Demokratie Jugendpolitik

Zum Diskussionspapier „Auf dem Weg zu einer Strategie gegen Einsamkeit“

Die Bundesregierung hat das Diskussionspapier „Auf dem Weg zu einer Strategie der Bundesregierung gegen Einsamkeit“ vorgelegt. Der Bundesjugendring nimmt dazu Stellung:

Der Deutsche Bundesjugendring (DBJR) begrüßt als Interessenvertretung von 6 Millionen jungen Menschen in Deutschland das Vorhaben der Bundesregierung, sich stärker gegen die Ursachen und Auswirkungen von Einsamkeit in der Gesellschaft einzusetzen.

Zu Recht hebt der Entwurf des Diskussionspapiers hervor, dass in den letzten Jahren insbesondere die Zahl der jungen Menschen, die unter Einsamkeit leiden, gestiegen ist. Gleichzeitig verschwimmt durch die passive Formulierung, dass „während der Pandemie insbesondere jüngere Menschen vermehrt von Einsamkeit betroffen“ (gewesen) seien, die politische Verantwortlichkeit dieser Auswirkungen. Mit Blick auf die politisch gewollten weitgehenden Einschränkungen insbesondere für junge Menschen wurden diese in ihrer wichtigsten Entwicklungsphase erheblich beeinträchtigt. Die starke Zunahme von Einsamkeit in diesen Altersgruppen als Folge der Maßnahmen gegen die Coronapandemie wurde in der politischen Abwägung zu anderen Einschränkungen häufig zu schnell zu gering gewichtet. Hier wäre eine Formulierung wünschenswert, die die massiven Beeinträchtigungen der Entwicklung junger Menschen nicht als naturgemäß gegeben adressiert, sondern als Resultat politischer Entscheidungen.

Der Bundesjugendring begrüßt darüber hinaus ausdrücklich, dass der Zusammenhang zwischen Einsamkeit und Armut erkannt und als Problemlage benannt wird. Dies gilt insbesondere für junge Menschen, die einem überproportionalem Armutsrisiko ausgesetzt sind. In diesem Kontext muss die Einführung einer umfassenden Kindergrundsicherung1 auch im Zusammenhang mit der Verringerung von Einsamkeit eine hohe Priorität haben und wichtiger Bestandteil einer Strategie gegen Einsamkeit sein.

Im Entwurf des Diskussionspapiers wird richtigerweise mehrfach darauf hingewiesen, dass Diskriminierungserfahrungen Einsamkeitsempfindungen begünstigten können und deswegen diskriminierungssensible Maßnahmen gegen Einsamkeit besonders in den Blick genommen werden müssen. Hier erscheint es inkonsequent, dass der Text des Diskussionspapiers selbst sprachlich nur zwei Geschlechter kennt und so nicht-binäre Menschen nicht adressiert.

Kritisch bewertet der Bundesjugendring folgende Formulierung und die sich daraus ergebenden Implikationen: „Die Ergebnisse einer Studie des Progressiven Zentrums aus dem Jahr 2023 zeigen, dass Jugendliche zwischen 16 und 23 Jahren, die sich häufig einsam, unverstanden und unverbunden fühlen, eher Verschwörungserzählungen glauben, autoritären Haltungen zustimmen sowie politische Gewalt billigen (Neu et al. 2023).“ Durch diese Formulierung entsteht der Eindruck einer Kausalität, während die Studie wohl nur eine Korrelation feststellen kann. Auch ist die Bedeutung der Korrelation zwischen diesen Faktoren fraglich. Vielmehr steht hier die Frage im Sinne der Forschungserkenntnisse von Prof. Dr. Dieter Rucht im Raum, ob nicht andere soziale Zusammenhänge einen erklärenden Faktor für autoritäre Haltungen bilden. Jedenfalls wird der suggerierte eindimensionale Zusammenhang zwischen Einsamkeit und autoritären Haltungen unter jungen Menschen der Komplexität nicht gerecht und vermittelt einen falschen Eindruck der Jugend.

Es ist ausdrücklich zu begrüßen, dass dem Forschungsbedarf in Fragen der Einsamkeit ein hoher Stellenwert eingeräumt wird. Der Bundesjugendring sieht hier insbesondere im Bereich der Prävention durch eine Stärkung der Forschung im Feld der Kinder- und Jugendarbeit Potenziale, Einsamkeitsfaktoren und deren Möglichkeiten der Verhinderung besser zu verstehen, um Empfehlungen für die Praxis abzuleiten. Dies gilt insbesondere für das breite Feld der Freizeitmaßnahmen für Kinder und Jugendliche, bei denen vielfältige neue soziale Kontakte für junge Menschen entstehen.

Insgesamt wird dem Stellenwert der (außerschulischen) Kinder- und Jugendarbeit und insbesondere der Jugendverbandsarbeit im Kontext der Bewältigung der zunehmenden Einsamkeit bei jungen Menschen deutlich zu wenig Rechnung getragen. Dies gilt insbesondere auch für den Bereich der außerschulischen Angebote, die im Bereich der Bildung (4.9) bisher im Entwurf gänzlich fehlen. Im Konkreten sind es die freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe nach § 75 SGB VIII, die durch ihre vielfältigen Angebote für Kinder und Jugendliche zur Verhinderung von Einsamkeit beitragen und häufig einen nennenswerten Beitrag beim Aufbau langfristiger sozialer Peer-Bindungen und Freundschaften leisten. In diesem Zusammenhang ist es ungenau, dass nur die Akteur*innen in den Wohlfahrtsverbänden, nicht jedoch die vielfältige Trägerlandschaft außerhalb dieser explizit genannt wird. Die Jugendarbeit und insbesondere die Jugendverbandsarbeit müssen daher unter Punkt 5.4. in jedem Fall ergänzt werden.

Bei der Einrichtung der genannten Förderprogramme darf keinesfalls die etablierte Förderstruktur des Kinder- und Jugendplans des Bundes (KJP) unterlaufen werden. Strukturen, die über den KJP gefördert werden, leisten durch ihren vielfältigen und von ehrenamtlichem Engagement getragenen Einsatz einen gesamtgesellschaftlichen Beitrag von unschätzbarem Wert und stellen ihre langfristige Wirksamkeit gegen Einsamkeit unter jungen Menschen regelmäßig unter Beweis. Eine Stärkung des KJP könnte vorhandene und effektive Strukturen stärken, welche die Ursachen von Einsamkeit bekämpfen. Die Schaffung paralleler Förderstrukturen ist nicht notwendig.

Diese für die Bekämpfung von Einsamkeit fundamental wichtigen Strukturen brauchen Orte der Begegnung. Daher ist es ausdrücklich zu begrüßen, dass das BMFSFJ eine Förderung solcher Orte festschreibt: „4.3. Soziale Orte, welche Raum für Austausch, Begegnung und Engagement von Menschen aller Altersgruppen in den Kommunen bieten, werden durch das BMFSFJ gefördert.“ Die Förderung dieser Orte kann über das im Koalitionsvertrag bereits angekündigte Investitionsprogramm2 für Jugendbildungsstätten und andere gemeinnützige Übernachtungs- und Freizeitstätten umgesetzt werden.

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[1] https://www.dbjr.de/artikel/kindergrundsicherung-als-wichtigen-baustein-einfuehren
[2] https://www.dbjr.de/artikel/der-jugend-ihren-raum-geben

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