Oktober 2018 in Dresden.
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[1] Vgl. Friedhelm Hufen, 2018, „Politische Jugendbildung und Neutralitätsgebot“ in: RdJB Recht der Jugend und des Bildungswesens, Jg. 66, Heft 2, Seite 216 - 221