Kinderrechte umfassend im Grundgesetz verankern
Mehr als 25 Jahre nach der Ratifizierung der UN-Kinderrechtekonvention (UNKRK) durch die Bundesrepublik Deutschland am 5. April 1992 sind die Chancen für eine Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz (GG) so gut wie nie. Dies begrüßt der Deutsche Bundesjugendring ausdrücklich, denn trotz der Gültigkeit der UNKRK ist die Umsetzung der UNKRK in der Realpolitik und der juristischen Praxis nur wenig vorangekommen. Oft fehlt es bereits an der ausreichenden Information über und am Bewusstsein für diese Rechte.
Auch wenn die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Kinder – jungen Menschen bis zur Vollendung ihres 18. Lebensjahrs – eindeutig als Grundrechtsträger mit Menschenwürde und einem eigenen Recht auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit versteht, wird diese Subjektstellung noch nicht überall unmissverständlich zum Ausdruck gebracht und ist dadurch nicht für jede*n erkennbar. Umfang und Möglichkeiten der Ausübung persönlicher Rechte hängen zu oft allein vom Wohlwollen der Sorgeberechtigten ab. Damit sind Kinder weiterhin faktisch „rechtslos“, auf ihre spezielle Situation wird nicht ausreichend eingegangen. Denn Kinder benötigen zudem besonderen Schutz, individuelle und kindgerechte Förderung sowie Beteiligungsformate, die für sie zugänglich sind. Sie sind nicht einfach mit „kleinen Erwachsenen“ gleichzusetzen. Auch diese Aspekte sollten durch eine Verankerung im GG deutlich werden.
Es gibt viele Gründe für eine Aufnahme der Kinderrechte in das GG. Wir verweisen dazu unter anderem auf unsere Position „Du hast ein Recht ... auf deine Rechte!“ (2007). Besonders hervorheben wollen wir jedoch, dass mit einer expliziten Verankerung der Kinderrechte die Belange von Kindern in allen gesetzgeberischen, politischen und gerichtlichen Entscheidungen stärker als bisher berücksichtigt werden müssten.
Wir unterstützen daher weiterhin die Verankerung der Kinderrechte – selbstverständlich mit Gültigkeit für alle Kinder im Staatsgebiet – im Sinne der UNKRK im GG. Dies setzt voraus, dass die Kernprinzipien explizit benannt werden. Diese sind:
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der Diskriminierungsschutz (Art. 2 UNKRK),
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Kindeswohlvorrang (Art. 3 UNKRK),
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das Recht auf Leben und Entwicklung (Art. 6 UNKRK),
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und das Recht auf Gehör und Beteiligung (Art. 12 UNKRK).
Um wirksam zu sein müssen die Kinderrechte im Grundrechteteil des GG verankert werden und ihrer Bedeutung entsprechend einen eigenständigen Absatz bekommen. In diesem müssen folgende Inhalte festgeschrieben werden:
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Die explizite Klarstellung, dass alle Kinder Träger*innen eigener Rechte sind und somit Rechtssubjekte.
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Das Recht aller Kinder auf bestmögliche Entwicklung, Entfaltung und Bildung.
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Das Recht aller Kinder auf Schutz vor Gewalt und anderen Gefährdungen.
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Das Recht aller Kinder auf Beteiligung an allen sie betreffenden Entscheidungen.
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Den Vorrang des Kindeswohls bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen.
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Die Verpflichtung des Staates, Chancengerechtigkeit und kindgerechte Lebensbedingungen für alle Kinder zu gewährleisten.
Eine Aufnahme der Kinderrechte in das GG, die den Charakter einer bloßen Staatszielbestimmung hat und damit keine einklagbaren Grundrechte wären, lehnen wir folgerichtig ab. Nur als Grundrechte sind Kinderrechte subjektive öffentliche Rechte mit Verfassungsrang, die alle Staatsgewalt binden.
Als Grundlage für weitere Beratungen, beispielsweise in der entsprechenden Bund-Länder-AG, ist die Bundesratsinitiative des Landes Nordrhein-Westfalen vom März 2017 ein guter Ausgangspunkt. Diese Initiative sieht vor, in einem neuen Absatz des Artikel 6 GG das „Kindeswohlprinzip“ aus Artikel 3 Absatz 1 UNKRK und das „Recht auf Beteiligung und Berücksichtigung“ aus Artikel 12 UNKRK aufzunehmen. Damit werden bereits zwei zentrale Elemente und Grundprinzipien der UNKRK verankert. Wir fordern, ihn zudem um das „Recht auf Entwicklung, Entfaltung und Bildung“ aus den Artikeln 28 und 29 UNKRK sowie um das „Recht auf Schutz vor Gewalt und anderen Gefährdungen“ aus Artikel 19 UNRK zu ergänzen.
Um den Schutz- und Förderauftrag sowie eine geschärfte Wahrnehmung der öffentlichen Verantwortung des Staates gegenüber allen Kindern zu betonen, erachtet der DBJR abweichend von den Beratungen der Bundesratsinitiative des Landes Nordrhein-Westfalen die Ansiedlung in Art. 2 GG (Allgemeine Handlungsfreiheit; Freiheit der Person; Recht auf Leben) als notwendig. Eine Verankerung in Artikel 6 GG (Ehe und Familie, nicht eheliche Kinder) würde die Verantwortung der Eltern zur Mitwirkung bei der Umsetzung der Kinderrechte hervorheben. Als Interessenvertretung und Selbstorganisationen von Kindern und Jugendlichen stehen für uns jedoch nicht der Schutz und die Stärkung der Elternrechte im Fokus, sondern die Beteiligungsrechte und die Rolle von Kindern und Jugendlichen als handelnde Subjekte. Der DBJR macht sich daher für eine Verankerung der Kinderrechte in Artikel 2 des GG stark.
Uns ist bewusst, dass die Aufnahme der Kinderrechte in das GG zunächst eine formale Maßnahme und vor allem nur ein Schritt von vielen zur Umsetzung der Kinderrechtskonvention in Deutschland ist. Die Verankerung der Kinderrechte im GG darf weder Politik, Verwaltung, Gesellschaft noch Erziehungsberechtigte von ihren Verantwortungen für die Umsetzung entbinden. Im Gegenteil: Kinderrechte im Grundgesetz sollten die Subjektrolle des Kindes in diesem Gefüge von Verantwortungen, Bedürfnissen, Schutz und individuellen Rechten klarstellen.
Einstimmig vom DBJR-Hauptausschuss am 5./6. September 2018 in Berlin beschlossen.