Europapolitik

Staats- und Regierungschef*innen missachten die Europäische Bevölkerung

Die Abgeordneten des Europäischen Parlaments haben in Straßburg ihre Arbeit begonnen. Es macht wütend, dass die Staats- und Regierungschef*innen diesen Start mit ihren nationalen Machtspielen im Hinterzimmer überschatten. Sie missachten mit der Nominierung von Ursula von der Leyen als Kommissionpräsidentin den demokratischen Willen der Wähler*innen.

Mit der gestiegenen Wahlbeteiligung haben die europäischen Bürger*innen im Mai das Parlament gestärkt. Und das muss nun leider direkt zu Beginn beweisen, ob es sich auf der Nase herumtanzen lässt. Das Modell der Spitzenkandidat*innen wird durch die Staats- und Regierungschef*innen kassiert, dabei ist es ein erster guter Schritt, um den Wahlkampf zu europäisieren. Aber: Das Parlament wählt am Ende die Personen an der Kommissionsspitze, sie werden vom Europäischen Rat nur vorgeschlagen. „Das Parlament sollte jetzt im Sinne der Wähler*innen zeigen, dass es europäisch denkt sowie selbstbewusst genug ist, den Vorschlag des Europäischen Rates abzulehnen“, fordert unser Vorsitzender Tobias Köck.

Schon seit der Wirtschafts- und Finanzkrise wurde die EU vermehrt vom Europäischen Rat und dessen Gipfeln regiert, obwohl der Rat nur die politischen Leitlinien bestimmen soll. Vorgesehen ist, dass Europäische Gesetze von den jeweiligen Fach-Minister*innen und dem Parlament in transparenten und demokratischen Verhandlungen verabschiedet werden. „In der kommenden Legislaturperiode wird es jetzt erst Recht ein wichtiger Schritt für die europäische Demokratie sein, den inhaltlichen Verhandlungen im Europäischen Rat vermehrt die Stirn zu bieten. Es braucht Lösungen mit einem europäischen Blickwinkel, die Staats- und Regierungschef*innen haben mehrfach bewiesen, dass sie dafür nicht geeignet sind“, sagt unser Vorstandsmitglied Christoph Röttgers.

Es ist ärgerlich, dass die Debatten immer noch zu stark national geführt werden. Wir erwarten in dieser Legislatur, dass die Diskurse – auch von den Medien – klar aus europäischer Perspektive und zum Wohle Europas geführt werden. Wir erwarten auch endlich transnationale Listen bei künftigen Wahlen, damit das Modell der Spitzenkandidat*innen gestärkt wird. „Transnationale Listen europäisieren den Wahlkampf; das ist neben dem Spitzenkandidat*innen-Modell dringend notwendig“, betont unser Vorsitzender Tobias Köck.

Es muss aufhören, dass nationale Politiker*innen in europäischen Gremien Entscheidungen treffen und – sobald sie in ihrem jeweiligen Land sind – Europa für die Folgen verantwortlich machen. Weder Brüssel als Synonym noch die EU als Institution dürfen Sündenbock für demokratische Entscheidungen sein. Wir setzen uns dafür ein, dass der Gesetzgebungsprozess in allen Phasen transparent und nachvollziehbar gemacht wird, um das zukünftig zu verhindern.

Wir setzen darauf, dass die pro-europäischen und demokratischen Kräfte ihre starke Rolle im Zusammenspiel mit den anderen Institutionen deutlich machen. Dazu gehört auch, eine*n Parlamentspräsident*in aus ihren eigenen Reihen zu wählen. Das Europäische Parlament repräsentiert als direkt gewähltes Organ der EU die Bürger*innen Europas. Deswegen ist es richtig und wichtig, wenn die Abgeordneten die politischen Prioritäten der EU auf Augenhöhe mitbestimmen.

Dem Europäischen Parlament bleibt es im Gegensatz zu anderen Parlamenten bislang auch verwehrt, EU-Gesetze zu initiieren. Als direkt gewählte Vertretung der EU-Bürger*innen muss das Europäische Parlament diese Kompetenz erhalten. Es braucht wie jedes andere Parlament alle Legislativkompetenzen, nicht nur in Haushaltsfragen. Wir fordern einen europäischen Konvent, um diese und andere institutionell-demokratischen Herausforderungen der EU zu klären. Dafür braucht es eine breite gesellschaftliche Diskussion zur Zukunft Europas, die von der Zivilgesellschaft mitgestaltet werden kann.

Das Parlament hat in der Mehrheit am Ende den deutlich klaren europäischen Blick – obwohl seit der Wahl leider auch wieder mehr Nationalisten im Parlament sitzen.

 

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