Vollversammlung Nachhaltige Entwicklung

Energiekrise begegnen, Energiewende beschleunigen

Die Vollversammlung des Bundesjugendrings hat am 28./29.10.2022 die Position „Energiekrise begegnen, Energiewende beschleunigen“ beschlossen.

Die Transformation von fossilen Brennstoffen, wie Braun- und Steinkohle, Erdgas und Erdöl und der hochriskanten Atomenergie, hin zu einer komplett nachhaltigen Energieversorgung durch regenerative Energien ist und bleibt eine soziale, ökologische und ökonomische Notwendigkeit. Gekoppelt mit wirksamen Maßnahmen in den Bereichen Energieeffizienz und -suffizienz1 ist die vollständige Dekarbonisierung des Energiesektors einer der entscheidenden Faktoren, um weiteren Umweltkrisen, Klimakatastrophen, sozialen Verwerfungen, ökonomischen Ungerechtigkeiten und massiven Energiepreissteigerungen entschieden zu begegnen. Die Energiewende wird das Leben vieler Menschen besser machen und gleichzeitig unsere natürlichen Lebensgrundlagen erhalten. Dafür braucht es jetzt entschiedenes politisches Handeln.

Als junge Menschen kritisieren wir das Verschleppen der gebotenen sozial-ökologischen Transformation, gerade im Energiebereich, entschieden. Sie gefährdet unser Recht auf ein Leben in Freiheit und Sicherheit bundesweit, europaweit und weltweit – aber mit ungleich stärkeren Folgen für Menschen im globalen Süden.

Als Jugendverbände sind wir Teil sozialer und ökologischer Bewegungen. Wir prägen die Debatte über Klima- und Gerechtigkeitsfragen. Als Bundesjugendring haben wir uns umfassend zu nachhaltiger Entwicklung als Voraussetzung für ein gutes Leben für alle Menschen positioniert2. Wir beteiligen uns und bringen unsere Perspektive ein. Unsere Anliegen werden durch wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt. Sie sind die Voraussetzung für Frieden und eine zukunftsfähige, demokratische Gesellschaft.

In den vergangenen Legislaturen wurde die Energiewende von der jeweiligen Bundesregierung und einer Vielzahl von Landesregierungen nicht beschleunigt, sondern ausgebremst. Die zuständigen Energieminister*innen im Bund und viele Ministerpräsident*innen haben sie oft weder verstanden, noch gewollt, geschweige denn vorangebracht.

Die massiven Folgen dieser verfehlten Politik erleben wir derzeit deutlich. Die Reduktion des CO2-Ausstoßes im Energiesektor ist deutlich zu gering. Der Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen geschieht zu langsam. Die Abhängigkeit von Gaslieferungen autoritärer Staaten ist groß. Putins Angriffskrieg auf die Ukraine hat zu Energiepreisen beigetragen, die für viele Haushalte nicht mehr finanzierbar sind. Übergewinne einzelner Unternehmen steht die weiterhin steigende Armut vieler Menschen gegenüber.

Die amtierende Ampel-Koalition versprach dagegen im Koalitionsvertrag3 „Deutschland auf den 1,5-Grad Pfad“ zu bringen, „neues Tempo“ in die Energiewende zu bringen. Sie sicherte „Energie- und Ressourceneffizienz“ zu. Daran messen wir sie genauso wie an einer solidarischen Ausgestaltung des Strukturwandels.

Deshalb fordern wir neben kurzfristigen Entlastungen4 ein Sofortprogramm zur Beschleunigung der Energiewende mit mittel- und langfristiger Wirkung durch folgenden Maßnahmen:

Die beschleunigte Elektrifizierung der Bereiche Wärme und Mobilität

Noch immer wird ein Großteil der privaten Wohnungen in der Bundesrepublik mit Gas beheizt. Und in der Industrie spielt die Prozesswärme, häufig erzeugt durch fossile Energieträger, eine bedeutende Rolle. Dieser Wärmebedarf muss schnellstmöglich durch eine Elektrifizierung für regenerativ erzeugten Strom erschlossen werden. In wenigen Fällen (in einigen Bereichen der Industrie, zum Beispiel bei Temperaturen über 500°C) kann grüner Wasserstoff zum Einsatz kommen. Aufgrund des geringen Wirkungsgrades kann dies jedoch nur die Ausnahme darstellen. Im Verkehrssektor ist die batterie-elektrische Antriebsart weiterhin die Zukunftstechnologie für den verbleibenden motorisierten Individualverkehr (MIV). Dafür braucht es jedoch noch mehr Möglichkeiten, Fahrzeuge am Wohnort und am Arbeitsplatz laden zu können, ohne dabei dem Anspruch der Mobilitätswende und einem reduzierten MIV entgegenzuwirken. Schienengebundener Nah- und Fernverkehr muss ebenso so weit wie möglich elektrifiziert werden. Fahrzeuge im Einflussbereich der öffentlichen Hand und insbesondere der öffentliche Personenverkehr müssen schnellstmöglich auf batterieelektrische Antriebe umgestellt werden. Damit einhergehend muss der Lebenszyklus von Batterien weiter optimiert und nachhaltiger gestaltet werden.5

Eine Sektorenkoppelung für mehr Effizienz

Neben der Elektrifizierung ist die Koppelung der drei Sektoren Strom, Wärme und Mobilität von höchster Wichtigkeit für das Gelingen der Energiewende. Jene durch die primäre Erzeugung von Strom mittels Sonne und Wind entstehenden Schwankungen auf der Angebotsseite können durch steuerbare Nachfragekapazitäten in den beiden anderen Sektoren abgepuffert werden. Überschüssiger Strom wird so in Speichern und Power-to-X Verfahren genutzt.6

Der Ausstieg aus fossilen Energieträgern

Für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels ist der zeitnahe Ausstieg aus fossilen Energieträgern von elementarer Bedeutung. Der beschlossene und gesellschaftlich abgesicherte Kohleausstieg muss durch ambitioniertere Maßnahmen umgesetzt werden. Den Forderungen nach einer Förderung von Fracking-Gas in der Bundesrepublik ist genauso eine klare Absage zu erteilen, wie den wieder aufkommenden Rufen nach einer Renaissance der Atomenergie. In beiden Fällen sind die möglichen Umweltrisiken und Folgeschäden bei Havarien unkalkulierbar und nicht zu verantworten.

Flüssigerdgas (LNG) kann aus ökologischen und weltpolitischen Gründen maximal als kurzfristige Übergangslösung zum Einsatz kommen, um neue fossile Abhängigkeiten zu verhindern und die Umwelt zu schützen. Der Aufbau neuer Gasinfrastruktur kann nur unter der Voraussetzung geschehen, dass diese auch auf eine zukünftige Nutzung mit grünem Wasserstoff ausgelegt sind.

Ein beschleunigter Ausbau der Regenerativen Energien

Eine drastische Reduzierung der Treibhausgasemissionen erreichen wir zuerst über eine gesteigerte Effizienz bei gleichzeitiger Suffizienz. Darauf aufbauend durch Elektrifizierung, Sektorenkopplung und damit einer Ersetzung fossiler Energien durch Strom aus regenerativen Energieträgern.

Für den Ausbau der Windenergie an Land und im Wasser braucht es eine Vereinheitlichung der Genehmigungsverfahren, Digitalisierung der Antragstellung und die Abschaffung von übermäßigen Abstandsregelungen. Auch für Solarenergie müssen Genehmigungsverfahren vereinfacht und beschleunigt werden. Neubauten und sanierte Gebäude müssen mit Solaranlagen bestückt werden. Die Prüfung der Umweltverträglichkeit darf trotz vereinfachter Prüfung nicht außer Kraft gesetzt werden.

Wo möglich, soll auch die Geothermie als regenerative Energie im Wärmesektor verstärkt genutzt werden.

Ein forcierter Netzausbau

Um den produzierten Strom auch bei den Verbrauchsstellen ankommen lassen zu können, braucht es entsprechende Übertragungs- und Verteilnetze. Bei der Planung muss berücksichtigt werden, dass sich die Stromerzeugung zunehmend dezentralisiert und die Zeit von zentralen Großkraftwerken bald vorbei ist. Da es sich beim Energietransport um kritische Infrastruktur handelt, sind Netze die Aufgabe des Staates und dürfen nicht in den Händen einiger weniger Unternehmen liegen. Das Stromleitungsnetz muss schneller ausgebaut werden, weshalb einfachere Planungsverfahren nötig sind.

Die Reformierung des Strommarktes

Seit der europaweiten Liberalisierung der Energiemärkte ab dem Ende der 1990er Jahre wird Strom an Strom- und Stromterminbörsen gehandelt. Hier unterliegt der Preisfindungsmechanismus dem sogenannten Merit-Order-Prinzip, nachdem der Stromerzeuger mit den höchsten Grenzkosten den Preis für alle weiteren Erzeugungsarten festsetzt.

Die aktuellen Strompreissteigerungen durch die hohen Gaspreise zeigen die Grenzen dieses Mechanismus sowie insgesamt der aktuellen Preisgestaltung für den Endverbraucher. Eine Reform ist dringend nötig, welche die niedrigeren Kosten der regenerativen Energien stärker an die Verbrauchsstellen weitergibt als momentan. Dies kann auch durch eine weitere Aufteilung des Strommarktes in der Bundesrepublik in einen Nord- und einen Südmarkt geschehen.

Mehr Ausbildungskapazitäten und bessere Arbeitsbedingungen für „grüne Jobs“

Die Beschleunigung der Energiewende gelingt nur durch mehr Fachkräfte und Personal. Eine Ausbildungsoffensive gerade für grüne Jobs, gerechte Entlohnung, attraktive Arbeitsbedingungen und die Vermeidung von Überlastungen für Arbeitnehmer*innen ist dafür zentral. Die umgehende Einführung einer umlagefinanzierten Ausbildungsgarantie ist dafür notwendig.7

Wirksame Beteiligung und solidarischer Strukturwandel

Die Energiewende gelingt nur mit der Zivilgesellschaft. Insbesondere junge Menschen müssen beteiligt werden, wenn es um die Ausgestaltung einer generationengerechten Transformation geht, von deren Auswirkungen sie am längsten betroffen sind.

Das entstehende Jugendbeteiligungsformat im Bundesklimaschutzministerium kann dazu auf Bundesebene einen wichtigen Beitrag leisten, wenn es die etablierten Selbstorganisationen junger Menschen, wie Jugendverbände es sind, wirksam beteiligt und sich nicht zu sehr an Partikularinteressen und Einzelpositionen orientiert. Regional müssen die Mittel für einen solidarischen Strukturwandel auch in die non-formale Bildungsarbeit fließen. Dies stärkt Demokratie- und Umweltbildung und sorgt für die Stärkung von Beteiligungsstrukturen.

Lokal sollten politische Entscheidungsträger*innen Bürger*innen zur Mitgestaltung der Energiewende vor Ort ermuntern. Dabei muss transparent gemacht werden, dass es ausschließlich um das Wie der einzelnen Maßnahmen geht, nicht um das Ob. Gleichzeitig gilt es bestehende Regelungen zur Mitbestimmung an die Herausforderungen der Transformation anzupassen. Ziel sollte es einerseits sein, die Grundlagen für eine moderne Betriebs- und Personalratsarbeit zu legen, die mit den technischen, ökologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen schritthalten kann, die Gremien der Mitbestimmung aber vor Angriffen vonseiten der Arbeitgeber*innen schützt. In Unternehmen ab 100 Mitarbeiter*innen sollten Umweltausschüsse eingerichtet werden.

Auf allen föderalen Ebenen sind Lernorte außerschulischer Bildung, wie (mobile) Jugendbildungsstätten und gemeinnützige Freizeit- und Übernachtungsstätten durch staatliche Investitionsprogramme8 bei der energetischen Sanierung zu fördern.

Eine investierende und solidarische Fiskalpolitik

Für die Umsetzung der Energiewende bedarf es großer finanzieller Investitionen, um die gewaltigen Herausforderungen zu meistern und die sozial-ökologische Transformation voranzubringen. Vor allem die öffentliche Hand und hier der Bund ist gefordert, mit Investitionspaketen und Förderungen zu steuern. Soziale Härten in der Umstellung müssen abgefangen werden, die Energiewende muss besonders finanziell schwächer aufgestellte Menschen entlasten und darf nicht das Gegenteil bewirken. Jedoch verhindert die bundesrepublikanische Schuldenbremse die dringend nötigen Investitionen in eine lebenswerte Zukunft auf unserem Planeten. Ein Staat mit kaputt gesparter öffentlichen Daseinsvorsorge ist nicht im Interesse junger Menschen. Hier muss ein fiskalpolitisches Umdenken stattfinden.

Sondervermögen und andere Umgehungsmechanismen der Schuldenbremse können kurzfristig eine Lösung sein, wenn parlamentarische Mehrheiten fehlen. Dabei sollte aber immer gewährt bleiben, dass es nicht zu einer generellen Zerstückelung des Haushaltes kommt und diese Sondervermögen weiterhin der demokratischen Aufsicht des Parlaments unterliegen. Für uns ist klar, die Schuldenbremse muss abgeschafft werden.

Gleichzeitig müssen auch die Bürger*innen direkt vor Ort von der Energiewende finanziell profitieren können. Bürgerenergie-Gesellschaften sind dafür ein gutes Beispiel.

 

Einstimmig bei 6 Enthaltungen beschlossen in der Vollversammlung am 28./29.10.2022.

1 Diese sind nicht Schwerpunkt dieser Positionierung.

2 https://www.dbjr.de/artikel/sozial-und-oekologisch-gerecht

3 https://www.bundesregierung.de/resource/blob/974430/1990812/04221173eef9a6720059cc353d759a2b/2021-12-10-koav2021-data.pdf?download=1

4 https://www.dbjr.de/artikel/die-zeit-fuer-entlastung-junger-menschen-und-ihrer-jugendverbaende-ist-jetzt

5 wie er in folgender Position zur Mobilitätswende beschrieben ist: https://www.dbjr.de/artikel/junge-menschen-bewegen-eine-nachhaltige-mobilitaetswende-fuer-alle

6 Begriffserklärung hier: https://www.bmuv.de/media/was-ist-power-to-x-die-technologie-einfach-erklaert

7

wie sie in der folgenden Position beschrieben ist: www.dbjr.de/artikel/einfuehrung-einer-umlagefinanzierten-ausbildungsgarantie

8

wie es für die Bundesebene in der folgenden Position beschrieben ist: www.dbjr.de/artikel/gemeinnuetzige-orte-der-jugendarbeit-zukunftssicher-machen

Themen: Vollversammlung Nachhaltige Entwicklung