Nachhaltige Entwicklung

"Real zero" statt "net zero" – Echte Treibhausgasreduktion statt Kompensationsmaßnahmen!

Der Hauptausschuss des Bundesjugendrings hat am 25.052023 die Position „"Real zero" statt "net zero" - Echte Treibhausgasreduktion statt Kompensationsmaßnahmen!“ beschlossen.

Die Klimakrise betrifft uns junge Menschen in besonderem Maße. Wir tragen eine unverhältnismäßig große Last durch die multiplen Umweltkrisen mit ihren bereits eingetretenen und zukünftigen Folgen. Gleichzeitig sind wir Teil der Lösung, indem wir für eine lebenswerte und klimagerechte Zukunft kämpfen. Darauf hat der Deutsche Bundesjugendring bereits in seinen 2018 und 2019 verabschiedeten Positionen "Den Klimawandel sofort bremsen!" und "Klimapolitik ist Zukunftspolitik" hingewiesen.[1], [2] Eine lebenswerte und klimagerechte Zukunft wird uns jedoch verbaut, wenn Staaten und Unternehmen statt auf echte Treibhausgasreduktion („real zero“), auf Kompensationsmaßnahmen („net zero“) setzen. Damit wird Klimaschutz auf Kosten junger Menschen verschleppt. Wir haben bereits heute massive Auswirkungen der Klimakrise, obwohl die aktuell ausgestoßenen Treibhausgase erst in Jahrzehnten vollständig klimawirksam werden.[3] Diese Verzögerung werden vor allem junge Menschen zu spüren bekommen. Daher fordern wir: Treibhausgasemissionen müssen jetzt sofort drastisch reduziert werden. Real zero statt net zero!

Um den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf unter 1,5 °C zu begrenzen, muss die Verbrennung fossiler Brennstoffe sofort und umfassend reduziert werden.[4] Das macht es notwendig, dass weitreichende, nie da gewesene Maßnahmen getroffen werden, die alle Lebensbereiche betreffen und auf einen Systemwandel hinauslaufen.

Der derzeitige Hype um das Konzept „Klimaneutralität“ oder „Netto Null“ (net zero) baut auf der Anwendung von Kompensationsmaßnahmen auf: Netto-Null bedeutet, dass theoretisch genauso viele Treibhausgase in die Atmosphäre ausgestoßen wie durch Prozesse zur Entnahme und Speicherung ausgeglichen werden. Anstatt Anreize zu setzen, Emissionen radikal und weitestmöglich zu reduzieren und nur den verbleibenden Rest zu kompensieren, wird bisher politisch der Eindruck vermittelt, dass die Möglichkeit der Kompensation ambitionierte Einsparungsziele unnötig macht. 100 Tonnen ausgestoßenes und kompensiertes CO2 sind nach dieser Logik gleich gut oder schlecht wie 1 Tonne ausgestoßenes und kompensiertes CO2 – denn am Ende steht in beiden Fällen 0 auf dem Papier.

Doch wir halten dieses System und die dahinterliegende Logik für grundsätzlich falsch:

 

Natürliche Senken geraten durch die Klimakrise weiter unter Druck

Kompensationsprojekte, die natürliche Senken (bspw. Aufforstungen und Moorrenaturierungen) nutzen, und Effizienzmaßnahmen sind wichtig, müssen aber gleichzeitig mit Emissionsreduktion stattfinden und dürfen nicht dagegen aufgewogen werden. Denn es ist völlig unklar, ob die Aufnahmefähigkeit von Ökosystemen im Verlauf der immer stärker auftretenden Folgen der Klimakrise erhalten bleibt und ob sie womöglich sogar (massiv) abnimmt.[5], [6] Wälder können beispielsweise aufgrund vermehrter Trockenheit absterben, in Brand geraten und sich von einer Senke in eine Emissionsquelle verwandeln.[7] Deshalb ist es sehr bedenklich, sich auf die Funktion natürlicher Senken in großem Umfang zu verlassen, denn eine langfristige Speicherung von CO2 ist mit ihnen nicht sichergestellt.

 

Kompensationsprojekte entziehen wichtige anderweitig genutzte Flächen

Die benötigten Aufforstungsflächen bräuchten viel Platz, der auch für andere Landnutzungsformen (wie die Lebensmittelproduktion) benötigt wird. Die weiteren sozialen Auswirkungen von Kompensationsmaßnahmen sind in ihrer Gesamtheit schwer zu kontrollieren.

Landgrabbing, die unrechtmäßige Aneignung von Land und die damit verbundene Vertreibung von Menschen, vor allem indigenenen Gruppen, ist in diesem Zusammenhang ein oft beschriebenes Problem.[8] Des Weiteren können auch ökologische Schäden auftreten, wenn die falschen Maßnahmen an den falschen Orten unüberlegt ergriffen werden. Oberste Priorität muss immer die Verhinderung von Abholzung sein, da junge Bäume Jahrzehnte benötigen, um den gleichen positiven Nutzen für das Klima und die Biodiversität zu erreichen.

 

Ausgleichsmaßnahmen stützen neokoloniale Praxis

Klimaneutralität darf neokoloniale Strukturen nicht am Leben halten. Wenn reiche Industrienationen monetär ärmeren Ländern Zertifikate abkaufen, Entwicklung verhindern und wirtschaftliche Abhängigkeiten verstärken, ist dies bei vielen Kompensationsprojekten allerdings der Fall. Kompensation ist nicht nur klimapolitisch unwirksam, sondern auch sozial ungerecht und meist mit neokolonialen und rassistischen Denkmustern verknüpft.

 

Höhere Preise dürfen die sozialen Auswirkungen der Klimakrise nicht verschärfen

Die soziale Frage ist eng verbunden mit der Klimakrise. Diese trifft global insbesondere die Menschen der Arbeiter*innenklasse. Reiche Menschen und Unternehmensbesitzer(*innen) als Profiteure der Wirtschaft können die spürbaren Folgen der Klimakrise durch Klimaanlagen, Swimmingpools, Urlaube und künftig durch wetterfeste Bunkeranlagen abfedern. Derweil fehlen ökonomisch hinabgedrückten, ausgebeuteten, armen und obdachlosen Menschen solche Ressourcen. Sie haben keine Möglichkeit, den alltäglichen Folgen der Klimakrise zu entgehen. Das Abwälzen der Kosten auf die Arbeiter*innenklasse verkennt die Ursachen der Klimakrise, verschärft ihre sozialen Auswirkungen und ist oft verbunden mit armenfeindlichen und sozialdarwinistischen Denkmustern.

 

Vertrauen auf (noch zu entwickelnde) Speichertechnologien ist eine riskante Wette auf die Zukunft

Wir brauchen tatsächlich Null-Emissionen und nicht nur angebliche Netto-Null Emissionen! Auf (mögliche) zukünftige Technologien zu setzen ist falsch, da ihre Realisierbarkeit äußerst ungewiss ist, sie höchst ineffizient sind und/oder ernstzunehmende Kollateralschäden verursachen. Sich auf ihre eventuelle Nutzung in ferner Zukunft zu verlassen, ist eine riskante Wette auf unsere Zukunft. Es lenkt zudem von der Dringlichkeit sofortigen Handelns ab.

Ob Staaten, Unternehmen oder Individuen – alle müssen schnellstmöglich umfassende Maßnahmen zur Reduzierung und Vermeidung von Emissionen ergreifen. Dabei gibt es kein „zu viel“ bei der Emissionsreduktion, im Gegenteil. Emissionskompensation suggeriert, dass weiterhin Emissionen mit „gutem Gewissen“ in die Atmosphäre ausgestoßen werden könnten, während die planetaren Grenzen überschritten werden. Das ist offensichtliches Greenwashing! Wohlhabende Akteur*innen haben so die Möglichkeit, sich von der Pflicht zur Emissionsreduktion auf Kosten zukünftiger Generationen und Menschen im Globalen Süden freizukaufen. Das ist sozial ungerecht und ethisch höchst bedenklich. 

Die oberste Maßgabe muss sein, dass Emissionen zuerst vermieden und dann reduziert werden. Erst dann, als letztes Mittel, sollte Kompensation als Maßnahme in Betracht kommen. Die notwendigen Schritte für eine faire und wirklich klima- und damit auch jugendgerechte Welt müssen jetzt und nicht in Zukunft eingeleitet werden. Dies geschieht nicht durch das Anwenden scheinheiliger und aufschiebender Kompensationsmaßnahmen! Was wir brauchen, ist eine tatsächliche Reduktion aller Treibhausgasemissionen. Real zero statt net zero!

Bei zwei Enthaltungen und einer Nein-Stimme beschlossen beim Hauptausschuss am 25. Mai 2025 in Berlin.

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[1] https://www.dbjr.de/artikel/den-klimawandel-sofort-bremsen

[2] https://www.dbjr.de/artikel/klimapolitik-ist-zukunftspolitik

[3] Zickfeld, K., & Herrington, T., 2015: The time lag between a carbon dioxide emission and maximum warming increases with the size of the emission. Environmental Research Letters, 10(3), 031001.

[4] Laut des neusten IPCC Berichts, müssen globale Treibhausgasemissionen vor 2025 ihren Höchststand erreichen und dann bis 2030 um 43 % gegenüber dem Niveau von 2019 fallen, um die Erwärmung mit einer Wahrscheinlichkeit von > 50% auf unter 1,5 °C zu begrenzen. Wenn man Deutschlands historische Emissionen mit einberechnet, müsste Deutschland schon 2030 seine Emissionen auf null bringen, um sein gerechtes CO2-Budget für 1,5 °C nicht zu überschreiten. 

[5] Salimi, S., Almuktar, S., Scholz, M., Impact of climate change on wetland ecosystems: A critical review of experimental wetlands, Journal of Environmental Management, Volume 286, 2021, 112160, ISSN 0301-4797, https://doi.org/10.1016/j.jenvman.2021.112160.

[6] Loisel, J., Gallego-Sala, A.V., Amesbury, M.J. et al. Expert assessment of future vulnerability of the global peatland carbon sink. Nat. Clim. Chang. 11, 70–77, 2021. https://doi.org/10.1038/s41558-020-00944-0.

[7] Ciais P., Reichstein M., Viovy N., Granier A., Ogée J., Allard V., Aubinet M., Buchmann N., Bernhofer C., Carrara A. et al., Europe-wide reduction in primary productivity caused by the heat and drought in 2003. Nature 437: 529–533, 2005.

[8] https://thewire.in/environment/great-indian-land-grab-carried-name-compensatory-afforestation

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