Zum Entwurf eines Selbstbestimmungsgesetzes
Als Deutscher Bundesjugendring (DBJR) nehmen wir zum vorliegenden Referent*innenentwurf aus Sicht junger Menschen zu ausgewählten Punkten des Entwurfs Stellung. Bei unkommentierten Punkten des Entwurfs kann nicht automatisch von einer Zustimmung ausgegangen werden.
Der DBJR begrüßt als Interessenvertretung von 6 Millionen jungen Menschen in Deutschland ausdrücklich, dass die Regelungen aus dem in weiten Teilen verfassungswidrigen und diskriminierenden Transsexuellengesetz durch ein zeitgemäßes Selbstbestimmungsgesetz ersetzt werden sollen. Entgegen einer in der Öffentlichkeit wahrnehmbaren Kritik stellt das Selbstbestimmungsgesetz aus Sicht des DBJR ausdrücklich keine Gefahr für eine vermeintliche Indoktrinierung von Kindern und Jugendlichen dar.
Zu den einzelnen Regelungen:
§ 3 (1) SBGG
Aus der Sicht junger Menschen bleibt der Referent*innenentwurf an einer entscheidenden Stelle hinter den Erwartungen zurück. Minderjährige sollen laut Entwurf die erforderliche Erklärung nach § 2 SBGG nicht ohne Zustimmung der gesetzlichen Vertretung nach §1629 BGB vornehmen können. Eine beschränkt geschäftsfähige, minderjährige Person, die das 14. Lebensjahr vollendet hat, kann die Erklärungen zur Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen nach den Regelungen des Entwurf zwar selbst abgeben, bedarf hierzu jedoch der Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertretung. Stimmt die gesetzliche Vertretung nicht zu, so ersetzt das Familiengericht die Zustimmung, wenn die Änderung des Geschlechtseintrags oder der Vornamen dem Kindeswohl nicht widerspricht (§ 3 (1) SBGG).
Ein solches gerichtliches Verfahren gegen die eigenen Erziehungsberechtigten anzustrengen, stellt in der Praxis eine unzumutbare Hürde für die betroffenen jungen Menschen dar. Dies führt regelmäßig dazu, dass der Antrag ohne Zustimmung der Erziehungsberechtigten von vornherein nicht gestellt wird und beschneidet junge Menschen in der fraglichen Altersspanne erheblich in ihrem Selbstbestimmungsrecht. Ein solcher Antrag beim Familiengericht ist eine extrem hohe Hürde für junge Menschen und kann das Zusammenleben in Familien unnötig und erheblich belasten. Sollte sich die Person trotzdem für ein gerichtliches Verfahren gegen die Erziehungsberechtigten entscheiden, führt dies regelmäßig zu einem gutachterlichen Verfahren, das vom Familiengericht angeordnet wird. Für minderjährige Personen führt diese Regelung somit unweigerlich zu einer Begutachtungspflicht durch die Hintertür. Eine solche entwürdigende Begutachtungspflicht will die Gesetzesreform jedoch gerade abschaffen. Hier werden die eigenständigen und selbstbestimmten Interessen von jungen Menschen im Verhältnis zum Erziehungsrecht der Erziehungsberechtigten unverhältnismäßig beschnitten.
Die Altersgrenze, ab der auch ohne Zustimmung der Erziehungsberechtigten die Möglichkeiten des Selbstbestimmungsgesetzes in Anspruch genommen werden können, muss daher auf 14 Jahre herabgesenkt werden. Diese Lösung entspricht aus Sicht junger Menschen deren Entscheidungs- und Verantwortungsfähigkeit. Die Regelung im aktuellen Entwurf des Selbstbestimmungsgesetzes bleibt auch hinter anderen liberalen Errungenschaften junger Menschen mit Blick auf ein selbstbestimmtes Aufwachsen zurück. So erlangen junge Menschen in Deutschland nach § 5 des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung bereits ab 14 Jahren die volle und elternunabhängige Religionsmündigkeit. Spätestens der Zeitpunkt, ab dem jungen Menschen die Strafmündigkeit zugesprochen wird, sollte ihnen auch eine selbstbestimmte Entscheidung über die eigene geschlechtliche Identität zugestanden werden.
Insgesamt muss die selbstbestimmte Perspektive junger Menschen leitend sein. Bei derart wichtigen Entscheidungen brauchen junge trans*-, nicht-binäre und inter*geschlechtliche Menschen Rückhalt und Unterstützung statt zusätzlicher, gesetzlich verstärkter, innerfamiliärer Konflikte. Die gewählte Altersgrenze unterstellt jungen Menschen ein fehlendes Verantwortungs- und Entscheidungsbewusstsein mit Blick auf ihre eigene geschlechtliche Identität. Dieser Annahme widersprechen wir als Bundesjugendring. Junge Menschen sind in der Lage, Entscheidungen über ihre eigene Identität zu treffen. Jugendverbände sehen ihre Aufgabe in der pädagogischen Begleitung solcher Prozesse. Junge Menschen, die mit ihrer geschlechtlichen Identität ringen, benötigen Unterstützung und Begleitung statt Bevormundung.
Über diese problematische Altersregelung hinaus ist ebenfalls die Regelung des § 3 (1) S. 2 SBGG aus Sicht junger Menschen problematisch. Die Darlegungslast, dass die Änderung des Geschlechtseintrags und des Vornamens dem Kindeswohl nicht widerspricht, trägt der junge Mensch. Das Gesetz geht an dieser Stelle zuerst von einer möglichen Kindeswohlgefährdung aus, dessen Nicht-Vorliegen durch die betroffene Person dargelegt und begründet werden muss. Diese Vorannahme einer Kindeswohlgefährdung durch das Gesetz steht dem Selbstbestimmungsrecht junger Menschen diametral entgegen. Die Darlegungslast, dass eine Gefährdung des Kindeswohls vorliegt, sollte von den Eltern und nicht vom Kind erbracht werden müssen.
Letztendlich bleibt der Regelungsentwurf an dieser Stelle entscheidend hinter anderen aktuellen Gesetzesänderungen im europäischen Vergleich zurück. So wurde in Spanien kürzlich beschlossen,
dass Jugendliche bereits ab 16 Jahren über ihren Geschlechtseintrag auch ohne Zustimmung der
Erziehungsberechtigten entscheiden können.
§ 2 SBGG
Die Notwendigkeit einer zusätzlichen Eigenversicherung neben der eigentlichen Erklärung gegenüber
dem Standesamt nach § 2 SBGG stellt eine zusätzliche, vermeidbare bürokratische Hürde dar. Eine
solche Form ist bei anderen Änderungsverfahren im Standesamt unüblich und in der Sache nicht
notwendig. Die Erforderlichkeit dieser Regelung erscheint insgesamt fraglich.
§ 4 SBGG
Die zusätzliche Frist von drei Monaten, die für das Wirksamwerden der Eintragung nach § 4 SBGG
vorgesehen ist, erscheint ebenfalls als eine vermeidbare Hürde für Personen, die ihre Rechte gemäß
Selbstbestimmungsgesetz wahrnehmen wollen. Die Sperrfrist aus § 5 SBGG ist bereits eine
ausreichende Regelung, um die Tragweite der Entscheidung zu verdeutlichen, sodass die zusätzliche
Regelung nach § 4 SBGG als nicht erforderlich erscheint.
§ 9 SBGG
Auch die Regelung des § 9 SBGG ist Ausdruck eines grundlegenden Misstrauens im vorliegenden
Entwurf und stärkt gleichermaßen das grundsätzliche Misstrauen gegenüber Personen, die ihren
Geschlechtseintrag ändern wollen. Für die Befürchtung eines Missbrauches dieses Rechts ist alleine
aus der verfassungsrechtlich geschützten Möglichkeit, den Kriegsdienst an der Waffe aus
Gewissensgründen gem. Art. 4 (3) GG zu verweigern, kein Platz. § 9 SBGG kann somit ersatzlos
entfallen.
§ 11 (1) SBGG
Die Regelung aus § 11 (1) SBGG bleibt mit Blick auf die Eltern-Kind-Beziehung und auf die fehlende
Anerkennung der Identität einer Trans-Person im Rechtsverhältnis dieser Person und ihren Kindern
hinter den Erwartungen zurück. Es ist auch aus Sicht von Kindern und Jugendlichen nicht
wünschenswert, dass beispielsweise der seit Lebensbeginn an erlebte Vater im rechtlichen Verhältnis
über den Geschlechtseintrag im Personenstandsregister zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes
definiert wird. Obwohl das Kind einen Vater hat, bleibt die rechtliche Beziehung doch ein Kind-Mutter-
Verhältnis und beschneidet somit das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Personen. Insgesamt
zeigt sich, dass die in § 11 SBGG verwiesenen abstammungsrechtlichen Regelungen des BGB aus Sicht des Bundesjugendrings dringend reformbedürftig sind.
§ 13 (2) SBGG
Aus Sicht von jungen Menschen erscheint die Ausnahmeregelung des Offenbarungsverbotes für nahe
Angehörige und insbesondere für die eigenen Eltern nach § 13 (2) SBGG als verfehlt. Für die
Selbstbestimmung und Anerkennung der eigenen Identität ist gerade im innerfamiliären Kontext eine
Stärkung und nicht eine Einschränkung der rechtlichen Position des Kindes notwendig. Die
Ausnahmeregelung aus § 13 (2) SBGG ist daher aus Sicht des Bundesjugendrings zu streichen.